Demokratie – und so weiter.

Wir leben noch in einer ganz passablen, funktionierenden Demokratie. Wenn man Demokratie nicht so abstrakt hochjubelt, dass sie einem nie den Standard erfüllt, landet man bei Robespierre oder bei den Wortklaubern der Gegenwart. Aber natürlich gibt es bei uns eine Menge zu verändern und zu verbessern, aber vor allem zu korrigieren.

Kennt Ihr Marilynne Robinson? Autorin, Essayistin, politische Stimme? https://de.wikipedia.org/wiki/Marilynne_Robinson

Man kann aus der Biographie lernen, wieviele Elemente, widersprüchlich da zusammen kommen, um eine Meinung anzufertigen, die auch verstanden werden kann. In diesen düsteren Zeiten gibt sie einen kurzen, scharfen Einblick in die Situation der USA, eigentlich auch global. „Notes from an Occupation“, NYRB LXXII, #11, S.28-29.

Sie beschreibt konkret die Strukturen von Diktatur und nicht (mehr) vereinbarem Kompromiss. „I am proposing, of course, that America is, at present, an occupied country“. Das müssen sich die um Trump herumschwirrenden Beschwichtiger schon klar machen. Und sie folgert „Democracy cannot decline far without ceasing to be democracy“. Das sollten die sich klar machen, die auch bei uns aus falschen Gründen Abstriche von Freiheit (Misshandlung von Fremden und Asyl), der Umwelt, Sozialem und Kulturellem machen. Wir sind von den USA abhängig, aber sie sind nicht unsere Verbündeten. Dass wir von anderen Diktaturen nicht abhängig sind und sie natürlich auch nicht mit uns verbündet sind, ist klar. Dass manche Diktaturen von uns teilweise abhängig sind, sollte uns mehr beschäftigen.

Robinson zerlegt vor allem die Innenpolitik, richtig so, denn an ihr kann man die Struktur der Diktatur besser ablesen. Zu meinem letzten Blog und etlichen davor passt das, weil es für uns (fast) alle, sagen wir: für uns politisch gebildete Laien, leichter ist, Innenpolitik auch zu beurteilen, zu kritisieren und zu verbessern. Natürlich kann man zur Außenpolitik mehr als nur eine Meinung haben, das ist aber oft schwieriger. Nur zu.

Die Gefahr der Reduktion von Demokratie ist auch bei uns, in Europa, weltweit groß – und oft stehen größere Diktaturen kleineren gegenüber, und wer nimmt dann für wen Partei?

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Gehen wir zurück zur Kritik an der Konzentration auf Rahmen und begriffsarme Worte, Drecksarbeit, was gegen diesen Begriff spricht, ist eine komplexe Bildungsfrage. So wie die Kleidung und Frisur von politischen Größen ideologiekritische Nachträge provozieren, so sind Begriffe wie Drecksarbeit ein Instrument der Überbrückung von Unsicherheit.

Ich hatte VOR der Amtsübernahme der Regierung Merz davor gewarnt, schon ex ante Urteile über die Praxis – Form und Inhalt – von politischen und gesellschaftlichen Aussagen zu veröffentlichen. Und hatte Recht behalten. Lasst die Regierung einmal arbeiten. Und? Was denkt ihr heute? JETZT kann man Kritik üben, an Personen, an der Komposition der Regierung, an ihrer Leitung. Interessant, wie niedrigschwellig Kritik ausgeteilt wird. Das müsste für meine wissenschaftlichen und moralischen Schwerpunkte zweitrangig sein. Aber für meine Beobachtung der gesellschaftlichen Meinung ist es schon deprimierend, entscheidungsfähige Aussagen, die für die Herstellung von verbreiteten Meinungen wichtig sind, unter den Teppich zu kehren. Und erst jetzt kann ich allmählich das Profil der Regierung, die Handlungen von Merz % Co. bewerten. Aber wen interessiert meine Meinung, und diese Frage habe ich verallgemeinert. Wer sind die politischen und moralischen Empfänger meiner Positionen? Richtig ist die Antwort in Richtung Allgemeinbildung, aber darüber hinaus sind natürlich schon die Form, die Begriffsbildung, die Querverbindungen wichtig – darum schreibe ich ja auch solche Blogs. Und die Reaktionen dafür und die Antwort auf diese Reaktionen machen ja die Blogs mehr als nur einen Rekurs auf meine eigene Meinung.

Jetzt schließe ich an Marilynne Robertson an. Sie meint ja begründet, dass die politischen Gegner in der Demokratie Brücken über ihre Differenzen bauen müssen, sonst geht die Demokratie bergab. Und nicht nur in den USA sind die abgebrochenen Brücken ein Zeichen für die entstehende Diktatur. Wenn euch das übertrieben erscheint, dann denkt die deutsche Geschichte zurück. (Als Österreicher kann ich auch zurückdenken). Wenn die Diktatoren die Macht ergriffen haben, ist es gleichgültig, ob das demokratisch befördert wurde oder nicht…und DARÜBER sollten wir reden.

Aktuell: Vergessen!

Vergessen, was für eine schwierige Übung für die aktive Psyche. Was man nicht erinnern will, bleibt oft gegenwärtig, man kann es nicht vergessen. Überhaupt, wenn es ganz aktuell ist. Ukraine, Israel, Sudan, Trump, Putin… nur das Zaubermärchen kann sie alle zum Verschwinden bringen. Ansonsten stehen sie, vielfach und mit vielen Anhängen, wie eine Herde von Elefanten im Raum.  Ja, was machen wir denn da? Es ist unmöglich, vernünftig zu denken und zu entscheiden und zu handeln, wenn man dauernd überlastet und überfordert ist. Aber der naive Rat, „Abschichten“, geht ja so einfach nicht.

Andererseits: wozu und wie formiert sich das politische Urteil in Bezug auf mein, unser Leben, das Leben in der Gemeinschaft und dem Staat? Theoretiker formulieren hier z.B. die Angst, die Heimatliebe, das eigene politische Urteil etc. als Hintergrund. Aber praktisch, im Alltag, wie ist es da? Und ich kehre die Figur um: Wenn ich mich in meiner Umgebung genauer wahrnehme, und diese Umgebung genauer bestimme, erfahre ich mehr und genaueres für mich, nicht immer über mich, aber immerhin: in welchem Aquarium ich schwimme, wird deutlicher. Ein Beispiel – kein Ratschlag: da ich oft S-Bahn und Bus fahre, schaue ich nicht ins Handy, sondern mir die Mitfahrgäste an, und wenns dauert, wird daraus ein Soziogramm…das ist auch, auch!, politisch, aber anders, es gibt einen direkten Bezug zu mir, den ich auch für mich formulieren kann. Das ist bei der Ukraine und dem Sudan schwieriger, siehe oben. Bei mir gibt es aber die Überschneidung mit Israel. Bei anderen ist das anders, vielleicht…aber: die beiden Ebenen gibt es bei allen Menschen. Mein Fahrgast-Soziogramm ist nicht schwergewichtig, es verlegt mich in meine „Umgebung“ und drückt mich nicht mit politischem Gewicht so zu Boden, dass ich meine Umgebung gar nicht mehr sehe. Darum geht’s: ich kann, zum Beispiel JETZT, zu Israel, der Ukraine, Trump etc. wieder etwas denken und sagen, erstmals für mich. (Für wen sind denn die vielen Kommentare der Freizeitschiedsrichter und Politiikgloobalisten?). Der eigene Gedanke wird nicht immer besser, wenn er öffentlich zurückleuchtet, bestätigt, kritisiert oder korrigiert.

Ich denke an den Alltag in Haifa oder Jaffa, auch im Iran…der ist natürlich anders als bei uns, aber man kann über ihn auch politisch wieder aufwachen. Dazu schreibe ich HIER nichts, weil es um etwas anderes, die eigene Rechtfertigung für Interessen – und Resilienz geht. Aber wenn ich jetzt ein Seminar hätte, wäre eine Frage: wer hat vor einer Woche Israel, die Hams, die USA, die EU etc. im KONTEXT kritisiert und wer von denen freut sich mehr oder weniger offen über Israels Angriff auf den Iran…? Das ist schon ein Thema der Medien, nicht einfach meins. Und wie stabil sind die Kommentare der letzten Woche, und die von vorgestern und die von heute? Darüber nachzudenken, bedarf es auch eines klaren Kopfes und nicht gleich ein Angebot auf Reaktion…

Über erinnern und vergessen habe ich viele Jahre gearbeitet, es beschäftigt mich bis heute. Beides ist wichtig, und zwischen beiden gibt es Verbindungen und Pausen. Darüber habe ich jetzt nachgedacht.

Unterwerfung als Tugend – nicht nur deutsche Tradition

Nur keine falschen Begriffe, kein Klima, keine Geschlechtervielfalt, keine Migrationspolitik – im Vorfeld des Treffens der so genannten Demokratien in Kanada, incl. faschistischen Regierungen wie in Italien, wird alles getan, um den Diktator Trump nicht zu reizen, ja, man schmiert ihm sich selbst ums Maul.

Israels Krieg gegen den Iran bietet dazu ein gutes Glacis. Da der Iran die schlimmere Diktatur ist, kann man sich hinter Netanjahu verkriechen, ohne Gefahr zu laufen, als undemokratisch zu gelten, und Gaza ist vergessen.

Nun ist das vielleicht die richtige Haltung von Vasallenstaaten. Aber dann soll man sie als solche deklarieren…. Unsinn, natürlich, man spielt demokratische Allianzen, Hauptsache, die Zölle werden verringert. Wir sind halt der Westen, die EU, unter dem nuklearen Schutzschirm der USA.

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Dass man sich „unterwirft“, kann – historisch und gegenwärtig – für Staaten, auch „National“-Staaten wirtschaftliche, seltener soziale, seltener kulturelle, seltener ethnische Vorteile mit sich bringen. Nicht nur Trump arbeitet mit Zuckerbrot und Peitsche, weil er sich das leisten kann. Putin und Xi brauchen das so gut wie nicht, sie erobern und herrschen, auch mittlere Diktaturen müssen diese Doppelstrategie nicht anwenden. Das unterscheidet den Diktator Trump von seinesgleichen, deshalb bleibt er doch ein Diktator. Und zur Demokratie der Abhängigen gehört, die Brüche im Herrschaftssystem zur eigenen Autonomie auszunutzen (wenn man sie nicht schon herstellen kann…).

(Ein Beispiel: einen Diktator muss man nicht öffentlich oder gar in Konfrontation mit den Bezeichnungen, die seine Ablehnung und unsere Abscheu beinhalten bezeichnen…das ist nicht Kleinmut, sondern vermeidet ein symbolisches Schlachtfeld, in dem wir materiell die Verlierer sein werden. Hingegen ist das Selbstbewusstsein im Umgang mit dem Diktator wichtig, denn er kann seine Untergebenen nicht verlieren (das ist nicht nur eine ökonomische Binsenweisheit). Vieles geht besser ohne ihn als gegen ihn, auch wenn es begrenzt ist. Zum obigen Beispiel: die Herabsetzung der Diktatoren erfordert nicht nur genaue Beschreibung und Bezeichnung, sondern auch Kommunikationspartner, die die mehr oder weniger gut verpackte Aufforderung zum Handeln verstehen und wenn möglich umsetzen).

Das kostet. Unsere Veränderung von Bewusstsein, die kritischen Linien, es kostet auch Geld (und für uns wahrscheinlich viel an Wohlstand und – Sicherheit ohnehin. Das müssen wir für unsere Kinder und Enkel verantworten, nicht mehr nur für uns – das vergessen die jetzigen Bürokraten des Populismus gerne).

Also das Gegenteil des Aufrufs zur freiwilligen Unterwerfung. Das Wohlwollen der Diktatoren ist ein Abbruch eines gut gelungenen Lebens vor dem Tod.

Hierarchien von Despoten und Faschisten

Nur ganz kurz, werte LeserInnen: fast die ganze Welt zeigt sich über Israels Angriff auf den Iran erfreut, und was das Ziel – die Atompolitik und Nahoststrategie des Landes – betrifft mit guten Argumenten. Die Frage, WER hier instrumentalisiert angreift, tritt in den Hintergrund, und selbst Netanjahu reduziert Gaza zum sekundären Kriegsziel. WAS angegriffen wird, steht im Vordergrund.

Der Krieg wird vielfach kommentiert, und der Luftschlag militärisch eingeordnet. Die iranische Antwort auf Tel Aviv, Rischon LeZion, Ramat Gan muss erklärt werden, was Relativierungen der israelischen Verteidigung beinhaltet – und zunehmend geraten die Kosten dieser Verteidigung in den Blick…

Das gegenwärtige Geschehen muss ich nicht meta-kommentieren, es ist sozusagen allgegenwärtig. Welche Despotie, welches faschistische System welches andere und warum angreift, ist hingegen Nachdenkens wert.

Und mein Punkt ist, dass die Rekonstruktion dieser ganzen Zusammenhänge den Abstand des Kommentars braucht, wir sind ja nicht die Medien….

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Die gleiche Auseinandersetzung hatte vor Jahren im Kosovo, ich hatte sie in Afghanistan, eigentlich ist sie älter und jedenfalls auf die Differenz von Wissenschaft und Medien angewiesen. Wenn man auf beiden Seiten agiert – umso schwieriger, nicht ausgeschlossen oder verboten, natürlich, aber kompliziert. Die Nachrichten, die Kommentare, die Einsichten – damit auch die Platzierung von Kritik und die Veränderung des eigenen Bewusstseins. Ihr könnt das ja studieren, indem ihr manche Journalisten über die letzten Wochen verfolgt und wie sie seit dem Iranakt sich neu positionieren.

Im übrigen scheint es im Konflikt-, gar Kriegsfall nicht so wichtig zu sein, ob beide Akteure oder einer von ihnen demokratisch oder diktatorisch regiert werden. Die obersten Befehlshaber bestimmen, was beim Ausgang des Konflikts wichtig werden sollte und wie es bis dahin wirken soll. Wenn die eigenen Wohnhäuser bombardiert werden, wenn es Tote gibt, werden sie anders vermenschlicht als die Quantitäten der Feinde. Übrigens ist das kein Privileg von Demokratie.

Dass in letzter Zeit, auch heute DLF 11.00, Demokratie selbst kritischer Prüfung unterzogen wird, ist in Ordnung, überfällig. Aber was in der Demokratie variabel funktionieren muss, und was eine austauschbares Rahmengebilde ist, das ist wichtig für unsere Diskussion, die Demokratie reformierbar weiter zu entwickeln, nicht sie zu stagnieren, wie Ungarn „illiberal“ oder wie Slowakei halbkriminell…

Der Abstand zwischen Wissenschaft, hier: und damit Politik, und Journalismus, hier: und damit Politik, muss keine Gegnerschaft bedeuten, kann Zusammenarbeit mit sich bringen. Aber das muss sich aushandeln lassen, nichts ist so wenig selbstverständlich wie die Deckungsgleichheit der Nachricht, die wir kommentieren müssen.

Sagt doch etwas zu Israel in den letzten 48 Stunden.

Deutschland dreht rechts

Der rechtsextreme Ausländerfeind Alexander Dobrindt schützt die faschistische AfD. Nicht jeder Rechtsextreme ist ein Faschist, das schützt Dobrindt zu Recht vor falschen Anschuldigungen. Aber über die Differenzen und Überlappungen seiner und der AfD Ideologie sollte man sich schon Gedanken machen: „Bundesinnenminister Alexander Dobrindt warnt erneut eindringlich vor dem Versuch, die AfD vom Bundesverfassungsgericht verbieten zu lassen. „Wer glaubt, man könne juristisch gegen die AfD und ihre Stimmungsmache gewinnen, wird ein böses Erwachen erleben“, sagte der CSU-Politiker den Zeitungen der Funke Mediengruppe.“(RP Online 7.6.25, vgl auch Artikel von dpa/epd/maw)

Schauen wir genauer hin. Der Kampf gegen angeblich linke und/oder ökologische Kulturhoheit ist ein Feuerwerk, das blendet und zugleich die wirklichen Entwicklungen verdeckt, von ihnen ablenkt. Und wenn man die Kultur, die Wissenschaft weiter so einschnürt und abbaut, wird die Folge über lange Zeit nicht reparierbar sein, was der neuen Rechten ja zupass kommt.

Ich sagte schon früher, Dobrindt wird von vielen rechtsdrehenden Deutschen hochgehievt. Und begleitet wird er von einer unangenehmen rechtsdrehenden Kulturpolitik. Wolfgang Weimer zum Beispiel „Er ist seit 2025 Staatsminister bei dem Bundeskanzler und Beauftragter der Bundesregierung für Kultur und Medien.“ (lest diese Biographie als exemplarisch für die Kulturverengung durch die Regierung Lenz: https://de.wikipedia.org/wiki/Wolfram_Weimer). Da ich nun seiner Vorgängerin und Parteifreundin Claudia Roth durchaus ambivalent gegenüberstand, ist hier keine Nostalgie gegenüber früherer Kulturdynamik im Spiel, sondern eher die kalte Hypothese, dass wir die demokratische Kultur bald auch brauchen werden, um der rechten Politik in die Parade zu fahren. Ulf Poschardt, der WELT-Editor, ist ein anderes Beispiel für die Kulturdestruktion von Rechts. Lest die Rezeption in der Biographie: https://de.wikipedia.org/wiki/ Ulf_Poschardt . Man kann der intellektuellen Rechtsdrehung vieles vorwerfen, aber sie ist weder dumm noch genuin Faschistisch. Sie gibt das Unbehagen mit der Wirklichkeit oft besser wieder als die Linken das tun, und ihre Kritik an der linken und liberalen Kulturpolitik und -ideologie hat eine Angriffsfläche, die man nicht beiseite räumen darf. Dazu muss man aber mehr wissen, als diese linke, ökologische, soziale Kulturglocke über der deutschen Wirklichkeit einfach als abgehoben (Lieblingswort der Rechten) zu kritisieren. Gerade diese Kritik müssen wir ernst nehmen und das bedeutet, die linke und liberale Kultur der letzten Jahrzehnte auch zu analysieren in Bezug auf beides: Opportunismus gegenüber der staatlichen Vereinnahmung und Verwechslung von Toleranz mit dem Zulassen von „allem“, das unter dem Etikett Kultur erscheint. Klar, das ist die Gratwanderung zwischen der Zulassung und Förderung des Neuen und der Abwehr des scheinbar Neuen und Originellen. Aber die Gratwanderung ist ja wichtiger Teil der Kultur selbst. Man kann diese Figur auch im Hinblick auf Vergangenheit abwandeln. Zugespitzt kann ich sagen, dass linke Selbstkritik zwar vorhanden ist, aber zu sehr in der eigenen Kulturblase und nicht in Konfrontation mit der neuen Rechten und vor allem mit den Gruppen, die sie nicht oder zu wenig erreicht.

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Wir können die gesamteuropäische, wenn nicht globale, also auch deutsche Rechtsdrehung und nationalistische antiglobale Entwicklung nicht leugnen oder den Kopf in den Sand stecken. Was uns bevorsteht, liegt nicht auf der Rechts-Links-Achse. Wir haben sie beispielsweise durch die völlig unzureichende kulturelle und soziale Politik nach Öffnung der Ostgrenzen mit befördert und verstärkt.

Das Aufbrechen der angeblichen Herrschaft einer bestimmten Ideologie über Politik und Kultur wird selten pluralistisch dargestellt. 1989 und in der Folge war so eine Situation, wo gerade die Kontroverse um die sich entwickelnde Demokratie keine Einheit zugelassen hatte. Eine Beispiel das Buch von Kogel, Schütte, Zimmermann, in dem 30 AutorInnen praktisch das gesamte Spektrum einer fiktiven R-L-Achse inclusive einer „Mitte“ abdeckten: „Neues Deutschland“ (Kogel, Schütte, Zimmermann 1993), da durfte ich auch schreiben, als Österreicher und Deutscher (Daxner 1993, S. 42-44). Da war etliches vorschnell und falsch, aber im Kontext vieles richtig, u.a. „“Es waren immer die deutschen Konservativen, die sich gegen die westeuropäische und amerikanische Zivilisation gewehrt haben, damit die Tiefe und Zerrissenheit der deutschen Kultur umso strahlender erscheine…“ (44). Die Konservativen hatten haben verdrängt, wie und warum die westlichen Siegermächte die Kultur nach 1945 wieder demokratisch aufs Gleis gesetzt hatten. Damals schließe ich mit dem Satz, „…die Linken haben dieses wohl auch verdrängt“ – das war nach 1989! Und diese kritische Position muss man heute nicht nur gegen Trump und Konsorten anwenden, sondern auch gegen seine subalternen, Gefolgschaften – das entlastet andere Diktatoren wie Xi und Putin keineswegs, aber es schärft unsere Pflicht, uns genauer zu positionieren.

Heute kommt mir eine DLF Sendung zu Hilfe, zufällig: Bürokratiemonster und Paragraphendschungel
Verwaltung in Zeiten der Kettensägen
.  (Stefan Kühl, 8.6.2025 DLF). Die rechte Zerstörung der auf Gleichbehandlung gerichteten staatlichen Bürokratie, ob in Argentinien, den USA (DOGE…) oder bei uns zerstört mehr als nur Abläufe. Es gefährdet unsere Sicherheit als Staatsbürger.

Besser, Dobrindt hält sich an die Gesetze.

Erwartung und Hoffnung – enttäuscht und getäuscht?

Dass Erwartung und Hoffnung nicht dasselbe sind, wissen wir, hoffentlich. Früh in meinem Studium und später in meiner Arbeit habe ich das gelernt und immer wieder bin ich dagegen gerannt. (Manche wissen, dass das von Ernst Bloch kommt, „Prinzip Hoffnung“, aber man kann es auch so verarbeiten).

Heute, einen Tag nach der Rückkehr von Friedrich Merz überschlagen sich die Kommentare mit allgemeinem Lob für sein Verhalten gegenüber dem Diktator Trump – und mit teilweisem ironischer Kritik an all dem, was erwartet oder eben nicht erwartet worden ist, und was auch nicht herausgekommen ist aus dem Treffen in der vergoldeten Ovalschüssel.

Was hat man denn erwartet?

Gemessen an dem, was man Merz tatsächlich zuschreiben kann, war er erfolgreich, wurde nicht gedemütigt und nicht auf schmalem Grat gefährlich hochgehoben, alles in allem ein Erfolg, gemessen an dem, etc. Eine Schlaufe gedämpfter Erwartungen. Hat jemand gehofft, dass hier ein Durchbruch geschieht, dass Trump nach dem Mittagessen rational zu Russland, zu den Steuern, zur NATO, zur Wissenschaft, zur Kultur… herauskommt, dass alles in Ordnung gerät, was eine Katastrophe ist? Gleichzeitig hat die rechtsradikale Mehrheit des Obersten Gerichts die Zerstörung der persönlichen Identität von Millionen Sozialversicherten gebilligt (Trump und Musk haben das noch gemeinsam initiiert) und so geht die Zerstörung von Justiz und Sozialpolitik weiter. Was hat das mit Merz‘ Besuch zu tun? Wenig und viel. Natürlich war ihm dieses Thema auch klar, und da kann er wenig gesagt haben, will er die Intervention der Trumpisten in unsere Binnenstruktur abbremsen (Die AfD Vorliebe und das Revival von Nazigedanken in den USA passt nicht ganz zum Gedenken an die amerikanische Landung in Europa, aber was solls, Geschichte lernt man ohnedies hier wie dort immer weniger). Was also Merz bei sich behalten hatte, aus welchen Gründen auch immer, ist auf der positiven Seite des Besuchs. Und unserer Erwartungen?

Die Erwartungen an Merz können noch steigen, wenn man seine Lernfähigkeit positiv einschätzt (Gott, ist das arrogant!, aber wie anders soll man denn seinen wenig gebildeten Start in einige Hoffnung umdeuten?). Aber Hoffnungen in den Diktator Trump setzen, steht der Vasallenpolitik in der NATO und eigentlich auch in der bewaffneten EU nicht zu. Wollen wir uns davon befreien, wenigstens die Vasallität lockern, dann wird das Geld und ein anderes Bewusstsein kosten. Beides wird in unsere bisherigen Lebenspraxis eingreifen, und hier gibt es einen mehr als dialektischen Widerspruch. Wir wollen nicht aufrüsten, natürlich nicht, wir wollen Frieden für uns und andere. Dagegen spricht nicht nur die Förderung der Rüstungsindustrie, da sagen sie: aber was soll man denn anderes tun? Und dagegen spricht eine unmenschliche Familiennachzugsbarriere, eine Sozialpolitik, die peinliche Vorzüge der Deutschen vor anderen, echten Menschen sichtbar macht (Dobrindt ist nur Leitfigur der Unmenschlichkeit, da ist schon das sog. Volk auch mit in der Haftung, übrigens nicht nur Arier, asuch in den letzten Generationen zugezogene Ausländer. Und das nicht nur bei uns, in allen europäischen Ländern, schaut nach UK). Aber was spricht dafür? Ganz hart gesagt: unser Überleben, wenn Russland früher angreift als (ohnehin) erwartet. Man kann hoffen, dass das nicht so schnell geschieht, aber erwarten kann man es nicht. rational. Und man kann hoffen, dass unser Vasallenstatus nicht so schnell ausebbt.

Und das alles ist keine verdeckte Argumentation FÜR mehr Rüstung und GEGEN Verhandlungen für Frieden.

Denn Krieg und Frieden liegen nicht auf derselben rationalen Linie. Der Beginn und das Ende von Krieg hat andere Bedingungen als der Beginn und das Ende von Frieden. Hier kommt natürlich Politik ins Spiel, und da kann man nur HOFFEN, dass die Erwartungen an Merz und die Regierung sich richtig entwickeln. Aber da kommt auch unser persönlicher, privater, subjektiver Lebensumkreis, unsere LebensQUALITÄT ins Spiel, und deshalb müssen wir uns um die Spielregeln kümmern, solange wir eine Demokratie sind. wenn der europäische Faschismus voranschreitet, haben wir schon verloren. Und der schreitet ja voran und steht auch bei uns vor der Tür. Da hatte Merz recht, wenn er die AfD Freunde von Fox zurückweist. Aber Vorsicht, bis in die Regierung hinein gibt es auch bei uns genügend Demokratiefeinde, die darauf setzen, dass sie mit einer zerstörten kritischen Kultur besser durchregieren können als mit uns. Werch ein Illtum!

Korrekturen, standfest

Lernt man etwas dazu, kann man seine Position bestätigt sehen oder man kann sie korrigieren. Trivial?

Was heißt „etwas“ und wozu dient das „Dazu“?

die billigen Bestseller über unsinnige Inhalte knallen an diesen Fragen vorbei. (gebt einmal „Unsinn“ ein, die Liste ist unübersehbar…). „Etwas“ ist nicht irgendetwas, sondern ich suche mir schon etwas aus, oder Leserin sucht sich etwas aus, oder etwas wird uns auferlegt….

und wenn es um Dazulernen geht, dann hat dieses Etwas eine offene Flanke, die mir wichtig ist, nicht irgend eine.

Das wird aber jetzt didaktisch und beleuchtet die Schulbildung und den ansonsten langweilen Feierabend, an dem es besser ist, etwas dazuzulernen als nur in die Glotze zu schauen? Nein, so billig ist der Gedanke nicht.

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Ich bin draufgekommen, mich zu fragen, was ich warum dazugelernt habe, an drei sehr realen politischen Ereignissen der letzten Jahre: meinem Abschied von Afghanistan, dem Krieg Russlands gegen die Ukraine, und der Situation zwischen Israel und dem Gaza. (Es gibt natürlich noch viel mehr, aber die Dauer und Intensität der Korrekturen treten vor alle anderen). Keine langen Abhandlungen, ein Fazit:

Afghanistan: Nach Fertigstellung des Archivs und seiner Vergabe an eine Universität eigene Umstufungt von einem Experten zu einem Laien. Das hat(te) schon eine Menge Auswirkungen auf Kontakte, Kommunikation, aber für mich auch eine Verengung der hinzukommenden Informationen und eine große Menge von allmählich verflachten Erinnerung, vieles geht verloren, manches muss ich selbst nachlesen, um es wieder zu wissen. Zeit: Vergangenheit. Was das mit meinem Leben zu tun hat? Naja, immer mehr wird mir klar, dass die Jahre 2003-2016, genauer mit Archiv 2024. doch viel Lebenszeit gedauert haben, in der andere Beziehungen, Handlungen und Reflexionen zu kurz gekommen sind und kaum mehr nachgeholt werden können. Im Ergebnis nicht zufriedenstellend.

Russland / Ukraine: Ich kannte Russland seit 1987 hauptsächlich akademisch, Moskau bis weit nach Osten (Irkutsk), Schwerpunkt Novosibirsk. Die Ukraine lernte ich aus der Literatur und punktuell in Odessa kennen, projektbezogen, unpräzise. Das änderte sich zwar mit dem russischen Angriffskrieg, aber es wäre übertrieben, jenseits der grundlegenden Fakten des Kriegs seit 2015 wirklich etwas über die Ukraine zu wissen, gar sie zu kennen. Meine Parteinahme beruht auf Informationen durch glaubwürdige Bekannte und wichtige Literatur, und auf politischen Einschätzungen, auch hier politisch laienhaft, wenn auch ziemlich präzise.

Israel: Seit 40 Jahren war ich oft in Israel, aus verschiedenen familiären, freundschaftlichen, politischen und wissenschaftlich Gründen. Ich kannte auch die Westbank und ihr verschlechterter Zustand, ich erfuhr unterschiedliche Besatzungsstadien, aber kaum direkt und persönlich Gaza. Umso mehr lernte ich darüber schon vor dem 7. Oktober 2023, und erst recht in der Zeit danach bis heute. Dass ich die Situation heute als Israel und Gaza bezeichne ist ein Lernergebnis, das sicherlich durch mehr als laienhafte Literatur, Geschichtsstudien, Kommunikation, Forschungsteile, akademische Lehre bestimmt ist. Hier kann ich das Ergebnis von jahrzehntelanger intensiver Studienarbeit in einem meiner beruflichen Bereiche ebenso angeben wie die Erkenntnis, dass das nach vorne offene wissenschaftliche und persönliche (subjektive) Ergebnis kein Ende finden kann und darf, und deshalb beides ist: brauchbar für andere und angreifbar.

Auf die Frage „wozu“ das dient, kann ich bei den bei Afghanistan und der Ukraine sagen, sie helfen meiner politischen moralischen Allgemeinbildung. Israel hat etwas mit einer Identität zu tun, die im Strauß meiner Identitäten immer wichtiger wurde:: Jude vs. jüdisch, Zionismus vs. Anti-, Revisionistischer, etc. Zionismus, Religion vs. ethnischer Entwicklung etc. Und wenn ich heute Israel und Gaza sage, und nicht Juden und Araber, oder jüdisch vs. islamisch etc. so sind das alles Ergebnisse von denken und von lernen, vor allem von ständiger Selbstkorrektur durch Bildung.

(Das klingt konservativ-deutsch, Bildung…aber ich betone die Korrektur, und die fällt bei Israel und Gaza kontinuierlich und ohne Rücksicht auf Reaktionen aus, bei Afghanistan ist sie früher so gewesen und seit längerem nicht mehr, und bei der Ukraine gar nicht im Sinne gebildeter Autorität).

Von diesen drei Varianten leite ich auch meine Offenheit gegenüber den Kommentaren zum politischen und gesellschaftlichen Geschehen ab, und mittlerweile kommentiere ich nur mehr die Kommentare zu Israel und dem Gaza. Früher war das zu Afghanistan auch, aber eben als Laie nicht mehr.

Hinter diesen Gedanken steht auch die fast aggressive Abwehr der diktatorischen „alternative news, truths etc.“, die Wirklichkeit muss die Wahrheiten überbauen, und unerträglich konkurrierenden Wahrheiten muss etwas überbaut werden, das im Singular wirklich zählt, z.B. Gerechtigkeit.

Das kann zu Praktiken führen, führt zu Kontroversen, zu Informationspraxis und Kritik. Es trägt dazu bei, beim Älterwerden nicht stehen zu bleiben (etwas gemein, wenn ich sage, dass bei vielen die Standpunkte eine Abwehr von Wirklichkeit bedeuten – Beispiele habe ich in meinen Blogs viele gebracht, heute ist also „meta“. Ich lade euch zum Nachlesen ein.

Literaturhinweise zu Afghanistan und zu Israel gebe ich gerne, fragt nur an.

Kampf um das „Jüdische“ bei Juden und Nichtjuden

Nur ein Nachschlag. Mir geht es nahe, wenn jüdische Stimmen, nein, die Stimmen von Juden und Jüdinnen, nicht wirklich jüdisch, sich jetzt an die Seite des Faschistenführers Netanjahu und seinem rechtsradikalen Kabinett stellen, wenn sie meinen, dass Kritik an Israel automatisch der Hamas und anderen Verbrechern hilft, als könnte man nur einen Gegner haben.

Ruth Beckermann, Jüdin und eine starke intellektuelle Stimme in Österreich fasst etwas zusammen: https://www.derstandard.at/story/3000000271150/gazakrieg-wenn-der-hass-zu-gross-ist Davon ein Absatz mit den wichtigsten Begriffen, die ich hervorhebe.

Nicht, weil mir viele Juden meine Interviews kurz nach dem 7. Oktober vorwarfen, in denen ich trotz allem Entsetzen versuchte, das Massaker in einen historischen Kontext zu stellen. Seither ruft das Wort „Kontext“ immer wieder einen Aufschrei hervor, so als würde man den Opfern die Schuld geben, wenn man das Massaker in eine Geschichte der Besatzung einschreibt. So verständlich, wenn auch schrecklich, die Haltung eines Großteils der israelischen Bevölkerung ist, die von zensurierten Medien mit einseitigen Nachrichten gefüttert wird und so gut wie keine Bilder und Filmaufnahmen aus Gaza zu Gesicht bekommt, so unverständlich scheint mir die Haltung eines Teils der Juden in der Diaspora, die doch zu Analyse und Kontextualisierung fähig sein sollten. Und zu Kritik an einer faschistischen Regierung, die in unser aller – aller Juden – Namen zu handeln vorgibt. Die uns für ihr Morden und ihre Eroberungspläne vereinnahmt.

Um etwas besonders konkret zu machen: es geht nicht „nur“ um die Geschichte der Besatzung, es geht um Netanjahus Unterstützung der Hamas gegen die zivilen palästinensischen Bemühungen um Zweistaatenlösung (Dass die Hamas dem israelischen Premier entglitten ist stimmt. Und dass dem Massaker vom 7. Oktober nichts an Ablehnung zu ersparen ist, einschließlich der Folgen für die mehr als 1000 Toten und die hunderten Geiseln, braucht niemand in Zweifel ziehen).

Das könnt ihr alle wissen, und im Detail.

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Mir (jüdisch, deutsch, österreichisch) geht es um etwas anderes: wenn innerhalb des diasporalen Judentums – und den rechtsextremen Regierungsunterstützern in Israel – ein Konflikt um die „richtige“ Position der Juden und Jüdinnen weltweit, also auch in Deutschland, entstanden ist, so ist das weder Zufall, noch besonders neuartig. Seit Theodor Herzl geht der Konflikt, und viele haben den Schritt vom Judenstaat zum jüdischen Staat bis heute nicht verstanden. Der reaktionäre Rückschritt zum Judenstaat (das sind nicht nur Katz und Ben Gvir, das sind viele, vor allem Siedler und Ultrareligiöse) ist am besten zu verstehen, wenn man die Bindung dieser Menschen an Diktatoren wie Orban oder Trump analysiert – Ultrareligiös widerspricht der jüdischen Religion, und die Siedler sind überwiegend eroberungssüchtige Faschisten. Als Jude verwende ich diesen Begriff ungern, aber das Juden Menschen wie alle anderen sind, können sie auch faschistisch sein.

Lest aber wirklich die Geschichte des Judenstaats, lest Oz, Grossmann, Segev, Kepel, Neyer u.v.a., auch Ruth Beckermann, denen manche Juden das Jüdischsein absprechen, klingelt da nicht etwas?

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Wenn ihr deas gemacht habt, dann bitte ich um eure Aufmerksamkeit für eine These: nicht alle Juden sind jüdisch. Dabei beziehe ich mich bei Juden (d.h. Juden und Jüdinnen im weitesten Sinn) auf die anthropologische und ethnologische Geschichte, könnt ihr gut ab Abraham verfolgen, aber dort gibt es schon die Spaltung…Und da alle Juden Menschen sind, können sie alles repräsentieren, was eben Menschen repräsentieren.

„jüdisch“ ist ein Adjektiv oder Adverb, das sich auf eine bestimmte Qualität bezieht. Und bei dieser Qualität behaupte ich, dass sich ein Begriff herausentwickelt hat, der ethische, moralische, kulturelle und soziale Dimensionen hat, die nicht zuletzt aus dem Widerstand und der Überwindung von Diskriminierung, Verfolgen, Vertreibung und Lebensbedrohung erwachsen ist. Kein Privileg, kein Makel am Judentum, sondern eine ihrer Entwicklung entsprechende Konsequenz, hochdifferenziert, und für viele in eine Perspektive von Freiheit(en) eingemündet. Für viele, d.h. zu einem Zeitpunkt, aber für viele vor 130 Jahren.

Wenn sich Netanjahu und sein Kabinett und seine Hilfstruppen den ethischen Dimensionen, den moralischen, sozialen, kulturellen entziehen und faschistische und unterdrückende Politik betreiben, dann sind sie nicht jüdisch im Sinne der historischen Entwicklung, auch wenn sie Juden bleiben. Darum muss man sie dort kritisieren, wo sie unmoralisch handeln, wo sie sich mit Faschisten einlassen, kein Wunder, und von Demokraten abwenden, und das alles innerhalb des Judentums und von außen.

Deutsch-Israelische Verbindung, ergänzungsbedürftig

Der Krieg im Gaza weckt viele Assoziationen. Wissenschaftliche, kulturelle, journalistische. Alles, was dazu gesagt und geschrieben wird, bekommt eine gewisse Entfernung zu unseren festgelegten Vorstellungen und dem, was wir zu wissen meinen, und je nach Distanz dann zu positiven und negativen Urteilen. Wenn wir einigermaßen viel wissen, dann erweitern wir diese Urteile um Beziehungen, z.B. von Gaza mit der West Bank, oder zwischen Netanjahu und seinen faschistischen und ultrareligiösen Koalitionären: das befestigt beides, Urteile und Vorurteile. Omer Bartov rezensiert 11 Texte zum Gaza, und schreibt einen harten zwölften (Bartov 2025). In einer langen und extrem genauen Einleitung vor den Rezensionen vergleicht Bartov die Struktur des aktuellen Konflikts mit den Deutschen und Hereros 1904. Er vergleicht, setzt nicht gleich. Aber die Herabsetzung der Hamas, zum Teil als Tiere (drusischer Generalmajor), und ihre Gleichsetzung mit Nazis (Dina Porat 2023) zeigen die Wirklichkeit der Auseinandersetzung, keine hegelianische Draufsicht auf eine Schlacht. Bartov erwähnt nicht die frühere Beziehung von Netanjahu zur Hamas, aber er geht weit in der Assoziation des jetzigen Kampfes in die Gewaltgeschichte, und was es mit der Tatsachen von den Juden als Weiße und der Hamas eben nicht-weiß auf sich hat. Dann ein Paradigmenwechsel, den ich schon wusste: Peter Beinart wandelte sich vom Israel-Fan zum scharfen Kritiker des Zionismus. Unbedingt lesen Peter Beinart – Wikipedia (25.5.2025) – und Bartov steigt jetzt in die Geschichte der Beziehungen zwischen Zionisten als immigrierte Juden und Palästinensern ein, mehrere wichtige Autoren, darunter der Enkel von Zygmunt Bauman, der sich – m.E. zu Unrecht – für „Apartheid“ ausspricht. Es steht hier noch mehr, aber wichtig ist die Rezensionskultur jenseits der politischen Verbarrikadierung, und wichtig sind zwei Bemerkungen: a) meine Geschichte der Zuneigung zu Israel ist ungebrochen, gerade und vielleicht zur Zeit weil ich Netanjahu ohne heimische Rücksicht angreife. Es geht bitte um Israel und um die Palästinenser und nicht einfach um deutsch-israelische Beziehungen. b) Bitte lest an dieser Stelle meinen Blog vom 25.5. zu Berest und vor allem zu Amos Oz. Zu Bartovs Essay eine Coda, wonach die jetzige Entwicklung des „Genocide in Gaza will finally liberate Israel of its status as a unique state rooted in a unique Holocaust“ (Weil der zweite Satzteil so nicht stimmt, kann die Prämisse auch nicht richtig sein, aber sie ist ein rhetorisch gefährliches Argument, was Bartov meint, ist klar.

Ich lese viel Kommentare und Metakommentare zu den Ereignissen in Israel, Gaza und der Region. Und immer, welche politischen Intentionen die beteiligten Großmächte ihrerseits kommentieren, USA, UN, Türkei, Iran, Saudis, Ägypten, etc. und wie das in Deutschland hervorgehoben oder minimiert wird. Kein Zweifel, einige Finger zeigen immer auf unser Land, wie soll Hegels Heimat objektiver sein als der Rest der Welt – oder moralischer?

Dazu schreiben Shimon Stein, ehemaliger Botschafter, und Moshe Zimmermann, Wissenschaftler und Journalist, eine heftige Kritik am wohlgepflegten Umgang der beiden Länder miteinander (Stein and Zimmermann 2025). Der komplexe Rückblick auf die Beziehungen wird analysiert und dann resümiert: „Jeder Rückblick muss sich auch von Mythen verabschieden, vor allem von dem Mythos, das Primat der Erinnerung an den Holocaust sei der entscheidende Faktor (oder Störfaktor), erst auf dem Weg zu diplomatischen Beziehungen, dann auf dem Weg zur erhofften „Normalisierung“ dieser „besonderen Beziehungen“ gewesen“. Die Normalisierung in „“ ist wichtig, denn was an den Beziehungen ist „normal“, inclusive der Formel von der Staatsräson?

Und noch etwas, eher nicht alltäglich. Wenn man die Geschichte und Wirkung des Zionismus (bitte hier nicht des revisionistischen Zionismus und der Antizionisten) auf- blättert, dann ist die Rückseite der Trumpfkarte, Palästina, unerlässlich, schon lange vor der Staatsgründung und Nakba und den vielen Konflikten und Kriegen davor und danach ((Segev 2001, Segev 2005, Khalidi 2024) u.v.m. Und zwar auch, wenn man auf israelischer Seite des jüdischen Staates steht, nicht des Judenstaates. Und heute ist die Hamas eben nicht deckungsgleich mit Palästina und den -ensern, aber ihre Geschichte geht auch zurück bis lange vor der Nakba und dem Wechsel von der Avoda zu den Revisionisten.

Natürlich reagieren sehr viele jüdische Intellektuelle auf den 7. Oktober, viele, die ich sehr schätze und etliche, die ich nicht wertschätze oder auch nicht verstehe. Reaktionen wie bei Eva Illouz oder Delphine Horvilleur beleben das Nachdenken. Dazu später. Beide kommen auch bei Lea Streisand vor (Streisand 2025), und da passiert mir typischerweise etwas, das immer häufiger vorkommt. Ich verstehe fast jeden Satz, aber ich verstehe den Kontext des Essays nicht, die Schlussfolgerungen, das eigene Befinden, das sich mitteilt. Beispiel: „Verzweiflung ist jeher Bestandteil der Jüdischen Kultur“ – Unsinn. Natürlich jeder Kultur. Nun bin ja nicht dumm oder oberflächlich lesend. Ich nehme die Verwirrtheit des Textes wahr, die nicht einer der Autorin ist, sondern das Resultat einer zu umfangreichen Verwirrung der Phänomene des 7. Oktober, aber mit dem Fehlen seines Zustandekommens. Man kann sagen, dass die Kritik der Handlungen und Ereignisse für sich nicht viel über das Zustandekommen aussagt. Das ist nicht trivial, bedenkt man Netanjahus frühe Verbindung zur Hamas.

Es gibt viele verwirrte, verwirrende Texte zur Wirklichkeit in Israel und Palästina, und es gibt doch Einsichten, oft unangenehme. Nicht nur persönlich, auch politisch, auch Deutschland in seiner besonderen Beziehung betrifft (als Österreicher sage ich, in meiner Heimat gilt das auch, aber anders. Darüber an anderer Stelle). Wenn es um Wahrheit(en) geht, halte ich Omri Boehm für wichtig: es gibt nicht eine Wahrheit, aber es gibt Gerechtigkeit (Boehm 2023, Boehm 2025). Immer wichtig ist, dass Kommentare zum Judentum und zu Israel, Gaza etc. nicht deckungsgleich, sondern überschneidend sind. Das wird in Deutschland schon kritisch verarbeitet, vor allem in der liberalen Presse: Israel und Gaza auch als Tandem (Vgl. SZ 7.5.2024 Kristiana Ludwig), oft auch hier historisch etwas zu kurz. Auch politisch-theologische Rahmenerzählungen sind für nichtjüdische Beobachter schwer zu verstehen, für jüdische oft verwirrend (z.B. ZEIT 10.4.2025 Avner Ofrath: Wo geht’s zur Freiheit?“).  Was wir verstehen, sind tatsächliche Maßnahmen für Menschen gegen den Strom, z.B. (Wahba 2025). Soviel Rettung, die von der Bürokratie in vielen Fällen verweigert wird, nicht nur in Israel und Gaza.

Nun ist seit wenigen Wochen die weltweite demokratische Kritik am Regime Netanjahu gegen die Menschen in Gaza, nicht nur gegen die Hamas, differenziert und universell, hat mit Judentum wenig zu tun. Aber gerade deshalb ist es wichtig, falsche Anklagen gegen Israel zu erkennen und zu kritisieren: „Warum der Vorwurf des Genozids und des Aushungerns gegen Israel historisch falsch, unehrlich und antisemitisch ist“, lautet der Untertitel eines längeren Aufsatzes von Eva Illouz (Illouz 2024) „Völkermord? Im Ernst?“.

Das nimmt nichts von Netanjahus Grausamkeiten, aber es muss sie einordnen. Illouz analysiert hier vor allem Völkerrecht, sie kritisiert die Verbindung der Klage des IGH von Israels  Regierungschef („extrem unehrenhafter Mensch und ein grauenvoller Staatschef“) mit dem Hams-Führer Mohammed Deif und nicht Mohammed Sinwar. Da muss man sich aber schon auskennen! Das alles analysiert und beschreibt Illouz ein halbes Jahr vor den Angriffen und der Aushungerung durch Israel in den letzten Wochen, und das ist auch wichtig: wann wer welches Urteil fällt. Die Zusammenlegung von Zeitspannen und Augenblicken ist ein oft probates Mittel, die Urteile über Konflikte zu verschieben oder zu verzerren.

Ich verlasse hier alle meine Analysen, laienhaft in vieler Hinsicht, der ausländischen Eingriffe in die israelische Politik, auch die offenkundig verlogenen und im Kern antisemitischen des Diktators Trump. Aber wichtig ist eine Verbindung des Diktators mit seiner Zerstörung von Wissenschaft und Kritik: Yale-Philosoph Jason Stanley: „Trump sieht die Universitäten als Feind“. Trump gehe es bei seinem Feldzug gegen die US-Universitäten nicht um Ideologie, sondern um Macht, sagt der US-Philosoph. Trumps Ziel sei es, das Universitätssystem zu zerstören, so wie es alle Autokraten tun. Der Satz ist wichtiger als vieles: denn es rechtfertigt nicht, auch in Fragen des Judentums und Antisemitismus, den USA Vorzug vor anderen Diktaturen zu geben.

Und wieder mein Zusatz: wie soll man denn mit den pro-Hamas meist ausländischen Studierenden umgehen? Das gilt für die USA wie für Europa, wie für Berlin. Diese Bande ist auch ein Produkt falscher Toleranz statt kritischen Umgangs mit Eingewanderten – v.a. aus dem Nahen Osten insgesamt. Jetzt ist der Korridor der Abwehr schmaler und geschwächt, hier wie dort.

Das ist nicht mein letzter Kommentar zur Wirklichkeit des deutsch-israelischen Konflikts, der Frage nach dem Sinn der Staatsräson, der Kritik an den lückenhaften historischen Festlegungen. Er ist auch unfertig, lasst das Judentum, mich jüdischen Menschen, auch dazu lernen, aber nicht ahnen.                                                                                                                              

Deutschland und Israel: Antisemitismusbeauftragter warnt vor Missbrauch der „Staatsräson“ 25.5.2025 (RND)

Bartov, O. (2025). „Ìnfinite License.“ `NYRB LXII(7): 54-58.

Boehm, O. (2023). Radikaler Universalismus. Berlin, Ullstein.

Boehm, O. (2025). „“Schaut auf Buchenwald“.“ ZEIT 2025(15).

Illouz, E. (2024). „Völkermord? Im Ernst?“ SZ(29.12.2024).

Khalidi, R. (2024). De hundertjährige Krieg um Palästina. Zürich, Unionsverlag.

Segev, T. (2001). One Palestine, complete. Jews and Arabs under the British Mandate. London, Abacus.

Segev, T. (2005). Es war einmal ein Palästina. Berlin, Siedler.

Stein, S. and M. Zimmermann (2025). „Wir sprechen unterschiedliche Sprachen.“ ZEIT 2025(19).

Streisand, L. (2025). „Antisemitismus: Empathie ist nicht die Lösung, Empathie ist das Problem.“ FAZ.

Wahba, A. (2025). „Sie waren still. Fast gespenstisch still“ ZEIT 10.4.2025

Oz, Berest, vorgestern und heute

Autobio Biofiction Biojüdisch

Zwei Bücher haben mich animiert, biographische und jüdisch-israelische Themen zu verbinden. Keine Rezension, allerdings, sondern Wirkungsgeschichte und ihre Folgen.

(Oz 2016, Berest 2023) :Amos Oz: Eine Geschichte lon Liebe und Finsternis, Ffm 2016, Suhrkamp; Anne Berest: Die Postkarte. Berlin 2023, Berlin Verlag

Oz`Buch erscheint 2002, da ist er 53 Jahre alt, und der Schwerpunkt des Buches ist seine Familiengeschichte und seine Kindheit und Jugend. Da ich viele Bücher von ihm kenne und gelesen habe, ist sowohl die Retrospektive (alle Großeltern und ihre Geschichte, die Verwandtschaft) ebenso wichtig für mich wie der Einblick in die wirkliche Geschichte Israels vor und nach der Unabhängigkeit. Und die Tatsache, dass viele Textstellen heute zugerechnet werden können.

Anne Berest ist 1979 in Paris geboren, ihr Buch ist einer der autofiktionalen Romane, die die Biographie verdichten und auf die wirkliche Geschichte hin verdichten. Hier liegt eine Beziehung zu Oz`Kultur, und für den Leser ist es wichtig, auf beiden Ebenen beider Texte zugleich zu sein: einer jüdischen Familiengeschichte, incl. der Frage, was ist jüdisch?, und die Frage, was mich/jemanden an der Gesellschaftsgeschichte interessiert, warum und vor allem wie.

*

Oz schreibt sein Buch mit 52, seine Lebensorte waren Jerusalem, Kibbuz Hulda und Arad, und er geht von seiner Kindheit aus, um die Geschichte seiner Großeltern und des Rests der Familie und näheren Bekannten zu rekonstruieren, oft mit genauen Details, aber nicht als Dokumentation, sondern es hat immer etwas zu tun mit seiner Lebensgeschichte und ihrer (ersten?) Revision, eingebettet in die Geschichte Israels, dessen Staatsanfänge er ja als Kind miterlebt. Er ist klug, frühreif, und agiert als Kind, mit und zwischen Vater und Mutter nicht nur wie Kinder agieren, sondern wie er selbst mehr als 30 Jahre später dies im Kontext von Familie, Gesellschaft bewertet. Von hier versteht man den Titel, und „Liebe und Finsternis“ sind keine übertriebenen oder pathetischen Worte, wobei die Finsternis tiefe Schatten auf die Liebe wirft, sie aber nicht auslöscht; umgekehrt kann die Liebe die Finsternis nicht aus dem wirklichen Leben vertreiben, wenn Oz genial die Beziehungen der Familienmitglieder und anderer Konstellationen beschreibt, aber nicht glättet. (Zur Geschichte des berühmten Onkel Joseph Klausners müsste ein eigener kritischer Artikel geschrieben werden, da bin ich noch nicht). Nicht parallel, sondern verbunden damit ist die Entstehung des Staates Israel, seinen Vorgeschichte in vielen Fächern der Familie, aber auch deren Vorgeschichte in einer Welt, von der wir heute keine Vorstellung mehr haben, und die Oz 2001 auch nur rekonstruieren kann.

Oz erklärt, als wäre es heute. Seine Abwendung von den revisionistischen Zionisten und Menachem Begin ist beeindruckend gegenwärtig. Aber auch: es gibt natürlich keine eindimensionale Geschichte des Zionismus, und rechtslinks ist die zweifelhafte Dimension, ebenso wie Religion und Abstammung, Sepharden vs. Ashkenasim. Und das alles vor 25 Jahren, seine Geschichte geht also mehr als 50 Jahre zurück. Und er bleibt Zionist, und da kann die gegenwärtige Diskussion viel lernen, aber auch die Übernahme der Geschichte in all ihren Dimensionen, und nicht nur in den glättenden, opportunen (Vgl. Amos Oz – Wikipedia , die kurze Biographie lohnt wirklich).

So berühmt, vielfach geehrt und rezipiert, bedarf es keiner Metarezension. Sondern vielleicht einer Wahrnehmung, die sich an die Regel hält, sich als Leser mit dem Text und nicht mit dem Autor zu verbinden. (Oz S. 54ff.) Was mir unter anderem auffällt, sind viele Analogien der Verwandtschaft (inclusive der seltsam genauen Übereinstimmung von familiären Geburtsdaten der Großeltern und nahen Verwandten: S. 288: Familiendaten der Mutter Fania. Analog zu meiner Familie), aber keine der Biographie selbst, jedoch wiederum etliche der Reflexion auf diese Biographie, Jahrzehnte später. Die nachholende Festlegung von Wirklichkeit, die man nachträglich ohnedies nicht ändern kann, ist beeindruckend, wenn es um wirklich tragische persönliche Ereignisse geht, aber auch positive Zustände in einer komplexen Situation. Mich fasziniert auch die Erzählung der Familiengeschichte in zweiter und dritter Dimension, etwa von seiner Tante Sonja, der Schwester seiner Mutter. Die Verbindung zur Politik wird früh sichtbar, als gäbe es keine nichtpolitische Herkunftsgeschichte, und das wird später aufgegriffen: (z.B. 314 f. Nationalismus der Jugendlichen damals. Wichtig „Das hatte sehr, sehr viel Ähnlichkeit mit dem, was man heute hier bei den Palästinensern erlebt, nur ohne das Blutvergießen, das sie anrichten. Bei den Juden sieht man heute kaum noch solches Nationalbewusstsein“. (Erzählt Tante Sonja über Rowno, ihre Herkunft – 20er 30er Jahre)). Aber all das ist von einem überragenden Autor komponiert, so dass man unterhalb der bewussten Ereignisse Einblick in die Existenz der Betroffenen hat, die immer beides ist: persönlich und gesellschaftlich).

Hier kann ich eine Brücke auch zur Lektüre von Berest einrichten, für die es ja Hier kann ich eine Brücke auch zur Lektüre von Berest einrichten, für die es ja weitgehend um einige Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts geht, als rekonstruierter Rückblick, und vielfach hat ihre Mutter die Rolle von Oz‘ Tante Sonja. Für mich als Leser ist einer Unterschiede, dass ich bei Berest keine Vergleiche mit meiner Biographie anstellen kann (außer in der Frage, was eigentlich ist, wenn man „Jude ist“), während die Differenz zu Oz‘ Biographie sich ja wie ein alternative Text, wie eine andere Melodie liest und man schon seine Interessen an seiner Geschichte bei sich überprüfen muss. Und eine wichtige Frage: was wissen WIR von Israel, auch was wissen WIR von Frankreich, wirklich? Und wieweit glätten wir, was wir wissen, um unserer Anschauung willen, um der Wahrheit, nicht der Wirklichkeit willen?

Sein Buch ist natürlich nicht nur die Geschichte der Kindheit und Jugend, vom 50jährigen erzählt und reflektiert und nach weiteren 25 Jahren gelesen und kommentiert. Aber diese Geschichte muss sein. Ergänzt durch Berest, aber Oz nimmt mich retro auf, in Arad, dann sprechen wir über die Kindheit und ihre Politik und dass es nicht möglich ist, irgendetwas aus dem Kontext „wieder gut zu machen“, so gut wie nichts.

Am Freitag 23.5.2025 äußerte sich auch Bundespräsident Alexander Van der Bellen. Gegenüber der „Kronen Zeitung“ sagte er, dass zwischen einer „unverrückbaren Haltung zum Staat Israel“ und der Kritik an der aktuellen Regierung des israelischen Regierungschefs Benjamin Netanjahu „speziell im Fall Gaza“ unterschieden werden müsse. (ORF 23.5.2025). Es ist erstaunlich, wieviel Oz vorhergesehen hatte, und wie er manche seiner Positionen im Lauf seines Lebens und seiner Reflexionen änderte oder korrigierte, aber immer seiner politischen Ethik und Kritik treu blieb. Vielleicht ist es das, was mich zum zweiten Mal und ausführlich diesem Buch von Oz zugetrieben hatte. Ich habe gelernt und korrigiert. Zum Beispiel die Lektüre von Samuel Agnon. Und da treffe ich mich mit der jugendlichen Selbstdarstellung des Oz: die kann man als Erwachsener zurücknehmen…

Und zur heutigen Debatte über das Verhältnis Israels zu Deutschland, zum Reparationsabkommen zwischen Adenauer und Ben Gurion. Es wird zwar dauernd zitiert, aber es fehlt etwas – dass Israel die Zusammensetzung der deutschen Regierung, Justiz unter den Umständen deutscher Reparationen akzeptiert. Das sagt in Deutschland heute niemand in der Politik, obwohl wir alles wissen könne, zu Globke (Adenauers rechte Hand), und vgl. Stein/Zimmermann, ZEIT 8.5.2025). Dazu S. 807f. bei Oz.

Und wir können nicht anders als die Beziehung zu Israel, die Wertung des Kabinetts Netanjahu und seiner rechtsradikalen, zT. faschistischen und rechtsreligiösen Kabinettsmitglieder und Gefolgschaft auch mit den Kriterien zu messen, die Oz ein Leben lang in einem Korridor von Wertungen entwickelt und vertreten hat. (Nur Zyniker können dem vorwerfen, man würde Palästinenser bewusst ausklammern und verkleinern im Vergleich zur Kritik an Israels Regierung. Immer die Geschichte der Hamas zeitgleich mit der Geschichte Israels im richtigen Kontext bemessen(.

Ich empfehle beide, Oz und Berest.

Für meine Freunde in Israel