Gedenken, Bedenken und Heucheln. Heute.

Überall in Demokratien gedenkt man der Opfer des Hamas Überfalls vom 7. Oktober 2023.

Das ist richtig so – und hinterlässt doch mehr als nur ein unruhiges Gefühl. Wie ist es zu diesem grausamen, kaum je erlebten Massaker gekommen?

Ich frage mich selbst, warum mich die Vorgeschichte des 7. Oktober so wenig verlässt wie mein eigener, wirklicher Schrecken. Warum diese Geschichte auch nur andenken, wenn Netanjahu die Macht über Gaza und die Hamas entglitten war?

Lest erst einmal: https://en.wikipedia.org/wiki/Israeli_support_for_Hamas (7.10.2025). Unschärfe und Details möglich, die Hauptlinie stimmt. Aber dann muss man auch untersuchen, warum und wozu viele konservative, nationalistische und ultra-religiöse israelische Strömungen den Likud (Partei) und andere Entwicklungen schon lange vorher betrieben haben. Lest auch die Geschichte der Gaza Verhandlungen 1948f. (Ich gehe nicht in die Vorkriegszeit zurück, aber meine Kritik am britischen Kolonialismus bleibt bestehen). Wiederum: es muss nicht alles im Detail mitgetragen werden, aber man muss das Zwischenkapitel: „Das Gaza-Plan-Zwischenspiel“ im 10. Kapitel „Lösung des Flüchtlingsproblems…“ bei Benny Morris genau lesen, um etwas von der Vorgeschichte zu verstehen (Benny Morris: Die Geburt des palästinensischen Flüchtlingsproblems, Hentrich&Hentrich 2024, original 2004, überarbeitet). Und dazu gehört natürlich eine Vorgeschichte seit der letzten Jahrhundertwende und vor allem ab 1936, und dazu gehört die Selbstständigkeit des Staates Israel und der freimachende Krieg 1948, und dazu gehört die Vorgeschichte der jüdischen Gegner des Zionismus und der britische Kolonialismus, und dazu gehört….

Wenig davon erklärt oder gar begründet die unmenschliche Grausamkeit der Hamas am 7. Oktober 2023 und die Vorbereitung darauf.

Die fatale Täter-Opfer-Rotation der Kritik an Hamas und an der israelischen Reaktion darauf verkürzt nicht nur Wissen und Bewusstsein, sondern auch die moralischen und ethischen Positionen, die nicht mit einer Wahrheit umgehen dürfen, ohne Gerechtigkeit – für alle Situationen und nicht linear – an die Begründung der eigenen Position und Interessen zu stellen. Dazu reicht Benny Morris natürlich nicht aus, da muss man schon tiefer in die Geschichte des Zionismus in allen Spielarten, der Gegner des Zionismus etc. graben – und die Geschichte der Palästinenser genauso genau verfolgen, wenn man es aufgrund der zugänglichen Quellen so genau kann.

Wiederum: Wenig davon erklärt oder gar begründet die unmenschliche Grausamkeit der Hamas am 7. Oktober 2023 und die Vorbereitung darauf.

eine Überschrift bedeutet keine Leerstelle: Gedenken hat nur Sinn, wenn es wirkliche Menschen und die Ursache und Folgen ihres Leidens und Sterbens betrifft. Strukturelles Gedenken ist eine gängige, oft folgenlose politische Entmenschlichung. Die Bedenken sind zahlreich, etwa die Kritik an oder Erlaubnis zu Demonstrationen der propalästinensischen Aufmärsche, die sich auch antisemitisch ausbreiten, und mit dem antisemitischen, genauer, judenfeindlichen Substrat der Geschichte zusammengehen. Auch die ambivalente, doppeldeutige, manchmal -züngige jüdische Position zur Situation des Kriegs von Netanjahu (cum et sine Trump) und seiner teils faschistischen, rechtsradikalen Regierung kann man nicht geglättet als Reaktion auf den 7. Oktober einfach hinnehmen. als jüdischer Mensch kann ich das nicht, als Jude bleibt mir nichts anderes übrig?! Diese Differenz bestimmt zur Zeit viel an meinem Denken, Fühlen und also Leben.

Und so würde ich mir heute wünschen, dass die Menschen bevor sie öffentlich werden, nochmal Amos Oz, David Grossmann, Zeruya Shalev, aber auch Omri Boehm, Tom Segev, Ron Leshem, Joseph Croitoru, und auch Herzl und seine Tagungen lesen (ich weiß schon, das geht nicht an einem Tag, aber doch?!). Zu manchem Leid kann man nur Schweigen. Und darf nicht heucheln. Das gilt auch für jeden von uns selbst, gar nicht so einfach.

Kein Frieden und andere Kriege…

Machen wir uns nichts vor. Friedliebende Kommentare sind keine Wirklichkeit, sondern gestalten unter anderem Überzeugungen und Selbstbetrug. Wenn Merz und andere sagen, es sei kein („richtiger“) Friede und irgendwie schon noch irgendwie kein („richtiger“) Krieg – von Russland gegen Europa, ist das mehr als ein sprachliches Beispiel. Und so schrecklich die Umstände des Gazakriegs sind, die trumpoiden Verhandlungen sind auch „irgendwo“ zwischen Friedensplänen und Kriegspotenzialen, keine Wahrheitsstrategie, sondern Anpassung an eine Israel-Trump-angelehnte Rahmenrealität. Wie ich immer schreibe, dass die Wirklichkeit die Wahrheiten dominiert. Deshalb sind die Kommentare der besseren Medien ungewollte Konjunktive, die Grammatik diktieren andere…das gilt auch für die Ukraine, für Sudan, für Kongo. Natürlich gilt es besonders für die neueste, nicht gefestigte Weltdiktatur USA und ein wenig macht sich diese demokratiefeindliche Realität auch bei uns breit – wie denn auch nicht? Das Einzige, das stimmt, sind die Abbildungen der Wirklichkeit leidender, hungernder verletzter, sterbender Menschen, die gerettet werden sollen, müssen, können, nicht immer dürfen, bevor wir wieder und wieder die Täter anklagen oder mit Preisen und Lecken überhäufen.

Das ist der Grund, warum ich viele Daten und Eindrücke sammle, Zu Israel und Gaza vor allem, zur Ukraine, und zu unserer so genannten Regierung, aber gerade da wenig kommentiere. Denn es ist schon wichtig, dass diese Nachrichten auch empfangen werden und man sich nicht dauernd in sich selbst spiegelt.

Was bleibt, das Weiterleben unter den realen Wolken des beschleunigten Welt- und Politikzerfalls, ist nicht wenig. Das ist keine beruhigende Philosophie und schon gar nicht Ablenkung von der Politik. Aber es kommt auch, auch, nicht nur! darauf an, dass wir unsere Widerstandskraft stärken, lebendig bleiben bezieht sich immer auch auf Umwelt und Sozialisation, und natürlich auf Kultur, also die Bereiche, wo die Dummen und die Gefährlichen gleichermaßen sparen wollen. Das dürfen aber nicht nur rhetorische oder demoinstrative Bekenntnisse sein, wir müssen etwas tun. Wenn wir etwas tun, dann muss nicht jeder sofort erfahren, dass wir aktiv uns für das Richtige so und so einsetzen, aber öffentlich muss sein, was die Konfrontation bewirkt, z.B. die Kritik an den Brosius-Kritikern der CSU (das sind rechtsradikale so genannte Christen aus Söders Gehege), z.B. das Niveau der Wehrdienstdebatte (da kann ich nur raten, von den Finnen zu lernen), und vielleicht mit dem Lob an Trump im Nahen Osten etwas zu warten: auch Diktatoren können manches richtig entscheiden, das entlastet sie aber nicht…

Zurück zum Anfang. Wenn sich der Krieg weiter entwickelt, wird er anders sein als unsere verbreitete Kriegsgeschichte, und er wird keinen von uns ganz in die Freiheit des Friedens entlassen – wohin wollt ihr fliehen? Aber es kommt darauf an, was geht vorzubereiten, und dem, was kommt, zu begegnen (siehe oben). Dass wir dabei nicht gewinnen, ist klar. Aber es gibt wichtigeres in unserem täglichen Leben.

Demokratie, jüdisch und soziologisch

Sozio-Demokratie / Instabil

Vorwort

Ich lese regelmäßig mein Berufsblatt „Soziologie“, und meist geht die Diskussion an mir vorüber, aus vielen Gründen. Aber die HerausgeberInnen bemühen sich zunehmend erfolgreich, unsere Wissenschaft mit der Gesellschaft in eine verständliche und kritikfähige Verbindung zu bekommen, und dabei auch die Leerstellen innerhalb der Soziologie zu verzeichnen. Dazu muss ich nicht mehr aktiv in der Uni sein, die Überlegungen helfen schon, bisweilen.

Eine junge Kollegin, Professorin an der Universität der Bundeswehr München (Prof. Dr. Jenni Brichzin (Vertretung) — Institut) schreibt einen langen und komplizierten Aufsatz in der Soziologie: „Die Demokratie der Soziologie – Versuch über eine empfindliche Leerstelle der Disziplin“ (4/2025, 413-447). Sie versucht, das Nachhinken unserer Disziplin in Sachen Demokratie zu erklären und der Kritik auch eine Neubearbeitung folgen zu lassen. Schwierig zu lesen, aber umfassend und m.E. gut so. Warum ich aber damit hier anfange, in meinen Blogs: Brichzin analysiert sehr genau Tocqueville in ihrem Abschnitt „Massendemokratie am Start: Die sozialen Bedingungen der demokratischen Revolution in den USA“ (429-432). Zum Ende des Kapitels und zu Beginn des nächsten fasziniert mich die Genauigkeit, mit der die Volatilität der Demokratie in ihrem „Ensemblecharakter“ beschrieben wird. Ich zitiere jetzt ausführlich, weil hier ein scharfer Blick in eine Gegenwart getan wird, in der demokratische Systeme in kürzester Zeit umgeformt werden, nicht nur die USA, die Türkei, Israel oder Ungarn – im Kern kann das auch bei uns in Bayern oder Sachsen-Anhalt geschehen, darauf kommt es mir aber jetzt nicht an. Unter Bezug auf Tocqueville schreibt Brichzin:

„Und selten wird so deutlich wie hier, dass genau die Mechanismen, die Demokratie doch eigentlich begründen sollen, die gegenteilige Wirkung entfaltenkönnen, ist erst einmal das Zusammenspiel des Ensembles gestört oder ins Ungleichgewicht geraten. Auch die „demokratische“ Ordnung ihrer Zeit kann folglich ins Autoritäre kippen. Als größte Gefahr identifiziert Tocqueville dabei bekanntermaßen die „Tyrannei der Mehrheit“ (T 289). Der unbedingte Glaube der US-Amerikaner:innen an das Mehrheitsprinzip statte die politische Mehrheit mit einer „Allmacht“ aus (T 290), die den „Keim der Tyrannei“ bilde (T 291). Eine spezielle Form der sozialen Schließung ist die Folge, eine Schließung nach Maßgabe der Mehrheit…“ (Brichzin 432, T=Tocqueville). Das kann man natürlich sofort mit Varianten anwenden, nicht nur auf die USA, Israel, die Türkei, Ungarn etc., und auf viele Stimmen in der Demokratie, die nicht von einem Ensemble komplexer Verbindungen ausgehen, sondern von einer, v.a. durch Wahlen bestimmten Form. Mehrheit allein reicht nicht, und nicht nur Brichzin, auch ich denke, dass die Struktur einer Gesellschaft offen gehalten werden muss, immer, und nicht geschlossen werden darf.

Der Artikel insgesamt bleibt interessant, aber ich will mich darauf konzentrieren, wie demokratische Gesellschaften in dieser Zeit eher schnell in autoritäre oder diktatorische und strukturell in faschistische sich wandeln lassen.

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Für mich ist es wichtig zu hinterfragen, zu diskutieren, zu beobachten, was zur Demokratie „noch alles“ gehört, und der Leitfaden des Artikels bringt einem die nötige knappe Systematik bei. So, und jetzt weg von der Soziologie, ich bin ja längst kein aktiver Hochschullehrer mehr, und zur beobachteten Politik.

Dass neben anderen Trump und Netanjahu Demokratie erfolgreich zerstört haben, wird globale Folgen haben. Die USA, als dritte Nukleardiktatur mit einer nicht nur spontanen, ungebildeten, unkritischen Demokratiefeindlichkeit, hat vor allem auf die Menschen negative Auswirkungen, die ja von den USA in der NATO und im westlichen Welthandel sich abhängig wissen. Nicht gerade kolonial, aber kapitalabhängig. Also wir. Und in Israel zerstört Netanjahu endgültig den Zionismus in all seinen Varianten, er und seine Faschisten zerstören die soziale Aufbaustruktur und so viel JÜDISCHES, dass nur mehr die JUDEN bleiben, aber die jüdische Ethik und Kultur zerstört wird, wohl auch die innovative Wirtschaft, wenn er der trumpoide Herrscher bleibt. Also wir jüdischen Menschen müssen eine zukünftige Geschichtsrevision uns antun.

Mit der Auffassung bin ich nicht allein. Ich kann auch die Hamas initial kritisieren, obwohl sie ja von Netanjahu gefördert worden war, aber sie ist ihm entglitten und eine Macht der Barbarei geworden, so wie Netanjahu mit seinem Blick auf eine iranische Monarchie auch nicht gerade demokratisch denkt und agitiert.

Ich lese Oz, Grossmann, Illouz, Neyer, Shalev und viele andere, und ich lese sie anders die Historien der Palästinenser, Araber und Muslime. In diesem „Anders“ steckt mehr Potential an Kritik, an mehreren Seiten – es sind ja nicht nur zwei – als man vermuten kann: wenn man das Ende des bisherigen Jüdischseins in Israel ernst nimmt und das künftige fürchtet – jüdisch wird man weiterhin weltweit sein müssen und können.

Einheit – Wortspiel der Politik

Nehmt die demokratischen Festtage ernst. Das heißt auch: kritisiert sie. Merkel hat recht: wie unsinnig, einen französischen Präsidenten reden zu lassen und niemanden von den Deutschen, die sich vernachlässigt fühlen. Wenn wir im Westen schon die aufgelassene DDR gekauft hatten, dann sollte man doch so etwas wie „Einheit“ konstruieren, nicht feiern. Und ich ärgere mich über jeden ökumenischen Gottesdienst, gerade heute, wo wir die Einheit mit mehr denn je Nichtchristen und Nichtgläubigen feiern sollen.

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„Einheit“ ist ein Begriff, der sprachliche Nachbarn hat: Reinheit, Gemeinheit, und eine interessante Begriffsgeschichte: im etymologischen Wörterbuch von Kluge kommt der Begriff gar nicht vor (1953), dafür im Duden (Beispiel: der heutige Tag) oder bei Wiki. Ich habe keine Kalauer parat, sonst könnte ich nicht kritisieren.

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Ich erinnere diesen Tag vor Jahrzehnten diskutiert, gefeiert und zerlegt, an meiner Universität, konfrontiert noch von Zeitzeugen der Ver-Einigung mit den Alternativen, die man versäumt hätte, vom Kitsch der jeweiligen Teildeutschen bis zu Fragen der Hymnen (bis heute), der Verfassung (bis heute), der Bedingungen des Zusammenlebens. Ja, zwischen wem und wem?

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Im August 1993 erschien bei Fischer ein Taschenbuch „Neues Deutschland“, 19 AutorInnen haben ein geradezu seltenes Kollektiv von links bis rechts, bis an die Ränder der Demokratie vereint (ich war als deutsch-österreichischer Doppelstaatler dabei). Ich habe eine kurze Einschätzung der Situation geschrieben („Was mich nichts angeht, was mich ärgert“, 42-44), mit dem mehr österreichischen Blick. Bitter gegen Kohls Anstimmen des Deutschland-Lieds bei der Vereinigung, ambivalent, was die neuen osteuropäischen Staaten betrifft. Und dann zur deutschen Vereinigung: „Ich ärgere mich darüber, dass diese schöne Einheit von Anfang an schäbig gemacht wird, weil ausgerechnet die deutschen Gartenzwerge der Welt wiederum verkünden dürfen, welchen Wert Nationalismus und Abgrenzung gegenüber anderen Völkern haben“ (1990, nicht erst 2025….). Die Österreicher waren und sind nicht besser, aber wir hatten eine andere Geschichte.

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Also wird heute und morgen gefeiert, wird die Spaltung vertieft. Es ist mir eigentlich egal, weil sich im Zwergischen nicht entscheidet, was riesenhaft schwer zu begreifen ist.

Mathias Greffrath hat heute – zufällig? geplant? – eine beachtliche Sendung uns Diskursanten verpasst: „Ohnmacht. Eine (nicht nur) politische Todsünde?“ DLF 3.10.2025, 9.30. Eigentlich eine sehr traurige Beschreibung der Gründe, warum wir – die Meisten, fast immer – den Weg aus der Unmündigkeit immer wieder vermeiden. Warum wir uns nicht wehren, warum wir unsere Emanzipation gegen unsere Sozialisation, Erziehung, Unterordnung nicht aktiv(er) betreiben – wir verdrängen das auch, „um uns nicht immer schämen zu müssen“. Ja schon, aber wie kommen wir da raus? Der deutsche Rückschritt ist nicht einzigartig, aber doch. Feiert mal schön, aber sagt uns, was ihr eigentlich feiert. Ausnahmsweise hat dieses Wort schon eine Bedeutung. Reinheit, Gemeinheit, Einheit. Und immer feiert das Murmeltier den 3. Oktober.

Faschismus: real

Es ist eine Wiederkehr und ein Auftauchen aus fortdauernder Beständigkeit. Auch die vorsichtigeren Medien der Demokratie können nicht mehr beschwichtigt unterspielen, was uns bedroht: anders als Russland bedrohen uns die USA nicht direkt mit Kriegsgewalt, sondern mit der Form von Diktatur, die auf Gewalt aufbaut. Man soll um den Begriff nicht herumreden, Faschismus ist, was er ist: Faschismus.

Trump erklärt „Krieg von innen“: Interview mit Annika Brockschmidt, US-Expertin 2.10., 6.50

(Länge11:40 Minuten Autor Zerback, Sarah). Brockschmidt: „Amerikas Gotteskrieger“, Rowohlt 2021 und „Die Brandstifter“, Rowohlt 2024)

Kein Herumgerede. Trump, Hegseth und andere betreiben eine faschistische Politik. Das wird begründet und ist einsichtig. Die Expertin beruft sich zu Recht auf Paxton bei der Beschreibung des Faschismus. Seit Wochen hoffe ich, dass endlich öffentlich gesagt wird, was wir schon wissen können.

Hier muss ich nicht in die Details der Beschreibung unterschiedlicher faschistischer Bewegungen eingehen – die sind so vielfältig wie kaum ein anderes tyrannisches System, aber sie sind geeint durch Antidemokratie, (meist männliche) Gewalt, (meist wissen) Rassismus und Ignoranz gegenüber der Stimme der Menschen (Das „Volk“ ist eben nicht die humane Gemeinschaft a priori). Gerade Umberto Eco hat das bestens zusammengefasst („Der ewige Faschismus“, Hanser 2020), und Maurizio Bach & Stefan Breuer („Faschismus als Bewegung und Regime“, VS 2010) beschreiben innerfaschistische Differenzen zwischen Deutschland und Italien.

Die USA werden uns nicht vor der russischen Diktatur schützen und die russische Diktatur wird sich nicht gegen die Zerstörung Europas durch die USA wenden, wenn sie ihr Zarenreich wieder aufbaut. Es geht nicht um Schwarz-Weiß, sondern darum, dass wir mit dem Faschisten Trump anders kommunizieren und handeln müssen als mit dem Diktator Putin. „Anders“, das ist schwierig, weil wir schwach sind. Jetzt kommt kein Plädoyer für massive Rüstung, auch keine Unterwerfung unter den einen oder den anderen Mächtigen. Erst einmal müssen wir wissen, was wir als Demokratinnen und Demokraten wirklich wollen, auch wenn wir ziemlich sicher weniger Wohlstand und Sicherheit bekommen, vielleicht mehr Umwelt – und hinreichend Gegner.

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Wir kennen viele Namen aus dem Trumpgefilde in den USA. Viele Rechtsradikale, die es nicht sinnvoll machen, sich in Attentatsphantasien für Trump zu verlieren, denn was machen wir denn mit Vance oder Hegseth oder…? Die sind ja auch nicht besser, nur vielleicht nicht so klug. Aber Vorsicht: wo wir der US Wirtschaft Unabhängigkeit und Selbstbestimmung zutrauen, irren wir. Die Großen brauchen seine Förderung und deshalb: „Sie liegen ihm zu Füßen“ (Heike Buchter, ZEIT# 41, S. 19). Das bezieht sich auf die Medienkonzerne. Und Rüstung? Kann man nachverfolgen.

ABER nochmals VORSICHT: Das ist bei uns nicht anders, und die rechten, manchmal faschistoiden Randerscheinungen der bislang demokratischen Parteien sind auch nicht ohne die kleine Variante der bislang demokratischen USA (nicht nur die Richterwahl zum BVG, nicht nur Dobrindt und Konsorten…). Und warum nur bei uns: Schaut auf Israel und Netanjahus faschistische Regierungsgruppe, schaut auf…Saudi-Arabien, Türkei, Ägypten, Iran, und schaut auf die faschistischen Kernzellen der noch demokratischen europäischen Länder. Dass viele von ihnen uns gegen die Russen unterstützen, ist eben nicht einfach die Folge echter Demokratie. Die müssen wir und andere wieder herstellen und entwickeln…

Eine Reise

Vor einigen Jahren war ich mit meinem besten Freund in einer Stadt, die sofort an Wien erinnerte, an frühe Einblicke in die Stadtstruktur, das Klima, die Schönheit und die absurden urbanen Einblicke. Obwohl, auf den ersten Blick, ist hier alles anders als in Wien – flach, das Zentrum direkt am Fluss, der Fluss kurz vor der Mündung ins Meer. Und trotzdem…nicht wegen der mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Geschichte und Verbindung nach Wien, aber mit ihr, und dann natürlich die Atmosphäre. Nicht unbedingt der lokale Speiseplan, aber was in Wien die Krapfen sind und die Punschkrapfen, sind hier die Waffeln und die Fritten.

Ich hatte noch zehn alte Postkarten vom letzten Besuch bei mir, als ich jetzt mit meiner Frau Birgit einen Besuch wiederholte, der für sie eine Premiere war. Auch diesmal war es nicht leicht, einen Briefkasten zu finden, hier schreiben ohnedies nur Touristen. Sonst ist man modest und modern, e-text, handy, post und was noch, aber dennoch normal. Zum Beispiel die massenhafte überzählige Verkehrsstruktur mit Fahrrädern, e-Bikes, und e-Rollern. Fußgänger werden gefördert, Autos weniger, und wo es so viele gute Radwege gibt, ist man gerne urban.

Also kommen wir pünktlich aus Brüssel an, der Personenzug hat uns über Mecheln durch viele Dörfer befördert. Die sind meist unattraktive Einfamilienhäuser wie in Niederösterreich, im Emsland oder überall. Und große, übergroße Wohnbauten und etwas mehr Industrie entlang der Bahn. Viele Gleise, überhaupt ein dichtes Bahnnetz. Also kommt man gut an, der Bahnhof ist eine eigene Geschichte wert, sein kulturgeschütztes Hauptgebäude hieß früher die Kathedrale, „Man“ kam an und wurde willkommen geheißen. Heute kommen die Züge auf jeweils vier Gleisen im ersten Oberstock und in zwei Unterstockwerken an, die wichtigsten Installationen sind auf der Eingangsebene. Für uns der Waffel- und Cafékiosk, aber auch das Infobüro der Stadt. Da erfuhr ich am letzten Tag, wo sich die Briefkästen finden; was in der Stadt vorbildlich ist, sind die sauberen WCs, hier, in den Museen, in den meisten Kneipen. Alle Tickets kauft man am Automaten, überhaupt ist die Karte unvermeidlich, nur im Chinesenviertel zahlt man mit Geld. Die Waffeln hingegen muss man mit der Karte zahlen. Fünfzig Meter vom Bahnhof unser Hotel, an einigen Diamantengeschäften vorbei, wir sind an der Außenfront des Diamantendreiecks, hunderte Geschäfte, meist sind dahinter Schleifereien, und angesichts der überquellenden Produktion sicher für den breiten Markt – und, überraschend, überall waren Touristen unter Tags in den Geschäften. Die haben von bis 18 Uhr offen, wie fast alles hier: spät auf, früh zu, auch in den Einkaufsvierteln. Einen Abstecher von der Hauptstraße machen wir in den Stadtsalon, eine große ornamentierte Halle mit Boutiquen und einem sündhaften ökologischen Getränkeausschank für gesunde Menschen. Weil wir am Schabbat ankommen, gehen wir jetzt gar nicht da ins Viertel, sondern die Paradeeinkaufsstraße hinunter in Geschäftszentrum, das ist so international wie die Menschen hier polyethnisch, viel mehr als bei uns, wobei im Kern des Zentrums zwischen Ökonomie und Fluss weniger Schwarze sind, aber sonst sind alle überall und man hat den Eindruck, dass die Jugend  der nahöstlichen und afrikanischen Herkunft stärker als alle anderen heranwächst. Ohne ein wenig Sozioökonomie versteht man hier wenig, und die muss leider auch bis in die Kolonialzeit unter Leopold zurückgehen. Aber das studiert sich leichter, weil es viel kritische Aufklärung zu diesem Thema gibt. Und vieles erklärt sich auch kulturell besser.

Was der Krieg nicht zerstört hat, hat schon eine nach Außen hin üppige und formale Struktur, aber im Großen wie im Kleinen geht hier alles Architektonische, vor allem die äußere Gestaltung, durcheinander – ob wirklich ungeregelt oder bewusst individualisiert, muss man herausfinden. Jedenfalls angenehm. An der Hauptstraße kennt man natürlich die Namen aller Innenstadtgeschäfte aus allen westlichen Großstädten, aber es gibt hier wie in den Nebenstraßen doch eine angenehme Vielfalt von Geschäften, auch multiethnischer Bespielung, man kennt es, und kennt es doch nicht. Am ersten Abend essen wir in einem Hotelgasthaus, wo typisch, dass das, was man sich auf der Karte aussucht, nicht da ist, dafür etwas anderes. Auch wenn in Bahnhofsnähe besonders die ethnische Vielfalt sehr groß ist, erkennt man bald die abgegrenzten ethnischen Wohnviertel dort, wo die ursprüngliche Wohnbevölkerung nicht ihre generationenübergreifenden Wohnsitze hat, urbane obere Mittelschicht und untere Oberschicht. Im Zentrum ist das alles anders, durchwachsen und sehr offen. Aber nicht eingeebnet. Auf der einen Seite des Geschäftsviertels geht es zu Mode, Kunst und Kultur, auf der anderen Seite ins Bildungs- und akademische Viertel, aber nicht scharf abgegrenzt. Auch hier gibt es einige sehenswerte Kirchen, v.a. wegen der Gemälde des hier ansässigen bedeutenden Malers und seiner Schule, aber an sich keine Kirchenstadt. Trotz der gewaltigen fünfschiffigen Kathedrale, die das Gegengewicht zum großen Markt bildet und gegenüber dem Rathaus aus der Jahrhundertwende steht. Die Innungshäuser aus der Renaissance erinnern an Ffm, aber insgesamt ist das Touristenviertel ambivalent. Lokal sind die Preise erstaunlich gleichmäßig hoch, aber hier im Zentrum eher absurd. Ansonsten ein wenig teurer als bei uns.

Wir haben alle fünf Tage so ein Glück mit dem warmen Herbstwetter gehabt, das war natürlich ein Zusatzbonus. Überraschend viele Joggerinnen und Jogger, nicht nur in den Parks, leicht bekleidet, und alle anderen von dicht bis frühwarm. Wir lassen uns die Stadt mit einem Hopon und e-Hopoff zeigen, der kommt kaum voran, soviel Verkehr und der Vorrang von Bikes und e-Rollern. Umso besser. Wir steigen nach Stadtquerfahrt am Ziel # 1, unserem ersten Ziel, dem MAS. Ein grandioses gesellschaftliches Museum mit Kunst, Kultur, Geschichte, Analyse, für Erwachsene und Kinder, anthropologisch, Besucher-nächst, – gibt’s bei uns kaum, das gibt es in Frankreich eher (Musée de Confluence, Lyon, Wiener Stadtmuseum, und frühere Völkerkundemuseen, die jetzt Weltmuseen werden wollen). So etwas gibt es bei uns so gut wie nicht. Und hier auch die Aussicht über den Fluss, die Stadt und die Wirklichkeit. Wir sehen diesmal die hunderten Friseur-Fotos, die Transportgeschichte der Nahrung der Stadt, eine dezentrale Wohnsystematik, eine kleinteilige südamerikanische Kulturausstellung, … es gibt noch etwas, Kriegsgeschichte, diesmal nicht. Ein gutes Café. Nach drei Stunden wandern wir ein langes Hafenbecken entlang, das einen neuen Stadtteil mit starker Freizeitkomponente. Man kann  leider nicht zum Fluss durchwandern, eine Brücke ist defekt, aber man sieht ein anderes Museum mit einem absurd schönen Riesenaufbau auf einem Gebäude des 19. Jahrhunderts nahe genug. Gegenüber am Kanal zehnstöckige Wohnhäuser, man wüsste gerne die Sozialstruktur. Weiter mit dem Hoponhopoff zum Großen Markt, wir schauen kurz in die Kathedrale, die fast immer keinen Zugang hat, und begehen diesen Touristenschmelztiegel. Man kann hier schon essen und trinken, man muss nicht. Die letzte Etappe bringt uns zum Hauptbahnhof zurück, über eine Stunde im Labyrinth, angenehm: wir sehen, wie im Alltag gewohnt wird, und alles strömt den Verkehrszentren zu, die Meisten wohnen ja nicht hier. Das haben wir noch nicht erfahren. Wir essen erstmal im Ostasienquartier, eine Straße, zwanzig+ Lokale, chinesisch, malayisch, thai, tibetisch. Letzteres probieren wir als erstes, wohl das beste Abendessen vor Ort in den vier Tagen. In die umliegenden Nahostlokale gehen wir schon nicht wegen der Glücksspielausstattung. Unter uns das Bah hofsviertel, nicht zu laut. Und das Riesenrad, farbenfroh, war früher am Flusshafen, teuer und platzgreifend, wir fahren nicht – der Rundblick vom Museum war weiter.

Am Sonntag ist der Schabbat vorbei. Wir sind ja im jüdischen Diamantendreioeck, das langsam von den Indern unterwandert wird. Erinnern wir den Film „Rough Diamonds“, (Rotem Shahir, Cecilia van Heyden) die Drehorte deutlich zu erkennen, und der Niedergang der sephardischen Geschäfte. Noch ist genug davon da, aber depri. Daneben das jüdische Wohn-Viertel, orthodox, politisch konservativ, Sepharden, viel schwarzkappige Kinder, Scheitlfrauen, große und kleine Bethäuser, ein super Delikatessladen Hoffys und – meine – Lieblingsbäckerei. Man möchte hierbleiben, jeden Tag die herrlichen Stücke essen. Wir tun das gleich um die Ecke im Stadtpark. Dann gehen wir ins Modemueum. Überraschend aktiv und interessant. Großartige Ausstellung über junge und pubertierende Mädchen in allen Variationen, – Man weiß, lernt und freut sich. Und dann die großartige spanische Frauendarstellung, u.a. Almodovar, ebenfalls ergreifend. Auch ein Modeklassenarchiv. Und ein gutes Café. Ein schöner Nachmittag am Deich schließt sich an, der Strom ist ziemlich leer, aber am Ufer flaniert ein gesellschaftlicher Querschnitt in der Sonne, spannend. Ein griechisches Kalorienintermezzo, dann Altstadt – vieles ganz spannend, aber was möchte man dann wirklich kaufen, für sich oder zum Verschenken?

Fang`s Hapje war der chinesische Versuch. Ganz gutes Essen. Lustig am Nebentisch zwei Bekiffte, die fünf verschiedene Gerichte zugleich eingeworfen hatten und auch den Koch amüsierten. Das Bier ist hier jeden Abend gut. Am letzten Tag in derselben Straße in Wintan Kitchen malayisch, auch ganz gut. Gar nicht so viele Touristen, eher Unileute und Lokale in Chinatown.

Kommt der Montag. Auch die Massen erst gegen 9 bis 10…wir wandern vom Stadtpark nach dem jüdischen Frühstück durch die bürgerlichen Viertel nach Westen. Erst zum Botanischen „Sanctuarium“, wohl eine historische Besonderheit, schön. Dann ziemlich geruhsam weiter zum Museum, gewaltig groß und jetzt fertig modernisiert, vor Jahren war es noch unterwegs. Ein Jahrhundertwendebau, erinnert auch Wien, nicht sooo groß wie das KHM und NHM, aber schon. Ensor durchquert, und dann Rubens als Zentrum einer guten Ausbreitung. Viel gelernt bei einer Darstellung öffentlicher Restaurierung mit Röntgen und allen anderen Techniken, die Wissenschaftler waren hier aktiv bei der Sache. Immer wurden thematisch zeitgenössische KünstlerInnen neben die alten Meister gestellt, und so lernt man Kunstgeschichte. In der Moderne viel von Rik Wouters, dem Belgier, naja. Langsam an den Strand, in das turmartige Gebäude der Dreißiger und die hölzernen Rolltreppen hinein, also hinunter, und dann ein paar hundert Meter neben e-Bikes und Fußgängern ans Linke Ufer. Überraschend. Nach der schönen Uferbepflanzung öffnet sich der Blick auf eine weitläufige Siedlung, wie in Wien Nordost, fast alle Wohngebäude drei oder vier Stockwerke. Ein endloses Verkehrsnetz, hier wohnen viele der EinwohnerInnen, weshalb die Fähre und die U-Bahn ständig in beide Richtungen voll sind. Nicht nur einfach Arbeiterviertel, auch nicht Unterschicht. Das müsste man genauer untersuchen, ob es hier überhaupt Kultur, wenn ja, welche, gibt. Wir fahren mit der U9, dann mit der U5 ins nördliche Arbeiterviertel, dort, nahe der Autobahnzufahrt, multikulturell, mit allem, was wir so kennen, was wird aus den Halbwüchsigen? Zurück zur Oper, von dort mit der Straßenbahn bis zum MAS, wir wollten weiter zum Hafen, aber die Brücke ist ja kaputt. Am Flussufer ein hypermodernes langgezogenes Bürogebäude, wir von hier in die Innenstadt, Univiertel, Kunsthochschule…wir sind 15km gelaufen, müde zum Chinesen, siehe oben.

Heute morgen in die jüdische Bäckerei, auf der Fahrt werden die Vorräte schon weniger. Noch einen Blick in den Zoo, schön und schön teuer. Der Zug fährt pünktlich, wir steigen in wenigen Minuten nach einer ebensolchen Fahrt in den Zug nach Deutschland um. Und das war es.

Wo waren wir? Richtig, in Antwerpen.

Bilder kommen noch.