7. Oktober III

Martenstein rezensiert Ron Leshems Buch Feuer. Um dieses Buch geht es mir jetzt nicht. Es geht Martenstein aber in erster Linie um eine Wahrheit, die man den Relativierern des Kriegs in Nahost nicht oft genug sagen kann. Martenstein schließt seine Rubrik mit den Worten: „Der erste Krieg aber, den Israel verliert, bedeutet sein Ende. Keine Waffen mehr? Bilder, die man am 7. Oktober tausendfach gesehen hat, wird die Welt dann millionenfach sehen. Haben alle Juden den Tod verdient, zur Strafe für Netanjahu? Das kann nicht euer Ernst sein?“ Für sich ist dieser Absatz schon schwer gewichtig. Aber er kommt dazu mit einer Beschreibung, die noch schwerer wiegt und nicht hintergehbar ist, dazu später mehr. „Ich glaube, es ist unmöglich, sich zu diesem Krieg eine Meinung zu bilden, ohne ein paar Details zu kennen, auch wenn sie schwer auszuhalten sind. In Israel kennt sie jeder. Man kann sehen, dass die Mörder Frauen vor den Augen ihrer Kinder wieder und wieder vergewaltigen, bevor alle erschossen wurden, man weiß, dass Opfern bei lebendigem Leib die Brüste abgeschnitten wurden. Sie zwangen Familien, dabei zuzusehen, wie dem gefesselten Vater die Augen ausgestochen wurden oder das Genital abgeschnitten wurde…Es ging darum…dass niemand, der damit zu tun hatte, je in der Lage sein würde, zu vergessen und zu vergeben. Das Kriegsziel hieß: unendlicher Hass. Es wurde erreicht“. Das ist keine wilde Phantasie, keine Übersteigerung der Wirklichkeit, es ist zunächst eine Beschreibung dieser Wirklichkeit, die als Reaktion meines Erachtens Empathie vor Politik setzt, Mitleiden vor Analyse und Reaktion. Empathie in dem Sinn, dass wir den Opfern, Geiseln, Mitbetroffenen dieser Wirklichkeit mehr als nur Mitleid oder Parteinahme zuwenden, sondern wenigstens am Rande unserer Vorstellungskraft nachvollziehen, was dort tatsächlich geschehen ist.

Man kann, in Grenzen, unterschiedlicher Meinung sein, wie „es“ dazu gekommen ist. Man kann das, was am 7. Oktober 2023 geschehen ist, nicht an diesen Grenzen relativieren.

Ich wiederhole meine Frage von letzthin: wenn es nicht Netanjahu und seine rechte Regierung gewesen wäre, sondern eine demokratische, humanitäre Regierung: wie hätte sie auf den 7. Oktober reagieren können und sollen? Das widerspricht nicht meiner Auffassung, dass Kriegsführung und Diplomatie anders hätten sein können und heute sein sollen. Hier geht es um die Reaktion auf das, was wirklich vor aller Wahrnehmung geschehen ist.

Ein seltsamer Gedanke schleicht sich ein: wenn wir dieses Geschehen auch in die Herkunft und Geschichte der Wirklichkeit des 7. Oktober „einpacken“, dann wird es dadurch bereits relativiert, aber noch lange nicht behandelbar und verhandelbar? Andererseits ist die Geschichte nicht abzustreifen wie eine un-denkbare, un-bedenkbare Vergangenheit, aber was sie bestenfalls erklärt, hat mit dem 7. Oktober wenig zu tun, und mit seiner Verkleinerung durch Israelgegner und Antisemiten schon gar nicht. Hier setzt zu Recht die Kritik an den anti-israelischen, pro-palästinensischen Demonstrationen an: Was wird da demonstriert, gezeigt, hochgehalten?

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Mich lässt das Geschehen nicht in Ruhe. Der 7. Oktober hätte Freunde treffen können, er hat tausende Menschen und ihre Angehörigen wirklich getroffen, und die Wellen breiten sich so aus wie der Stein, ins Wasser geworfen, sie ausbreitet. Lest die Rezension: Buchkritik: „Feuer. Israel und der 7. Oktober“ von Ron Leshem (7.6.2024 Hueck, DLF) und dann das Buch. Man kann auch viel mehr und anderes dazu erfahren, Nichts wissen gilt nicht.

Ich arbeite zur Zeit an der Geschichte Israels bis zum 6. Oktober 2023. Diese Geschichte wird von vielen, den Meisten, nur bruchstückhaft wahrgenommen, gewusst oder (un)bewusst verdrängt. Es geht um jüdische Menschen, aber nicht nur um sie. Das ist nur scheinbar trivial, aber es hilft erklären, warum es keinen Judenstaat, sondern einen jüdischen geben sollte. Ich habe bewusst die Ereignisse des 7.10.2023 so gut wie nicht kommentiert, werde es auch nur in ganz engen Maßen tun. Das hat auch etwas mit dem Vorrang von Mitgefühl vor der Politik zu tun.

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Der Nachsatz klingt banal: ausgerechnet eine Kolumne in der ZEIT ist hier der Anlass zu diesem Post. Martenstein hat eine Tür geöffnet, die ohnedies nicht verschlossen ist.  Ich habe also doch zum 7. Oktober geschrieben.

Furcht, keine Angst. Politik

Ich fürchte, Trump gewinnt die Wahl, egal, ob real knapp, gefälscht oder als Produkt amerikanischer Vorliebe für weiße Männer.

Ich fürchte, Netanjahu und seine faschistischen Koalitionspartner zerstören Israel, bevor es eine demokratische Zweistaatenlösung oder eine Föderation mit Palästina gibt.

Ich fürchte, Russland besiegt die Ukraine, weil der sog. Westen nicht Widerstand leistet, und die Russen stehen an der Grenze der EU, unterstützt von faschistoiden EU Mitgliedern wie Ungarn.

Ich fürchte...

Es gibt noch viel mehr, das ich fürchte. Aufgrund von Nachdenken, Analysen, Gesprächen, Vergleichen.

Aber ich habe keine Angst.

Wie denn auch. Ich bin persönlich nicht direkt in die Konflikte, und man kann sie umfangreich vermehren, einbezogen. Ich kämpfe nicht, man verfolgt mich nicht, politische Schmähung oder gar Gegnerschaft hält sich in Grenzen. WENN etwas davon Wirklichkeit würde, bekäme ich Angst. Dann würde ich mich nicht nur vor dem, was wirklich geschieht, fürchten, sondern vor dem was mir geschieht. Und das müsste ich ausweiten, auf Kinder Verwandte Freunde Kollegen Partner etc., auch – innen natürlich.

Für die Literatur gilt: Schreine, als wäre man unter der Folter, auch wenn man weiß, dass man es ist nicht ist (ich finde gerade die Stelle bei Peter Weiss nicht, aber er sagt das, immer wieder). Und über viele Jahre, nach 1945 bis zu seinem Freitod 1978 hat Jean Améry immer wieder seine Geschichte, seine eigene Geschichte des Weiterlebens nach dem Leben unter der Folter dargestellt, um die Unumkehrbarkeit solchen Schicksals deutlich zu machen (U.a. im letzten Kapitel von „Jenseits von Schuld und Sühne“, 1966, später Klett-Cotta 1977). Dass einem selbst dies geschieht, davor darf und kann man mit Gründen Angst haben, aber es in eine allgemeine Furcht einzupacken, das geht nicht. Schon gar nicht, wenn es nicht um Literatur geht, sondern um unser alltägliches Leben.

Wenn man aufwacht, und die Mörder, die Folterknechte, oder schlicht „die Verbrecher“ sind da, dann werden alle Bekenntnisse zu Mut und Furchtlosigkeit hinfällig. Andererseits: selbst die realistische Vorstellung, wie das wäre, wenn…hat mit der Wirklichkeit solchen Geschehens nur bedingt zu tun.

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Vervollständigen wir die Liste am Anfang dieses Abschnitts, wir kommen damit zu keinem Ende, aber wir verwirren die Ereignisse, deren Eintritt wir fürchten, zu einem globalen Knoten. Das nützen sie aus, die Faschisten, der Pöbel, die Wunderheiler, auch viele Religionsgurus und Esoteriker. Flucht vor der Furcht. Nur keine Angst, sagen sie dann, nur keine Angst….Aber Angst ist eben so unkonkret, dass sie Objekte der Furcht – Trumpsieg, Russeneinmarsch – nicht konkret so benennt, dass man sie behandeln kann, dass wir damit umgehen. Wenn ich jetzt sage, dass es zu jeder Furcht eine konkrete Politik gibt, die sie entweder ausschaltet oder bearbeitbar macht, dann macht das nur Sinn, wenn ich darüber nachdenke, was ich oder was wer (konkret) wirklich tun muss und kann um die Objekte der Furcht abzuwehren.

Dieses Nachdenken hat über Jahrtausende zu unserer Zivilisation, zu unserer Bildung beigetragen und tut es weiterhin, aber dann muss ich soweit in der Politik sein, dass ich die Objekte der Furcht auch anordnen kann, sie sozusagen der Politik konkret zugänglich machen, was nicht nur Vor- und Nachdenken erforderlich macht, sondern Handeln. Darum fängt vieles mit der Umweltpolitik an, die im Augenblick von denen verdrängt wird, die auf den Knoten der politischen globalen Gewaltpunkte starren.

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Das, werte Leserinnen und Leser, sind keine hohen Ziele, wie sie an Neujahr geäußert und tags darauf vergessen werden. Das ist Alltag. Um den gehts mir immer mehr, je weniger Zeit zum Leben ich vor mir habe: denn was immer ich als furcht-erregend wahrnehme, es hat seine Geschichte, seine Entstehung. Und in ihrer Aufdeckung sind viele Problemlösungsansätze wahrnehmbar. Nur Hinschauen und dann den Kopf abwenden, gelangweilt oder aus Furcht, reicht dazu nicht.

Herbstschatten

Ich hatte mehrfach den Hinweis auf den den Terror der Aktualität (Améry) gegeben. Ein wichtiges großes Beispiel: wer das Verhalten Israels aus der Geschichte ausblendet und nur wahrnimmt, wie der kleinkriminelle Ministerpräsident Netanjahu heute handelt, blendet die Geschichte, wie es dazu gekommen ist, aus. Hier mein Ratschlag: bevor ihr entweder Milde walten lasst oder noch grimmiger vorzugehen ratet, denkt euch ein Experiment: ab dem 7. Oktober 23 regieren demokratische Parteien und die diplomatischen Beziehungen nicht nur zu den USA, auch zur EU und zur UNO sind intakt, d.h. auch dort agieren tadellose demokratische Kräfte. WIE ANDERS hätte die israelische Regierung auf den terroristischen Angriff der Hamas reagieren können, müssen, sollen? Die Antwort kann nicht mit einer Reaktion auf die aktuelle Lage heute sinnvoll gegeben werden.

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Ein kleines Beispiel: in Brandenburg möchte der Ministerpräsident Woidke mit dem linksfaschistischen BSW Koalitionsgespräche führen. Vgl. https://www.msn.com/de-de/nachrichten/politik/brandenburg-spd-und-bsw-billigen-koalitionsverhandlungen/ar-AA1t39Ji?ocid=msedgntp&pc=U531&cvid=ba2c70b7350e4077b1e77d1a4562fa60&ei=14 und https://www.msn.com/de-de/nachrichten/politik/erste-pl%C3%A4ne-vorgestellt-spd-und-bsw-wollen-in-brandenburg-gemeinsam-regieren/ar-AA1t3vaO?cid=msedgntp&pc=U531&cvid=6bad4398fe3c4c8ba820a6f404620236&ei=66. Das kann man nur erklären, wenn man die jüngste Geschichte, also die Wahlvergangenheit in diesem Land Brandenburg und Woidkes Verhalten gegenüber Grünen und CDU wieder aufruft und – vor allem – versteht. Da wollte einer Nr. 1 werden, oder abtreten. Und wie er Nr. 1 wurde, hat er sich in Abhängigkeit vom BSW begeben. Ohne die Vorgeschichte ist das nicht zu verstehen, also verdrängt die letzten Monate nicht.

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Wendet euch für einen Augenblick vom dauernden Räsonnieren, und Kommentieren, und Kritisieren der permanenten Kriegs- und Wirtschaftskrisen ab. Für einen Augenblick, nicht dauernd. Bedenkt nur, wer euch beim Nachdenken zum Dialog verhilft, wer euch zusieht oder zuhört. Es sind nicht nur Selbstgespräche, ich weiß, „man denkt“ ja nach, aber es scheint, dass man sich oft in der endlosen Schleife des Reiters in der Prärie am Jacinto befindet (Charles Sealsfield 1905). Je öfter man in der eigenen Spur reitet, desto breiter und richtiger erscheint einem die Hauptstraße – nur führt sie an kein Ziel als ihre eigene Wiederholung. Es lohnt wirklich, den eigenen „Ort“ des Nachdenkens über Politik und tatsächliches Geschehen einmal zu reflektieren, auch wenn das sich wie seltsame Philosophie liest. Aber der Test ist einfach: warum interessiert mich der Krieg der Russen gegen die Ukraine, warum beunruhigt mich der Nahostkonflikt, wie kann man den afghanischen Frauen wirklich helfen? Alles richtige Fragen, aber: die Antworten setzen nicht nur auf Lernen, Wissenserweiterung usw., sondern auf bestimmte Formen des Dialogs, der Auseinandersetzung und nicht nur auf die eigene Selbstvergewisserung (ich erkenne meine eigene Spur, wenn ich zum x-ten Mal in ihr reite….). Und deshalb meine Aufforderung: wendet euch einen Augenblick davon ab, in dieser Endlosschleife euch zu vervollkommnen oder zu resignieren, weil man so natürlich nichts tun kann. Also: was tun? Ich habe ja keine Ratschläge wie: geht spazieren, lüftet euren Kopf aus, lest etwas lustiges oder kocht eine gute Suppe. Das meine ich ja nicht. Sondern: schaut einmal wirklich auf die Antworten zu den obigen Fragen.

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Die Antworten sind euch eingeschrieben, und sie verweisen auf etwas wichtiges: alle Kriege, Ungerechtigkeiten, internationalen Spannungen etc. gehen zu Lasten der Umwelt, und wenn die nicht das wirkliche Ziel ist, bleiben viele Meinungen zur Politik, was sie sind, Meinungen.

Das ist realistisch, nicht philosophisch (schon wieder muss ich mich verteidigen, aber es geht mir auch um Begriffsstrenge). Da gibt es ja noch eine Frage: warum haben die Faschisten überall so viel Erfolg? weil sie keine Zukunft kennen, an ihre jeweiligen Führer gebunden sind und sich keine Gedanken darüber machen, was nach ihnen kommt. Können sie nicht und wollen sie nicht. Jetzt herrschen, jetzt Macht ausüben, und noch kann man atmen.

Faschismus allerorten. Schaut hin, bevor ihr ihn leugnet

Da wählen die Österreicher einen FPÖ-Mann, Herrn Rosenkranz, zum Präsidenten des Parlaments (Nationalrat). Lest in der SZ von heute 26.10. Cathrin Kahlweit zu Walter Rosenkranz, der in einer extrem faschistischen Studentenverbindung den Ton angibt und ansonsten eben ein gebildeter Rechtsradikaler ist, kein Randalierer. Die Vorstellung, Nazis und Faschisten seien in Staatsämtern leichter zu ertragen, wenn sie sich normal benehmen, ist eine bereits fortgeschrittene Infektion.

Europa ist in meisten und wichtigsten Ländern von faschistischen Parteien regiert oder mitgesteuert, nicht nur die EU. Und dass es engere Beziehungen europäischer Faschisten zu Putin, und von Putin zu Trump starke Verbindungen europäischer Konservativer mit faschistischen Parteiangehörigen sowohl in der Kommission als auch im Parlament gibt, kann man täglich und gut belegt lesen oder hören, also wissen.

MONITOR vom 23.05.2024: Europas extreme Rechte: Partner für die Union? CDU stimmt mit AfD für Grenzzäune: Fällt jetzt die „Brandmauer“ im EU-Parlament? BZ 24.10.2024 Werte LeserInnen… sucht selbst Belege. Es gibt sie, vielfach.
*Und es gibt sie, diese Belege, weil die Wirklichkeit sich nicht von den Irrlichtern fehlgedeuteter Wahrheiten irritieren lässt. Dazu habe ich hier schon einiges geschrieben und – ich sage es auch öffentlich, und die Reaktionen fallen eher desinteressiert aus als ablehnend. So ein wenig: ach, nicht schon wiiiiieder.

Weil der Faschismus schon längst wieder Fuß gefasst, er ist oft keine Mehrheit, manchmal aber schon, und wie Hitler gezeigt hat, braucht man, um machtvoll einzusteigen keine 50%.

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Die Demokraten selbst machen die Grenzen zu Diktatoren oder rechtsradikalen Partnern transparent, Wirtschaft, Arbeitskräfte, Flüchtlingsabsonderung etc. dominieren pragmatisch, wozu sich demokratische Politiker wie Scholz in Ankara oder Delhi gar nicht ideologiekritisch äußern müssen. Auch ist wahrscheinlich, dass Trump die Wahl doch gewinnt (wie geht man in Deutschland mit den Autos und Fabriken von Elon Musk um, vorher und nachher?)

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Aber nach der großen Theorie ist mir nicht zumute, und nicht in diesem Format. Ihr wisst ja, was heute ist? der 26. Oktober. Lest https://www.stadt-wien.at/politik/nationalfeiertag-in-oesterreich-26-oktober.html , was sich da alles tut. Die Intention, kurz und knapp:

„Schließlich und endlich war der 26. Oktober 1955 der erste Tag, an dem keine fremden Truppen mehr auf österreichischem Hoheitsgebiet standen.

Am 26. Oktober 1955 beschloss der österreichische Nationalrat in Form eines Verfassungsgesetzes die immerwährende Neutralität.“

Wie wir diesen Tag begangen haben und weiterhin feiern, lohnt mehr als einen Text. Hinschauen und Nachdenken von Anfang an. Immerhin hat das Fest schon viel früher begonnen als der 3. Oktober in Deutschland, und war auch anders begründet. Ö ist nicht D. Zehn Jahre lang hieß dieser Tag „Tag der Fahne“…

Österreich ist eines der wenigen Länder, die zwei Faschismen hintereinander durchmachten, und damit war auch die Bandbreite zwischen Austrofaschismus und Nazismus ab 1938 markiert. Dazu jetzt nichts historisches, aber gegenwärtig verbindet die FP?Ö beide Faschismen, die sich eigentlich nicht vertragen, und die ÖVP unter dem derzeitigen Kanzler ist eher auf dem austrofaschistischen Gegenwartsflügel als in der konservativen Demokratiebewegung.

Davon habe ich als Kind am Tag der Fahne wenig geahnt. Meine politische Erinnerung hat etwas früher begonnen, beim Staatsbesuch des äthiopischen Kaisers 1954 (https://www.geschichtewiki.wien.gv.at/Staatsbesuch_von_Kaiser_Haile_Selassie_von_%C3%84thiopien) und wurde sehr schnell aktiviert durch den Ungarnaufstand 1956 https://de.wikipedia.org/wiki/Ungarischer_Volksaufstand , mit dem mehr als nur die politische Erinnerung sich mir einschrieb. Aber zum Tag der Fahne, zum ex-Faschisten Drimmel, zur Innenpolitik des neutralen Landes und zur Neutralität konnte ich als Kind natürlich nichts sagen. Aber in Nebentönen habe ich damals schon gehört, dass zum Beispiel der Drimmel gebildeter war als die andern Politiker.

Die Nachwirkungen des Doppelfaschismus sind erheblich, bis heute. Der Widerstand dagegen zeigt sich nicht nur hauptsächlich in der Kultur – deutlicher und prägnanter als in Deutschland, – sondern auch in erfahrungsbezogenen Abwägungen zwischen beiden Faschismen, besonders deutlich beim großen Kanzler Kreisky. Und solche Widerstände gegen Anmutungen zum Faschismus wie der österreichische Präsident van der Bellen sind beispielhaft.

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Wenn sich heute in Europa Faschismen wieder breit machen, sollte man ihre Struktur genauer durchdenken. Meloni ist das beste Beispiel, vor allem innen- und kulturpolitisch, und in Österreich kann man die Unterschiede zwischen Wien und den Bundesländern als Studienobjekt einbringen. In Deutschland ist die teilweise, im Osten noch besser erklärbare, Hinwendung zur linksfaschistischen Variante BSW ein ganz aktuelles Problem, – man meint, es genüge, gegen die AfD zu sein – und weltpolitisch ist die Achse Putin-Trump ja keine Chimäre.

Ich schreibe das nicht aufgeregt, eher deprimiert über das kurzfristige politische Gedächtnis nicht nur des Pöbels. Der Hinweis auf den Geschichtsunterricht ist notwendig, und auf die politische Facette der Kultur, die sich nicht juristisch zur Gesinnungslosigkieit eindämmen lässt.

Und was uns allen eigentlich klar sein müsste: jeder Mensch kann sich faschistisch entwickeln. Und jeder Mensch kann sich antifaschistisch entwickeln. Aber natürlich reicht Antifaschismus nicht zur demokratischen Entwicklung…das haben wir doch schon gelesen.

Schuldig? Böse? Trotz und Rotz.

Manchmal kann man in und an Deutschland (ver)zweifeln. Wäre man anderswo, würde man dort verzweifeln, aber jetzt bin ich hier.

Wenn ein Migrant ein Verbrechen begeht, ist das böse, er ist schuldig. Wenn ein Deutscher das Gleiche tut, ist das auch böse, und er ist auch schuldig – nachdem alle entlastenden sozialen und psychischen Probleme geprüft wurden.

Wenn ein Migrant ein Verbrechen begeht, stärkt das die nicht-empathischen ausländerfeindlichen Deutschen. Denen kann ich zunächst nur wünschen, dass sie nicht mehr von Nichtdeutschen ärztlich behandelt, ernährt, betreut werden. Warum sollen Migranten keine Verbrechen begehen? sind sie bessere Menschen als die Deutschen? sind sie klüger? sind sie darauf angewiesen, gut zu sein?

Wir haben alle Antworten auf diese Fragen. Die Faschisten in AfD und BSW haben andere Antworten, aber dass die Demokraten drauf reinfallen und die Kluft zwischen Deutschen und migrierenden Menschen erweitern ist böse und wird weitere Folgen haben – weniger Zuwanderung, weniger Arbeitskräfte, weniger Betreuung, dafür werden die Deutschen noch deutscher – und gottseidank weniger.

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Ersetzt das Wort Migrant durch das Wort Jude.

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Warum sollen Juden klüger sein als alle anderen Menschen, warum sollen sie besser sein, warum sollen sie bestimmte Dinge nicht sagen, tun, denken und wahrnehmen dürfen? Das hat schon speziell mit der deutschen Geschichte, nicht nur 1933-45 zu tun, aber nicht nur. Um dieses Nichtnur geht es mir.

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Ich schreibe gerade ein Buch, in dem es unter anderem um die Differenz zwischen dem ethnologischen Begriff Jude und dem sozialen Begriff jüdisch geht. Das ist langwierig und komplex und hat viel damit zu tun, wann sich wer und wie mit „den“ Juden befasst hat und die sich mit ihm. Aber dieses große Thema hat wenig mit meiner alltäglichen und genervten Kritik zu tun, dass man es sich mit der Umkehrung der Verallgemeinerung von Migranten und Juden aufgrund besonderer Wahrnehmung zu einfach macht und damit radikalisiert.

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Ich habe in diesem kurzen Statement nur männliche Formen und keine „“Anführungszeichen bei Juden und jüdisch verwendet. Überlegt, warum? und jetzt ein Labyrinth. Seit vielen Jahren erkläre ich, warum man nicht von deutschen Juden sprechen soll, sondern von jüdischen Deutschen. Warum die Juden nicht automatisch begrifflich erklären was jüdisch und was nicht jüdisch ist. Das kann man auch auf die Migranten übertragen.

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Was ich hier schreibe, gilt mit kleinen Variationen auch für Österreich. Und: wenn ich mich für Migranten einsetze, bedeutet das nicht, dass ich sie nicht kritisieren darf und kann. Wenn ich bestimmte Juden kritisiere, bedeutet das nicht, das ich antisemitisch bin. Wenn ich jüdisch argumentiere, steckt dahinter Kultur und Moral. Wenn ich mich für Flüchtlinge einsetze, oder Migranten, steckt dahinter Empathie, nicht das Verlangen, dass sie sich besser verhalten sollen und können, als die Deutschen. Es gibt eben nicht „Die Deutschen“. „“ „“ „“ !

Goldener Oktobär brummt

Man würde ja gerne den wirklichen Oktober genießen, kühl, hell, trocken, farbiges Laub und letzte Spaziergänge zwischen den Herbstzeitlosen und ersten Nebelkerzen.

Aber es ist ja nur kühl, und nicht herbstlich. Grönland zerfließt – noch ist das den Liberalen egal, das Meer wird erst in 50 Jahren die Börsen wegschwemmen; die Bäume nehmen kein CO2 mehr auf, dann bleibst es für uns. In diesem erweiterbaren Umfeld uns einschränkender „Natur“ brauchen sich Politik und Macht nur mehr wenige Regeln geben, es ist ja zu spät. Für die Faschisten in Italien, mit den Geflüchteten umzugehen, für den den deutschen Cumex-Kanzler zu anständigen Kontakten (statt dessen biedert er sich an Diktatoren an, nur weil die in der NATO sind – ist er doch aber auch), und die Kontrahenten weltweit halten sich für unangreifbar (Vorsicht mit den Beispielen: viele dieser Akteure haben richtigere und schlechtere Seiten, das bestärkt die „Lager“ in ihrem Selbstverständnis).

Meine lieben Leserinnen und Leser, nein, jetzt kommt keine Litanei, die überlasse ich den Unglückspredigern und dem ausgetretenen Grünjugendvorstand, der neue machts besser. Ich beobachte und warte darauf, dass die demokratischen Gegenseiten ihre emanzipatorischen Raketen abfeuern und nicht das Gewissen der Nerds treffen, sondern uns Rückenwind geben. Wobei? fragen die Hinterhältigen. Das sagen wir bestimmt nicht in den Medien. Aber wie gesagt, mir gehts um den Herbst, den sonnigen Sonntag.

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Das Ganze ist keine missglückte Metapher. Natürlich würde man, würde ich mich, gerne in politische Auseinandersetzungen einmischen, und….? was sagen? den narzisstischen Brandenburger, der die demokratischen Parteien geschädigt hat, beschimpfen, wie er sich an die BSW ranwanzt? Wozu denn, er kann ja gar nicht hören. Solche Beispiele gibt es viele, nach Österreich schaue ich gar nicht, also: Herbst und Sonnenuntergang.

Der Ausblick nach Westen, aus dem Arbeitszimmer, beruhigt. Ich muss weder am Computer noch auf dem Papier Nachrichten schauen, jede Stunde die gleichen, mit einer signifikanten redaktionellen Variation: was wird wie zuerst gemeldet, was versteckt sich hinter anderen Meldungen, aber im Grunde reichtes, um 7 Uhrt morgens einmal DLF zu hören, die Wahrheit wird durch Wiederholung nicht wirklicher. Geht man dann hinaus, sieht man viele, die wie man selbst, mit und ohne Hund, im Laub gehen, die klare Luft atmen (außer die Laubbläser ersetzen die Morgenpkwrallies), man freut sich über fallende Blätter und versteht die Menschen, die den Herbst besser verstehen als den verregneten Frühling und den trockenen Sommer. Und man denkt nicht an die Kriege und sozialen Umbrüche, sondern wie der Herbst die Menschen zähmt. Das ist eine zugegeben absurde Behauptung, die ich nur marginal ernst meine. Aber wir wissen ja, selbst im Krieg und bei Unwettern und in Katastrophen gibt es immer kleine Flecken, Orkanaugen, wo nichts passiert, wo man sozusagen von der Welt ausgespart wird und sich nur mit sich und der unmittelbaren Umgebung abgeben kann. Und wenn man genug frische Luft geatmet hat, wieder zuhaus, hat man gelernt nicht sofort den Sender wieder einzuschalten um die Wiederholunge4n von Gaza, Kiew und Kabul zu hören. Sie werden nicht relativiert, wenn man sie stündlich hört. Für die Natur gilt nicht der Terror der Aktualität. Die hat andere Zyklen und Zeitmaße, keine wirklich beruhigenden, aber sie lässt uns die Nischen, in denen wir über Erfahrungen vor langer oder kürzerer Zeit nachdenken und nachfühlen können, in und mit der Natur, – bevor wir die Muren und Überschwemmungen und vertrockneten Bäume wieder der Gesellschaft zuschreiben, das kommt in den Morgennachrichten ohnedies nicht vor, sondern zwischen den Wahrheiten, häufiger. Die Nischennatur macht uns zu Kleinbürgern. Die großen Schwärmer denken da schon die Zukunft im Weltall, wenn die Erde nicht mehr bewohnt werden kann. Nur, wie lange sollen wir im Raumschiff reine Luft atmen, bis wir aussteigen dürfen? Und wenn wir bei der Weltflucht keine Kinder zeugen, ist der Zeitgewinn kaum der Rede wert. Aber solche Assoziationen hört man auch zwischen den Nachrichten.

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Warum ich das schreibe? Es gibt da einen Clou. Man kann, ich kann, in den harschen Ereignissen des politischen und gesellschaftlichen Niedergangs zwiefältig denken, politisch und kulturell. wenn man so will, in beidem kritisch, emotional und sachlich. Wenigstens zwiefältig. Ist das etwas besonderes? nein. Alle könnten es, nur tun es nicht alle.

Wenn man es nur nicht gleich hinausposaunt, was man von dem und jenem hält, wen und was man verurteilt, begrüßt. Ich nenn das halt einmal den Verzicht auf nicht-enden-wollende Kommunikation, immer gleich sagen, posten, verkünden und die Repliken nicht einstecken, weil man schon wieder am sagen ist. Ich reibe mich immer am Terror der Aktualität, wie ihn Am’ery nennt, denn, bitte schön, was ist denn an der Zerstörung der Natur in den letzten 40 Jahren aktuell, was ist denn an der Katastrophe im Nahen Osten aktuell oder am Konflikt zwischen Nord- und Südkorea. Lange Wellen sind auch wirklich, aber nicht wirklich aktuell. Da wäre meine Kritik an den Medien – wenn sie Aktualität vorspielen, behindern sie die historischen Analysen. Ohne die man sich besser nicht spontan zu dem äußert, was einem den schönen Herbsttag verdirbt.

Faschismus wird in Deutschland wieder normal

Seit Monaten schreibe ich gegen den um sich greifenden Faschismus in Deutschland, Europa, weltweit an. Ich bin alt genug und auf diesem Gebiet auch hinreichend erfahren, dass ich den Begriff nicht leichtfertig auf alle undemokratischen Bewegungen anwende. Aber ich gebe auch nicht begrifflich nach, wenn es um faschistische Bewegungen bei uns geht – in Deutschland AfD und BSW, in Österreich FPÖ, in beiden Ländern mit Randerscheinungen auch bei anderen Parteien und Organisationen.

Noch sind in drei Bundesländern keine endgültigen Entscheidungen gefallen, ob demokratische Parteien mit der linksfaschistischen Partei BSW Koalitionen bilden. Ich befürchte es, und in Brandenburg hat der selbstbezogene Ministerpräsident Woidke es ja selbst geradezu herbeigeführt.

Bestimmte Themengebiete, vor allem Asyl, haben in demokratischen Parteien bereits gefährliche Auflösungserscheinungen der praktischen Vernunft ausgelöst. Da kann und soll man dagegen arbeiten, und nicht nur in den Hinterzimmern, auch öffentlich.

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Viel gefährlicher ist zur Zeit das Appeasement mit den regierenden Faschisten vor allem in Italien. Außenpolitisch kommt uns die Unterstützung der Ukraine durch Meloni zugute – aber das ist eine wohlfeile Rahmung einer Innenpolitik, die sich nicht einfach symbolisch, sondern konkret, rechtlich, medial gegen die Freiheit der Gedanken, der Kunst und der Kommunikation wendet. Nicht so blöde und offensichtlich wie in Russland, aber nicht minder wirksam.

Wirksam u.a. bei der Frankfurter Buchmesse dieser Woche: schaut einmal bei Google „Frankfurter Buchmesse Italien“, wie viele regierungsnahe Eintragungen auf den ersten beiden Seiten da sind – und nur zwei wichtige kritische Eintragungen:

Hauptsache, Italien: Deutschland ist dabei, sich an Rechtsextremismus zu gewöhnen (SZ, Felix Stephan 14.10.2024). Am Ende verweist er mit Recht auf die Behinderung von Saviano. Wichtig aber ist, wie er die faschistische Taktik aufblättert: konziliant nach außen, rigide nach innen.

Wie sich Italiens Schriftsteller gegen Meloni auflehnen: FAZ, Karen Krüger, 13.10.2024): Auch hier Saviano, und wichtige Hinweise auf die oppositionellen Gegenveranstaltungen bei PEN und guten deutschen Verlagen.

Aber das reicht natürlich nicht. Denn die politische wie kulturelle Anmutung zum Faschismus hat die SZ schon gut formuliert: Hauptsache, Italien. Warum das so ist, wie das sich festgesetzt hat, erfordert etwas Geduld, man muss weit zurückgehen, in die Zeit zwischen den Kriegen, in das langsame Gewöhnen an eine recht stark erscheinende Alternative zur komplizierten und nicht-starken Demokratie. Und überhaupt: sie waren doch fast alle Faschisten (damals, in den 30er Jahren…heute greift der Faschismus auch in der EU und anderswo um sich). Gerade, wenn man nicht dauernd die NS-Begrifflichkeit mit Blick auf 1933-45 als Fokus nimmt, kann man von einer gefährlichen Verharmlosung der Faschismen in der europäischen Geschichte sprechen, man soll darüber sprechen. Auch, was BSW betrifft, die ja „harmloser“ als die AfD angesehen wird, auch was Meloni angeht, die harmloser und pragmatischer erscheint als zähnefletschende Schwarzhemden.

Schon etwas abgegriffen: Erwache! aber seid wachsam, ihr werdet ganz schön eingewickelt, und das F-Wort wird ja in der Politik gemieden.

Ein politischer Hinweis: Nicht jeder Pöbel, der die Demokratie angreift, ist faschistisch. Und Faschisten bemächtigen sich nicht nur des Pöbels. Damals nicht, heute nicht. Aber sie brauchen um zu wachsen diesen Pöbel. Sie müssen wachsen. (Lest dazu Elias Canetti: Masse und Macht (1960)). Wie man im Faschismus, wie man mit den Faschisten lebt, wird immer wieder neu eingeübt, wie man gegen sie lebt, auch, aber das ist komplizierter. In Italien sollte man die Biographien von Antonio Gramsci, von Cesare Pavese, Primo Levi und vielen anderen lesen, auch um die Uneinheitlichkeit zu studieren. Und ganz neu für Deutschland und Österreich relevant: Thomas Poeschel: Boheme, Revolte und Exil, Wallstein 2024), wo auch das Verhältnis des wachsenden Faschismus zum Exil dargestellt wird.

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Es gibt eine Fülle von Unterstützungen für den aufkommenden Faschismus, auch bei uns. Analysiert nur die Wahlergebnisse in den drei deutschen Ländern und in Vorarlberg: da wählen die jungen Menschen plötzlich – plötzlich? – rechts, vor allem auf dem Land. Und die Wahlforschung sagt: Wer jung X wählt, bleibt lange dabei. Warum wählen die rechts? auch, weil sich die Demokraten nicht sehr um die gesellschaftliche Lebenswirklichkeit außerhalb ihrer Grundmilieus kümmern, und die Faschisten da hineinstoßen, mit der attraktiven Gegenwartsgestaltung, wo schon längst niemand anderer mehr sich darum kümmert.

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Das, werte LeserInnen, ist kein Alarmismus, es ist eine Beobachtung, von der ich hoffe, dass meine Lebenszeit nicht überdauert. Aber es reicht nicht, gegen die vermehrten Faschisten zu „sein“, man muss etwas gegen sie tun, in Bildung, Erziehung usw. Mit dem Sparbudget der Wirtschaftsrechten kommt man da nicht weiter, aber auch nicht mit dem Umgarnen der Rentner und Pensionisten. Kümmert euch um die Jungen und fragt euch nicht dauernd, warum sie den Faschisten nachlaufen.

Alterstabu – Jugendtabu

Sich auf Wahlen zu konzentrieren, wird oft als DIE demokratische Tugend angesehen. Stimmt ja, im Prinzip…aber in Maßen. Die meisten Parteien konzentrieren sich in der Wahlwerbung auf die die Bevölkerungsgruppen, von denen sie mehr Stimmen erhoffen – und erwarten können.

Das sind, nicht nur bei uns in Deutschland, überwiegend und zunehmend ältere Menschen. Die werden immer mehr, und jüngere Deutsche immer weniger, und nicht alle jüngeren Zuwanderer werden rasch Staatsbürger. Das heißt: Ältere und Alte bestimmen unverhältnismäßig die Wahlergebnisse und damit die Politik der Wahlsieger.

Nein, das ist keine umfassende Erklärung dafür, dass die Faschisten AfD und BSW überproportional jüngere WählerInnen anziehen, aber es ist Teil einer weiter ausgreifenden Analyse.

Anlass dieser kurzen Einleitung ist die heutige zutreffende DLF Meldung, dass es berechtigten Protest gegen die lächerlich kleine finanzielle und personelle Unterstützung von KITAS gibt, (Das hängt nicht nur mit der Sparpolitik des neoliberalen FDP-Clans zusammen, sondern auch mit der disproportionalen Macht der älteren WählerInnen).

Sofort wird mir entgegengehalten, dass ich kaum verdeckt die Generationengerechtigkeit unserer Demokratie angreife. Und ich antworte: nicht verdeckt, offen.-Es wird zu wenig für Kinder und Jugendliche getan: Kitas, Schulen, allgemeine Bildung und Berufsbildung sind weit schlechter, als es sich das reiche Deutschland leisten kann. Keinen Konjunktiv, bitte.

Ein Kommentator sagte, dass LehrerInnen und SchülerInnen und Kinder eine zu geringe Lobby haben. Damit hat er Recht. Nur: warum ist das so?

Eine ausweichende Argumentation: wir wissen, dass die 48% Rente erbärmlich niedrig ist und deshalb vom Staat mit Almosenzuzahlung für viele aufgebessert werden muss. Spräche das nicht für eine primäre Sanierung der Älteren, nicht der Jüngeren? Ja, aber dann müsste man das österreichische oder skandinavische Modell ernster nehmen, die Altersbezüge dürften dann nicht bei 48% liegen, sondern bei 65% oder höher. Und das ginge nur, wenn die Gewerkschaften nicht einfach die Altersbezüge aus ihren Tarifverhandlungen zu sehr ausklammern würden. Natürlich MÜSSEN und nicht nur SOLLEN dann die Sozialbeiträge für ALLE steigen bzw. eingeführt werden, die Nettolöhne werden gedämpft, aber das Alter wird besser sorgenfreier….

Alles nur, weil eine Gesellschaft, die die jungen AsylantInnen vertreiben will und selber wenig Kinder zeugt, sich zu wenig um Kinder, Schulen, LehrerInnen, Bildung kümmert…wie sollte sie es auch, wenn sie es nicht gelernt hat.

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Es wir4d am allgemeinen Wahlrecht – 1 Person –> 1 Stimme nichts ändern, das ist ok. Aber es sollte an der Wahlwerbung und -orientierung etwas ändern, und an dem falschen Ausspielen von Alt gegen Jung. Ich weiß schon, da gibt es noch viele Elemente, die man in die Berechnungen einbeziehen muss, aber wenigstens die Aufrichtigkeit kann man einfordern: wenn es immer mehr Alte und immer weniger Junge gibt, dann MUSS man den Jungen die Zukunft erleichtern und nicht beschweren.

7. Oktober II = Jom Kippur heute und morgen = immer wieder

7. Oktober II = Jom Kippur heute und morgen = immer wieder

Schaut erstmal nach, mit religiösen oder ganz säkularen Gefühlen, immerhin: DER Feiertag. Nachdenktag.

Jom Kippur – Wikipedia; Jüdisches Lexikon Bd. III, Frankfurt/M. 1987, S. 310ff: Jom kippur;

Entscheidend in der Geschichte dieses Tages ist, dass ein Schulderlass durch Gott erst auf die Versöhnung der Menschen miteinander folgen kann und darf. In vielen Variationen.

Der Jom kippur-Krieg (6.-25.10.1973) begann am Feiertag. Auch hier kann man anfangen nachzudenken, was dieser Tag auf sich hat. Wer an diesem >Tag angreift, kämpft, sich verweigert.

Der 7. Oktober 2023 hat eine tiefe Kerbe gegraben. Zum Jom kippur bewegen sich auch andere mit aufklärenden Ideen, z.B. (New Israel Fund: Zu Yom Kippur: Rückblick auf den Jahrestag des 7.10. & Einladung zu zwei Veranstaltungen)  und viele andere.

Aber das muss ich euch und Ihnen ja nicht erklären. Nur: heute kann man nicht darüber hinwegsehen, ohne an diesen Tag zu denken, wenn man schon an ihn gedacht hat.

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Zu den wichtigsten Rahmenbedingungen des konkreten Feiertags gehört, ordentlich und kritisch zu unterscheiden: Judentum, Staat Israel, israelische Gesellschaft, Regierung, Zionismus, Palästina…Begriffe sind nicht einfach wegweisende Aufschriften. Wenn man hier nicht genau ist, versteht man den 7. Oktober nicht. Das Verbrechen der Hamas wird durch Einsicht in die Wirklichkeit nicht geringer. Auch die Vorgeschichte, die mehrere Schuldige kennt, entschuldigt nichts. Aber sie lässt uns verstehen, wie und warum es zu diesem Verbrechen gekommen ist, und Verstehen ist immer an Kritik und Selbstkritik gebunden.

(Hier gibt es eine Linie zu Jom kippur: wenn ich mich in der Familie, meinem persönlichen und sozialen Umfeld ent-schuldigen soll, dann fragt sich schon, wofür).

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Netanjahu, die Geschichte des Likud, die Zusammensetzung der israelischen antizionistischen Politik seit 1978, die faschistischen und ultrareligiösen Politiken der Siedler und Ultraorthodoxen gehören zusammen und sind nicht als weißer Elefant im Laden zu verkleinern. Sie sind teilweise, aber eben nicht kausal und dominant für die Verbrechen und Aktionen der Israelfeinde mit verantwortlich. Das ist auch Politik, und solange man es nicht weiß, kann man es nicht verstehen. Man muss es aber verstehen, um die Politik Netanjahus zu begreifen, der ja als kleiner Rechtsbrecher nicht einfach Weltpolitik machen konnte, auch wenn er das wollte.

Die Vorgeschichte und Erklärung des Handelns der Hamas, der Muslime in Israel und im Westjordanland, in den umgebenden Staaten, vor allem in Syrien, im Iran, auch das Handeln der Hisbollah wird, fatal und zu Unrecht, der Israelkritik eingeschrieben, weltweit, oft bei den UN, oft aus Halbwissen. Schon die Verlegung des Staates Israel und der Terrororganisation Hamas auf eine diskursive Ebene ist grauenvoll und teilweise wirklich ein Schutzschild für den Antisemitismus.

(Jom kippur: schau genau, wer woran wirklich schuld ist, und dort verhandle, bevor du die Überzeugungen verfestigst, wenn du dich in Schuldfrage plötzlich selbst siehst, als Einzelner, als Staatsbürger, Religionsmitglied, Überzeugungstäter usw. Das ist schmerzhaft).

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Ich schreibe das heute. Mit der aktuellen Geschichte und Politik Israels setze ich mich seit Jahrzehnten auseinander, seit einem Jahr ist das noch schwieriger geworden als es immer war, und jetzt geht es um noch mehr als je zuvor: nämlich die Existenz Israels und die jüdische Unversehrtheit. Warum es mich interessiert und betrifft, ist heute nebensächlich, aber ich arbeite schon länger daran. Das ist der eine Fokus, der andere ist die Empathie für alle betroffenen Menschen, da tritt das Jude/Jüdin-Sein hinter die Menschlichkeit. Die und Empathie müssen eine Waffe gegen den Antisemitismus sein.

(Jom kippur: Buße und Versöhnung. Beides hat wenig mit Glauben zu tun und wird von der Religion nur so gefasst, wie eben die Gemeinschaftsbildung es möglich macht, mit Grenzen zu sektiererischen Extremen. Entscheidend ist die Praxis und nicht die Hoffnung auf eigene Rettung durch den richtigen Glauben).

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Heute wie an kaum einem anderen Tag wiederhole ich: Das teuflisch falsche Quadrat pro-Israel, anti-Israel, pro-Palästinenser, anti-Palästinenser kann sich nicht einen Moment lang begründen.  Allein die intervenierenden Akteure (=Variable!) verzerren jeden Blickpunkt von einem Standpunkt aus. Aber auch für uns ist das alles nicht eindimensional: wenn Israel das letzte Rückzugsland auf Erden bleiben soll, dann darf es nicht vernichtet werden. In meinen Augen sollte das weniger eine nicht mehr realisierbare Zweistaatenlösung ergeben, sondern eine Föderation (wie das z.Zt. Omri Boehm vorschlägt, oder wie sich das Tony Judt vor Jahrzehnten gedacht hatte). Dafür kann darf soll man sich einsetzen, öffentlich und laut und vor allem präzise. Und wenn Israel erhalten bleibt, dann muss es eine Demokratie und eine friedliche Nation (wieder) werden, sonst vernichtet es sich selbst.

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לשנה טובה תכתבו ותחתמו das kann man so UND so wünschen für ein gutes Leben, über das Jahr hinaus.

Das Ende. Und danach?

DROHUNG

Wahrscheinlich ist die Klimawende verpasst. Die Verantwortlichen – vielleicht, wahrscheinlich sind wir dabei – werden längst tot sein, wenn unsere Nachkommen vertrocknen, verhungern, sich verlieren.

Die Kriege werden die Zeit zum Untergang verkürzen. Wenn Afghanistan überlebt, dann wie? wenn Israel überlebt, dann wie und um welchen Preis? wenn die Ukraine von Russland geschlachtet wird, dann wie und mit welchen Folgen für Europa? Wenn Trump in den USA gewinnt, dann warum?

Die Abschaffung der Kultur und der gesitteten Zivilisation – das Programm der neoliberalen Unethik – wird diese Entwicklungen beschleunigen, aber auch Widerstand hervorrufen, dessen Formen nicht so einfach vorherzusehen sind.

Warum sehe ich dieses ausweglose Ende? es geht nicht um mich, seid doch ehrlich: viele von euch sehen die Zukunft auch so oder ähnlich, man sagts nur nicht, weil man keinen Pessimismus verbreiten will, weil man die Aktienkurse nicht abstürzen lassen will, weil man die wirkliche Zukunft gar nicht will.

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HOFFNUNG

Und trotzdem war gestern und heute und morgen a sonniger Herbsttag (aus einen Wiener Lied)

Herbstgedichte erleichtern das Altern und die Gewissheit des nahen Todes. Da ist Georg Trakl noch besser als Rilke:

Am Abend, wenn die Glocken Frieden läuten,
Folg ich der Vögel wundervollen Flügen,
Die lang geschart, gleich frommen Pilgerzügen,
Entschwinden in den herbstlich klaren Weiten.

Hinwandelnd durch den dämmervollen Garten
Träum ich nach ihren helleren Geschicken
Und fühl der Stunden Weiser kaum mehr rücken.
So folg ich über Wolken ihren Fahrten.

Da macht ein Hauch mich von Verfall erzittern.
Die Amsel klagt in den entlaubten Zweigen.
Es schwankt der rote Wein an rostigen Gittern,

Indes wie blasser Kinder Todesreigen
Um dunkle Brunnenränder, die verwittern,
Im Wind sich fröstelnd blaue Astern neigen.

Beachtet die Metapher im letzten Strophe, nicht die Kinder, die Blumen neigen sich fröstelnd. Wenn wir die Natur beobachten, ahnen wir schon, wie wir verfallen… Aber darum geht es mir gar nicht so sehr, gerade wenn ich mich dem untröstlichen Pessimismus entgegenstemme: kann man denn nichts gegen die Verbindung von Dummheit und Grausamkeit der globalen wie der lokalen Politik tun? Kann oder soll? Das ist keine philosophische Frage, sie ist ganz praktisch all-täglich. Es ist ja mehr als ein Hauch von Verfall, wenn wir manchen unserer machtbesitzenden PolitikerInnen zuhören. Und der Zorn darüber trübt unsere Aufmerksamkeit und die Logik unserer Handlungen, die ja nicht einfach Reaktionen auf Söder, Scholz und Merz sind, auch auf andere, wichtigere, sondern Aktionen sein sollen, die uns in eine bessere Zukunft führen.

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Das klingt banal, irgendwie daneben, sagt ihr. Ist es auch in gewisser Hinsicht, wenn man sich vom „Terror der Aktualität“ (Amery) abwendet und auf das wirklich Wichtige der Zukunft sich konzentriert, sozusagen die Abwendung dessen, was im ersten Absatz so verknäuelt dargestellt ist. Abwendung, das heißt gerade nicht „ignorieren“. Nein, die Schrecken sind wirklich, sie sind unüberschaubar verbunden und doch, jeder für sich, schon nicht bewältigbar. Und wenn man sich damit nicht abfinden will, muss und soll man selbst Politik machen, die subjektiven Scheinhoffnungen ablegen, sich aus Labyrinth der Meinungen, ob sie nun wahr sind oder nicht, auch befreien: Sich in gewissem Sinn der „Realpolitik“ verweigern und da hinzielen, wo man zB. kollektiv dem Umweltende noch entgehen kann (eine schwache Hoffnung, wenig Wahrscheinlichkeit, immerhin) oder die Ukraine retten (ein schwache Hoffnung, aber gegen Russland ankämpfen) oder Israel retten (vor der Vernichtung und vor Netanjahus Zerstörung des Jüdischen, eine schwierige Aufgabe). Sich da zu engagieren hat den Vorteil, dass man weiß, worauf man sich einlässt und nicht vor der Vision der Zukunft im NICHT (nicht im Nichts), also im Ende kapituliert. Das NICHT kommt noch früh genug, für jede(n) Einzelnen von uns. Aber wir leben, wir schauen ins Herbstlicht, wir tun etwas.