Kampf um das „Jüdische“ bei Juden und Nichtjuden

Nur ein Nachschlag. Mir geht es nahe, wenn jüdische Stimmen, nein, die Stimmen von Juden und Jüdinnen, nicht wirklich jüdisch, sich jetzt an die Seite des Faschistenführers Netanjahu und seinem rechtsradikalen Kabinett stellen, wenn sie meinen, dass Kritik an Israel automatisch der Hamas und anderen Verbrechern hilft, als könnte man nur einen Gegner haben.

Ruth Beckermann, Jüdin und eine starke intellektuelle Stimme in Österreich fasst etwas zusammen: https://www.derstandard.at/story/3000000271150/gazakrieg-wenn-der-hass-zu-gross-ist Davon ein Absatz mit den wichtigsten Begriffen, die ich hervorhebe.

Nicht, weil mir viele Juden meine Interviews kurz nach dem 7. Oktober vorwarfen, in denen ich trotz allem Entsetzen versuchte, das Massaker in einen historischen Kontext zu stellen. Seither ruft das Wort „Kontext“ immer wieder einen Aufschrei hervor, so als würde man den Opfern die Schuld geben, wenn man das Massaker in eine Geschichte der Besatzung einschreibt. So verständlich, wenn auch schrecklich, die Haltung eines Großteils der israelischen Bevölkerung ist, die von zensurierten Medien mit einseitigen Nachrichten gefüttert wird und so gut wie keine Bilder und Filmaufnahmen aus Gaza zu Gesicht bekommt, so unverständlich scheint mir die Haltung eines Teils der Juden in der Diaspora, die doch zu Analyse und Kontextualisierung fähig sein sollten. Und zu Kritik an einer faschistischen Regierung, die in unser aller – aller Juden – Namen zu handeln vorgibt. Die uns für ihr Morden und ihre Eroberungspläne vereinnahmt.

Um etwas besonders konkret zu machen: es geht nicht „nur“ um die Geschichte der Besatzung, es geht um Netanjahus Unterstützung der Hamas gegen die zivilen palästinensischen Bemühungen um Zweistaatenlösung (Dass die Hamas dem israelischen Premier entglitten ist stimmt. Und dass dem Massaker vom 7. Oktober nichts an Ablehnung zu ersparen ist, einschließlich der Folgen für die mehr als 1000 Toten und die hunderten Geiseln, braucht niemand in Zweifel ziehen).

Das könnt ihr alle wissen, und im Detail.

*

Mir (jüdisch, deutsch, österreichisch) geht es um etwas anderes: wenn innerhalb des diasporalen Judentums – und den rechtsextremen Regierungsunterstützern in Israel – ein Konflikt um die „richtige“ Position der Juden und Jüdinnen weltweit, also auch in Deutschland, entstanden ist, so ist das weder Zufall, noch besonders neuartig. Seit Theodor Herzl geht der Konflikt, und viele haben den Schritt vom Judenstaat zum jüdischen Staat bis heute nicht verstanden. Der reaktionäre Rückschritt zum Judenstaat (das sind nicht nur Katz und Ben Gvir, das sind viele, vor allem Siedler und Ultrareligiöse) ist am besten zu verstehen, wenn man die Bindung dieser Menschen an Diktatoren wie Orban oder Trump analysiert – Ultrareligiös widerspricht der jüdischen Religion, und die Siedler sind überwiegend eroberungssüchtige Faschisten. Als Jude verwende ich diesen Begriff ungern, aber das Juden Menschen wie alle anderen sind, können sie auch faschistisch sein.

Lest aber wirklich die Geschichte des Judenstaats, lest Oz, Grossmann, Segev, Kepel, Neyer u.v.a., auch Ruth Beckermann, denen manche Juden das Jüdischsein absprechen, klingelt da nicht etwas?

*

Wenn ihr deas gemacht habt, dann bitte ich um eure Aufmerksamkeit für eine These: nicht alle Juden sind jüdisch. Dabei beziehe ich mich bei Juden (d.h. Juden und Jüdinnen im weitesten Sinn) auf die anthropologische und ethnologische Geschichte, könnt ihr gut ab Abraham verfolgen, aber dort gibt es schon die Spaltung…Und da alle Juden Menschen sind, können sie alles repräsentieren, was eben Menschen repräsentieren.

„jüdisch“ ist ein Adjektiv oder Adverb, das sich auf eine bestimmte Qualität bezieht. Und bei dieser Qualität behaupte ich, dass sich ein Begriff herausentwickelt hat, der ethische, moralische, kulturelle und soziale Dimensionen hat, die nicht zuletzt aus dem Widerstand und der Überwindung von Diskriminierung, Verfolgen, Vertreibung und Lebensbedrohung erwachsen ist. Kein Privileg, kein Makel am Judentum, sondern eine ihrer Entwicklung entsprechende Konsequenz, hochdifferenziert, und für viele in eine Perspektive von Freiheit(en) eingemündet. Für viele, d.h. zu einem Zeitpunkt, aber für viele vor 130 Jahren.

Wenn sich Netanjahu und sein Kabinett und seine Hilfstruppen den ethischen Dimensionen, den moralischen, sozialen, kulturellen entziehen und faschistische und unterdrückende Politik betreiben, dann sind sie nicht jüdisch im Sinne der historischen Entwicklung, auch wenn sie Juden bleiben. Darum muss man sie dort kritisieren, wo sie unmoralisch handeln, wo sie sich mit Faschisten einlassen, kein Wunder, und von Demokraten abwenden, und das alles innerhalb des Judentums und von außen.

Kritik am Selbst-Bewusstsein

An zwei, ziemlich unverbundenen Bereichen, ziemlich?nicht ganz!, zeige ich die Grenzen vorschneller Kommentare und Schlussfolgerungen: a) in der Israel Ansicht der Deutschen und b) in der vorschnellen und fehlplatzierten Kritik an der Regierung Vormerz – ich habe mich gegen vorausschauende Kritik an der schwatzrotzen Koalition gewandt, die sollen erst Beleg für die Kritik liefern, nicht einfach „ahnen“ lassen.

Die Israel Ansicht der Deutschen. Wer weiß noch, dass nicht nur Adenauer an seinen ex-Nazi Kooperationen festhielt – https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_ehemaliger_NSDAP-Mitglieder,_die_nach_Mai_1945_politisch_t%C3%A4tig_waren . aber da war ja auch ein belastetes Regierungsmitglied Globke NSDAP –> CSU (https://www.mdr.de/geschichte/ns-zeit/zweiter-weltkrieg/nachkriegszeit/hans-maria-globke-staatssekretaer-adenauer-100.html) . und die Rechtfertigung solcher Integration war in beiden deutschen Staaten ja nicht einhellig. Nun, das wussten die Israelis auch, die mit Adenauer verhandelten. Und dass sie Globke erduldeten, gehört auch zur deutsch-israelischen Geschichte, sozusagen Staatsräson-quer, und das muss heute in dieser Debatte auch zur Sprache kommen. Ebenso wie die Frage, ob man Netanjahu, der ja auch die Hamas gefördert hatte, bevor sie ihm völlig entglitt, in das pro-israelische Grundkonzept deutscher Anschauung, also politisch-ethisch-kulturell-wirtschaftlich-militärisch, unkritisch integrieren darf und soll. Kritisch aber heißt, nicht nur Hamas und Gaza real und analytisch, und nicht nur abstrakt, in den Diskurs und die Handlungen einzubeziehen. Und das geht es auch um Personen, die sich unterschiedlich anstellen, wenn sie Haltung jeweils rechtfertigen sollen. Und wie hängt das alles zusammen? Da kann man den Streit in Deutschland schon ernst nehmen, ja nicht unter den Teppich kehren, zB. gestern: „Innerhalb der Deutsch-Israelischen Gesellschaft (DIG) gibt es Streit über den Umgang mit der Gaza-Offensive von Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu. Der frühere DIG-Präsident Reinhold Robbe (SPD) sagte dem Tagesspiegel, der amtierende DIG-Präsident Volker Beck (Grüne) sei „inzwischen zum Sprachrohr der rechtsextremistischen israelischen Regierung geworden“.“ (Danielo Sturm, Tagesspiegel 29.5.25).

Wer von Euch, oder den Kommentatoren kennt z.B. die Geschichte von Gaza? Hat Israel nicht recht? Oder ganz und gar nicht? https://www.swr.de/wissen/1000-antworten/wie-entstand-der-gazastreifen-als-politisches-gebilde-108.html z.B. Wer von den Kommentatoren kann Zionisten von revisionistischen Zionisten mit welchen Folgen unterscheiden? lest https://de.wikipedia.org/ wiki/Revisionistischer_Zionismus , aber auch Amos Oz: Eine Geschichte von Liebe und Finsternis (Dt. 2008 Suhrkamp). usw.

Ich weiß auch nicht alles und ich habe sicher ergänzenswerte Anschauungen. Aber ich halte mich auch zurück mit Thesen, die ich nicht mehr einfangen kann (so, wie Netanjahu die Hamas nicht mehr einfangen konnte, was auch immer seine Anfangsmotive waren…)

b) Hängt damit so gut wie nicht zusammen: Kommentar zur Regierung Merz. Was haben sich die Kritiker, nicht nur Blaue und Gelbe und Blasse, und auch Sozialdemokraten aller Schattierungen und etliche CDUCSUler überboten, die neue Regierung Merz zu verzwergen, ihr alles mögliche zu unterstellen, bevor es sie noch gab. Ich hatte immer ein mulmiges Gefühl, denn genau konnte man nicht absehen, WAS eigentlich an der neuen, konservativ geführten Koalition sich wie entwickeln würde, wie schwach, wie unglaubwürdig, wie schädlich für Deutschland oder wie nützlich, wie trumpig oder putinesk etc.

Jetzt, nach ein paar Tagen zeichnet sich einiges ab. JETZT darf soll muss man kritisieren. Da hört man wenig außer von den Wirtschaftsfachleuten und Sozialpolitikern aber Ihr kennt meine These: nur wen man ernst nimmt, darf man kritisieren. Wen man verachtet, den kann man nicht kritisieren. Denkt diese These weiter, erklärt euch, warum es nicht einfach ist, die einzelnen ersten Entscheidungen der Regierung ernsthaft zu kritisieren, außer dass sie eine konservativ-rechte Kehrtwende insgesamt macht, die Umwelt abschreibt und kein Gespür für die soziale Spaltung hat: DAS aber wusste man schon im Wahlkampf und mit dem Ansturm der AfD auf CDUCSU und SPD.

Jetzt kann man kommentieren, kritisieren und vor allem Alternativen aussagen – kommt fast nichts, außer von den WirtschaftspolitikerInnen,

Deutsch-Israelische Verbindung, ergänzungsbedürftig

Der Krieg im Gaza weckt viele Assoziationen. Wissenschaftliche, kulturelle, journalistische. Alles, was dazu gesagt und geschrieben wird, bekommt eine gewisse Entfernung zu unseren festgelegten Vorstellungen und dem, was wir zu wissen meinen, und je nach Distanz dann zu positiven und negativen Urteilen. Wenn wir einigermaßen viel wissen, dann erweitern wir diese Urteile um Beziehungen, z.B. von Gaza mit der West Bank, oder zwischen Netanjahu und seinen faschistischen und ultrareligiösen Koalitionären: das befestigt beides, Urteile und Vorurteile. Omer Bartov rezensiert 11 Texte zum Gaza, und schreibt einen harten zwölften (Bartov 2025). In einer langen und extrem genauen Einleitung vor den Rezensionen vergleicht Bartov die Struktur des aktuellen Konflikts mit den Deutschen und Hereros 1904. Er vergleicht, setzt nicht gleich. Aber die Herabsetzung der Hamas, zum Teil als Tiere (drusischer Generalmajor), und ihre Gleichsetzung mit Nazis (Dina Porat 2023) zeigen die Wirklichkeit der Auseinandersetzung, keine hegelianische Draufsicht auf eine Schlacht. Bartov erwähnt nicht die frühere Beziehung von Netanjahu zur Hamas, aber er geht weit in der Assoziation des jetzigen Kampfes in die Gewaltgeschichte, und was es mit der Tatsachen von den Juden als Weiße und der Hamas eben nicht-weiß auf sich hat. Dann ein Paradigmenwechsel, den ich schon wusste: Peter Beinart wandelte sich vom Israel-Fan zum scharfen Kritiker des Zionismus. Unbedingt lesen Peter Beinart – Wikipedia (25.5.2025) – und Bartov steigt jetzt in die Geschichte der Beziehungen zwischen Zionisten als immigrierte Juden und Palästinensern ein, mehrere wichtige Autoren, darunter der Enkel von Zygmunt Bauman, der sich – m.E. zu Unrecht – für „Apartheid“ ausspricht. Es steht hier noch mehr, aber wichtig ist die Rezensionskultur jenseits der politischen Verbarrikadierung, und wichtig sind zwei Bemerkungen: a) meine Geschichte der Zuneigung zu Israel ist ungebrochen, gerade und vielleicht zur Zeit weil ich Netanjahu ohne heimische Rücksicht angreife. Es geht bitte um Israel und um die Palästinenser und nicht einfach um deutsch-israelische Beziehungen. b) Bitte lest an dieser Stelle meinen Blog vom 25.5. zu Berest und vor allem zu Amos Oz. Zu Bartovs Essay eine Coda, wonach die jetzige Entwicklung des „Genocide in Gaza will finally liberate Israel of its status as a unique state rooted in a unique Holocaust“ (Weil der zweite Satzteil so nicht stimmt, kann die Prämisse auch nicht richtig sein, aber sie ist ein rhetorisch gefährliches Argument, was Bartov meint, ist klar.

Ich lese viel Kommentare und Metakommentare zu den Ereignissen in Israel, Gaza und der Region. Und immer, welche politischen Intentionen die beteiligten Großmächte ihrerseits kommentieren, USA, UN, Türkei, Iran, Saudis, Ägypten, etc. und wie das in Deutschland hervorgehoben oder minimiert wird. Kein Zweifel, einige Finger zeigen immer auf unser Land, wie soll Hegels Heimat objektiver sein als der Rest der Welt – oder moralischer?

Dazu schreiben Shimon Stein, ehemaliger Botschafter, und Moshe Zimmermann, Wissenschaftler und Journalist, eine heftige Kritik am wohlgepflegten Umgang der beiden Länder miteinander (Stein and Zimmermann 2025). Der komplexe Rückblick auf die Beziehungen wird analysiert und dann resümiert: „Jeder Rückblick muss sich auch von Mythen verabschieden, vor allem von dem Mythos, das Primat der Erinnerung an den Holocaust sei der entscheidende Faktor (oder Störfaktor), erst auf dem Weg zu diplomatischen Beziehungen, dann auf dem Weg zur erhofften „Normalisierung“ dieser „besonderen Beziehungen“ gewesen“. Die Normalisierung in „“ ist wichtig, denn was an den Beziehungen ist „normal“, inclusive der Formel von der Staatsräson?

Und noch etwas, eher nicht alltäglich. Wenn man die Geschichte und Wirkung des Zionismus (bitte hier nicht des revisionistischen Zionismus und der Antizionisten) auf- blättert, dann ist die Rückseite der Trumpfkarte, Palästina, unerlässlich, schon lange vor der Staatsgründung und Nakba und den vielen Konflikten und Kriegen davor und danach ((Segev 2001, Segev 2005, Khalidi 2024) u.v.m. Und zwar auch, wenn man auf israelischer Seite des jüdischen Staates steht, nicht des Judenstaates. Und heute ist die Hamas eben nicht deckungsgleich mit Palästina und den -ensern, aber ihre Geschichte geht auch zurück bis lange vor der Nakba und dem Wechsel von der Avoda zu den Revisionisten.

Natürlich reagieren sehr viele jüdische Intellektuelle auf den 7. Oktober, viele, die ich sehr schätze und etliche, die ich nicht wertschätze oder auch nicht verstehe. Reaktionen wie bei Eva Illouz oder Delphine Horvilleur beleben das Nachdenken. Dazu später. Beide kommen auch bei Lea Streisand vor (Streisand 2025), und da passiert mir typischerweise etwas, das immer häufiger vorkommt. Ich verstehe fast jeden Satz, aber ich verstehe den Kontext des Essays nicht, die Schlussfolgerungen, das eigene Befinden, das sich mitteilt. Beispiel: „Verzweiflung ist jeher Bestandteil der Jüdischen Kultur“ – Unsinn. Natürlich jeder Kultur. Nun bin ja nicht dumm oder oberflächlich lesend. Ich nehme die Verwirrtheit des Textes wahr, die nicht einer der Autorin ist, sondern das Resultat einer zu umfangreichen Verwirrung der Phänomene des 7. Oktober, aber mit dem Fehlen seines Zustandekommens. Man kann sagen, dass die Kritik der Handlungen und Ereignisse für sich nicht viel über das Zustandekommen aussagt. Das ist nicht trivial, bedenkt man Netanjahus frühe Verbindung zur Hamas.

Es gibt viele verwirrte, verwirrende Texte zur Wirklichkeit in Israel und Palästina, und es gibt doch Einsichten, oft unangenehme. Nicht nur persönlich, auch politisch, auch Deutschland in seiner besonderen Beziehung betrifft (als Österreicher sage ich, in meiner Heimat gilt das auch, aber anders. Darüber an anderer Stelle). Wenn es um Wahrheit(en) geht, halte ich Omri Boehm für wichtig: es gibt nicht eine Wahrheit, aber es gibt Gerechtigkeit (Boehm 2023, Boehm 2025). Immer wichtig ist, dass Kommentare zum Judentum und zu Israel, Gaza etc. nicht deckungsgleich, sondern überschneidend sind. Das wird in Deutschland schon kritisch verarbeitet, vor allem in der liberalen Presse: Israel und Gaza auch als Tandem (Vgl. SZ 7.5.2024 Kristiana Ludwig), oft auch hier historisch etwas zu kurz. Auch politisch-theologische Rahmenerzählungen sind für nichtjüdische Beobachter schwer zu verstehen, für jüdische oft verwirrend (z.B. ZEIT 10.4.2025 Avner Ofrath: Wo geht’s zur Freiheit?“).  Was wir verstehen, sind tatsächliche Maßnahmen für Menschen gegen den Strom, z.B. (Wahba 2025). Soviel Rettung, die von der Bürokratie in vielen Fällen verweigert wird, nicht nur in Israel und Gaza.

Nun ist seit wenigen Wochen die weltweite demokratische Kritik am Regime Netanjahu gegen die Menschen in Gaza, nicht nur gegen die Hamas, differenziert und universell, hat mit Judentum wenig zu tun. Aber gerade deshalb ist es wichtig, falsche Anklagen gegen Israel zu erkennen und zu kritisieren: „Warum der Vorwurf des Genozids und des Aushungerns gegen Israel historisch falsch, unehrlich und antisemitisch ist“, lautet der Untertitel eines längeren Aufsatzes von Eva Illouz (Illouz 2024) „Völkermord? Im Ernst?“.

Das nimmt nichts von Netanjahus Grausamkeiten, aber es muss sie einordnen. Illouz analysiert hier vor allem Völkerrecht, sie kritisiert die Verbindung der Klage des IGH von Israels  Regierungschef („extrem unehrenhafter Mensch und ein grauenvoller Staatschef“) mit dem Hams-Führer Mohammed Deif und nicht Mohammed Sinwar. Da muss man sich aber schon auskennen! Das alles analysiert und beschreibt Illouz ein halbes Jahr vor den Angriffen und der Aushungerung durch Israel in den letzten Wochen, und das ist auch wichtig: wann wer welches Urteil fällt. Die Zusammenlegung von Zeitspannen und Augenblicken ist ein oft probates Mittel, die Urteile über Konflikte zu verschieben oder zu verzerren.

Ich verlasse hier alle meine Analysen, laienhaft in vieler Hinsicht, der ausländischen Eingriffe in die israelische Politik, auch die offenkundig verlogenen und im Kern antisemitischen des Diktators Trump. Aber wichtig ist eine Verbindung des Diktators mit seiner Zerstörung von Wissenschaft und Kritik: Yale-Philosoph Jason Stanley: „Trump sieht die Universitäten als Feind“. Trump gehe es bei seinem Feldzug gegen die US-Universitäten nicht um Ideologie, sondern um Macht, sagt der US-Philosoph. Trumps Ziel sei es, das Universitätssystem zu zerstören, so wie es alle Autokraten tun. Der Satz ist wichtiger als vieles: denn es rechtfertigt nicht, auch in Fragen des Judentums und Antisemitismus, den USA Vorzug vor anderen Diktaturen zu geben.

Und wieder mein Zusatz: wie soll man denn mit den pro-Hamas meist ausländischen Studierenden umgehen? Das gilt für die USA wie für Europa, wie für Berlin. Diese Bande ist auch ein Produkt falscher Toleranz statt kritischen Umgangs mit Eingewanderten – v.a. aus dem Nahen Osten insgesamt. Jetzt ist der Korridor der Abwehr schmaler und geschwächt, hier wie dort.

Das ist nicht mein letzter Kommentar zur Wirklichkeit des deutsch-israelischen Konflikts, der Frage nach dem Sinn der Staatsräson, der Kritik an den lückenhaften historischen Festlegungen. Er ist auch unfertig, lasst das Judentum, mich jüdischen Menschen, auch dazu lernen, aber nicht ahnen.                                                                                                                              

Deutschland und Israel: Antisemitismusbeauftragter warnt vor Missbrauch der „Staatsräson“ 25.5.2025 (RND)

Bartov, O. (2025). „Ìnfinite License.“ `NYRB LXII(7): 54-58.

Boehm, O. (2023). Radikaler Universalismus. Berlin, Ullstein.

Boehm, O. (2025). „“Schaut auf Buchenwald“.“ ZEIT 2025(15).

Illouz, E. (2024). „Völkermord? Im Ernst?“ SZ(29.12.2024).

Khalidi, R. (2024). De hundertjährige Krieg um Palästina. Zürich, Unionsverlag.

Segev, T. (2001). One Palestine, complete. Jews and Arabs under the British Mandate. London, Abacus.

Segev, T. (2005). Es war einmal ein Palästina. Berlin, Siedler.

Stein, S. and M. Zimmermann (2025). „Wir sprechen unterschiedliche Sprachen.“ ZEIT 2025(19).

Streisand, L. (2025). „Antisemitismus: Empathie ist nicht die Lösung, Empathie ist das Problem.“ FAZ.

Wahba, A. (2025). „Sie waren still. Fast gespenstisch still“ ZEIT 10.4.2025

Oz, Berest, vorgestern und heute

Autobio Biofiction Biojüdisch

Zwei Bücher haben mich animiert, biographische und jüdisch-israelische Themen zu verbinden. Keine Rezension, allerdings, sondern Wirkungsgeschichte und ihre Folgen.

(Oz 2016, Berest 2023) :Amos Oz: Eine Geschichte lon Liebe und Finsternis, Ffm 2016, Suhrkamp; Anne Berest: Die Postkarte. Berlin 2023, Berlin Verlag

Oz`Buch erscheint 2002, da ist er 53 Jahre alt, und der Schwerpunkt des Buches ist seine Familiengeschichte und seine Kindheit und Jugend. Da ich viele Bücher von ihm kenne und gelesen habe, ist sowohl die Retrospektive (alle Großeltern und ihre Geschichte, die Verwandtschaft) ebenso wichtig für mich wie der Einblick in die wirkliche Geschichte Israels vor und nach der Unabhängigkeit. Und die Tatsache, dass viele Textstellen heute zugerechnet werden können.

Anne Berest ist 1979 in Paris geboren, ihr Buch ist einer der autofiktionalen Romane, die die Biographie verdichten und auf die wirkliche Geschichte hin verdichten. Hier liegt eine Beziehung zu Oz`Kultur, und für den Leser ist es wichtig, auf beiden Ebenen beider Texte zugleich zu sein: einer jüdischen Familiengeschichte, incl. der Frage, was ist jüdisch?, und die Frage, was mich/jemanden an der Gesellschaftsgeschichte interessiert, warum und vor allem wie.

*

Oz schreibt sein Buch mit 52, seine Lebensorte waren Jerusalem, Kibbuz Hulda und Arad, und er geht von seiner Kindheit aus, um die Geschichte seiner Großeltern und des Rests der Familie und näheren Bekannten zu rekonstruieren, oft mit genauen Details, aber nicht als Dokumentation, sondern es hat immer etwas zu tun mit seiner Lebensgeschichte und ihrer (ersten?) Revision, eingebettet in die Geschichte Israels, dessen Staatsanfänge er ja als Kind miterlebt. Er ist klug, frühreif, und agiert als Kind, mit und zwischen Vater und Mutter nicht nur wie Kinder agieren, sondern wie er selbst mehr als 30 Jahre später dies im Kontext von Familie, Gesellschaft bewertet. Von hier versteht man den Titel, und „Liebe und Finsternis“ sind keine übertriebenen oder pathetischen Worte, wobei die Finsternis tiefe Schatten auf die Liebe wirft, sie aber nicht auslöscht; umgekehrt kann die Liebe die Finsternis nicht aus dem wirklichen Leben vertreiben, wenn Oz genial die Beziehungen der Familienmitglieder und anderer Konstellationen beschreibt, aber nicht glättet. (Zur Geschichte des berühmten Onkel Joseph Klausners müsste ein eigener kritischer Artikel geschrieben werden, da bin ich noch nicht). Nicht parallel, sondern verbunden damit ist die Entstehung des Staates Israel, seinen Vorgeschichte in vielen Fächern der Familie, aber auch deren Vorgeschichte in einer Welt, von der wir heute keine Vorstellung mehr haben, und die Oz 2001 auch nur rekonstruieren kann.

Oz erklärt, als wäre es heute. Seine Abwendung von den revisionistischen Zionisten und Menachem Begin ist beeindruckend gegenwärtig. Aber auch: es gibt natürlich keine eindimensionale Geschichte des Zionismus, und rechtslinks ist die zweifelhafte Dimension, ebenso wie Religion und Abstammung, Sepharden vs. Ashkenasim. Und das alles vor 25 Jahren, seine Geschichte geht also mehr als 50 Jahre zurück. Und er bleibt Zionist, und da kann die gegenwärtige Diskussion viel lernen, aber auch die Übernahme der Geschichte in all ihren Dimensionen, und nicht nur in den glättenden, opportunen (Vgl. Amos Oz – Wikipedia , die kurze Biographie lohnt wirklich).

So berühmt, vielfach geehrt und rezipiert, bedarf es keiner Metarezension. Sondern vielleicht einer Wahrnehmung, die sich an die Regel hält, sich als Leser mit dem Text und nicht mit dem Autor zu verbinden. (Oz S. 54ff.) Was mir unter anderem auffällt, sind viele Analogien der Verwandtschaft (inclusive der seltsam genauen Übereinstimmung von familiären Geburtsdaten der Großeltern und nahen Verwandten: S. 288: Familiendaten der Mutter Fania. Analog zu meiner Familie), aber keine der Biographie selbst, jedoch wiederum etliche der Reflexion auf diese Biographie, Jahrzehnte später. Die nachholende Festlegung von Wirklichkeit, die man nachträglich ohnedies nicht ändern kann, ist beeindruckend, wenn es um wirklich tragische persönliche Ereignisse geht, aber auch positive Zustände in einer komplexen Situation. Mich fasziniert auch die Erzählung der Familiengeschichte in zweiter und dritter Dimension, etwa von seiner Tante Sonja, der Schwester seiner Mutter. Die Verbindung zur Politik wird früh sichtbar, als gäbe es keine nichtpolitische Herkunftsgeschichte, und das wird später aufgegriffen: (z.B. 314 f. Nationalismus der Jugendlichen damals. Wichtig „Das hatte sehr, sehr viel Ähnlichkeit mit dem, was man heute hier bei den Palästinensern erlebt, nur ohne das Blutvergießen, das sie anrichten. Bei den Juden sieht man heute kaum noch solches Nationalbewusstsein“. (Erzählt Tante Sonja über Rowno, ihre Herkunft – 20er 30er Jahre)). Aber all das ist von einem überragenden Autor komponiert, so dass man unterhalb der bewussten Ereignisse Einblick in die Existenz der Betroffenen hat, die immer beides ist: persönlich und gesellschaftlich).

Hier kann ich eine Brücke auch zur Lektüre von Berest einrichten, für die es ja Hier kann ich eine Brücke auch zur Lektüre von Berest einrichten, für die es ja weitgehend um einige Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts geht, als rekonstruierter Rückblick, und vielfach hat ihre Mutter die Rolle von Oz‘ Tante Sonja. Für mich als Leser ist einer Unterschiede, dass ich bei Berest keine Vergleiche mit meiner Biographie anstellen kann (außer in der Frage, was eigentlich ist, wenn man „Jude ist“), während die Differenz zu Oz‘ Biographie sich ja wie ein alternative Text, wie eine andere Melodie liest und man schon seine Interessen an seiner Geschichte bei sich überprüfen muss. Und eine wichtige Frage: was wissen WIR von Israel, auch was wissen WIR von Frankreich, wirklich? Und wieweit glätten wir, was wir wissen, um unserer Anschauung willen, um der Wahrheit, nicht der Wirklichkeit willen?

Sein Buch ist natürlich nicht nur die Geschichte der Kindheit und Jugend, vom 50jährigen erzählt und reflektiert und nach weiteren 25 Jahren gelesen und kommentiert. Aber diese Geschichte muss sein. Ergänzt durch Berest, aber Oz nimmt mich retro auf, in Arad, dann sprechen wir über die Kindheit und ihre Politik und dass es nicht möglich ist, irgendetwas aus dem Kontext „wieder gut zu machen“, so gut wie nichts.

Am Freitag 23.5.2025 äußerte sich auch Bundespräsident Alexander Van der Bellen. Gegenüber der „Kronen Zeitung“ sagte er, dass zwischen einer „unverrückbaren Haltung zum Staat Israel“ und der Kritik an der aktuellen Regierung des israelischen Regierungschefs Benjamin Netanjahu „speziell im Fall Gaza“ unterschieden werden müsse. (ORF 23.5.2025). Es ist erstaunlich, wieviel Oz vorhergesehen hatte, und wie er manche seiner Positionen im Lauf seines Lebens und seiner Reflexionen änderte oder korrigierte, aber immer seiner politischen Ethik und Kritik treu blieb. Vielleicht ist es das, was mich zum zweiten Mal und ausführlich diesem Buch von Oz zugetrieben hatte. Ich habe gelernt und korrigiert. Zum Beispiel die Lektüre von Samuel Agnon. Und da treffe ich mich mit der jugendlichen Selbstdarstellung des Oz: die kann man als Erwachsener zurücknehmen…

Und zur heutigen Debatte über das Verhältnis Israels zu Deutschland, zum Reparationsabkommen zwischen Adenauer und Ben Gurion. Es wird zwar dauernd zitiert, aber es fehlt etwas – dass Israel die Zusammensetzung der deutschen Regierung, Justiz unter den Umständen deutscher Reparationen akzeptiert. Das sagt in Deutschland heute niemand in der Politik, obwohl wir alles wissen könne, zu Globke (Adenauers rechte Hand), und vgl. Stein/Zimmermann, ZEIT 8.5.2025). Dazu S. 807f. bei Oz.

Und wir können nicht anders als die Beziehung zu Israel, die Wertung des Kabinetts Netanjahu und seiner rechtsradikalen, zT. faschistischen und rechtsreligiösen Kabinettsmitglieder und Gefolgschaft auch mit den Kriterien zu messen, die Oz ein Leben lang in einem Korridor von Wertungen entwickelt und vertreten hat. (Nur Zyniker können dem vorwerfen, man würde Palästinenser bewusst ausklammern und verkleinern im Vergleich zur Kritik an Israels Regierung. Immer die Geschichte der Hamas zeitgleich mit der Geschichte Israels im richtigen Kontext bemessen(.

Ich empfehle beide, Oz und Berest.

Für meine Freunde in Israel

Jüdisch versus Israel?!(!)

Fangen wir einfach an: „Wissenschaftler bekennen sich zu Jerusalemer Erklärung zum Antisemitismus: „Antwort auf die Mängel““ (FR 16.5.2025). Es liegt schon lange in der Luft bzw. in den Diskursen, jetzt geht die FR einen Schritt weiter. Sie veröffentlicht eine Stellungnahme für die Jerusalemer Erklärung JDA, gegen die ältere IHRA Stellungahme. Ich gehe jetzt nicht wieder einmal auf die Unterschiede zwischen beiden Resolutionen ein, beide verweisen auf die schwierige Überlagerung von Israel durch das Judentum. Ich gehe auch nicht darauf ein, dass viele Regierungen und Politiker eher die IHRA unterstützen, zum Teil autoritär, und dass die meisten Intellektuellen und WissenschaftlerInnen )die meisten, nicht alle) eher zur JDA neigen. Mir geht es um etwas anderes.

Fangen wir nochmal an. Amos OZ hat 2002 seine gewaltige autobiographisch-essayistische „Geschichte von Liebe und Finsternis“ geschrieben, viele Auflagen und Übersetzungen. Auf den ersten 100+ Seiten (von mehr als 800) beschreibt Oz seine Kindheit und vor allem die Begegnung mit Joseph Klausner, dem Onkel. (Vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Joseph_Klausner). Schon hier erfährt man viel über die Richtungen des Zionismus, und man wird über Klausners philosophische, literarische und politische Karriere noch viel erfahren. Auch, dass es zwischen der intellektuellen Superiorität und einer national-liberalen Einstellung, incl. zu Menachem Begin, durchaus Brücken gab, ist spannend. Mir geht es aber darum, Klausner in der Vielfalt des Zionismus zu erkennen und darin, dass Amos, vor 25 Jahren schon, folgendes in seine damalige Geschichte einschreibt: “ In Vaters Jugendzeit stand an jeder Wand in Europa „Juden, ab nach Palästina„. Fünfzig Jahre später, als mein Vater Europa wieder besuchte, schrieb es von allen Wänden „Juden raus aus Palästina“. (S.113). Das war 2002. Und Oz klärt auch auf, warum und wie seine Familie sich damals zu Jabotinsky und Menachem Begin wandten (was man heute schwer versteht, aber verstehen muss, sonst ist es schwierig, über den wirklichen Zionismus der damaligen Zeit kein idealisiertes, sondern ein vielschichtiges Urteil zu haben. – Ich schreibe das hier, um zu zeigen, wieviel man wirklich an Geschichte wissen muss, um das heutige Judentum in Israel wenigstens teilweise zu verstehen – hier aus der Analyse des Zionismus. Es gibt noch mehr.

*

Zurück zu den Manifesten: worüber sollen wir jüdischen Menschen, wo auch immer wir sind, im Kontext Judent(tum) und Israel, uns auseinandersetzen? Es gibt viele Menschen, einige von ihnen sind Jüdinnen und Juden. Den Satz umzudrehen, ist entweder blöde oder faschistisch.

Es gibt viele Jüdinnen und Juden, die ein gespaltenes Verhältnis zu Israel haben: das Land, ja; die Regierung, nein. Die finale Heimat, ja. Eine Gesellschaft von Mehrheiten für Siedler, Faschisten und Ultrareligiöse eher nein, wenn man befürchten muss, dass eine Rückkehr zur Demokratie wenig wahrscheinlich ist.

Der ethnische Zusammenhalt erscheint umso enger, je kleiner und gefährdeter eine Ethnie ist – trivial, nachprüfbar. Aber die Konflikte innerhalb des Judentums, und je zeitnäher umso mehr, lassen sich nicht mit einer erpressten Außenverteidigung zudecken.

(Nebenaspekt: Hier zeigen sich Analogien zur Erscheinungsform der Palästinenser, aus ganz anderen Gründen als denen des Judentums).

Es gibt gute Gründe, warum sich Israel dagegen verwahrt, ins Meer getrieben und ausgelöscht zu werden. Netanjahu beschädigt diese Gründe erheblich, und wenn sie nicht ausreichen, wird Israel für Juden und Jüdinnen viel weniger erheblich sein. Keine gute Voraussicht. Aber wer weiß, Judentum ist auch ein Symbol und eine Hoffnung für Widerstand.

Soweit also, wenn es um „Juden“ geht, also den Stamm der Jüdinnen und Juden. Was aber bedeutet „jüdisch“? Da möchte ich strenger sein als die oberflächliche kulturelle Selbstbeschwichtigung. Jüdisch bedeutet nicht mehr und nicht weniger als jedes ethnisch-kulturelle, ethnisch-soziale und ökonomische Attribut, das als zentral für die eigene Zugehörigkeit, sozusagen die innere Heimat in der Hierarchie der Identitäten verstanden wird. „Verstanden“, das heißt nicht nur gefühlt, sondern durchdacht, abgewogen, für uns selbst geformt. Und hier gibt es Maßstäbe, historische, kulturelle, religiöse, lebenspraktische – und nicht alles, was hinter der Bezeichnung stehen kann, ist schon deshalb akzeptabel.

Was sicher Ärger macht, ist die Behauptung, dass jüdisch und faschistisch durchaus zusammengehen können, aber dann eben nicht das „Jüdische“ sind, das ich meine, wenn es um das Weiterleben, Überleben des Jüdischen und damit des Judentums geht. (Hier könnte ich scharfe Kritik an einebnenden Vermittlungen, sozusagen Judaism light, üben; mache ich aber nicht, lenkt ab). Aber Jüdisch kann auch mit ganz anderen Anschauungen, Kulturen etc. zusammengehen, im Übrigen ist deshalb der Jüdische Staat und nicht der Judenstaat die richtige Hoffnung gewesen, ist es hoffentlich weiterhin. Jüdisch ist an den Humanismus gebunden, und nicht an den Judaismus. Das ist eines der wichtigsten Kriterien, welche Position man einnimmt, z.B. zur Frage Antisemitismus, siehe oben.

Trump Antisemit &

Das der Diktator Trump keine Adjektive mehr bekommt, ist wichtig und richtig: ein Diktator kann sich mit allen negativen Eigenschaften bedecken, es kommt nicht darauf an, welchen Aspekt man seiner Herrschaft besonders ankreidet – er ist ein Diktator.

Ich bestehe weiter darauf, dass Putin und Trump „verwandte“ Faschisten sind, natürlich mit neuen, zeitgemäßen Formen. Es gibt keinen Grund, Trump für einen partiell näher stehenden Verbündeten vorzuziehen, nur weil wir in der NATO und auf dem Weltmarkt zur Zeit von ihm mehr abhängig sind. Uns es kann immer mehr als einen Diktator geben, den man ablehnt.

Mein Vorbild Prantl schreibt über Jazz vor hundert Jahren und macht einen Sprung in die Gegenwart: Manches, nicht zuletzt die Eskapaden der damals Reichen, erinnert an die Zwanzigerjahre des 21. Jahrhunderts. Vieles, und das ist jetzt meine subjektive Sicht, auch nicht. Damit meine ich nicht das Politische, denn das wiederholt sich nicht. Die Autoritären des Jahres 2025 sind nicht wie Mussolini, Hitler oder Stalin. Es reicht schon, dass Putin wie Putin ist und Trump wie Trump. (Prantl, SZ 4.4.25). Man beachte das „wie„. Das heißt ja nicht, dass es keine Analogie der heutigen Faschisten zu früheren gibt, sondern nur, dass sie ihre eigene Prägung haben (und nicht zuletzt deshalb von vielen ihrer unterstützenden Volksmassen gegen deren Lebenseinschränkung hoch gelobt werden). Trotzdem bestehe ich auf der Analogie.

Dass Faschisten und andere Diktatoren oft ihren Antisemitismus hinter scheinbarer Judenfreundlichkeit verbergen, ist fast logisch. Wenn wir heute den Juden Netanjahu, der nun wirklich nicht jüdisch ist, als Freund und Verbündeten von Trump und Orban haben, wenn Musk die deutsche Nazis umgarnt, dann ist das bedrohlich genug. Dass Trump das mit der Demolierung der US Wissenschaft auf die Spitze treibt, muss nicht verwundern, ist aber noch komplizierter, weil es dabei auch um die Verfolgung nicht-weißer Gegner (Orientalen) an amerikanischen Universitäten geht. Dazu muss man die Geschichte des weißen Rassismus in den USA kennen.

(Einschub: zufällig in der gleichen Ausgabe der NYRB wie die folgende Berichterstattung über Christopher Browning ein Rezension von Miri Rubin: Christian Hair, über Magda Teters „Christian Supremacy: Reckoning with the Roots of Antisemitism and Racism“, Princeton. Das ist deshalb so wichtig, weil in den USA Juden und Schwarze durch die weiße „Christian supremacy“ besonders betroffen sind. „In the autumn of 2024 anti-Black and anti-Jewish were by far the most common categories of hate crime in the US. Christian supremacy helped make such suffering possible„. O ja.)

Also zurück zu Trump, dem Antisemiten, und seinen faschistischen Untergebenen: Der Kampf der rechtsreligiösen Amerikaner gegen die Wissenschaft ist schon alt, und breitet sich aus, je schwächer die Demokratie ist. Denn man muss ja die alternativen Wahrheiten verbreiten dürfen. Und wenn man an der Se4ite Netanjahus die arabischen Studierenden der USA demütigen oder verjagen kann, gelingt das umso leichter, wenn man sich als Faschist für die Juden bzw. für Israel einsetzt – wie Trump. Man muss Christopher Browning genau lesen: Trump, Antisemitism & Academia. (NYRB 10.4.2025, S. 42). Trump benutzt einige antijüdische Vorfälle „while openly advocating criminal violence against Palestinians. His campaign against campus antisemitism is simply a hypocritical pretetx for his aussault on American higher education„. Das hat natürlich folgen. Immer mehr Hochschullehrende verlassen US-Unis und gehen in demokratische Länder. „Was hier geschieht, ist Faschismus“ von Frauke Steffens (FAZ 4.4.2025 beschreibt, wie ein Professor aus Yale (immerhin eine der besten Unis der Welt) nach 12 Jahren die Hochschule verlässt und nach Kanada geht (wo man ihn „natürlich“ gern empfängt). Auch Timothy Snyder macht das und andere…auch wir müssen sie aufnehmen und pflegen – die USA lassen das

*

Nochmals. Trump ist ein Diktator, deshalb ornieren wir ihn nicht mit Adjektiven. wissenschaftliche Denken fallen. Das man oft in der Politik taktisch mit ihm umgehen muss, ist angesichts seiner Macht wohl unumgänglich, in Grenzen, aber es gibt keine positive Verbindung – wie man das früher mit dem Westen wohl getan hat, es gibt keine Dankbarkeit gegenüber den USA, es gibt nur die Pragmatik des Schwächeren gegenüber einem Diktator. Das entlastet unser Verhältnis zu Putin nicht. Ein Diktator relativiert nicht einen anderen.

Und wenn die Israelische Politik (Botschafter) in die jüdische Meinu8ngsfreiheit in Deutschland eingreift, muss uns klar sein, dass nicht jeder Jude (Netanjahu) auch jüdisch ist. Darüber kann, muss man streiten. „Jüdisch“ ist nicht nur ein Adjektiv. Es ist eine Bezeichnung, die sowohl historisch, religiös und/oder ethisch als auch politisch auf einer Überlebensmoral beruht, die mit dem Judentum mehr zu tun hat als mit der derzeitigen israelischen Regierung.

Zwei Welten. Politik und Wirklichkeit

Omri Boehm[1] hat seine Rede zum 80jährigen Gedenken verschoben, u.a. wegen der israelischen Indienstnahme des Opfergedenkens (Gedenken zu Buchenwald-Befreiung

ohne Philosoph Boehm, dpa 2.4.2025, vgl. auch Streit vor Gedenkfeier – Gedenken zu Buchenwald-Befreiung ohne Philosoph Boehm – Politik – SZ.de)). Die offizielle Politik Israels ist natürlich gegen den Philosophen Boehm eingestellt:

„Die israelische Botschaft in Berlin schrieb auf X, es sei empörend und eine «eklatante Beleidigung des Gedenkens an die Opfer», Boehm einzuladen. In dem Posting unterstellte die Botschaft Boehm unter anderem, den Holocaust zu relativieren“. (dpa)

Das ist keine Ausnahme aus der reaktionäre Politik Israels: „Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu ist am Donnerstag trotz eines internationalen Haftbefehls in Ungarn eingetroffen. Netanjahu landete am Donnerstag kurz nach 2.30 Uhr am Flughafen von Budapest, wo er von Ungarns Verteidigungsminister Kristof Szalay-Bobrovniczky empfangen wurde.“ (t-online 3.4.2025). Natürlich wird der Faschist Orban den israelischen Verbündeten empfangen, um die europäische Demokratie zu schwächen. Jetzt tritt er aus dem Strafgerichtshof aus – es ist Zeit, Ungarn aus der EU auszuschließen, solange der Faschist dort regiert. Gefährlicher wird es, wenn der erwartete deutsche Kanzler Merz auf seiner Einladung Netanjahus besteht.

Da jüdische Menschen eben Menschen sind, und ein Teil der Menschen wie überall Faschisten sein können, ebenso wie Antifaschisten, ebenso wie klug oder dumm, weil sie eben Menschen sind, schließt sich der Kreis der Argumente gegen die israelische Ausnahmeposition, die zunehmend im Fahrwasser des Diktators Trump taumelt, aber schon vorher gefährlich verletzt war.

Ich muss das hier nicht kommentieren, alle Elemente des Arguments finden sich in den heutigen Medien, und was sich in Budapest tut, ist im Schatten des Trump-Angriffs auf die demokratischen und darüber hinaus bedürftigen Menschen weltweit ohnedies nur ein Nebenschauplatz. Das hat für uns Konsequenzen. Die wichtige Marianne Birthler fasst es richtig zusammen: Ex-Bürgerrechtlerin Birthler fürchtet Abgleiten der USA in Diktatur (DTS 2.4.2025), übrigens: wieso Ex-?

Im Übrigen zeigt sich, wie falsch die deutsche „Staatsräson“ gegenüber Israel die Wirklichkeit fehl-interpretiert. Mich interessiert an diesem ansteigenden Konflikt vor allem, wo die Deckungsgleichheit der Diskurse um JUDENTUM und ISRAEL nicht vollständig ist, wo also Differenzen bestehen und wie sie bedacht werden müssen.

Das geht nicht mit dem Zeigefinger einer weiteren eigenen Meinung. Da muss schon tiefer gegraben werden, in die Geschichte des Judentums, des Zionismus, des Antizionismus, der sephardischen Mehrheitsübernahme gegenüber den Ashkenasen usw. Also wissenschaftlich und empathisch sich mit Israel, dem Nahen Osten und seinen jahrzehntetiefen, jahrhundertetiefen Feinden, und der Gegenwart auseinandersetzen.

Der Nebenschauplatz regt mich trotzdem auf. Die mangelnde Distanz zu den politischen Diskursen wie zum Universum von fake-news, also die Distanz zur Differenz von Wahrheit(en) und Wirklichkeit verbaut oft vernünftige und gewaltmindernde Kommunikation.

*

Dabei wollte ich heute über etwas anderes schreiben, geht aber nicht, wenn sich die bösen Geister vor die Bühne drängen. Ich muss ja meine Follower nicht beruhigen, sage ich mir. Aber die Aufgeregten auch nicht noch mehr aufregen. Eigentlich wollte ich über das Frühjahr schreiben, die Jahreszeit des Erwachens. Tückisch, weil man sich überfordert. Und eben literarisch und poetisch viel schöner als wirklich…die Sonne scheint, der Himmel ist blau, Blumen sprießen, – und es ist kalt. Es ist die Jahreszeit, in der man etwas VOR SICH hat, meint, vor sich zu haben, und das geht immer schneller vorbei, nicht nur mit der Erderwärmung, sondern mit dem eigenen Altersfortschritt sammelt sich immer mehr Erinnerung gegenüber dem, was man selbst noch erleben kann. Kann, nicht unbedingt möchte. Darüber wollte ich schreiben, nicht als Ratgeber, sondern beobachten, wie sich das Verdrängen und Verbiegen von globalen und lokalen Entsetzlichkeiten verändert hat, seit ich es beobachte, das ist auch schon lange. Die Kürze der thematischen Vordergrundbeschäftigung mit Schrecklichkeiten hat zugenommen, nichts bleibt wirklich Dauerthema, auch wenn es zur eigenen Kultur gehört (Der Einwand, dass Migration und Inflation solche konstanten Themen sind, kann überprüft und widerlegt werden: oft sind Themen keine wirklichen Probleme, sondern Ablenkungen von der Wirklichkeit).

Darüber wollte ich schreiben. Aber geht zum Anfang zurück. Netanjahu und Trump. Man kann gar nicht genug ausputzen. Ich schreibe jetzt nicht über das Frühjahr, die Kälte, die zur Erderwärmung gehört und wie es draußen ausschaut. Das Unerträglich dringt durch die Mauern und setzt sich neben mich an den Schreibtisch. Müde werde ich jedenfalls nicht.

Boehm, O. (2023). Radikaler Universalismus. Berlin, Ullstein.


[1] Boehm, O. (2023). Radikaler Universalismus. Berlin, Ullstein.

                Es lohnt sich eine Auseinandersetzung zwischen Philosophie und Politik, wenn der Philosoph „politisch“ ist, aber philosophisch bleibt. Auch geht es Boehm um die Relativierung von Wahrheit gegenüber der Gerechtigkeit im konkreten Fall Israel.

Bleibt das Judentum? Das Jüdische?

Seit langem forsche ich, und lerne ich die Differenz zwischen dem ethnischen und dem ethisch-kulturellen Judentum differenziert kennen. Es gibt da viele Facetten. Eine hat mich gestern aufgeschreckt:

So etwas lese ich häufig, ärgere mich über die doppelbödige DEUTSCHE Reaktion und viele Brücken nach Israel, nicht alle gut und richtig. Aber gestern hat mich meine Vergangenheit eingeholt:

DPA 28.3.2025

Mit einer Mahnwache soll an den Brandanschlag auf die Oldenburger Synagoge vor rund einem Jahr erinnert werden. «Wir wollen gemeinsam dafür einstehen, dass Menschen aller Religionen und Weltanschauungen hier bei uns in Frieden zusammenleben», meint Organisatorin Kathleen Renken. Der Arbeitskreis Religionen Oldenburg, die Kirchen und die Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit Oldenburg laden um 19.30 Uhr zu der stillen Kundgebung an der alten Synagoge in der Petersstraße ein.

Ein junger Mann soll am 5. April 2024 einen Brandsatz gegen die Eingangstür der Oldenburger Synagoge geworfen haben. Zwei Hausmeister eines benachbarten Kulturzentrums entdeckten das Feuer und löschten die Flammen. Niemand wurde verletzt. Der Anschlag löste bundesweit Entsetzen aus. Die Polizei bildete nach dem Vorfall eine Ermittlungsgruppe unter Leitung des Staatsschutzes.

Nach der Ausstrahlung des Brandanschlags in der ZDF-Sendung «Aktenzeichen XY … Ungelöst» nahmen die Ermittler Ende Januar einen Verdächtigen fest. Nach Angaben der Staatsanwaltschaft legte der Mann aus dem Landkreis Vechta ein Geständnis ab. Er sitzt in Untersuchungshaft.“

Auf den ersten Blicken wie immer, wie überall. Immer meine Fragen: was haben vorherrschende Religionen mit Antisemitismus zu tun und was nicht, was isoliert die kriminellen Attacken in der Aufklärung und Strafverfolgung bei der Justiz, was berührt mich besonders, wenn es um das Allgemeine geht?

Das letztere ist wichtig. Das Allgemeine – klar gegen Ausländer, gegen Juden, gegen die „Anderen“. Was mich stört ist die doppelbödige Diskurswirklichkeit der Religionsgemeinschaften. Christlich-Jüdisch, Christlich-Jüdisch-Muslimisch etc. Drei konkurrierende Monotheismen und mit anderen Religionen, die sich seit langem nichts geschenkt hatten, haben, schenken. Und doch reflektieren sie nicht, wie die Religion die ethnische Realität – Antisemitismus der arabischen Welt, Antipalästinensismus der israelischen Regierung, islamisch-hinduistische Kontroversen in Asien, Vereinnahmung des Christentums durch die Faschisten um Trump etc. – unterwandert, untergräbt, an den Rand drückt.

Im Konkreten kenne ich die Synagoge in Oldenburg, die jüdische Gemeinde, ihre Entstehung, ihr Wachstum, ihre Praxis, seit 40 Jahren, die Rabbinerinnen, die Rabbiner, Ein- und Austritte, die Veränderung durch die osteuropäische Einwanderung, v.a. Juden aus der Ukraine und aus Russland, schon bevor die beiden getrennt waren…Und einerseits war es eine der am wenigsten kontroversen jüdischen Gemeinden in Deutschland, auch dank Sarah Schumann, Bea Wyler, Alina Traiger, mit einer interessanten Verbindung zur Universität Oldenburg und den dortigen Protestantinnen v.a. Andrea Strübind, aber andererseits ist das Judentum nicht durch Religion allein auch nur beschreibbar, erklärbar…

Was mit der Einwanderung in Deutschland geschehen ist, war und ist bislang weitgehend politisch richtig, kulturell, ideologisch und sozial aber weitgehend einseitig, teilweise falsch.

Auch wenn man den islamischen Antisemitismus erklären kann, versteht man ihn nicht und kann auch nicht gegen ihn vorgehen, wenn man sich die religiöse Engführung nicht kritisch vornimmt. Hier kann man empirisch und auch theoriegeleitet in die Details gehen, aber vom Allgemeinwissen sind die meisten weiter entfernt als selbst in ihrer religiösen Grundkenntnis.

Mich schmerzt das Oldenburger Ereignis, aber mehr noch die Tatsache, dass die Diskurse um die antisemitische/antijüdische/anti-israelische Wirklichkeit zu sehr an religiöse Wahrheiten und Tabus gebunden sind. Augen auf, kann ich da nur sagen.

Oldenburg macht mich retrospektiv etwas betroffen. Ich bin ja nicht mehr dort, Sara Ruth Schumann ist schon lange tot, Alina Treiger ist in Hamburg, die Gemeinde hat sich gewandelt (ich kenne sie genau genommen kaum mehr, und ich kann auch nicht russisch/ukrainisch). Generell betroffen macht mich die zähe, fast endlose Schleife des spezifisch deutschen Antisemitismus.

Verzeiht die Analogie: so wie die Demokratien heute gewaltsam unter Druck stehen, als Demokratien, nicht als Wirtschafts- und Militärmächte, so steht das Judentum unter Druck, als Verbindung ethnischer und religiöser jüdischer Entwicklung nicht nur über die Zeiten hinweg, auch ganz und gar gegenwärtig. Wenn wir uns nicht weiter entwickeln, verschwinden wir.

P.S. werte LeserInnen, wer hierzu in Dialog treten will, ist besonders willkommen. Ich mag hier den persönlichen Dialog lieber als den institutionellen

Politik mit Gefühlen: Israel und die Welt

Dass Politik Emotionen hervorruft, dass sie von Gefühlen mitgesteuert wird, wenn Rationalität nicht genügend greift, wissen wir. Wenn aber Gefühle auf der selben Ebene wie Vernunft Politik herstellen, steuern und gegen die Gesellschaft, manchmal auch mit ihr, in Stellung bringen, bedarf das der Erklärung.

Und dass Israel heute, Israel nach dem 7. Oktober 2023, stärker noch als Israel nach 1948, als Palästina nach 1917, als Beispiel für eine Theorie genommen wird, die global anwendbar sein kann, gebraucht wird, ist besonders.

Ich hatte schon früher auf die Autorin und Wissenschaftlerin Eva Illouz hingewiesen (*1961, Israel und Frankreich, Originaltexte oft Englisch), sie arbeitet multidisziplinär und nachdrücklich verständlich. Jetzt geht es mir um das Buch „Undemokratische Emotionen“ (2023) und die Verbindung einer wichtigen Theorie mit dem Beispiel Israel, v.a. nach dem 7. Oktober. Gleichzeitig kritisiert sie die antisemitische Haltung derer, die Israel immer als erstes, aber negatives Beispiel internationaler Konflikte nehmen.

Angst, Abscheu, Ressentiment und Liebe – das sind die vier Qualitäten der nationalistischen Politik Israels (durchgängig analysiert, erstmals genauer S.22ff.). Sie führt diese Qualitäten auf drei soziale Erfahrungen zurück, wobei die kollektiven Traumata der Jüdinnen und Juden in Angst vor dem Feind umgesetzt wurden, der umstrittene Nationalismus nach der Landnahme von 1967 ist die zweite Erfahrung. Beide kennen wir ziemlich genau. Aber ich bin positiv erfreut, wie wichtig Illouz den Konflikt mit den Mizrachim, also „jener Jüdinnen und Juden, die oder deren Vorfahren aus arabischen Ländern stammen“ (alle drei Punkte S. 21).

Aus diesen kurzen einleitenden Absätzen entsteht ein faszinierendes Buch, das den jetzigen Zustand der israelischen Auseinandersetzung nicht nur mit der Hamas im Gaza, sondern im weiteren Umfeld beschreibt.

Angst, Abscheu, Ressentiment – die drei Qualitäten der Emotionalität kann man relativ schnell analysieren. Aber „Liebe“ zur Nation (27ff)? Ich habe mich schon mehrfach, auch hier in den Blogs, mit der Doppeldeutigkeit der amor patriae, der Liebes DES Vaterlands und der Liebe ZUM Vaterlande, auseinandergesetzt. Das wird in dem Buch nicht abstrakt, sondern detailgenau empirisch abgehandelt: rationales Herangehen an Gefühle, mit scharfer Kritik am emotionalen Ausblenden der Vernunft, u.a. durch singulare Identität. „Geliebt und gefürchtet zu werden sei die beste Methode, um Macht auszuüben“, bezieht sich Illouz auf Macchiavelli, und auf den Vorrang des Gefürchtetwerdens (32).

Ab hier kann und soll man die Ausformungen, Schnittmengen und Schlussfolgerungen der Methodik genau verfolgen, weil Israel in der Tat die Blaupause für die Zerstörung von Demokratie durch eine fatale Aneignung und Praktizierung der vier emotionalen Bestandteile ist. Der Faschismusvorwurf gegen Netanjahu und Teile seiner Regierung – ad personam und partei-bezogen – wird genau belegt. (Wer Netanjahus Geschichte metaphorisch nachvollziehen möchte, sollte auch das lesen: Joshua Cohen: The Netanyahus – An Account of a Minor and Ultimately Even Negligible Episode in the History of a Very Famous Family, NYRB 2023). Auch der Hinweis, dass der Pöbel nicht von vornherein faschistisch ist, aber für diese Entwicklung prädestiniert wirkt, sollte beachtet werden – es geht eben nicht nur um die prekären Einzelpersonen, die brauchen schon massenhafte Unterstützung.

Unbedingt aber sollte man das Abschlusskapitel lesen. Es ist durchaus parallel zu den wichtigsten Interpreten und Kritikern der gegenwärtigen Politik zu lesen, Omri Boehm, Delphine Horvilleur, Grossmann usw. Aber auch die Herkunft soziologischer Gedanken, v.a. Simmel 1908, fällt auf, wenn es um den Fremden geht: Illouz fokussiert auf Brüderlichkeit im Kontext von Universalismus. „Als Emotion, die typischerweise von Fremden hervorgerufen wird, schließt Brüderlichkeit Mitgefühl ein, geht aber darüber hinaus“ (223). In der Diskussion um Empathie sollte man immer an die Gefahren denken, wie sie zB. Breithaupt (2016) darstellt – und wie sie Netanjahu massenwirksam missbraucht. Illouz` Verbindungt zum Universalismus ist wichtig, geradezu aktuell: “ In einer universalistischen Gemeinschaft sollte die Zugehörigkeit zu einer religiösen Minderheit den eigenen politischen Status nicht beeinflussen. Das mag einer der Gründe dafür sein, warum Juden ein überproportional starkes kommunistisches oder sozialistisches Engagement an den Tag legten“. (225). Das ist schwierig nachzuvollziehen, aber einen Aspekt nennt Illouz sofort, dass „Juden vorbildliche Bürger in Frankreich und den USA waren“. Das Imperfekt stimmt leider, heute sind sie vor allem gegen Trump tief gespalten. Der Abschluss ist nur damit verständlich, weil Illouz vor allem die Religion mit der liberalen Demokratie verbindet, wenn der Universalismus greift – wenn nicht, haben wir die heutige Situation und das, was in dem Buch ausführlich analysiert wird. Den „nichtjüdischen Minderheiten die vollen Menschenrechte zugestehen“ wäre der „wahre und einzige Geist des Zionismus und jener Zivilreligion, die er im Landes Israel zu verwirklichen versucht hat. Ob es ihm gelingt, bleibt eine tragisch offene Frage“. (227)

Für mich traurig, aber wahr. Der letzte Satz wird im Augenblick von den Faschisten negativ beantwortet, und wo der Zionismus und nicht nur sein Geist ist, wäre fraglich. Aber Illouz muss die Frage offen halten.

Antisemitismus nachgelegt

Ihr wisst, dass ich seit Jahren den Antisemitismus, den offenen und den verdeckten, angreife, bloßlege, kritisiere. Und dass das gerade nicht entlang der offiziellen und wahrnehmbaren Konfrontationslinien erfolgt, weil die verschiedenen Positionen sich zu sehr verabsolutieren.

Dass die Auseinandersetzung zwischen Israel und Hamas zu den absurdesten, teilweise den Konflikt antreibenden Realitäten zählt, habe ich schon beschrieben. Und dass es bei der Kritik an Netanjahu (Regierung) nicht um eine Kritik an der Existenz des Staates Israel (Nation) geht, ist ein Teil meiner Überzeugung und der intensiven Forschung zur Geschichte des Staates Israel. Zu der zählt auch das Hereinholen der wichtigsten Verbündeten gegen die einseitige Verteidigung Netanjahus, zB. Grossmann, Oz, Leshem und deren Hintergrund (Vgl. den Blog „Israel, Palästina.“ 27.12.2024 mit ausführlichen Literaturangaben). Auch verweise ich immer häufiger auf die neuesten Untersuchungen und Kommentare von Delphine Horvilleur und, im Kontext, von Eva Illouz. Besonders deren 2023 geschriebenes und erschienenes Buch „Undemokratische Emotionen“, mit Avital Sieron (Suhrkamp). Und jetzt, zum Jahreswechsel den kurzen Essay „Völkermord? Im Ernst?„, SZ 29.12.2024. Hier werden mit atemberaubender Genauigkeit der Unsinn des Völkermord-Vorwurfs durch Südafrika und andere, sowie die teilweise langfristigen Vorgehensweisen der UN und des internationalen Gerichtshofs beschrieben, die es durchaus erschweren, Kritik an Kriegsverbrechen Israels und an der teilweise kritikwürdigen Reaktion auf den Angriff der Hamas vom 7.10.2023 zu üben und auszuführen.

Wenn ich sage, der kurze Essay wirkt befreiend auf mich, soll das kein Missverständnis hervorrufen. Aber in einer zutiefst zerfurchten, mehr als gespaltenen jüdischen Diskussion, hier (Deutschland) wie dort (Israel, USA vor allem) und der oft schwer erträglichen Metadiskussion aus der nicht-jüdischen Politik und Reflexion, ist der kurze, klare Essay von Illouz eine echte Stütze. Man liest, was man weiß, in der vielleicht klarsten Variation.

Dass und wie man Israel aus der Wirklichkeit vieler Völkermorde zu Unrecht herausisoliert, ist bekannt und belegt. Es führt aber doch auch dazu, dass wir die UN, die internationale Justiz und das komplexe Gebilde der globalen Diskurserneuerung des Völkermords ebenso kritisch und mit Priorität behandeln sollten wie unsere Kommentierung der Vorgeschichte, des Faktums und der Wirkung des 7. Oktober 2023.