Es lacht sich

Wenn man sich zu viel ärgert, verflachen alle Gründe und Anlässe, man bleibt ein missgelaunter Zeisel, und niemand nimmt einen ernst oder auch nur wahr, wenn die Texte und Ansprachen des ständig grummelnden Kommentators überhaupt noch aufgenommen werden.

Wenn man sich zu viel amüsiert, kann auch niemand mehr lachen, weil die Anlässe oft zu doppelbödig, altbekannt oder komisch, aber nicht lustig sind.

Ärgern, sich amüsieren etc. sind oft Reaktionen, die neben der Wirklichkeit auf den Boden fallen und dort Lacken bilden, in die man dann auch noch reintritt, und sich wieder ärgert.

So geht es mir in den letzten Tagen, wenn ich über die Akteure und Situationen in Gaza, Israel, Nahost, D.C., bei uns lese. Wer sich über Trump wagt zu ärgern, ist herzlos zu den Geiseln, wer sich über ihn lustig macht, verkennt seine Friedensmacht, wer sich zu weit aus dem allgemeinen Brei herauswagt, wird verurteilt, bevor die Folgen seiner Aussagen auch nur abgeschätzt werden.

Ganz wenige Analysen zur Situation beruhen auf der Wirklichkeit, viele sind so gebildet, dass man seine Erwartungen mit dem, was gerade eintritt, vergleicht. Na und? Und wenn man dann bemerkt, dass man falsch lag, ärgert man sich wieder > siehe oben.

Mich beunruhigt das. Kann man nicht einem Diktator auch einmal eine richtige Handlung zugestehen – wie man ja einem Demokraten immer gern einen Irrtum erlaubt. Wenn der nicht zu langfristig wirksam ist. Der Diktator bleibt Diktator, auch mit dem Denkmal des Verdienstes. Der Demokrat stürzt vielleicht ab…

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Ich wollte aber über ÄRGER schreiben, der oft anstelle von Kritik oder Unverständnis öffentlich wird und dann die eigene Position irrelevant oder lächerlich macht. Ärgert mich der Diktator, weil ich ihn in Wirklichkeit fürchte? Weil ich nichts gegen ihn tun kann und er mich vielleicht noch, oder schon, unterwirft? Die Unschärfe des Begriffs Ärger ist ärgerlich. Denn was spontan ja noch verständlich ist, ich ärgere mich über die Zugverspätung, mit Recht, kann ich nicht aufrechterhalten im jahrelangen Verspätungsgehabe der DB, ich muss mich drauf einstellen. Die Analogie gilt für politischen und anderen Ärger.

Das bringt mir Améry nahe, der immer kritisch zum Jetzt, der sogenannten Gegenwart war. Mein aktuelles Beispiel: ist Ärger eigentlich für den 7. Oktober angemessen? Schrecken, Furcht, Entsetzen, auch Unverständnis sind da besser als Ärger, einschließlich der Frage: über wen? Ärger über die Hamas ist irgendwie verflachend –> siehe oben.

Seit Wochen und Monaten gehe ich diesem Thema nach, dem nicht-jüdischen Gehabe von Netanjahu und seiner faschistischen Truppe und dem terroristischen Gehabe der Hamas. Mittlerweile haben sich Namen, Ereignisse, Konstellationen und Zufälle bei mir eingegraben, und die Kritik und die Ohnmacht haben den Ärger längst verdrängt, wenn er je dominiert hätte. Hat er nicht, auch nicht am entsetzlichen Tag des 7. Oktober. Aber je genauer ich nachforsche, desto schwieriger wird es , auf dem Feld der Geschichte, des wirklichen Geschehens, die Schuldigen, die Inaktiven, die Profiteure und die Unterlegenen dieser Ereignisse in bloße zwei Gruppen, die Guten und die Bösen, zu teilen, sozusagen als Maßstab für die Kommentare von heute –> s.oben.

Das ist keine postmoderne Relativierung, natürlich gibt es Schuldige und Opfer, aber eben nicht schwarz/weiß. Und darum entziehe ich mich dem Hierundjetzt, packe meine Zuneigung zu Israel und meinen Freunden dort in den gleichen Korb mit Kritik am Zionismus wie am Antizionismus, mit Kritik am Konflikt zwischen Sepharden und Ashkenasen, zwischen Arabern, Beduinen, Palästinensern, zwischen Muslimen und Juden und Christen und Drusen, und mit den Beziehungen fast aller wichtigen politischen Staaten seit langer Zeit. Mit anderen Worten, es gibt in der Gegenwart einen Common sense, aber kein Wissen und keine Erkenntnis, die nicht auf die Zeit und den Kontext angewiesen sind. Das verdirbt mir einiges, aber es macht keinen Ärger.

Gedenken, Bedenken und Heucheln. Heute.

Überall in Demokratien gedenkt man der Opfer des Hamas Überfalls vom 7. Oktober 2023.

Das ist richtig so – und hinterlässt doch mehr als nur ein unruhiges Gefühl. Wie ist es zu diesem grausamen, kaum je erlebten Massaker gekommen?

Ich frage mich selbst, warum mich die Vorgeschichte des 7. Oktober so wenig verlässt wie mein eigener, wirklicher Schrecken. Warum diese Geschichte auch nur andenken, wenn Netanjahu die Macht über Gaza und die Hamas entglitten war?

Lest erst einmal: https://en.wikipedia.org/wiki/Israeli_support_for_Hamas (7.10.2025). Unschärfe und Details möglich, die Hauptlinie stimmt. Aber dann muss man auch untersuchen, warum und wozu viele konservative, nationalistische und ultra-religiöse israelische Strömungen den Likud (Partei) und andere Entwicklungen schon lange vorher betrieben haben. Lest auch die Geschichte der Gaza Verhandlungen 1948f. (Ich gehe nicht in die Vorkriegszeit zurück, aber meine Kritik am britischen Kolonialismus bleibt bestehen). Wiederum: es muss nicht alles im Detail mitgetragen werden, aber man muss das Zwischenkapitel: „Das Gaza-Plan-Zwischenspiel“ im 10. Kapitel „Lösung des Flüchtlingsproblems…“ bei Benny Morris genau lesen, um etwas von der Vorgeschichte zu verstehen (Benny Morris: Die Geburt des palästinensischen Flüchtlingsproblems, Hentrich&Hentrich 2024, original 2004, überarbeitet). Und dazu gehört natürlich eine Vorgeschichte seit der letzten Jahrhundertwende und vor allem ab 1936, und dazu gehört die Selbstständigkeit des Staates Israel und der freimachende Krieg 1948, und dazu gehört die Vorgeschichte der jüdischen Gegner des Zionismus und der britische Kolonialismus, und dazu gehört….

Wenig davon erklärt oder gar begründet die unmenschliche Grausamkeit der Hamas am 7. Oktober 2023 und die Vorbereitung darauf.

Die fatale Täter-Opfer-Rotation der Kritik an Hamas und an der israelischen Reaktion darauf verkürzt nicht nur Wissen und Bewusstsein, sondern auch die moralischen und ethischen Positionen, die nicht mit einer Wahrheit umgehen dürfen, ohne Gerechtigkeit – für alle Situationen und nicht linear – an die Begründung der eigenen Position und Interessen zu stellen. Dazu reicht Benny Morris natürlich nicht aus, da muss man schon tiefer in die Geschichte des Zionismus in allen Spielarten, der Gegner des Zionismus etc. graben – und die Geschichte der Palästinenser genauso genau verfolgen, wenn man es aufgrund der zugänglichen Quellen so genau kann.

Wiederum: Wenig davon erklärt oder gar begründet die unmenschliche Grausamkeit der Hamas am 7. Oktober 2023 und die Vorbereitung darauf.

eine Überschrift bedeutet keine Leerstelle: Gedenken hat nur Sinn, wenn es wirkliche Menschen und die Ursache und Folgen ihres Leidens und Sterbens betrifft. Strukturelles Gedenken ist eine gängige, oft folgenlose politische Entmenschlichung. Die Bedenken sind zahlreich, etwa die Kritik an oder Erlaubnis zu Demonstrationen der propalästinensischen Aufmärsche, die sich auch antisemitisch ausbreiten, und mit dem antisemitischen, genauer, judenfeindlichen Substrat der Geschichte zusammengehen. Auch die ambivalente, doppeldeutige, manchmal -züngige jüdische Position zur Situation des Kriegs von Netanjahu (cum et sine Trump) und seiner teils faschistischen, rechtsradikalen Regierung kann man nicht geglättet als Reaktion auf den 7. Oktober einfach hinnehmen. als jüdischer Mensch kann ich das nicht, als Jude bleibt mir nichts anderes übrig?! Diese Differenz bestimmt zur Zeit viel an meinem Denken, Fühlen und also Leben.

Und so würde ich mir heute wünschen, dass die Menschen bevor sie öffentlich werden, nochmal Amos Oz, David Grossmann, Zeruya Shalev, aber auch Omri Boehm, Tom Segev, Ron Leshem, Joseph Croitoru, und auch Herzl und seine Tagungen lesen (ich weiß schon, das geht nicht an einem Tag, aber doch?!). Zu manchem Leid kann man nur Schweigen. Und darf nicht heucheln. Das gilt auch für jeden von uns selbst, gar nicht so einfach.

Kein Frieden und andere Kriege…

Machen wir uns nichts vor. Friedliebende Kommentare sind keine Wirklichkeit, sondern gestalten unter anderem Überzeugungen und Selbstbetrug. Wenn Merz und andere sagen, es sei kein („richtiger“) Friede und irgendwie schon noch irgendwie kein („richtiger“) Krieg – von Russland gegen Europa, ist das mehr als ein sprachliches Beispiel. Und so schrecklich die Umstände des Gazakriegs sind, die trumpoiden Verhandlungen sind auch „irgendwo“ zwischen Friedensplänen und Kriegspotenzialen, keine Wahrheitsstrategie, sondern Anpassung an eine Israel-Trump-angelehnte Rahmenrealität. Wie ich immer schreibe, dass die Wirklichkeit die Wahrheiten dominiert. Deshalb sind die Kommentare der besseren Medien ungewollte Konjunktive, die Grammatik diktieren andere…das gilt auch für die Ukraine, für Sudan, für Kongo. Natürlich gilt es besonders für die neueste, nicht gefestigte Weltdiktatur USA und ein wenig macht sich diese demokratiefeindliche Realität auch bei uns breit – wie denn auch nicht? Das Einzige, das stimmt, sind die Abbildungen der Wirklichkeit leidender, hungernder verletzter, sterbender Menschen, die gerettet werden sollen, müssen, können, nicht immer dürfen, bevor wir wieder und wieder die Täter anklagen oder mit Preisen und Lecken überhäufen.

Das ist der Grund, warum ich viele Daten und Eindrücke sammle, Zu Israel und Gaza vor allem, zur Ukraine, und zu unserer so genannten Regierung, aber gerade da wenig kommentiere. Denn es ist schon wichtig, dass diese Nachrichten auch empfangen werden und man sich nicht dauernd in sich selbst spiegelt.

Was bleibt, das Weiterleben unter den realen Wolken des beschleunigten Welt- und Politikzerfalls, ist nicht wenig. Das ist keine beruhigende Philosophie und schon gar nicht Ablenkung von der Politik. Aber es kommt auch, auch, nicht nur! darauf an, dass wir unsere Widerstandskraft stärken, lebendig bleiben bezieht sich immer auch auf Umwelt und Sozialisation, und natürlich auf Kultur, also die Bereiche, wo die Dummen und die Gefährlichen gleichermaßen sparen wollen. Das dürfen aber nicht nur rhetorische oder demoinstrative Bekenntnisse sein, wir müssen etwas tun. Wenn wir etwas tun, dann muss nicht jeder sofort erfahren, dass wir aktiv uns für das Richtige so und so einsetzen, aber öffentlich muss sein, was die Konfrontation bewirkt, z.B. die Kritik an den Brosius-Kritikern der CSU (das sind rechtsradikale so genannte Christen aus Söders Gehege), z.B. das Niveau der Wehrdienstdebatte (da kann ich nur raten, von den Finnen zu lernen), und vielleicht mit dem Lob an Trump im Nahen Osten etwas zu warten: auch Diktatoren können manches richtig entscheiden, das entlastet sie aber nicht…

Zurück zum Anfang. Wenn sich der Krieg weiter entwickelt, wird er anders sein als unsere verbreitete Kriegsgeschichte, und er wird keinen von uns ganz in die Freiheit des Friedens entlassen – wohin wollt ihr fliehen? Aber es kommt darauf an, was geht vorzubereiten, und dem, was kommt, zu begegnen (siehe oben). Dass wir dabei nicht gewinnen, ist klar. Aber es gibt wichtigeres in unserem täglichen Leben.

Demokratie, jüdisch und soziologisch

Sozio-Demokratie / Instabil

Vorwort

Ich lese regelmäßig mein Berufsblatt „Soziologie“, und meist geht die Diskussion an mir vorüber, aus vielen Gründen. Aber die HerausgeberInnen bemühen sich zunehmend erfolgreich, unsere Wissenschaft mit der Gesellschaft in eine verständliche und kritikfähige Verbindung zu bekommen, und dabei auch die Leerstellen innerhalb der Soziologie zu verzeichnen. Dazu muss ich nicht mehr aktiv in der Uni sein, die Überlegungen helfen schon, bisweilen.

Eine junge Kollegin, Professorin an der Universität der Bundeswehr München (Prof. Dr. Jenni Brichzin (Vertretung) — Institut) schreibt einen langen und komplizierten Aufsatz in der Soziologie: „Die Demokratie der Soziologie – Versuch über eine empfindliche Leerstelle der Disziplin“ (4/2025, 413-447). Sie versucht, das Nachhinken unserer Disziplin in Sachen Demokratie zu erklären und der Kritik auch eine Neubearbeitung folgen zu lassen. Schwierig zu lesen, aber umfassend und m.E. gut so. Warum ich aber damit hier anfange, in meinen Blogs: Brichzin analysiert sehr genau Tocqueville in ihrem Abschnitt „Massendemokratie am Start: Die sozialen Bedingungen der demokratischen Revolution in den USA“ (429-432). Zum Ende des Kapitels und zu Beginn des nächsten fasziniert mich die Genauigkeit, mit der die Volatilität der Demokratie in ihrem „Ensemblecharakter“ beschrieben wird. Ich zitiere jetzt ausführlich, weil hier ein scharfer Blick in eine Gegenwart getan wird, in der demokratische Systeme in kürzester Zeit umgeformt werden, nicht nur die USA, die Türkei, Israel oder Ungarn – im Kern kann das auch bei uns in Bayern oder Sachsen-Anhalt geschehen, darauf kommt es mir aber jetzt nicht an. Unter Bezug auf Tocqueville schreibt Brichzin:

„Und selten wird so deutlich wie hier, dass genau die Mechanismen, die Demokratie doch eigentlich begründen sollen, die gegenteilige Wirkung entfaltenkönnen, ist erst einmal das Zusammenspiel des Ensembles gestört oder ins Ungleichgewicht geraten. Auch die „demokratische“ Ordnung ihrer Zeit kann folglich ins Autoritäre kippen. Als größte Gefahr identifiziert Tocqueville dabei bekanntermaßen die „Tyrannei der Mehrheit“ (T 289). Der unbedingte Glaube der US-Amerikaner:innen an das Mehrheitsprinzip statte die politische Mehrheit mit einer „Allmacht“ aus (T 290), die den „Keim der Tyrannei“ bilde (T 291). Eine spezielle Form der sozialen Schließung ist die Folge, eine Schließung nach Maßgabe der Mehrheit…“ (Brichzin 432, T=Tocqueville). Das kann man natürlich sofort mit Varianten anwenden, nicht nur auf die USA, Israel, die Türkei, Ungarn etc., und auf viele Stimmen in der Demokratie, die nicht von einem Ensemble komplexer Verbindungen ausgehen, sondern von einer, v.a. durch Wahlen bestimmten Form. Mehrheit allein reicht nicht, und nicht nur Brichzin, auch ich denke, dass die Struktur einer Gesellschaft offen gehalten werden muss, immer, und nicht geschlossen werden darf.

Der Artikel insgesamt bleibt interessant, aber ich will mich darauf konzentrieren, wie demokratische Gesellschaften in dieser Zeit eher schnell in autoritäre oder diktatorische und strukturell in faschistische sich wandeln lassen.

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Für mich ist es wichtig zu hinterfragen, zu diskutieren, zu beobachten, was zur Demokratie „noch alles“ gehört, und der Leitfaden des Artikels bringt einem die nötige knappe Systematik bei. So, und jetzt weg von der Soziologie, ich bin ja längst kein aktiver Hochschullehrer mehr, und zur beobachteten Politik.

Dass neben anderen Trump und Netanjahu Demokratie erfolgreich zerstört haben, wird globale Folgen haben. Die USA, als dritte Nukleardiktatur mit einer nicht nur spontanen, ungebildeten, unkritischen Demokratiefeindlichkeit, hat vor allem auf die Menschen negative Auswirkungen, die ja von den USA in der NATO und im westlichen Welthandel sich abhängig wissen. Nicht gerade kolonial, aber kapitalabhängig. Also wir. Und in Israel zerstört Netanjahu endgültig den Zionismus in all seinen Varianten, er und seine Faschisten zerstören die soziale Aufbaustruktur und so viel JÜDISCHES, dass nur mehr die JUDEN bleiben, aber die jüdische Ethik und Kultur zerstört wird, wohl auch die innovative Wirtschaft, wenn er der trumpoide Herrscher bleibt. Also wir jüdischen Menschen müssen eine zukünftige Geschichtsrevision uns antun.

Mit der Auffassung bin ich nicht allein. Ich kann auch die Hamas initial kritisieren, obwohl sie ja von Netanjahu gefördert worden war, aber sie ist ihm entglitten und eine Macht der Barbarei geworden, so wie Netanjahu mit seinem Blick auf eine iranische Monarchie auch nicht gerade demokratisch denkt und agitiert.

Ich lese Oz, Grossmann, Illouz, Neyer, Shalev und viele andere, und ich lese sie anders die Historien der Palästinenser, Araber und Muslime. In diesem „Anders“ steckt mehr Potential an Kritik, an mehreren Seiten – es sind ja nicht nur zwei – als man vermuten kann: wenn man das Ende des bisherigen Jüdischseins in Israel ernst nimmt und das künftige fürchtet – jüdisch wird man weiterhin weltweit sein müssen und können.

Judenstaat? Jüdisch? Fragen

In letzter Zeit steigen die die Auswanderungszahlen von jüdischen Israelis. Hier zunächst keine Begründungen.

Die Zahl der Israelis, die ihr Land verlassen, nimmt zu. Im Jahr 2023 waren es 24.900, im Vorjahr waren es 17.520. Dem entgegen kehrten im Jahr 2023 nur 11.300 Israelis zurück. (https://www.israelnetz.com/israelis-wandern-vermehrt-aus/ . Interessante Begründungen: Nicht der Krieg, sondern der Premierminister…

Andere Statistiken gehen bis auf 35.000 in 2023 und über 50.000 in 2024 hoch

Egal. Es geht nicht um Quantität, sondern darum, dass viele Menschen in Israel den jüdischen Staat in einen Judenstaat zurückdrehen wollen, und das ist keine Entwicklung.

Man muss aber die Entwicklung vom Judenstaat zum jüdischen Staat kennen, um zu wissen, wie sehr die jetzige, teilweise faschistische Regierung diese Entwicklung umkehrt, vor allem mit den meisten Siedlern, den meisten ultra-orthodoxen Religiösen, den meisten Gefolgschaften für Netanjahu.

Und man hat offiziell vergessen, dass Netanjahu die Hamas im Gaza gefördert hatte, damit die zivile Regierung in den palästinensischen Gebieten geschwächt wurde. „Laut der rechtskonservativen Website Mida hat Netanjahu seiner Likud-Partei 2019 erklärt, man müsse zulassen, dass die Hamas finanzielle Unterstützung aus Katar bekomme – das sei ein Schlüsselfaktor dafür, einen palästinensischen Staat zu verhindern. „Das ist Teil unserer Strategie: Eine Trennung zwischen den Palästinensern in Gaza und im Westjordanland herbeizuführen“, sagte er.“ Man kann das zurück und weiterverfolgen, der 7.10. schafft eine weitere Wende nach einer insgesamt negativen Entwicklung (Netanjahu wollte Palästinenser spalten – und spaltete Israel: Felix Tamsut, 21.01.2024, und in DW mehrfach).

Ich werde jetzt und an dieser Stelle nicht die Entwicklung seit der Entstehung des Zionismus und seit dem wichtigen Wechsel vom Judentstaat zum jüdischen Staat nachzeichnen. Aber dies ist der Auftakt zur Rekonstruktion einer Entwicklung, in der viele jüdischen Menschen in Zukunft den Judenstaat des Trumpnetanjahu weniger als ein jüdisches Leben außerhalb Israels bevorzugen werden.

Fortsetzung folgt.

Postkolonial? Begriff & Morast

Der Titel soll euch nur aufmerksam machen. Es geht um sehr viel, nicht nur mir. Israel und Gaza. Das ist kein Pünktchen auf der Weltkarte. Es geht um Antisemitismus, Antiislamismus, Islamismus, ja, und um Geschichte, auch unsere – Unsere Geschichte, das ist eine nationale, manchmal auch jüdische Geschichte. Zuviel um einfach zu sein.

Mein Fachblatt SOZIOLOGIE, Jg. 54, Hefte 2 und 3, befasst sich mit der Wissenschaft Soziologie und dem Antisemitismus, und dabei gibt es von einem Symposion mehr oder weniger klarstellende Artikel. Am letzten habe ich mich festgehakt: Jens Kastner: Widerstand gegen Weiße: Zur Thematisierung von Israel/Palästina in der dekolonialistischen Theorie 314-319. Ein deutlicher, nicht aggressiver Artikel gegen die Kolonialansicht von Israel durch propalästinensiche Wissenschaft, konkret Vergues 2024 und Grosfoguel 2009. Propalästinensisch ist „mein“ vager Begriff, denn oft wird eine Ideologie auch bloß als muslimisch, bloß als arabisch, bloß als „palästinensisch“ verwendet. Kastner ist glaubwürdig und vielseitig (https://de.wikipedia.org/wiki/Jens_Kastner). Worum es mir geht, da ich ja in letzter Zeit so viele Blogs und einige Vorträge zum Thema gehalten habe? Das Unwissen über Israel, auf das auch Kastner anspielt, ist eine Waffe, nicht nur des Antisemitismus.

Ich denke, man muss hier weiter ausholen. Weil und wenn die jüdische Besiedlung Palästinas zu Beginn des 20. Jahrhunderts nicht kolonial war, so hatte sie doch viele Merkmale der Nationalitätsgründung vieler anderer Länder. Und alle, ausnahmslos, haben das Problem gehabt, Verdrängung und Integration handhaben zu müssen. Dabei spielte in Palästina eine Rolle, dass es bis 1918 unter Türkischer, danach aber unter Britischer Herrschaft stand, und die Engländer eine erhebliche, heute beiseite geschobene Kolonial- und Besatzungspolitik ausgeübt hatten, teilweise in Bürgerkriegen, mit und ohne Intervention weiterer Mächte. Aber die jüdischen Einwanderer und -innen waren jedenfalls nicht kolonial, und nach Gründung des Staates Israel 1948 muss man die Geschichte von Gaza genau verfolgen, damit man bei diesem Votum bleiben kann. Nun zu einem schmalen Detail: Wer waren und sind die Palästinenser? Die Antwort darauf ist kompliziert und widersprüchlich, aber ohne die Frage zu stellen, ist der Kolonialvorwurf an jüdische Israelis nicht nur falsch, sondern auch pervers.

Ich gebe hier bewusst keinerlei Literaturhinweise, weil diese so vielfältig sein müssten, um Kastner zu ergänzen und zu erweitern. Aber ich rate, auch den Wissenschaftler:Innen und Interessierten, die ganze Geschichte zu erkunden und sich eine Zusatzfrage zu stellen: ob der Antisemitismus, welchen Alters auch immer, nicht vorrangig durch den Israelbezug erklärt werden kann. Für Diskussionen und Hinweise dazu stehe ich zur Verfügung. Für die Soziologie als Wissenschaft und institutionell ist das ein wichtiges Thema, für das man danken kann, weil es sich öffentlich darstellen lässt.

Juden, jüdisch – Klug und dumm?

Vorspiel: Dummheit und Faschismus

„Der Faschismus entsteht immer aus einem Geist der Provinz, einem Mangel an Kenntnis der wahren Probleme und der Ablehnung der Menschen, sei es aus Faulheit, Vorurteilen, Habgier oder Ignoranz, um ihrem Leben eine tiefere Bedeutung zu verleihen. Schlimmer noch, sie prahlen mit ihrer Ignoranz und suchen Erfolg für sich selbst oder ihre Gruppe durch Anmaßung, unbegründete Behauptungen und falsche Darstellung guter Eigenschaften, statt an echte Fähigkeiten, Erfahrung oder kulturelle Reflexion zu appellieren

Faschismus kann nicht bekämpft werden, wenn wir nicht erkennen, dass er einfach die dumme, erbärmliche und frustrierte Seite von uns selbst ist, für die wir uns schämen müssen. “
(Federico Fellini: Im Gespräch mit Natalia Ginzburg., dankbar von Edith Pedevilla am 7.7.25 übermittelt).

Es geht um die Verbindung von Faschismus und Dummheit. Ergänzt meine Blogs der Vergangenen Tage. Und erweitert den Hinweis auf DUMMHEIT in einem besonders peinlichen Fall, ja, Syndrom.

  1. Akt: Dummheit entfaltet

Der von mir seit Jahrzehnten unverändert verehrte und gelesene Robert Musil (Törless, Der Mann ohne Eigenschaften u.v.m.) hat im März 1937 zweimal auf Einladung des österreichischen Werkbunds einen Vortrag über die Dummheit gehalten (Österreichischer Werkbund – Wien Geschichte Wiki). Zweimal, das kann also schon beim ersten Mal gewirkt haben, schwierig zu lesen, die Ironie muss wienerisch und nicht norddeutsch verstanden werden – und sehr aufschlussreich, wie die Dummheit über alle Gebiete und Sphären aufgegliedert und verstanden wird, und keineswegs der Klugheit oder Intelligenz im Weg steht. (Musil, R.: Über die Dummheit. Hamburg 2022, Nikol). Ich habe mich eher durchgebissen als den Essay überflogen, nichts geht ohne die Dummheit, die Weisheit schon gar nicht. Warum ist das wichtig? Weil viel in dem, was wir andenken oder anvisieren, widersprüchlich ist, und deshalb braucht es dieser Dialektik, um überhaupt zu verstehen.

  • Akt: Juden müssen nicht jüdisch sein

So, wie Kluge oder Gescheite auch dumm sein können, so wenig sind alle Juden jüdisch. Ihre ethnische Herkunft kann man nicht ändern, aber ihre soziale Qualität und ihr Verhalten, also jüdisch zu sein, zu leben, sich jüdisch zu verhalten, ist nicht festgelegt. Und je dogmatischer sie vorgeblich dargestellt wird, desto mehr sollten wir zweifeln.

Die meisten antisemitischen Vorurteile gelten formal den „Juden“, beziehen sich aber auf das, was den Judenfeinden am Jüdischen nicht gefällt oder nicht passt. Das heißt natürlich, dass ich das Jüdische verteidige, gegen Antisemiten und gegen den Missbrauch des Jüdischen durch bestimmte Juden. „Bestimmte“? Ja, nicht alle, und schon gar nicht „Die Juden“ an sich. Mit anderen Worten: es kommt darauf an,  „Jüdisch„ zu definieren, für sich in Anspruch zu nehmen und den Begriff nicht einfach allen anderen zu überlassen, vor allem nicht denen, die damit das Judentum herunterwirtschaften, geistig und materiell. Die sind meistens antisemitisch, manchmal aber auch Juden.

  • Akt: Wie komme ich jetzt dazu?

Wir befinden uns in einer ziemlich schrecklichen Situation, weltweit. Mit einem aggressiven Kern, neben anderen, von unauflösbarer Gewalt im Nahen Osten, sagen wir in Israel und Palästina. Dazu habe ich seit langem viel geschrieben, gesagt, nicht nur Richtiges und Kluges, aber doch meist glaubhaft. Und viele äußern sich dazu, und man kann gut nachweisen, dass es ein begriffliches Dreieck gibt: „Israel-Juden-Antisemitismus“ – jetzt kommt es darauf, wer welchen der drei Begriffe wie, positiv oder negativ, verwendet und wie die drei verknüpft sind. Wer immer einen direkten Bezug zum Antisemitismus aufgrund der Juden in Israel vornimmt, aufgrund bestimmter Juden, wohlgemerkt, verwechselt die ethnische Herkunft mit dem Verhalten. Und wenn das verabsolutiert wird, dann meint es genau das Jüdische, das seit ewigen Zeiten für den Antisemitismus steht. Und wie komme ich jüdischer Mensch dazu, mich darüber auszulassen? Wieder einmal?

  • Akt: Dummheit antisemitisch, schwer aufzulösen

Alle möglichen Gründe für die israelische, die palästinensische, die arabische, die globale Nahostpolitik werden dauernd herausgebracht, und sie werden mit jeder Drehung antisemitischer (so als würde man immer auf den eigenen Spuren im Kreis reiten und meinen, man käme dem Ziel näher). Welchem Ziel? Frieden? Völkerrecht? Überleben der Palästinenser? Auslöschung der Hamas? Zweistaatenlösung? Machtzuwachs für Netanjahu, damit er nicht vor Gericht muss? Vernichtung Israels von der Wüste bis zum Meer? Ein floridierender Strand für Trump? Ich habe noch mehr ???

Warum antisemitischer? Weil man die Vorurteile gegen die Juden, also antijüdische, als Ausgangspunkt der Analysen und politischen Meinungen (Gemeinplätze) verwendet und so tut, als könnte mit diesem Fixpunkt die Realität erklärt werden. Das ist dumm.

  • Akt: Der Fixpunkt ist falsch. Das Judentum entwickelt sich weiter

Es kann sein, dass Netanjahu für einige Zeit die Oberhand behält. Dass viele kritische, intelligente, religiöse Jüdinnen und Juden das Land Israel verlassen, dass nicht nur der Zionismus gescheitert ist, sondern Israel als letzter Zufluchtsort für alle Juden. Was dann bliebe, ein gewalttätiges Land von Siedlern und Ultrareligiösen, die sich mit anderen, z.B. arabischen Ultras in der Umgebung irgendwie einigen oder auch nicht, aber jedenfalls ein weiterhin ungesichertes Ziel von jüdischen Menschen abgebaut wird. Wer weiß, für wie lange, wer weiß, mit welchen Folgen für jüdische Menschen an anderen Orten der Erde, in einer zunehmenden Rückkehr nicht nur des Antisemitismus. Auch Israel würde dann nicht mehr das Land sein, in das man sich gerne begeben würde, sei es aus Wertschätzung oder aus Fluchtgründen. Wenn das zuträfe, dann wäre Israel nicht mehr „jüdisch“, und die Juden, die dort lebten, wären es auch nicht zur Gänze.

Und wir, die das Jüdisch sein weiter und immer weiter entwickeln, müssten schon überlegen, wann und wie wir nach Israel, mit Israel weiterleben, und viele von uns IN ISRAEL.

Ist das so unwahrscheinlich angesichts der Realität, nicht der Ideologie? Und den Hinweis auf Dummheit habe ich unter anderem gebraucht, damit wir Juden nicht abwechselnd als klug und dumm zugleich missachtet werden – und weil Musil schon Recht hatte.

Hannah Arendt & Dorothy L. Sayers – In Potsdam

am 3. Juli fand im Rahmen des Literaturfestivals Potsdam ein Doppelabend statt: Zunächst

Anpassung oder Autonomie? Thomas Meyer: Hannah Arendt: Die Biografie, Über Palästina von Hannah Arendt Natan Sznaider: Die jüdische Wunde. Lesung und Gespräch Moderation: Miryam Schellbach

Nach einer Pause: Dietmar Bär liest Dorothy L. Sayers Moderation: Denis Scheck​.

Da ich kein Literaturkritiker bin und nicht in der Lage, die Kritik der kritischen Kritik zu AutorInnen und ihren Interpreten anzubringen, wozu schreibe ich dann dazu? DAS IST ES, spannend, wie man so einen Doppelabend verarbeitet, ich sage nicht verdaut. Hannah Arendt beschäftigt mich seit Jahrzehnten, und schon deshalb hatte mich der Dialog zweier Autoren interessiert. Die Bücher:

Thomas Meyer: Hannah Arendt: Die Biographie. Piper 2023

Natan Sznaider: Die jüdische Wunde. Hanser 2024

Beide Autoren sind gut besprochen, in den entsprechenden intellektuellen Blasen. Meyers Buch überrascht mich, denn es gibt viel Biographisches zu Hannah Arendt, und da ist der Titel schon anmaßend. Beide Bücher sind interessant. Und die Diskussion? Darüber habe ich während und danach schon nachgedacht, was einem an Form und Inhalt des Dialogs (gut moderiert) wie interessiert hat. Ich bin kein Arendt-Experte der ersten Reihe, aber ich bin gut mit denen vernetzt, die da wirklich sind – deren Erwähnung hat mir sehr gefehlt: vor allem Antonia Grunenberg, aber die 10 Autorinnen zu Arendt in meiner Bibliothek hätten schon neben den Piper-Namen ihren Platz haben sollen…aber gut, das ist ja auch eine Buchvorstellung. Inhaltlich fand ich das ganze eher gut, ob alles verstanden wurde, wenn man Arendt nicht genauer kennt, weiß ich nicht, aber es war schon von beiden gut zusammengefasst. Es ging letztlich darum, wie und warum jüdische Menschen (Juden also) beides sein wollten und konnten: universalistisch, human, aufgeklärt, und menschlich wie alle Menschen, und partikularistisch, also „Juden“, trotz allem, wobei das Alles natürlich nicht breit ausgeführt werden konnte. Hätten wir das diskutiert, wären wir schnell zu meinem Thema gekommen, der Differenz zwischen Juden und jüdisch, ethnologisch vs. kulturell und moralisch. Dass die Religion draußen blieb, war richtig, paradoxerweise hätte man es begründen können.

Die Diskussion, v.a. Meyer bezieht sich an das frühe Werk von Arendt zu Rahel Varnhagen. In der lexikalischen Beschreibung finden sich alle die Bezüge, die mir, siehe oben, gefehlt haben (https://de.wikipedia.org/wiki/Rahel_Varnhagen_(Arendt)). Aber die Weiterentwicklung der Konzepte in den 30er Jahren sind schon von großem Interesse für einen Einstieg in die Werksgeschichte von Arendt, die ja teilweise mit einem fatalen Missverständnis „nach Deutschland“ zurück charakterisiert wurde (Das war auf dem Podium gut dargestellt).

Also? Solche Veranstaltungen sind wichtig und sinnvoll. Mehr davon, und am besten mit Fragen und Diskussionen mit den Zuhörerinnen und Zuhörern. Mehr von Arendt.

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Nach einer Pause, mit Sonnenlicht, Wein und Begegnungen, dann Dorothy Sayers. Wer sie nie gelesen hat, hat von dieser Vorlesung von Bär nicht so viel, aber es ist schon spannend, wie vor hundert Jahren in die Krimiwelt eine andere Form von Klassenironie einzieht, als man gemeinhin gewohnt war und ist. Ich hatte Sayers gelesen, als ich vor mehr als 60 Jahren Bücher für meine Großmutter aus der Bibliothek holte. Die theatralische Beschreibung der britischen Klassenstruktur hatte sich lang anhaltend eingeprägt, seltsam nur, dass ich das alles nie als „Krimi“ verstanden habe. Zu langer Abstand zurück.

*

Das reicht nicht, für mehr als einen Hinweis. Die Diskussion um Hannah Arendt hat mich weit in die Vergangenheit geführt, nach Freiburg und Marburg, und die frühe Begegnung mit Arendt war eine mit dem Namen, ich hatte begonnen, über Ernst Bloch zu dissertieren, und die Beziehung von Bloch zu Arendt wird später eine wenn auch marginale, so doch wichtige, als ich begonnen hatte, mich mit Arendt auch zu beschäftigen. Angeregt durch Antonia Grunenberg, die später nach Oldenburg kommen sollte, durch das Archiv, durch die amerikanischen Schlüsselorte (Bard College, New York). Aber ich habe eben in den letzten Jahren (Jahrzehnten) immer mehr von Arendt gelesen, manchmal auch etwas dazu geschrieben, und was mich an ihr bis heute fasziniert, ist eine Metapher, der Zwischenraum, zwischen zwei Polen, Thesen, Entwicklungen – und die Intensität, mit der sie Themen zu Begriffen machte, nicht selten contra der hauptsächlichen Auffassung. Natürlich der Eichmann-Prozess (Eichmann in Jerusalem. Ein Bericht von der Banalität des Bösen, 1963). Die Kontroverse dauert bis heute. Aber für mich noch wichtiger ihre vielfältigen Auseinandersetzungen mit dem Antisemitismus, sekundär mit Israel (vgl. Israel, Palästina und der Antisemitismus, 1991; u.v.m.). Es beschäftigt mich bis heute – und lernen kann und will ich natürlich von ihrem Denktagebuch 1950-1975: aus diesen vielen Seiten kann ich immer wieder lernen, – und das führt mich zur Diskussion in Potsdam: es geht nicht darum, was sie denkt und sagt, sondern wie sie denkt. Ich habe auch viel darüber gelesen, wie sie mit und gegen Heidegger gedacht und gelebt hat, aber das muss und soll nicht im Vordergrund stehen, wenn sie vorgestellt wird und gar, wenn man sich mit ihr beschäftigt. Der Abend in Potsdam war sinnvoll um Menschen anzuregen, sich auf Arendt einzulassen, weil sie ja nicht über Klappentexte verstanden werden kann. Viele ihrer Freunde und Bekannten, Jaspers und McCarthy und… kann man (kann ich) von ihr aus besser verfolgen als im direkten Zugang. Jetzt stehen sie beide in meinen Regalen, Bloch in der Philosophie und sie in der Politik (sie wollte keine Philosophin sein), aber das ist fast trivial, beide waren fast alles.

Als der Abend an der Potsdamer Orangerie vorbei war, da klang sie nach und entfaltete Erinnerung an Texte (hätte ich sie doch in ihren letzten Jahren in New York kennengelernt, passé…), und was ich heute noch für mich ganz wichtig erachte, war ihre Wahrnehmung des Nachkriegs, NachNS, Deutschlands, das sich in früh schon, bei aller Entwicklung, den Illusionen auch hingab, die die heutige Debatte zu Israel so unerträglich schwierig macht.

P.S. Sayers wirkte anders nach: wie denkt man nach mehr als 60 Jahren an (zu) frühe Lektüre? Das hat mehr mit früher Biographie und wenig mit Text zu tun…

Israel, Palästina

Michael Daxner

Israel, Palästina.

2.7.2025

Liebe Leserinnen und Leser!

In diesem Blog fasse ich wichtige Gedanken und Erfahrungen zu den Konflikten in Israel und Palästina zusammen, mit mehr Gewicht auf historische und politische, auf kutlurelle und ethnische Hinweise als auf gewichtige Schlussfolgerungen. Es handelt sich sozusagen um eine Folie, die zu aufklärenden und diskussionswürdigen Zwecken angereichert werden kann. Ich werde mich bemühen, Ihnen eine Vorstellung von der Komplexität eines Konflikts im Nahen Osten zu geben, die im Allgemeinen weder von der Politik noch den Medien hinreichend dargestellt wird.  Dieser Vorwurf hat selbst Hintergründe, die durchaus analysiert werden können, wenn nötig. Andererseits ist es schwierig, sich in die vorhandene und teils kontroverse, teils sehr schwierige Fachliteratur so hineinzuarbeiten, dass man die kurzfristigen Veränderungen der Situation auch noch mitverfolgen und bewerten kann. Damit gebe ich auch schon meine Grenzen an, und ich erwarte Kritik, Fragen und Stellungnahmen zu diesem Text: dafür danke ich jetzt schon. In dieser Fassung habe ich trotz meiner großen Bibliothek und Literaturkenntnis häufig Wikipedia u.ä. angegeben, wenn das schnelle und tragfähige Einlesen im Vordergrund steht. Es ist klar, dass die differenzierte Beschäftigung einen dann sehr viel weiter führt. Im Rückblick auf eigene Erfahrungen in Israel, auf Exkursionen und Lehrveranstaltungen und auf Diskussionen über viele Jahre hinweg kann ich nur sagen, es wäre gut, wenn sich mehr Menschen mit der wirklichen Geschichte dort auseinandersetzten und nicht die sicher oft angenehmen Illusionen zu Juden und Palästinensern immer weiter trügen. Wenn Sie Rückfragen und Kommentare haben: herzlich willkommen; meine Selbstdarstellung unterbleibt weitgehend, das wäre ein anders gestalteter Zugang.

Eine grundsätzliche These stelle ich an den Anfang: der auch in Deutschland umstrittene deutschisraelische Philosoph Omri Boehm vertritt die These, dass man das Thema mit einander ausschließenden mehreren Antworten nicht einer Wahrheit unterordnen kann; wenn es mehrere Antworten gibt, dann bedarf es eines übergeordneten Begriffs, der uns leiten sollte, für ihn – und mich – ist das die Gerechtigkeit (Boehm 2023).

Nach dieser Einleitung kann ich zum Thema kommen, Israel und Gaza vor und nach dem 7. November 2023.

Ich beginne mit einem Hinweis auf die Terrorgruppe des 7. Oktober, die Hamas, ohne die man das Thema nicht diskutieren kann, und beziehe mich dabei auf ein informatives Buch, das uns in mehrere Ebenen des Geschehens einführt: Joseph Croitorou: Die Hamas – Herrschaft über Gaza, Krieg gegen Israel (Croitoru 2024). Der Titel enthält auch die Richtung der Auseinandersetzung, nicht aber eine Parteinahme. Bitte informiert euch über die Geschichte des Autors (Joseph Croitoru Wikipedia (7.6.2025). Man kann in diesem Buch die Geschichte des Verhältnisses von Israel zur Hamas vor dem 7.10. und seither lernen – und zum zweiten, aktuellen Teil gibt es ja unübersehbar viele journalistische und wenige wissenschaftliche Vergleichstexte[1], zum ersten Teil aber wird es schwieriger. Woher kommt die Hamas, was war und ist ihr Verhältnis zu anderen Organisationen – arabischer, islamischer, politischer Herkunft, und zum Staat Israel bzw. aktuell zur Regierung Netanjahu[2].  Soweit meine Einleitung.

^          Was müssen Sie wissen, damit Israel in den richtigen Koordinaten Ihres kritischen

Bewusstseins kommt, und ähnlich, nicht identisch, gilt das für Palästina? Fangen wir mit den Juden an, und da kann man entweder viertausend Jahre zurückgehen, was mehr als aufwändig und anstrengend ist, oder ein Jahrhundert und ein paar Jahre zurück. Breiten wir jetzt nicht gleich die Vielschichtigkeit von Theodor Herzl[3] aus, sondern konzentrieren wir uns auf die Entscheidung, die Jüdische Migration in den Nahen Osten, in das ehemalige Land der Bibel, nach Palästina zu platzieren.[4] Hier fängt das Problem schon an: es gibt eine Hauptströmung, nennen wir sie Zionismus[5], es gibt eine kontroverse Strömung, den revisionistischen Zionismus[6], es gibt starke antizionistische Bewegungen[7], es gibt religiöse Varianten von allen.

Das alles ist bis heute kontrovers…Ein kleiner Aperitif: wenn Sie die Entwicklung der Politik und die Partei von Netanjahu nicht kennen, dann sagt Ihnen vielleicht ein Faktum etwas:

Knesset Debate Print article. Rachel Fink Noa Shpigel Jun 10, 2025 8:50 „pm IDT Galit Distel Atbaryan, a Knesset member from Benjamin Netanyahu’s Likud party, ordered MK Gilad Kariv of the Democrats party, who is also a Reform rabbi, removed from a Knesset meeting on Monday after a heated discussion, suggesting Reform Jews aren’t „real Jews.“

Reformjuden sind also keine richtigen Juden. Reicht das zur Charakteristik von Netanjahus Partei und Politik? Aber wie kommt es in Israel dazu? Und dieses Beispiel hat großes, auch historisches Gewicht für die letzten Jahrzehnte. Aber zurück an die Hauptlinie.

*

Es macht Sinn, weit zurück zu gehen, auch um zu verstehen, wie wir mehrere Blasen aufbauen konnten, die die Wirklichkeit überbauten. Lassen Sie mich fragen: Sagt Ihnen die Unterscheidung von Judenstaat und Jüdischem Staat etwas?[8] Allein die unterschiedlichen Erklärungen dieser Differenz füllen Debatten und Thesen. Wir kommen nicht um etlichen Spannungen herum, die man für diese Begriffe, selbst vor jeder Politik des Staates ab 1948, verstehen muss, um zu wissen, was sich hinter und unter den Titeln verbirgt. Herzls „Judenstaat“ ist vielleicht noch erklärbar aus dem damaligen Nationalismus-Gründungsgedanken. Aber würde das ein Staat werden können, der nur für Juden strukturiert wäre, und alle anderen sollten – ja, was? Minderheiten sein? – Natürlich wurde das schon damals diskutiert, und mit dem Beginn des Zionismus war eine Spaltung relevant: Warum wollten die Jüdinnen und Juden in Westeuropa, in Deutschland zumal, einen Nationalstaat – und warum wollten die jüdischen Zionisten aus Osteuropa, zumal Russland, Polen, einen solchen? Warum ging es um Staat und/oder Gesellschaft? Warum ging es um die Sprachfrage: Hebräisch[9] oder Jiddisch[10], gar Deutsch? Und welche Rolle spielte die Religion?

             Das sind alles wichtige Fragen, deren Antworten Sie auch zu Entscheidungen führen können.

             Aber wenn wir bei Palästina sind, Israel gibt es ja erst ab 1948, dann müssen wir schon auch das verdrängte postkoloniale Diskurserbe hervorholen: Das Land war ja im Osmanischen Reich und nach 1918 hat Großbritannien schnell versucht, koloniale

Herrschaft zu erreichen. Lassen wir die Details, dann bleibt doch, dass mit Herzls Nachfolgern der Judenstaat wohin projiziert wurde, wo ein anderes Reich eigentlich geherrscht hat, und dass alle Auseinandersetzungen zwischen 1918 und 1948 immer das Dreieck Juden-Palästinenser-Briten im Zentrum hatten, abgesehen von vielen anderen Akteuren. Die britischen Positionen – von der Balfour Deklaration[11] bis zur Geschichte des Gazastreifens12 – sind eine der großen Leerstellen u.a. des deutschen Bewusstseins für die Region, und das ist keine Marginalie. Genauso wenig, wie die pro-jüdischen und antisemitischen Positionen der Politiker, die vor 1948 – teilweise auch danach – eingegriffen haben, nicht automatisch aus Dokumenten und Verträgen, aber auch politischen Entscheidungen abgelesen werden können.

Lassen Sie mich einmal sofort auf die Kehrseite meiner jüdischen Geschichte springen, und zum Gaza bzw. zur Westbank wechseln: die Seite sollte man schon auch kennen, wenn man sie bewerten will, und zwar sowohl aus der Sicht der jüdischen Besiedlung vor und nach der zionistisch geprägten Einwanderung als auch nach 1948 und eben bis jetzt. Schon die Frage, wer und was und woher die Palästinenser kommen und wie sie „sind“, ist kompliziert, weil die Einigung auf eine Definition immer und notwendig parteiisch ist. Aber wenn wir heute die Geschichte abkürzen, dann konzentrieren wir uns auf zwei Linien: die Auseinandersetzung zwischen Palästinensern und zunehmender Jüdischer Ansiedlung vor 1948 in eben dem oben beschriebenen Dreieck, und die Geschichte der Nakba nach dem Sieg der israelischen Verteidigung nach dem Angriff auf den neugegründeten Staat nach der teilweisen Vertreibung bzw. Isolierung der Palästinenser.13 Wir können und sollen auch diskutieren können, wie gerade in Deutschland und Österreich die Beziehung von jüdischen und palästinensischen Menschen im gesellschaftlichen Konglomerat von Politik, meist laizistisch, und Religion, meist islamisch, auch christlich, drusisch, zur mehr als einer Spaltung geführt hatte, in der auch das Attentat von 1972 hineinspielte14. Aber mein eigenes Erleben war auch geprägt vom einzigen offiziell-politischen Besuch mit Ministerin Helga Schuchardt in Israel, wo ich hauptsächlich die unterschiedlichen Hochschulen und wissenschaftlichen Einrichtungen im Ressort hatte, aber natürlich schon viel(e) andere Seiten kannte. Bei den Gesprächen mit arabischen/palästinensischen Politikerinnen war es nicht gut möglich, die aktuelle Politik – Kooperation x Konfrontation – von der Geschichte der Arafat-Genese zu trennen, und damit indirekt auch die deutsche NS-Geschichte aufscheinen zu sehen (Lebl 2003)15. Aber wichtig und bereits erwähnt ist der Wechsel von der eher laizistischen PLO zur religiös inspirierten Hamas (Vgl. FN 2, den gesamten Text lesen).

Zehntausende jüdischer Emigranten sind freiwillig aus Israel ausgewandert, viele von ihnen zu uns nach Deutschland, viele aus Gründen der Abkehr von dem ultra-religiösen Durchmarsch der jetzigen Regierung bzw. ihrer Vorgänger unter Netanjahu, andere aus wirtschaftlichen, manche aus kulturellen Gründen – und ja, etliche suchen im religiösen Pluralismus hier eine für sie erträgliche Variante. Aber wahrscheinliche ist die laizistische Migration die größte, und die Politik des Zerntralrates und der jüdischen Organisationen hat nur einen beschränkten Einfluss auf die Einwanderung von ca. 30.000 jüdischen Menschen in Deutschland, die in Kontrast zur überalterten jüdischen Gemeinde-Mehrzahl stehen, welche wiederum in orthodoxe, konservative und liberale Gemeinden aufgespalten ist, von laienhaften Jüdinnen und Juden, die keiner Gemeinde angehören, abgesehen16. Viele – bei weitem nicht alle – fühlen sich zunehmend in Deutschland verunsichert, verfolgt, ausgegrenzt17.

             Eine ähnliche Migrationszusammenfassung, bezogen auf Israel und Gaza, oder auf Palästinenserinnen und Palästinenser in Deutschland ist schwieriger. Aber da Sie ja die vielen pro-palästinensischen Kundgebungen und Proteste kennen, können Sie schon die Herkunft der Protestierenden nachvollziehen, und da sind natürlich auch die deutschen Unterstützerinnen und Unterstützer dieser Proteste. Und beachten Sie bitte die Kritik an der Kritik dieser Kundgebungen[12]

*

             An dieser Stelle muss die brisante Schlüsselfrage gestellt werden, ob und wie Israel und die Palästinenser jeweils und auch gemeinsam gerecht, richtig und zukunftsweisend gehandelt haben. Und in die Antwort muss auch einfließen, warum und wozu wie gehandelt wurde, und wer wie interveniert hatte. Dabei ist klar, dass das, was innerhalb der Gesellschaft geschieht und das, was der Staat nach innen und außen tut, nicht deckungsgleich sind.

             Da wir hier nicht in der Universität, sondern im öffentlichen, politischen Diskursraum sind, kann und soll die Antwort nicht abstrakt akademisch ausfallen, sie muss schon ethisch und in einen wirklichkeitsnahen Zusammenhang gebracht werden. Darum muss ich mich und müsst Ihr euch, müssen Sie sich fragen, was an dem Thema für wen interessant ist. Angesichts der Medienflut keine abstrakte Frage.

             Bevor ich abschließend zu den ganz aktuellen Ereignissen komme, habe ich zwei vorläufige, aber vielleicht orientierende Antworten. Erstens: wenn wir die ganze Vorgeschichte und Vielschichtigkeit innerhalb der jüdischen Gemeinschaft, v.a. der europäischen vor 120+ Jahren, einmal beiseite lassen und abwägen, was wirklich geschehen ist, dann können wir die zunehmende Durchführung der jüdischen Staatsgründung als gesellschaftlich relativ späte Nationalisierung des Judentums ansehen. Vergleiche sind da vielfach möglich. Dass so etwas fast immer mit Landnahmen und territorialen Verschiebungen vor sich gegangen ist und zT. heute noch geht, ist politisch und moralisch immer prekär – und jede Rechtfertigung muss über den machtpolitischen Realismus hinausgehen und ethisch wie humanistisch begründbar sein. Stellen wir dazu Fragen, bevor wir mit den Antworten umgehen. Zweitens ist meine Antwort kompliziert: weil die Juden und Jüdinnen im Zuge v.a. des Zionismus sich für ein Land entschieden haben[13], spielt sich ihre nationale Festsetzung dort ab – also im Kontext einer komplexen historischen Wirklichkeit und nicht als abstraktes politisches Spiel der Herrschenden. Man beginnt, sich mit dem Osmanischen Reich, mit dem britischen Empire, mit Deutschland, mit dem Vatikan etc. auseinanderzusetzen, und nach 1918 wird alles noch einmal anders, und über die Geschichte von Kooperation und Konfrontation, über Freund- und Feindschaften, über britische Dominanz etc. müssen wir im Zeitlauf genauso reden, wie, ob die Shoah die Staatsgründung oder der vorgängige Zionismus begründet hat.

             Ein zweiter Hinweis ist mir wichtig: Wenn man die versuchten und gelungenen Staatsgründungen des 19. Jahrhunderts, national und/oder kolonial, postkolonial betrachtet, gibt es in dieser Hinsicht wenig Grund, die jüdische Intervention in Palästina gesondert-negativ herauszugreifen. Es gab und gibt hier immer ethische Verwerfungen, und es kommt nicht so sehr auf ihr Faktum als ihre Bewältigung an.

Ich hatte schon einige gesellschaftliche Spaltungen erwähnt, Ashkenasen versus  Sepharden, Sprachdiversionen: Hebräisch, Jiddisch, Sephardisch, Staatsorientierung versus gesellschaftlich emanzipierte Einbettung etc. und all das in einem kleinen Gebiet, das auch noch von den Briten vor allem geformt wurde, lange vor 191820.

            Wie also soll, kann, darf ich nach der historischen Darstellung die letzten Ereignisse bewerten. Ich gebe dazu einen Rat: Lest genau die Verhandlungen zwischen Israel und den Palästinensern. Mit einer schrecklichen Zäsur: „Am 4. November 1995 wurde

Ministerpräsident Rabin vom rechtsradikalen jüdischen Studenten Jigal Amir in Tel

Aviv erschossen. Rabins Nachfolger wurde Schimon Peres. Peres führte die Friedenspolitik Rabins weiter und trat Anfang 1996 die Verhandlungen über den permanenten Status in Taba an.“ (https://de.wikipedia.org/wiki/Oslo

Friedensprozess) (17.6.2025). Jigal Amir war nicht einfach rechtsradikal, er war ultrareligiös21. Darüber müssten wir ausführlich sprechen, um die heutige Situation noch besser zu verstehen. Und wir müssen auch darüber sprechen, warum weltweit die Politik durch eine über alle Konfessionen sich ausbreitende Radikalisierung der Religion unter Druck gesetzt wird. Für Israel bedeutet das zu erklären, warum das

sowohl innerhalb der Judenschaft als auch in Palästina die laizistische Nationalbewegung ausgebremst hat.

Hier würde ich sonst zu einem Abschlusstatement übergehen. Nun muss man aber zum Angriff auf den Iran Stellung beziehen, und viele – die Israel wegen Gaza kritisieren – sind sehr positiv zu diesem Akt gestimmt, und das Völkerrecht ist hier in sich gespalten, weil man natürlich nicht warten kann, bis die Atomwaffen einsatzbereit sind (DLF 19.6.2025, 8.10). Tendenziell ist der Artikel in

der ZEIT zu Netanjahu gut ausgewogen, aber er greift zu kurz mit der Personalisierungidee. Es fehlt teilweise der Hintergrund22. Nicht zufällig  argumerntiert der Neue Historiker Benny Morris am 22.6. in der FAZ ausführlich über das jüdisch-palästinensische Verhältnis aus relativ ausgewogener Sicht (Israelischer Historiker Benny Morris: Das iranische Regime ist sehr stark , 20250622)23. Die Literaturliste ist wichtig: Benny Morris Wikipedia.

Zur Kriegsentwicklung kann ich jetzt nur vorläufig sagen, dass Israel damit strategisch eine stärkere Einbindung von Trump als Unterstützer anstrebt – und das Zeitfenster internationaler Akzeptanz ausnützt, das ihm bei Gaza weitgehend verweigert wird. Das ist eine sehr fragile Rechnung, ich bin eher skeptisch.

Zum Abschluss des Abschlusses. Haltet euch informiert, d.h. verlasst euch nicht auf offizielle Darstellungen der Regierungsorgane und Botschaften. Das ist ein hartes Urteil, aber ich stehe dazu, ebenso wie ich meine, dass wir der deutschen Doppelpolitik von Staatsräson und internationalem Völkerrecht nicht ohne weiteres folgen können, auch wenn wenn wir ihr weitgehend zustimmen. Ein Dilemma für alle von uns.

Nicht annähernd alle Aspekte der Situation habe ich hier eintragen können, aber die wichtigsten. Ich empfehle als Information regelmäßig die englische Version von Haa‘retz, der BBC London, der New York Times, in Deutschland der SZ und des

Tagesspiegels, des Deutschlandfunks, konservative Kontrollen der liberalen

Meinungsbildung über die Jerusalem Post, FAZ und die NZZ. Ich stehe für Rückfragen mit einer sehr viel umfangreicheren Bibliothek zur Verfügung.

             Ich danke für Eure und Ihre Aufmerksamkeit. Zum Übergang in die Diskussion empfehle ich noch ein Buch, zu dessen Autorin ich einiges beitragen kann: (Horvilleur 2024) „Wie geht’s? Miteinander sprechen nach dem 7. Oktober“. Das sollten wir immer.

Zitierte Literatur:

Avineri, S. (2016). Theodor Herzl und die Gründung des jüdischen Staates. Berlin, Jüdischer Verlag im Suhrkamp Verlag Berlin.

Bodenheimer, A. R. (1996). Rabins Tod. Zürich, Chronos.

Boehm, O. (2023). Radikaler Universalismus. Berlin, Ullstein.

Brenner, M. (2002). Geschichte des Zionismus. München, Beck.

Bunzl, J., Ed. (1980). Israel/Palästina. Hamburg, Junius.

Cohen, J. (2021). The Netanyahus. New York, NYRB.

Croitoru, J. (2024). Die Hamas – Herrschaft über Gaza, Krieg gegen Israel. München, C.H.Beck.

Harkabi, Y. (1979). Das palästinensische Manifest und seine Bedeutung. Stuttgart, Seewald.

Herzl, T. (1985). Der Judenstaat. Königstein, Athenäum.

Horvilleur, D. (2024). Wie geht’s? Miteinander sprechen nach dem 7. Oktober. München, Hanser.

Khalidi, R. (2024). Der hundertjährige Krieg um Palästina. Zürich, Unionsverlag.

Klein, J. (1982). Der deutsche Zionismus und die Araber Palästinas. Frankfurt/New York, Campus.

Langer, F. (1994). Brücke der Träume. Göttingen, Lamuv.

Lebl, l., Zeni (2003). Hadz-Amin in Berlin. Beograd, Cigoja stampa.

Oz, A. (2016). Eine Geschichte von Liebe und Finsternis, Suhrkamp.

Segev, T. (2005). Es war einmal ein Palästina. Berlin, Siedler.

Segev, T. (2007). 1967 – Israels zweite Geburt. München, Siedler.

Shibli, A. (2023). Eine Nebensache. Berlin, Berenberg.

Wetzel, D., Ed. (1983). Die Verlängerung der Geschichte. Frankfurt, Neue Kritik.

Yehoshua, A. B. (1992). Mr. Mani. New York, Doubleday.

michaeldaxner@yahoo.com

Feuerbachstraße 24-25

14471 Potsdam

Der Text kommt auch in meinen Blog: http://michaeldaxner.com


[1] Hier kann ich bei Nachfrage Auskunft geben. Keine einfache und schon gar nicht einseitige Auswahl. 

[2] Für ganz eilige LeserInnen empfehle ich den Abschluss „Ausblick“ S. 193f. des Buchs, das insgesamt eine wesentliche informative Grundlegung ist. Vgl. auch Freiburger Horizonte Joseph Croitoru Freiburg Institute for Advanced Studies (20250611).

[3] Herzl, T. (1985). Der Judenstaat. Königstein, Athenäum.

               , Avineri, S. (2016). Theodor Herzl und die Gründung des jüdischen Staates. Berlin, Jüdischer Verlag im Suhrkamp Verlag Berlin.

[4] Tom Segev hat eine breite Darstellung über das 20. Jahrhundert geleistet. Ich empfehle hier vor allem Segev, T. (2005). Es war einmal ein Palästina. Berlin, Siedler.

[5] Oz, A. (2016). Eine Geschichte von Liebe und Finsternis, Suhrkamp.

                Hier kann man die Entwicklung aller Spielarten des Zionismus in der Rückschau von Oz genau studieren, subjektiv und objektiv, das Buch ist 2001 geschrieben, Oz ist 1939 geboren und wohl der wichtigste Vertreter von Geschichte UND Literatur zum Thema. 

[6] Vgl. Revisionistischer Zionismus Wikipedia (8.6.2025), Brenner, M. (2002). Geschichte des Zionismus. München, Beck.

[7] Antizionismus Wikipedia (19.6.2025). Vorsicht: die gute Übersicht verbindet die Darstellung auch mit muslimischen, arabischen, christlichen, internationalen Antizionismen, und da gehen vielen Ausgangspunkte gegeneinander quer. 

[8] Der Judenstaat Wikipedia (11.6.2025), Der Begriffsweg vom Judenstaat zum jüdischen, oder jüdisch-demokratischen Staat hat einen mehrfach gebrochenen Staatsbegriff und eine bis heute nicht gelöste Dualität von ethnischer und religiöser Begriffsdominanz zum Thema. Deshalb nehmt euch Zeit, dem nachzugehen, wenn es euch interessiert. Im Übrigen ist das ein bis heute lebendiges Thema auch der israelischen Belletristik, neben den bereits erwähnten AutorInnen empfehle ich sehr Yehoshua, A. B. (1992). Mr. Mani. New York, Doubleday.

[9] Hebräisch Wikipedia

[10] Jiddisch Wikipedia

[11] BalfourDeklaration Wikipedia (15.6.2025): „Damals befand sich Palästina noch im Machtbereich der Osmanen. Die damalige britische Regierung unter Lloyd George versprach sich von der Zusage an die zionistische Bewegung Vorteile in der Mobilisierung zusätzlicher Ressourcen während des Krieges und auch langfristige strategische Vorteile.“ Diese Zusammenfassung erklärt nicht im Mindesten die anhaltenden Diskussionen um die Zielrichtung des multiethnischen Territoriums und der zionistischen Hauptlinien. 

[12] https://de.wikipedia.org/wiki/Palaestina_Staat (2.7.2025). Das erklärt, trotz „Vorgeschichte“ nicht die Essenz des Begriffs Palästina. Der Artikel gibt aber hinreichend viele Hinweise auf Quellen. Ein Problem ist, dass die Landesbezeichnung/der künftige Staatsname nicht wirklich die ethnische Herkunft und gesellschaftliche Gliederung der Palästinenser erklärt, und hier ist ein Singular unangemessen.

[13] Andere Länder waren im Gespräch, z.B. Uganda…Dass sich das alttestamentarische Kernland relativ schnell fixieren ließ, hat seine eigene Geschichte und zeigt deutlich die komplizierte Spaltung in Ethnie und Religion.

Kleine Literaturauswahl: Harkabi, Y. (1979). Das palästinensische Manifest und seine Bedeutung. Stuttgart, Seewald.

 , Bunzl, J., Ed. (1980). Israel/Palästina. Hamburg, Junius.                                          

 , Klein, J. (1982). Der deutsche Zionismus und die Araber Palästinas. Frankfurt/New York, Campus.

 , Wetzel, D., Ed. (1983). Die Verlängerung der Geschichte. Frankfurt, Neue Kritik.

 , Langer, F. (1994). Brücke der Träume. Göttingen, Lamuv.

 , Shibli, A. (2023). Eine Nebensache. Berlin, Berenberg.

 , Segev, T. (2007). 1967 – Israels zweite Geburt. München, Siedler.

 , Khalidi, R. (2024). Der hundertjährige Krieg um Palästina. Zürich, Unionsverlag.           

14 Die Rekonstruktion aus deutscher Sicht wird sehr häufig durch relativ geringe Wahrnehmung der Tektonik der israelischen Politik und der arabisch islamischen bzw. nationalen Umgebungskultur festgehalten, wobei es scheinbar einen theoretischen, de facto meist politisch-ideologischen Überbau gegeben hat, bei dem schon „die Juden“ eine besondere Rolle spielten, positiv oder fraglich. Wichtig im Kontext dieses Aufsatzes ist der besondere Bezug zu Deutschland. {Ash, 2025}

  1. Vgl. Mohammed Amin alHusseini Wikipedia,  Jassir Arafat Wikipedia (15.6.2025), u.v.m.
  2. Jüdische Menschen in Deutschland: „Im Jahr 2023 registrierte der Zentralrat der Juden 90.478 Juden in den deutschen Gemeinden und Landesverbänden. Seit dem Jahr 2005 fallen die Mitgliedszahlen in den jüdischen Gemeinden kontinuierlich ab. Weltweit ist die jüdische Bevölkerung hingegen am wachsen.“ (Statista Research Department, 04.06.2025). Nicht religiöse Jüdinnen und Juden sind schwer abzuzählen, meiner Schätzung nach aber ca. ebenso viele, sowie einige Sektengruppen. 
  3. Das ist ein besonderes Problem, weil die über bestimmte Medien jeweils dargestellte Ausgrenzung und Verunsicherung jüdischer Menschen und Gruppen oft nicht mit anderen Wahrnehmungen übereinstimmen. Eine nachhaltige Abwehr antisemitischer Wahrnehmungen im akademischen Bereich ist das Netzwerk

Jüdischer Hochschullehrender (NJH)  info@n-j-h.de website: www.njh.de . Aber wie überall gibt es ein

Problem, welche Auseinandersetzungen konkret antisemitisch sind und welche in anderen politischen Koordinaten stehen. Deshalb gehe ich hier konkret auf keine der vielen Organisationen ein, sondern diskutiere sie je einzeln, wenn sie im Diskurs aufscheinen. 

  • Vgl. dazu die letzten beiden Kapitel von Yehoshua, wo die vielfältigen nationalen Hintergründe von früher Eingewanderten subtil ausgebreitet werden Yehoshua, A. B. (1992). Mr. Mani. New York, Doubleday.
  • Mein enger Freund Aron Bodenheimer hat noch 1996 einen umstrittenen, religionskritischen Essay dazu geschrieben: Bodenheimer, A. R. (1996). Rabins Tod. Zürich, Chronos.

 Vor allem ab S. 36 kann man Linien direkt bis zur Gegenwart ziehen. Bodenheimers tief gebildete Religionskritik ist erheblich zum Verständnis der heutigen Konfrontationen, v.a. innerhalb der Religionen und gegeneinander.

  • Jan Ross: Er meint es tödlich ernst. ZEIT #26, S.2 . Dazu bräuchte es die Geschichte der Familie weiter ausholend, die Herkunft des Likud, und Personalia wie z.B. die Geschichte der Klausners bei Amos Oz (Oz, A.

(2016). Eine Geschichte von Liebe und Finsternis, Suhrkamp.

 Des weiteren „The Netanjahus“ von Joshua Cohen Cohen, J. (2021). The Netanyahus. New York, NYRB.

 Die Wahrnehmung der wirklichen Geschichte Israels und der Palästinenser ist durch eine besondere Ablenkung der deutschen Identifikation mit dem Land und seiner Gesellschaft verbunden. Das findet sich vielfach und kritisch in der Literatur. Und jedes Beispiel für die eine oder andere Seite sollte man kritisch hinterfragen. Vgl. Es gibt sehr wenig Wissen zur deutschen Rolle im Konflikt“ | dis:orient (19.6.2025) ist eines der Beispiele, ich habe es wegen des Titels herausgesucht. Wichtiger scheint mir der große Aufsatz von Timothy Garton Ash zu sein: FN 14

  • Hört euch das bitte an: diese Sicht kann so etwas wie der Minimalkonsens über die Geschichte der

Konfrontation sein, seit den 1920er Jahren. Wichtig erscheint mir die Kritik an England und an der NakbaIllusion von arabischer Seite, sozusagen als Gegenbild zur Illusion auf israelischer Seite. Am besten auch das Buch lesen:  Benny Morris:  Die Geburt des palästinensischen Flüchtlingsproblems: Eine Neubetrachtung  – 1. Mai 2025, von Gesellschaft für kritische Bildung (Herausgeber).

Demokratie – wie weiter? So.

Eine heruntergekommene – geschwächte? – Demokratie konzentriert sich nicht auf die wertvollen Bilder, die wir uns ohnehin nicht leisten können. Sie arbeitet sich an den Rahmen und der Ausstellung ab, in der die wirkliche Politik gezeigt wird. Natürlich dürfen und können sich die Deutschen auch um die „Drecksarbeit“ von Merz kümmern, sogar aufregen: obs richtig war, aber nicht für den Kanzler, obs falsch war, aber verständlich, obs die Beziehungen zu Israel verbessert oder schädigt – „natürlich“, sozial-natürlich, so geht es offenen Gesellschaften eben zu. Aber nicht alles ist gleich wichtig, nur weil es natürlich ist. Vgl. Nachklapp SZ 21.6.2025 „Drecksarbeit“ – wieder eine Korrektur an den Schnellquarglern.

„Eigentlich“ ist auch so ein Dreckswort, das immer an der falschen Stelle hervorkommt, eigentlich hatte Netanjahu ja mehrfach Erfolg: die ihn im Gaza ablehnen, finden den Iranschlag gut und richtig. Und der Iran ist ja schon größer und wichtiger als Gaza, wichtiger? Und, wie die Presse schreibt, treibt er Trump vor sich her.

Fast alle reflektierteren Politiker sagen, wir hätten uns zu lange vom Iran wegen der Nuklearanlagen in die Irre führen lassen. Wir, der Westen.

Einer der eher links verorteten „Neuen israelischen Historiker“, Benny Morris, sagte. „Bei einer Veranstaltung an der Universität Wien Anfang Mai 2008 rief Benny Morris zu einem Präventivschlag gegen den Iran auf: „Mit konventionellen Waffen. Und wenn das nicht reicht, dann mit unkonventionellen. […] Viele unschuldige Menschen würden dabei sterben“, sagte Morris. Aber das sei immer noch besser als ein nuklearer Holocaust in Israel. In einem Interview mit der österreichischen Zeitung Der Standard behauptete Morris, nur ein atomarer Präventivschlag seitens Israels könne das Atomprogramm des Iran stoppen. (https://de.wikipedia.org/wiki/Benny_Morris 20.6.2025). Und 2024 sagte er das wieder. Lasst einmal links-rechts beiseite. Ich stimme dem ausdrücklich SO nicht zu. Aber ich verstehe Morris, der ein guter Historiker ist und so alt wie ich, Und eigentlich führt das zu Merzens Begriffsbildung. Und wer der nicht zustimmt, soll nachdenken und sagen, wann WIR wie politisch, diplomatisch etc. auf Iran hätten einwirken sollen, müssen, um seine Atomrüstung zu verhindern (was ja dann nur international und mit Kontrolle gegangen wäre, deren letzten Hebel ausgerechnet Trump selbst abgebaut hat). Wir, der Westen.

Wir in Deutschland sind nicht Israel. Wir jüdische Menschen in Deutschland sind keine Juden in Israel. Deshalb bitte etwas Vorsicht bei wertenden Kommentaren. Gerade wenn sie kritisch zur israelischen Regierung sind: 85% der Israelis stimmen dem Angriff auf den Iran zu, wo unmittelbar davor mehr als 50% den Krieg Netanjahus im Gaza abgelehnt hatten. Das ist leichter zu erklären, wenn man den Rahmen und die Bedingungen der israelischen Politik, jedenfalls seit der Gründung kennt, eher noch auch davor.

Deshalb kommentiere ich den Israel-Irankrieg nicht weiter. Wenn alternativ verhandelt wird, braucht es mehr Demokratie als Trumps Drohungsdiktat, und wer die Diktatur in Teheran loswerden möchte, soll deutlich werden, wer sie ersetzen soll. *

Aber mir ging es ja generell darum, dass sich bis heute viele öffentliche Stimmen lieber mit der Rechtfertigung oder Kritik der Drecksarbeit befassen, als mit der Wirklichkeit, nicht nur in Israel. Auch bei uns, nicht nur in den USA, werden Umwelt und Soziales abgebaut, scheinbar erlaubt die Budgetsanierung die Lebensgefährdung der nächsten Generation. Da stecken viele lieber den Kopf in den Sand und reiben sich dann die Lider wund. Meine Kinder und Enkel sind betroffen, und viele ihrer Generation.

Über diese Betroffenheit, ja, Lebensbedrohung, im Gaza und in Israel und im gesamten Nahostgebiet, und nicht nur da, sollten wir in den gleichen Kategorien nachdenken und urteilen wie gegenüber unseren Kindern. Und auch, welche Politik wir dann wirklich fördern, welche wir bekämpfen wollen.

WIRD FORTGESETZT: ICH WERDE DAZU NOCH EINIGES SCHREIBEN: DIE ÜBERSCHRIFT BLEIBT: