Zwei Welten. Politik und Wirklichkeit

Omri Boehm[1] hat seine Rede zum 80jährigen Gedenken verschoben, u.a. wegen der israelischen Indienstnahme des Opfergedenkens (Gedenken zu Buchenwald-Befreiung

ohne Philosoph Boehm, dpa 2.4.2025, vgl. auch Streit vor Gedenkfeier – Gedenken zu Buchenwald-Befreiung ohne Philosoph Boehm – Politik – SZ.de)). Die offizielle Politik Israels ist natürlich gegen den Philosophen Boehm eingestellt:

„Die israelische Botschaft in Berlin schrieb auf X, es sei empörend und eine «eklatante Beleidigung des Gedenkens an die Opfer», Boehm einzuladen. In dem Posting unterstellte die Botschaft Boehm unter anderem, den Holocaust zu relativieren“. (dpa)

Das ist keine Ausnahme aus der reaktionäre Politik Israels: „Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu ist am Donnerstag trotz eines internationalen Haftbefehls in Ungarn eingetroffen. Netanjahu landete am Donnerstag kurz nach 2.30 Uhr am Flughafen von Budapest, wo er von Ungarns Verteidigungsminister Kristof Szalay-Bobrovniczky empfangen wurde.“ (t-online 3.4.2025). Natürlich wird der Faschist Orban den israelischen Verbündeten empfangen, um die europäische Demokratie zu schwächen. Jetzt tritt er aus dem Strafgerichtshof aus – es ist Zeit, Ungarn aus der EU auszuschließen, solange der Faschist dort regiert. Gefährlicher wird es, wenn der erwartete deutsche Kanzler Merz auf seiner Einladung Netanjahus besteht.

Da jüdische Menschen eben Menschen sind, und ein Teil der Menschen wie überall Faschisten sein können, ebenso wie Antifaschisten, ebenso wie klug oder dumm, weil sie eben Menschen sind, schließt sich der Kreis der Argumente gegen die israelische Ausnahmeposition, die zunehmend im Fahrwasser des Diktators Trump taumelt, aber schon vorher gefährlich verletzt war.

Ich muss das hier nicht kommentieren, alle Elemente des Arguments finden sich in den heutigen Medien, und was sich in Budapest tut, ist im Schatten des Trump-Angriffs auf die demokratischen und darüber hinaus bedürftigen Menschen weltweit ohnedies nur ein Nebenschauplatz. Das hat für uns Konsequenzen. Die wichtige Marianne Birthler fasst es richtig zusammen: Ex-Bürgerrechtlerin Birthler fürchtet Abgleiten der USA in Diktatur (DTS 2.4.2025), übrigens: wieso Ex-?

Im Übrigen zeigt sich, wie falsch die deutsche „Staatsräson“ gegenüber Israel die Wirklichkeit fehl-interpretiert. Mich interessiert an diesem ansteigenden Konflikt vor allem, wo die Deckungsgleichheit der Diskurse um JUDENTUM und ISRAEL nicht vollständig ist, wo also Differenzen bestehen und wie sie bedacht werden müssen.

Das geht nicht mit dem Zeigefinger einer weiteren eigenen Meinung. Da muss schon tiefer gegraben werden, in die Geschichte des Judentums, des Zionismus, des Antizionismus, der sephardischen Mehrheitsübernahme gegenüber den Ashkenasen usw. Also wissenschaftlich und empathisch sich mit Israel, dem Nahen Osten und seinen jahrzehntetiefen, jahrhundertetiefen Feinden, und der Gegenwart auseinandersetzen.

Der Nebenschauplatz regt mich trotzdem auf. Die mangelnde Distanz zu den politischen Diskursen wie zum Universum von fake-news, also die Distanz zur Differenz von Wahrheit(en) und Wirklichkeit verbaut oft vernünftige und gewaltmindernde Kommunikation.

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Dabei wollte ich heute über etwas anderes schreiben, geht aber nicht, wenn sich die bösen Geister vor die Bühne drängen. Ich muss ja meine Follower nicht beruhigen, sage ich mir. Aber die Aufgeregten auch nicht noch mehr aufregen. Eigentlich wollte ich über das Frühjahr schreiben, die Jahreszeit des Erwachens. Tückisch, weil man sich überfordert. Und eben literarisch und poetisch viel schöner als wirklich…die Sonne scheint, der Himmel ist blau, Blumen sprießen, – und es ist kalt. Es ist die Jahreszeit, in der man etwas VOR SICH hat, meint, vor sich zu haben, und das geht immer schneller vorbei, nicht nur mit der Erderwärmung, sondern mit dem eigenen Altersfortschritt sammelt sich immer mehr Erinnerung gegenüber dem, was man selbst noch erleben kann. Kann, nicht unbedingt möchte. Darüber wollte ich schreiben, nicht als Ratgeber, sondern beobachten, wie sich das Verdrängen und Verbiegen von globalen und lokalen Entsetzlichkeiten verändert hat, seit ich es beobachte, das ist auch schon lange. Die Kürze der thematischen Vordergrundbeschäftigung mit Schrecklichkeiten hat zugenommen, nichts bleibt wirklich Dauerthema, auch wenn es zur eigenen Kultur gehört (Der Einwand, dass Migration und Inflation solche konstanten Themen sind, kann überprüft und widerlegt werden: oft sind Themen keine wirklichen Probleme, sondern Ablenkungen von der Wirklichkeit).

Darüber wollte ich schreiben. Aber geht zum Anfang zurück. Netanjahu und Trump. Man kann gar nicht genug ausputzen. Ich schreibe jetzt nicht über das Frühjahr, die Kälte, die zur Erderwärmung gehört und wie es draußen ausschaut. Das Unerträglich dringt durch die Mauern und setzt sich neben mich an den Schreibtisch. Müde werde ich jedenfalls nicht.

Boehm, O. (2023). Radikaler Universalismus. Berlin, Ullstein.


[1] Boehm, O. (2023). Radikaler Universalismus. Berlin, Ullstein.

                Es lohnt sich eine Auseinandersetzung zwischen Philosophie und Politik, wenn der Philosoph „politisch“ ist, aber philosophisch bleibt. Auch geht es Boehm um die Relativierung von Wahrheit gegenüber der Gerechtigkeit im konkreten Fall Israel.

Beschäftigung mit Nebensachen. 2. April

Die Koalition des reichsten Landes der Welt hat nichts wirklich wichtiges zu tun. Man redet über Cannabis, als ob das die Weizenfelder ersetzen solle, und benennt die Parteien um: CSU Confuse Säufer Union, CDU Combinierte Drogen Union, SPD Spalt Pilz Deutschlands. Von der Opposition spreche ich nicht, die wird von den Genannten hochgehalten.

Es gibt auch andere Themen: möglichst unmenschlich mit Geflüchteten verfahren, wenn sie nicht wirklich anstellbar sind – Keine Frage, WARUM sie eigentlich ihre Heimat verlassen. Gegenprobe: wer könnte Bayern verlassen wollen zugunsten eines fremdländischen Paradieses?

Das, werte Leserinnen und Leser, waren unfertige Vorstellungen zum 1. April, den ich versäumt habe, das Frühjahr beginnt für mich am 2. April.,

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Schlichte oder aber überkomplexe Gemüter können es nicht erwarten, bis Diktator Trump seine Pläne offenbart, 22.00 Uhr MEZ. Als ob sie heute schon Zoll zahlen müssten, morgen reicht. Es gibt eine Sucht nach kurzfristigen Prognosen, als wäre das Anzeichen von besonderer Begabung. Ich versuche, immer mehr Zeitabschnitte zwischen Vorausahnung und Wirklichkeit einzufügen, nicht nur für Spaziergänge mit dem Hund oder Sport oder Lesen oder Musikhören…ihr merkt schon, es geht eigentlich um das, was unter den Wolken der Politik uns am Boden hält. Die Politik entgeht uns ohnedies nicht, d.h. wir entgehen ihr auch nicht, und da sind die sturmfreien Ruhezonen schon wichtig, sich zu kräftigen und resilient zu werden. Dabei kann man in größerer Ruhe spannende Beobachtungen machen. Zum Beispiel die plötzliche Begrünung zum Frühlingsbeginn, von einem Tag zum andern, unromantische Änderung der Wahrnehmung (in unserer Straße sägen sie jetzt pflegerisch die Äste ab…). Man läuft gerne weiter…Und jetzt schon ins Grün hinausschauen ist doch auch befreiend. Ihr merkt schon, ich umkreise spannende oder auch nur wichtige Themen, früher sagte man: komm doch zum Punkt. Richtig, und doch daneben. Der Punkt ist einfach: zum Augenblick wirklich grauenvoller Weltpolitik und Staatspolitik und Lokalpolitik kann man wenig Kommentare beitragen, die den Moment überstehen. Und für mehr oder weniger intellektuelle Gemüter ist der Abstand zum Kommentieren oft fremd, – ich sage aber: notwendig. So, wie man zu manchen Gebäuden Abstand braucht (Gotik!), um sie in ihrer Größe und Höhe zu erfassen, so ist es auch mit der wirklichen Politik. Wobei nur „groß“ nichts mit „gut“ oder „wichtig“ zu tun hat. Wenn ich über die Vernichtung von Umwelt durch Krieg und Flucht lese, also über die Beschleunigung der Ausrottung unserer Spezies, kommt mir immer in den Sinn, wie ich, wie wir mit unserer befristeten Gegenwart umgehen. In der ZEIT #13, 27.3.2025 beschäftigt sich der berühmte sehr alte Arzt Odent mit Geburtstechnik und Kaiserschnitt, aber auch mit dem gesellschaftlichen Bevölkerungswandel. Und zwei Sätze haben mich im Kontext berührt: „Mich interessiert die Verbindung zwischen der eigenen Geburt und dem Willen zu überleben nicht nur individuell, sondern als Spezies. …Aber wir müssen über unsere Spezies reden. Darüber, warum unsere Spezies theoretisch nicht mehr lange überleben kann“. Ich stocke: warum sagt er „theoretisch“, wenn er es gerade empirisch begründet hat. zum Abschluss meint er, dass wir uns von der „Vermenschlichung“ von Schwangerschaft, Geburt und Stillen wieder unseren „Säugetierwurzeln“ zuwenden sollen. Kein Positivismus, eher Erfahrung. Ich denke, ich weiß was er meint: nicht unsere natürlichen Wurzeln abschneiden. Und dann denke ich, wie in den Kriegen und Hungersnöten heute Kinder in eine Welt kommen, in der sie wenig Chancen zu überleben haben…War das nicht immer so. Doch, aber nicht „So“, im Schraubstock der Erderwärmung und des globalen Kriegs.

Über-Treibung versus Ab-Treibung versus Be-Treibung

Deutsch ist die Sprache der Vorsilben. Zunächst frage ich, wen oder was treibt wer? Was treibt die Bayern, sich dem Cannabis-Verbot zu widmen, obwohl es das Land der Biersäufer ist. Was treibt sie, wieder den Verkehrsminister stellen zu wollen, wo doch einer der ihren die Steuerzahler mehr als 500 Mio € gekostet hat mit der blöden Bayernmautidee (nur weil man ein paar Autos im Land erzeugt? Oder gab es Bestechung?). Mir geht es nicht um Bayern, obwohl Trump dort seine Wurzeln hat und obwohl seit 20 Jahren die Bahn von Rosenheim nach Kufstein nicht modernisiert wurde, damit ja keine Schnellzüge durchs Land der Behäbigen fahren. Nein, Bayern ist nur ein Auftaktbeispiel. Und natürlich, man hätte den Verkehrsministern durchaus ähnliche Prozesse antun dürfen, wie jetzt Le Pen.

Die nämlich geriert sich unschuldig, obwohl es um hunderte Millionen geht, die sie und ihre Partei uns Europäern entwendet haben. Daniel Cohn-Bendit hat heute im DLF das nötige dazu gesagt. Im Hintergrund aber die Frage, warum es Millionen Anhängern der rechtsradikalen Partei egal ist, wie korrupt die Parteispitze ist. Der Vergleich der Frage, ob das bei Trump so ähnlich ist, stammt nicht von mir. Trump ist schlimmer, aber das entlastet Le Pen nicht. Mich interessieren überhaupt die Spitzen der Bewegungen weniger als die Massen der Bewegung. Warum wählt man oder frau jemanden, durch dessen und deren Machtausübung das Leben schlechter wird, gefährlicher, unfreier?

Nicht zuletzt deshalb hat sich seit mehr als 200 Jahren die Justiz als unabhängiges Korrektziv herausgestellt, sozusagen ein Eckstein Demokratie. Und die4 Justiz wird von den großen Diktatoren Putin und Trump ebenso attackiert wie von den kleinen, Orban oder Netanjahu. Sie wehrt sich in den USA und Israel besser als in Ungarn oder Russland, aber sie wird angegriffen, um die Demokratie entscheidend zu schwächen. Wer weiß übrigens, warum Le Pen verurteilt wurde? Nicht, zu welchem Strafmaß. Wer weiß übrigens, was es mit dem bayrischen Mautvorstoß auf sich hatte. Wer weiß übrigens, was hinter oder vor Urteilen steht – welche Vorurteile oder unabsetzbaren Strafgesetzvorschriften…?

Alles auch etwas für Experten. Mich stört heute aber besonders, dass die Meinung der Volksmassen immer dann ins Treffen gerät, wenn der Führer oder heute die Führerin selbst von der Justiz belangt wird. DARUM haben wir ja eine Justiz und eine Regierung und ein Parlament, damit das Volk NICHT einfach so seine Meinung in Politik umsetzen kann und darf. Das kann man auch auf hunderten Seiten Fachliteratur lesen, man kann es aber auch durchde3nken und wissen.

Ich bin jetzt nicht pädagogisch, aber mich machen die Nebentöne und Hintanstellungen solcher ja wirklich wichtigen Ereignisse unsicher und aufgebracht. SO schwach ist die Demokratie ja nicht, dass man nicht klar Stellung nehmen kann, nicht nur im eigenen Land.

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Jetzt habe ich das geschrieben, und Bayern und Le Pen und überhaupt die Obigen versinken im hellen Frühlingsmorgen. Was mich heute auch irritiert ist, dass ich schon lange keine GUTE Meldung zum 1. April erfahren habe (1954 wurde Stalin im Kaukasus gesichtet, daran erinnere ich mich aus einer Wiener Zeitung…). Die Wirklichkeit hat die Phantasie wohl überholt. Die Wahrheit bleibt auch nach dem 1.4. auf der Strecke…

Eine Frage habe ich noch: Darf ein Aprilscherz nach dem Strafgesetz verboten werden, wenn er keinen Schaden anrichtet? Außer Dachschaden.