Retrogegenwart und Vergangenfutur

Der Diktator Trump erkauft und erdroht sich seinen Nobelpreis. Wahrscheinlich knicken alle vor ihm ein, die Speichellecker, Faschisten, Naiven und Gutgläubigen. Lasst ihm den Preis, wenn er izhn erhält, wird der alternative Friedenspreis umso wichtiger sein, und an der Vergangenheit kann der Diktator ohnedies nichts ändern. Was Frieden heisst, kann man ja bei George Orwell in 1984 gut nachlesen. Außerdem, Nobel und sein Dynamit sind ja auch nicht glatt eindeutig…

Ein Freund schenkte mir ein Buch: „Brief an die Amerikaner“ von Jean Cocteau, übersetzt von Paul Celan (Düsseldorf 2025: Rauch). 1949 in einer Flugnacht von New York nach Paris geschrieben. Und als Vorwegnahme der Gegenwart wieder aufgelegt.

Cocteau (1889 – 1963) war schon ein wichtiger Künstler und Intellektueller in Frankreich vor, im und nach dem zweiten Weltkrieg. Seine Reaktion auf die Tage in New York, )Neuyork bei Celan) sind doch nicht die reaktionäre europäisch-konservative Zweiteilung der westlichen Welt in Kultur vs. Zivilisation, aber gerade das kann man bei der Lektüre auch verstehen.

Er vergleicht implizit, manchmal auch deutlicher, die USA mit Frankreich. Seine Kritik an Frankreich ist dem schon berühmten Künstler und Intellektuellen anscheinend wichtiger als die Kritik an den USA, aber hier geht es um das Wegziehen des Vorhangs vor der kulturellen Wirklichkeit Amerikas.

Das Ganze ist schnell, fast fiebrig hingeschrieben. Es geht Cocteau auch um die Schlussfolgerung aus der amerikanischen Art Kunst wahrzunehmen, sich einzunehmen. Mitten im Flug beschwört er sie „(Meine Dankbarkeit…) beschwört Euch (diese Zeilen) nicht zu lesen, während Euer Rundfunk <Musik für Lesende>sendet“ (S. 33). Und vorher, fast pathetisch, warnt er vor der Kunst als „Zerstreuung“, sie sei eine „Weihe“. (S.32). Später wird die Kritik fast gefährlich in ein Retro verpackt, wenn er Goncourts Kritik an den Waschbecken wiedergibt, die an der Wandbefestigt sind…Ist doch gut, oder? Das ganze Essay wendet sich immer gegen die Herrschaft der Zahlen und der Maschine, und hier, beim Händewaschen, klingt es erstmals retrokomisch: „Früher wurde uns das Wasser gereicht, das Licht, die Nahrung und wir brauchten uns nicht von unserem Platz zu rühren. Zahllose Hände waren zur Arbeit bereit und forderten kein Entgelt. Und doch kam jeder auf seine Rechnung. Jetzt sind diese Hände verschwunden. Die Maschine hat sie verdrängt“ (S. 47). Der Ansatz ist natürlich falsch und deshalb auch die Folgerung. Worauf er hinauswill, ist scheinbar paradox: „die Wasserhähne funktionieren in den USA gut“ (Mittelschicht, Massendemokratie) und in Frankreich „äußerst schlecht“, und so kommt er gerade hier zu einem seltsamen Fazit „Unsere Schwäche wird also darin bestehen, Nationen der Disziplin und Ordnung zu beneiden und ihnen nachzueifern. Unsere Stärke aber wird sein, unsere Disziplinlosigkeit und Unordnung einzusehen und auszuwerten“ (Ebda.).

Seine großartige Künstlerschaft, anarchisch, führt er bis zum Ende, dann wird er aktuell wie kaum jemand: „In meinen Träumen bewohne ich eine Welt, in der es noch keine Kontrolle gibt. Es wird sie aber geben, wenn Euer Gefälle sich fortsetzt. Man wird die Träume kontrollieren, und es wird keine Kontrolle der Psychiater sein, sondern die Kontrolle der Polizei. Man wird die Träume kontrollieren sie bestrafen. Die Traumhandlungen wird man bestrafen. Gute Nacht!“ (S. 59)

Stimmt das etwa nicht, bei Xi, Putin, und jetzt Trump? Und gibt es für die drei nicht hinreichend Handlanger?

Und versuchen nachgeordnete Diktatoren das zu übernehmen? Aber ja, nur nicht so dauerhaft und hartnäckig. Nun, mit Kunst und kritischem Denken (allein) werden wir die Diktatoren nicht loswerden, aber ohne diese überhaupt nie. Cocteaus Träume sind ein Hinweis darauf, wo die Gewalt noch nicht direkt hinkann, aber hinwill. Kunst gefährdet die Gewalt, nicht nur sie.

Die Diktatoren der Gegenwart, allesamt mit ihren Lakaien, berufen sich auf die Wiederherstellung der „echten“ Vergangenheit, in Religion, Literatur, Kunst und Philosophie, übrigens auch über die Entwicklung der Geschlechter. Dass sie damit keine Zukunft haben können, heißt nicht, dass in der Zukunft weiterhin in der Vergangenheit leben werden. Da hilft einem Cocteau in seinem übernächtigen Flug…und lässt uns träumen.

Mode macht Modelle – Joop macht mehr

Vor fünf Jahrzehnten habe ich die letzte Modenschau in Wien Hetzendorf gesehen. Was war da? Dazwischen lange Zeit bestenfalls Clips im Fernsehen,. Dann vor ein paar Tagen das Modemuseum in Antwerpen. Überrascht und erfreut https://michaeldaxnerdotcom.wordpress.com/wp-admin/post.php?post=7825&action=edit … und heute habe ich die Ausstellung WOLFGANG JOOP IM KUNSTRAUM in Potsdam gesehen 4. Oktober bis 18. November, Kunstraum Schiffbauergasse, Potsdam.

Und bin beeindruckt. Vor dieser Ausstellung habe ich natürlich den Namen gekannt, aber keines seiner Produkte, also seiner Models und Modelle. Und jetzt weiß ich, was und wieviel mehr er kann. Vielleicht ist es klug, die Information erst zu lesen, nachdem man die Ausstellung gesehen hat https://de.wikipedia.org/wiki/Wolfgang_Joop.

Denn das Gesamtkunstwerk bezieht ihn und seine Produkte zu einer erstaunlichen Gesamtheit ein, und es lohnt, sich auch die Filme und Interviews und die Kunst, die Mode, die Modelle und die Skulpturen als einen umfassenden Hinblick auf diesen Mann zu begreifen: Wen und Was sehe ich denn da, was für Assoziationen hatte er und haben wir jetzt, und welche Praxis und Kommunikation lag zwischen den Ideen und den Produkten (er sagt da einiges in den Filmen). Aber zunächst fesselt mich in der Ausstellung eines der Bilder, die er in jungen Jahren gemalt hat. Da gibt es viele Vorbilder im 16. und 17. Jhdt., aber Joop ist schon eigenwillig – und er hat sein Gemälde im Ofen auf „alt“ gebacken (!). Später sehe ich dann Bilder, die ihn mit Egon Schiele verbinden, fast genial. Kunst ein Leben lang, und nicht als laienhaftes „Daneben“ – Bis zum Ende Kunst, Bildnisse und Imagination. Aber natürlich: die Mode war sein Mainstream und er macht das transparent, Handwerk, Erfahrung, Kunst – uns Imagination.

Die Engel und die Affen (Rilke waren es die Engel und die Rosen: Rose, reiner Widerspruch), Hier sind es die Affen und auch die Engel, die haben mehr als Flügel. Und Joop kann mit den Widersprüchen umgehen, ihm fehlen weder Pathos noch Ironie.

Aber schaut euch das einfach an, nehmt euch die Zeit auch für die großen Installationen von Modellen, die auf einen zukommen – man kann sich oft in vieles hineindenken, ohne es sich gleich anziehen zzu wollen, auch das ist Kunst und Inspiration. Ihr merkt, ich bin begeistert und nachdenklich geworden.

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WOLFGANG JOOP IM KUNSTRAUM 4. Oktober bis 18. November, Kunstraum Schiffbauergasse, Potsdam

Wertvolle Abweichung – o Tintenfisch

Ich halte mich auf dem Laufenden, und das ist nicht nur Krieg und Umwelt und Armut. Zu meiner ständigen Information gehören die NYRB und NYT (das wisst ihr), denn noch kämpft das denkende Amerika gegen den Diktator Trump. Manchmal wundert man sich trotzdem, was man nicht nur lernen, sondern verstehen kann. In der letzten # NYRB 9.10.2025 (die sind uns immer eine Woche voraus, kein Irrtum) rezensiert Verlyn Klinkenborg, Professor in Yale, mehrere Bücher über den

OCTOPUS

„Such Flexible Intensity of Life“ Was soll einen das besonders interessieren, außer dass man ihn manchmal mediterran gerne verzehrt, dass man ihm im Meer selten begegnet und dass er schön ist, für Kindergeschichten geeignet. Am Ende der ausführlichen drei Seiten ist man etwas verändert und nachdenklich. Zunächst: wusstet ihr, dass der Octopus mehrere Hirne verteilt auf seinen Körper hat? Auch wenn er nicht so denkt wer wir Menschen, hat er doch eine beachtliche logische Kapazität. Da er aber nur durchschnittlich zwei Jahre lebt, ist die Frage, ob es hier nicht einen „intellektuellen“ (keine Ironie, eher Hilfswort) Überschuss gibt. Aber der Autor rezensiert nicht einfach Spitzenforschung der Meereszoologie. Wie nehmen wir dieses Tier wahr, und wie nimmt der Oktopus uns und andere Tiere wahr? „So what would a common octopus find peculiar or interesting about humans, besides the astounding fact that we don’t live underwater?“ Und nun folgen so viele Unterschiede, dass man irgendwie zu Darwin zurückkehrt, zugleich aber aus Sicht des Titenfischs beim Menschen viele Defizite, z.B. in der Wahrnehmung, feststellt – mit vielen Hinweisen der heutigen Neuroforschung.

Nein, keine verquaste Ideologie. Einfach Forschungsberichte und Fragen über menschliche unsere – Oberflächlichkeit beim Wahrnehmen von Tieren, – bevor sie aussterben, nicht zuletzt durch uns. Nach der Lektüre bin ich kein Experte, aber ich habe jene Form von Zoologie gelernt, die auch an deutschen Universitäten systematisch abgebaut wird. Also kein fröhliches Ende der Lektüre.

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Der Titel der Rezension zählt für sich und für uns. Am Oktopus wird beschrieben, wie die Lebenszeit genutzt wird, was da „eigentlich“ geschieht und gemacht wird. Das kann man studieren, aber jenseits des positivistischen Lehrplans auch die Frage, wie uns der Tintenfisch wahrnehmen würde, könnte er das…Das klappt natürlich um, auf unsere eingeschränkte oder aber umfassende und großzügige Art der Wahrnehmung von Natur und Umwelt, also auch von Gesellschaft. Liest sich wie Science Fiction, aber auch gar nicht, nur wie Science.

Die derzeitige Politik, nicht nur unsere Regierung, auch die Großmächte, die EU, die Kriegsführung, zerstören noch mehr Natur als es die Erderwärmung ohnedies schafft. Wenn ich an die Unmöglichkeit denke, nach unserem Tod die Vielfalt der Natur auf Erden zu erinnern, bleibt nur noch mehr Anstrengung für eine wirksame Umweltpolitik. Nicht nur Octopus kann „lernen“, auch wir können dazulernen…Guten Morgen.

Unterwerfung als Tugend – nicht nur deutsche Tradition

Nur keine falschen Begriffe, kein Klima, keine Geschlechtervielfalt, keine Migrationspolitik – im Vorfeld des Treffens der so genannten Demokratien in Kanada, incl. faschistischen Regierungen wie in Italien, wird alles getan, um den Diktator Trump nicht zu reizen, ja, man schmiert ihm sich selbst ums Maul.

Israels Krieg gegen den Iran bietet dazu ein gutes Glacis. Da der Iran die schlimmere Diktatur ist, kann man sich hinter Netanjahu verkriechen, ohne Gefahr zu laufen, als undemokratisch zu gelten, und Gaza ist vergessen.

Nun ist das vielleicht die richtige Haltung von Vasallenstaaten. Aber dann soll man sie als solche deklarieren…. Unsinn, natürlich, man spielt demokratische Allianzen, Hauptsache, die Zölle werden verringert. Wir sind halt der Westen, die EU, unter dem nuklearen Schutzschirm der USA.

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Dass man sich „unterwirft“, kann – historisch und gegenwärtig – für Staaten, auch „National“-Staaten wirtschaftliche, seltener soziale, seltener kulturelle, seltener ethnische Vorteile mit sich bringen. Nicht nur Trump arbeitet mit Zuckerbrot und Peitsche, weil er sich das leisten kann. Putin und Xi brauchen das so gut wie nicht, sie erobern und herrschen, auch mittlere Diktaturen müssen diese Doppelstrategie nicht anwenden. Das unterscheidet den Diktator Trump von seinesgleichen, deshalb bleibt er doch ein Diktator. Und zur Demokratie der Abhängigen gehört, die Brüche im Herrschaftssystem zur eigenen Autonomie auszunutzen (wenn man sie nicht schon herstellen kann…).

(Ein Beispiel: einen Diktator muss man nicht öffentlich oder gar in Konfrontation mit den Bezeichnungen, die seine Ablehnung und unsere Abscheu beinhalten bezeichnen…das ist nicht Kleinmut, sondern vermeidet ein symbolisches Schlachtfeld, in dem wir materiell die Verlierer sein werden. Hingegen ist das Selbstbewusstsein im Umgang mit dem Diktator wichtig, denn er kann seine Untergebenen nicht verlieren (das ist nicht nur eine ökonomische Binsenweisheit). Vieles geht besser ohne ihn als gegen ihn, auch wenn es begrenzt ist. Zum obigen Beispiel: die Herabsetzung der Diktatoren erfordert nicht nur genaue Beschreibung und Bezeichnung, sondern auch Kommunikationspartner, die die mehr oder weniger gut verpackte Aufforderung zum Handeln verstehen und wenn möglich umsetzen).

Das kostet. Unsere Veränderung von Bewusstsein, die kritischen Linien, es kostet auch Geld (und für uns wahrscheinlich viel an Wohlstand und – Sicherheit ohnehin. Das müssen wir für unsere Kinder und Enkel verantworten, nicht mehr nur für uns – das vergessen die jetzigen Bürokraten des Populismus gerne).

Also das Gegenteil des Aufrufs zur freiwilligen Unterwerfung. Das Wohlwollen der Diktatoren ist ein Abbruch eines gut gelungenen Lebens vor dem Tod.