Nicht alle Juden sind JÜDISCH

Der Konflikt IST. Er muss nicht sein, aber er hilft. Ihr wisst, dass ich in der normalen Konversation und im Diskurs den Begriff JUDE so gut wie nicht verwende. Ich reduziere ihn auf die ethnische Herkunft, nicht auf die religiöse und sozio-kulturelle.

Mir ist das Thema doppelt wichtig. Persönlich, weil ich „Jude“ bin und mich „jüdisch“ begreife. Und weil ich – was heute politisch wichtig ist – die Aussonderung des Begriffs „jüdisch“ als teilweise unsinnig oder falsch, teilweise aber durchaus antisemitisch begreife. Und wenn von Israel die Rede ist und vom gegenwärtige Konflikt, schwingen beide Begriffe mit.

Jude ist also ein ethnischer, wenn man will sozialanthropologischer Begriff. Kein religiöser, das ist wichtig. Jüdisch wieder ist ein Attribut, das Menschen tragen neben anderen, und wie wichtig sie den Begriff reihen, ist nicht festgelegt „zuerst mal bin ich jüdisch…oder: ich bin zuerst europäisch, dann deutsch (als Staatsbürger), dann jüdisch (Mitglied der Gemeinde), oder zuerst bin ich links, oder naturverbunden, oder Familienmitglied. etc.etc.“

Worauf ich hinauswill, erraten schon einige von euch. Netanjahu ist genauso wie wahrscheinlich alle Mitglieder seiner faschistischen, rechtsreligiösen, siedleraffinen Regierung „Jude“. Meine Behauptung ist, dass weder er noch seine Regierungsmitglieder noch seine Anhänger JÜDISCH sind. Das ist als Vorwurf gemeint, es klingt hoffentlich auch so. Was jüdisch ist, wird nicht genetisch oder anthropologisch festgelegt, es ist historisch, sozial und kulturell der Begriffsbildung durch Betroffene und Beobachter zugeordnet. Die Zusammengehörigkeit definiert sich nicht über die Ethnie, sondern über die gemeinsame Identifikation mit Qualitäten, – und die sind geschichtlich und nicht dogmatisch festgelegt.

*

Was an Natanjahu und seiner rechtsradikalen Koalition NICHT JÜDISCH ist, kann man leicht erkennen. Das Fehlen von Empathie, die Qualität der empathischen Kommunikation mit anderen, wenn man so will, auch „mit den Feinden“. Das kann man religiös begründen, soziologisch, psychologisch, aber man kann es auch aus der humanitären Ethik herleiten.

Ha’aretz 10.3.24:

Editorial | 

Fill the Streets of Israel and Make It Known: Netanyahu Must Go

Und das relativiert die Verbrechen der Hamas und ihrer Verbündeten keineswegs. Die gleichen Argumente sind auf sie anzuwenden, nur gibt es für die Palästinenser, Araber, Islamisten usw. keine begriffliche Ableitung und Nähe wie zwischen Juden und jüdisch. Ich weiß, DAS ist kompliziert, aber man muss sich darauf einlassen, um beides zu können, auf der Seite Israels im Überlebenskampf gegen seine Feinde zu stehen, also jetzt auch die Zweistaatenlösung bevorzugen, UND DIE REGIERUNGSKOALITION VON NETANJAHU ALS NICHT JÜDISCH ZU DEKLARIEREN: das ist gar nicht so schwierig, wenn man wirklich „jüdisch“ in der Hierarchie der identifikatorischen Werte so hochhält, wie ich es für angemessen halte.

2 Gedanken zu “Nicht alle Juden sind JÜDISCH

  1. Die Argumentation ist für mich nachvollziehbar, wenn man sie als innerjüdischen Diskurs ansieht. Sie soll Netanjahu und seiner rechtsradikalen Gefolgschaft das ethisch-positive Attribut des Jüdischseins absprechen. Als Nichtjude verwende ich lieber ethische und juristische Begriffe, um die Politik von Netanjahu &Co heftig zu kritisieren.

    Like

  2. Das ist richtig, Traugott. Juden und Jüdisch sind Begriffe, die man nicht einfach übertragen kann, Italien-italienisch oder Russland-russisch. Die Ambivalenz von Religion und Ethnie steht bei Abraham im Zentrum…und religionshistorisch haben zB. Bodenheimer oder Leibowitz des wichtigste dazu geschrieben.

    Like

Hinterlasse eine Antwort zu Traugott Klose Antwort abbrechen