Einheit – Wortspiel der Politik

Nehmt die demokratischen Festtage ernst. Das heißt auch: kritisiert sie. Merkel hat recht: wie unsinnig, einen französischen Präsidenten reden zu lassen und niemanden von den Deutschen, die sich vernachlässigt fühlen. Wenn wir im Westen schon die aufgelassene DDR gekauft hatten, dann sollte man doch so etwas wie „Einheit“ konstruieren, nicht feiern. Und ich ärgere mich über jeden ökumenischen Gottesdienst, gerade heute, wo wir die Einheit mit mehr denn je Nichtchristen und Nichtgläubigen feiern sollen.

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„Einheit“ ist ein Begriff, der sprachliche Nachbarn hat: Reinheit, Gemeinheit, und eine interessante Begriffsgeschichte: im etymologischen Wörterbuch von Kluge kommt der Begriff gar nicht vor (1953), dafür im Duden (Beispiel: der heutige Tag) oder bei Wiki. Ich habe keine Kalauer parat, sonst könnte ich nicht kritisieren.

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Ich erinnere diesen Tag vor Jahrzehnten diskutiert, gefeiert und zerlegt, an meiner Universität, konfrontiert noch von Zeitzeugen der Ver-Einigung mit den Alternativen, die man versäumt hätte, vom Kitsch der jeweiligen Teildeutschen bis zu Fragen der Hymnen (bis heute), der Verfassung (bis heute), der Bedingungen des Zusammenlebens. Ja, zwischen wem und wem?

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Im August 1993 erschien bei Fischer ein Taschenbuch „Neues Deutschland“, 19 AutorInnen haben ein geradezu seltenes Kollektiv von links bis rechts, bis an die Ränder der Demokratie vereint (ich war als deutsch-österreichischer Doppelstaatler dabei). Ich habe eine kurze Einschätzung der Situation geschrieben („Was mich nichts angeht, was mich ärgert“, 42-44), mit dem mehr österreichischen Blick. Bitter gegen Kohls Anstimmen des Deutschland-Lieds bei der Vereinigung, ambivalent, was die neuen osteuropäischen Staaten betrifft. Und dann zur deutschen Vereinigung: „Ich ärgere mich darüber, dass diese schöne Einheit von Anfang an schäbig gemacht wird, weil ausgerechnet die deutschen Gartenzwerge der Welt wiederum verkünden dürfen, welchen Wert Nationalismus und Abgrenzung gegenüber anderen Völkern haben“ (1990, nicht erst 2025….). Die Österreicher waren und sind nicht besser, aber wir hatten eine andere Geschichte.

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Also wird heute und morgen gefeiert, wird die Spaltung vertieft. Es ist mir eigentlich egal, weil sich im Zwergischen nicht entscheidet, was riesenhaft schwer zu begreifen ist.

Mathias Greffrath hat heute – zufällig? geplant? – eine beachtliche Sendung uns Diskursanten verpasst: „Ohnmacht. Eine (nicht nur) politische Todsünde?“ DLF 3.10.2025, 9.30. Eigentlich eine sehr traurige Beschreibung der Gründe, warum wir – die Meisten, fast immer – den Weg aus der Unmündigkeit immer wieder vermeiden. Warum wir uns nicht wehren, warum wir unsere Emanzipation gegen unsere Sozialisation, Erziehung, Unterordnung nicht aktiv(er) betreiben – wir verdrängen das auch, „um uns nicht immer schämen zu müssen“. Ja schon, aber wie kommen wir da raus? Der deutsche Rückschritt ist nicht einzigartig, aber doch. Feiert mal schön, aber sagt uns, was ihr eigentlich feiert. Ausnahmsweise hat dieses Wort schon eine Bedeutung. Reinheit, Gemeinheit, Einheit. Und immer feiert das Murmeltier den 3. Oktober.

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