Der Himmel strahlt unpolitisches ROT, herrlich, das Wetter schlägt um. Kein neuer Schnee, es wird nicht mehr so kalt, das Wasser gefriert auf den Straßen und Wegen. Solche Wahrnehmung taugt nicht als Metaphern für die politische Wirklichkeit, man muss diese parallel denken oder ausklammern. Keine Finger Gottes kommt aus den Wolken, keine Sphinx sagt uns die nächsten Attentate voraus. Die Ordnung der Dinge hat alles säuberlich getrennt, und die Einseitigen fühlen sich getröstet.
Das geht mir durch den Kopf beim Wetterumschwung, der kurzfristig meine Umgebung verändert. Es gibt keinen Politikumschwung, eher bewegt sich alles immer schneller auf die Katastrophen zu, die jeweils nur das Ende ankündigen, aber selbst nicht darstellen.
Wo der Weg im noch verschneiten Wald doch so schön ist, möchte man abschalten. Ja, schon, aber was? Die Wahrnehmung, das Bewusstsein der kreiselnden Ausweglosigkeit, oder, fast kitschig, das Abschalten der Schönheit und Ruhe des winterlichen Waldes, der einem so etwas wie Zukunft einfach durch seine Schönheit und Sinnlichkeit verspricht. Halt: auch von diesem Wald weiß ich, nicht nur ahne ich, nein ich weiß, wie krank, wie gebrechlich die Bäume sind, und die Wirkung des Waldes auf meine Psyche ist eben bedingt. Nichts neues also, ihr wisst schon, was alles zugleich ins Bewusstsein und in die Gefühlswelt eindringen kann.
Mich beschäftigt das im Augenblick, weil die Versuchung groß ist, sich einfach treiben zu lassen, manche sagen: Abwarten, andere sagen: Es kann auch anders kommen. Woher die das haben?
Ich bin gerade auf Kurzkurlaub, in einer sehr schönen Landschaft unter sehr angenehmen Umständen. Man kann von seinen Bedenken und Sorgen Abstand nehmen, meinen die Hobbypsychos. Kann man natürlich nicht, aber was gut oder schön ist, bleibt es trotz der Bedenken. Das übersehen die modernen Apokalyptiker, aber vor allem die, die das Schreckliche dadurch bannen wollen, dass sie sich selbst schreckliches zufügen. Alles noch schlimmer machen, als es ist. Das geht mit der Politischen Relativitätstheorie nicht. Wenn die Erde unter drei tyrannischen Atommächten aufgeteilt wird, kann man einfach eine vierte hinzudenken. aber nicht hinzufügen, die zweite Reihe ist nicht die erste. Die Nachrichten der letzten Tage haben deutlich gemacht, dass im Augenblick an den Konstellationen wenig zu verändern ist, „man“, also aktive Politik, kann bestenfalls Tempo beschleunigen oder verlangsamen, Nebelkerzen werfen oder durch Aktionen die einen oder anderen Gegner ablenken. Und trotzdem ist es sehr schön hier in der Landschaft, und trotzdem kann ich parallel mich wie eine gesunde Zelle im kranken Körper freuen, ohne die Krankheit wegzudenken…Die Metapher ist absichtlich gewählt, um die Spannweite des Umgangs mit der Situation anzudeuten.
Hat es, frage ich Sie, werte Leserin, werter Leser, jemals ein Zeit gegeben, in der das anders war, lokal, weltpolitisch? Natürlich gab es Perioden oder Momente, wo es anders war, mit mehr alternativen Optionen, mit Aussichten, die Tyrannen zu stutzen und die Demokratien zu stärken. Frage: war es damals jeweils Naivität, Selbstbetrug oder gar strategische Taktik?
Auf diese Fragen bringt mich eine Bestsellerautorin der ersten Reihe: Anne Applebaum: Die Achse der Autokraten, Siedler 2024. Der Untertitel sagt viel: „Wie Diktatoren sich gegen seitig an der Macht halten“. Viele, genaue Fakten, wenige starke Hypothesen, und ein Ausblick, der meine optimistischeren Aspekte der Gleichzeitigkeit und des Nebeneinander rational deutlich macht. Was nicht ihr Stil ist, aber deutlich wird: die Gewalt von Kleptokratie, angemaßter Übernahme der Deutungshoheit und die Verunglimpfung von Demokraten (drei von mehreren Kapitelüberschriften) ist schon sehr weit fortgeschritten, sie hat uns geschwächt und schwächt uns weiter. Wenn wir jetzt nicht doch gleich ins (Er)lösungskapitel weitergehen, wenn wir diese Wirklichkeit weiter begreifen wollen, dann sind wir dort, wo ich eingestiegen bin. Applebaum geht im letzten Kapitel auf Konjunktive, Optative, Möglichkeiten ein, die über politische Programme und Vernunft wirklich werden könnten, mehr nicht. Aber was sie an Realität globaler Demokratiezerstörung mit dauerhafter Wirkung beschreibt, ist eine undramatische, maßvoll geschriebene Darstellung der letzten Regungen vor dem unumkehrbaren Ende. Dem zweiten Ende, neben der Umwelt und den 3°-4°, das die Wirtschaft, der Pöbel, aber auch die Kleptokraten selbst verursachen, wird kaum mehr ein Kommentar gewidmet. Auch wenn man dem Ende zugeht, im Wortsinn, kann man Ausschau halten, was einem auf dem Weg begegnet, da sind wir privilegiert. Anders als Geflüchtete, Hungernde und Obdachlose. Dieses Privilegium hat nun leider keinen direkten Einfluss auf die Politik, mit der man das Steuer herumreißen könnte – aber es kann uns stärken.
Wenn wir uns über Maßnahmen austauschen, was wir ja auch tun, dann nicht hier im Blog. Nicht alles muss öffentlich zur Verfügung stehen der Netzeigentümer, also auch der Kleptokraten, der alternativen Fakten-Verwender, damit nicht nur der Autokraten und ihrer Influencer, ihrer menschlichen Drohnen. Aber damit wir uns austauschen können, sollten wir resilient sein, empathisch und hellwach. Dazu trägt der rote Himmel bei, bevor der Nebel wieder alles zudeckt.