Der hundertste Post in diesem Jahr.
Kein guter Tag. Lange Zeit hatte dieser Tag noch das Gedenken an den Beginn des 2. Weltkriegs und deutscher Aggression bei sich, das ist heute schon ziemlich gedämpft, die wenigsten überlebenden Opfer und Täter sind noch zur Stelle und die Historisierung für eine neue Generation, die ja nun fast gar nichts wissen kann, ist kompliziert – weil es eben nicht nur am Geschichtsunterricht und der familiären Weitergabe des Weltgeschehens liegt, sondern auch an den politischen und kulturellen Schwerpunktsetzungen. 1. September 1939: Beginn des Zweiten Weltkriegs | Hintergrund aktuell | bpb.de . Damals herrschten die Nazis schon 6 Jahre in Deutschland, nach Jahren der erfolgreichen Vorbereitung des Faschismus. Die Kalenderblätter und historischen Daten sind hinreichend mit Informationen und Bewertungen gefüllt, und – seltsam starr.
Heute sind Wahlen in Deutschland, nicht ausgeschlossen, dass die Faschisten der AfD und BSW Mehrheiten erringen. Es geht nicht darum, ob sie jetzt (schon) regieren werden. Es geht darum, wie viele Menschen sich ostentativ in Wahlen gegen die Demokratie entscheiden, die ihnen diese Wahlen ja ermöglicht.
Zu meiner Wortwahl: Nazis waren eine besondere Ausprägung des allgemeinen Faschismus, nicht umgekehrt. AfD und BSW sind keine Nazis, aber Faschisten. Das aufzuschlüsseln und differenziert zu analysieren, ist keine „rein deutsche“ Angelegenheit, Faschismus greift in Europa erfolgreich um sich, in der EU nicht nur Ungarn und Bulgarien und…in Deutschland und Österreich (FPÖ) warten die Faschisten auf Wahlerfolge, die ihnen Regierungsbeteiligung auf Bundesebene ermöglichen. In anderen europäischen Ländern, auch außerhalb der EU, ähnlich.
Man kann das wissenschaftlich und polithistorisch analysieren. Man kann sich vor allem die kulturelle Bandbreite ansehen, die mit den Varianten des Faschismus seit jeher einhergeht. Aber darum geht es mir jetzt, heute nicht. Wir sehen, dass vielfach demokratische Mittel angewandt werden, um sich von der Demokratie abzuwenden. Dabei kommt den Faschisten zugute, dass sich (natürlich) in der Demokratie Uneinigkeit zwischen den Parteien und politischen Gesellschaftszielen leichter ausbreitet als in Diktaturen. Und dass es einen Übergangskorridor zu den Faschisten gibt, der nicht nur in Koalitionen sich ausdrückt, sondern im ideologischen Bewusstsein, in der kulturellen Einstellung usw. Ich spreche von allen gesellschaftlichen Bereichen außer dem sozialen, denn da waren und sind Faschisten nicht so einfach anzugreifen und zu kritisieren. Das wäre eine zusätzliche Lektion.
Schaut euch Meloni in Italien an, Innen- UND Außenpolitik, schaut euch an, wie Ungarn noch immer EU Mitglied ist und wie die Türkei sich entwickelt.
Faschismus kann sich weltweit entwickeln. Er wird nicht nur durch (An)führer repräsentiert, sondern schon über weite Entwicklungen vom „Volk“ getragen und befestigt.
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Wie werden wir uns heute abend fühlen, wie werden wir auf die Wahlergebnisse reagieren – natürlich hoffen wir, dass die Menschen klüger sind und die AfD nicht so gut abschneidet wie befürchtet, ich hoffe auch auf kein gutes Ergebnis für BSW. Aber wie wird es weitergehen? Stagnation des politischen Geistes wie in Frankreich? Schmierige Verbindungen wie in Niederösterreich? Gemeinsamkeiten nur, wenn es nationalistisch gegen andere Menschen geht, die Flüchtlinge sind?
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Das Gegengewicht kann nur erweitert werden, wenn die Demokratie weiterentwickelt und befestigt wird. Trivial? Auch wenn es Einbußen im Wohlstand, in der Touristik, im Autoverkehr gibt? Und wenn wir Bildung und Kultur nicht den Sparhaushalten der neoliberalen Steigbügelhalter der Rechten opfern.
Hannah Arendt hat dazu genau und früh gearbeitet: (Arendt 1980 (1951)). In knapper Form eine These:, dass jede Weltanschauung oder Ideologie durch eine totalitäre Bewegung übernommen und durch massiven Terror in eine neue Staatsform überführt werden kann. (Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft – Wikipedia) . Und in vielen Gesellschaften können wir das nachvollziehen, und hier sollte man nicht anachronistische Differenzierung zwischen lechts und rinks vornehmen.
Faschismus hat so viele Gesichter, dass man sich nicht auf ein Bild einlassen sollte. Vergleicht einmal den Austrofaschismus mit dem Nationalsozialismus, und die konkrete Geschichte vor und nach 1938 und dann nach 1945 bis in die Ära Kreisky (Austrofaschismus – Wikipedia) . In knapper Form werden hier wesentliche Unterschiede dargestellt, korrekt aber die Analogie der Ablehnung von Demokratie betont. (Ich habe die Auswirkungen der Auswirkungen noch selbst bis in meine Studienzeit erlebt).
Ich mache hier keine Literaturliste, obwohl es mich juckt klarzumachen, wie wenig unser Bildungssystem in die Grundlagen des Faschismus eingreift, weil es in bester Absicht (vielleicht) alles durch Nazigeschichte konzentriert )Ich will den Ausnahmen durch viele Lehrenden hier eine Entschuldigung anbieten – natürlich gibt es die.
Ja, und was werden wir heute abend diskutieren. Auch wenn es „gut geht“, ? und sagt JETZT, was das bedeutet? Keine Witze, nur 20% für die AfD und 5% für die BSW? Koalitionsgespräche noch heute abend?
Darum geht es nicht. Es geht darum, den Gegnern und abgestumpften Verächtern der Demokratie klarzumachen, was auch für sie auf dem Spiel steht?! Vergleiche gibt’s genug, auch in der EU, in Europa usw. Und welche Lasten wollen und können wir tragen, damit es nicht zum Faschismus weiterhin kommt – ? Von nichts kommt nichts.
Arendt, H. (1980 (1951)). Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft. Frankfurt, Ullstein.