Widerstand und Loyalität

Ich war schon versucht, meine unerfreuliche Finis-terrae-Serie zu unterbrechen und mich den hoffnungsvollen Entwicklungen zuzuwenden, z.B. den Europademonstrationen an jedem Sonntag um 14 Uhr. Aber nicht nur die Anschläge in Schweden und Deutschland, die irrsinnige Bombenlust des wahnsinnigen US Präsidenten, die heimtückische Mordallianz von Putin und Assad, die Unverfrorenheit des Erdögan und die Duldungsstarre unserer Regierung und der EU gegen die Übeltäter in Polen, Ungarn usw. lassen nicht zu, eine Art innenpolitisch-kultureller Selbstbeschränkung sich und mir aufzuerlegen.

Aber mir ist sarkastisch zumute. Ich bin fast physisch verärgert über einen Tsunami an Gesinnungen, hinter denen verantwortbare Praktiken zurückfallen, im Privaten wie im Öffentlichen. Womit ich in einer Falle bin, weil ich die Verantwortungsethik in der Politik aus einer Gesinnung heraus fordere, die auf Vernunft baut, aber natürlich nicht voraussetzungslos vernünftig ist. Dann lieber Short-cut:

  1. Widerstand gegen Schwachsinn als Einsatz

Vereinbarkeit von Ökonomie und Ökologie. Kommt darauf an, wer das sagt und was daraus gemacht wird.

Wegen einer Störung im Betriebsablauf gibt es eine Verspätung von X Minuten. Evidenter Blödsinn, er auch nicht mehr schadet als Weichenstörungen, Signalstörungen, fehlende Wagen. Ist der Zug, der kürzlich ohne zu Halten durchgefahren ist, eine Störung im Betriebsablauf.

Das sind Beispiele für harmlosen Schwachsinn. Widerstand aber ist angezeigt, wenn die Blödheit zum Prinzip wird: Freiheit und Sicherheit müssen in ein vertretbares Verhältnis gebracht werden. Das ist eine Zusammenfassung, ähnlich unsinnige Schablonen zur Grundlage hat, wie soviel Sicherheit wie nötig, soviel Freiheit wie möglich…. Unzählige Variationen dieses Satzes zwingen uns nach jedem Anschlag und nach jeder Gesetzesverschärfung das Verhältnis von F und S zu überdenken.

Nachweislich hat keine Gesetzesverschärfung besseren oder dauerhaften Schutz vor Gewalt gebracht, vor allem sind die Risiken gegen Terror und terroristische Gewalt nicht gesunken, weil die Angreifer die Versicherheitlichung der staatlichen und teilweise privaten Politik ausnützen. Zugleich hat die staatlich angeordnete und teilweise privat betriebene Überwachung unserer Lebenswelten ungeahnte Ausmaße angenommen. Sie trifft sich mit einem seit dreißig Jahren gesunkenen Bewusstsein für sensible Daten und den Schutz der Persönlichkeit – was im Übrigen eine massive Erneuerung unserer gesellschaftlichen Diskussion um Privatheit und Öffentlichkeit, res publica, bewirken sollte.

  1. Plädoyer für das unsichere Leben

Erstaunlich viele Intellektuelle und Kulturkritiker entdecken ein scheinbares Paradoxon: je unsinniger die offizielle Politik, die Rhetorik des „Establishments“ (nie ohne „“ à Trump!), die Wahlkämpfer aller Richtungen auf SICHERHEIT konzentrieren, desto unglaubwürdiger werden sie. GLEICHZEITIG – Das ist wichtig – bemerken wir eine neue POLITISERUNG der Jugend (von Kindheit an, behaupten gar einige kluge Beobachter), einen neuen Widerstand gegen die UNMITTELBARKEIT DER MACHT, die Sicherheit verspricht und Freiheiten einschränkt.

Erdögan scheint zu merken, dass sein dünner Wahlsieg auch 45% oder mehr an Opposition verspricht. Trumps verlogener Schwachsinn provoziert Widerstand bei den vom Staat stark abhängigen forschenden Wissenschaftler*innen.  Gegen den Abschiebungsunsinn der deutschen Innenminister und Ämter wehren sich nicht nur Ehrenamtliche.

DA ALLE POLITISCHEN HANDLUNGEN ZUNEHMEND MIT SICHERHEIT BEGRÜNDET WERDEN, IST DER WIDERSTAND GEGEN DIE VERSICHERHEITLICHUNG UNSERES LEBENS ZUGLEICH EIN PLÄDOYER FÜR UNSICHERES WEITERLEBEN, ALSO FÜR DIE FREIHEIT.

Nein, der Staat soll nicht aufhören, in Ausübung seines Gewaltmonopols uns, seine Bürger*innen zu schützen. Wenn er dazu aber die Rechte anderer Menschen missbraucht, um „uns sicherer“ zu machen, und dazu noch unsere Freiheiten einschränkt, verdient er ILLOYALITÄT.

Als nach dem Radikalenerlass die noch recht altdeutschen Gerichte die FDGO (Freiheitlich demokratische Grundordnung, für die jüngeren unter meinen Leser*innen) auslegten, da wurde immer gefordert, man dürfe nicht einfach gesetzes- und verfassungstreu aus kühler Distanz sein, man müsse engagiert und glaubwürdig zu den diktierten Werten stehen (die ohne das Diktat schon ganz annehmbar gewesen wären und bis heute sind).

Die Zeit blieb nicht stehen, Demokratie, Freizügigkeit und Grundrechte sind heute besser etabliert als damals, der Prozress des Widerstands und der Aufklärung ist ja nicht Ende. Aber zugleich wachsen nicht nur von rechts-außen, auch vom linken Rand und aus der sich selbst-verlierenden Mitte, Opposition gegen die Freiheit, weil man Angst hat, sie zu gebrauchen.

Ja, es gibt Terroristen und Wirtschaftsverbrecher und andere Gewalttäter. Ihre ideologischen und religiösen Wurzeln zu leugnen, wäre so dumm wie die negativen Auswirkungen unserer Wohlstandsverwahrlosung auf die ärmeren, die weniger arrivierten und erfolgreichen Schichten zu leugnen. Bei sogenannten Kulturskandalen kann man das besonders gut studieren, das wird bald ein neuer Blog. Nein, die besseren Umstände sind nie heile Welt gewesen, und werden es auch nicht.

Aber Freiheit bedeutet fast notwendig LEBEN IN UND MIT UNSICHERHEIT. Wer frei ist, exponiert sich. Denn jede Gewalttat, mit Hannah Arendt: jede Lüge, ist ein Angriff auf die Freiheit, nicht abstrakt, ganz konkret. LEBEN MIT UNSICHERHEIT heißt für uns, keine Freiheiten dafür preiszugeben, dass das Risiko, Opfer politischer Gewalt zu werden, um ein paar Promillepunkte fällt.

(Jetzt höre ich die Abschiebefanatiker schmunzeln: dann sei es ja nicht so schlimm, Afghan*innen in die Unsicherheit ihrer Heimat abzuschieben. Falsch: man schiebt sie ja in die UNFREIHEIT ab, und das bedeutet Sicherheit etwas anderes).

Es scheint, dass viele in der ZIVILGESELLSCHAFT dies so gut begriffen haben, dass die faschistischen und gewaltbereiten Machthaber, nicht nur in Russland und der Türkei, sondern auch in der EU, natürlich wissen, wieviel Widerstand, aber vor allem wieviel ILLOYALITÄT in ihren Gesellschaften gegenüber dem Staat bereist EXISTIERT. Sie wehren sich, mit unlauteren Mitteln. Sie polarisieren.

So ist es bei uns nicht. Ich sage auch nicht, dass es bei uns NOCH NICHT so weit sei. Aber ein paar Lehren aus der Vergangenheit wird man doch ziehen dürfen. Loyalität ist eine Tugend, die verdient werden will, nicht um den Preis uneinlösbarer Sicherheitsversprechen angeordnet.

 

 

 

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