Wahrheiten sind nicht einfach

„Es ist in Wahrheit würdig und recht…“, so beginnt ein katholisches Messgebet, lateinisch viel schöner „vere dignum et justum est…“, seit dem dritten Jahrhundert dankt man so dem angebeteten Gott (Präfation – Wikipedia). In Wahrheit also, und nicht anders.

Die Heiligung der Wahrheit hat säkular abgenommen, wird philosophisch zerlegt, ist geradezu abstrus bei Verbrechern wie Trump oder Putin oder faschistischen Gaunern wie Netanjahu und in allen Medien der Tyrannei sowieso…und im Kleinen ist wahr sagen so etwas moralisches wie nicht lügen. Manchmal sagen die Terroristen die Wahrheit, indem sie sie aus dem Kontext reißen, und dann gewinnen sie Gefolgschaft anstatt Kritik.

Mich beschäftigt diese Wahr-Sagerei schon lange, nicht erst seit der Heiligung der fake-news und der post-rationalen Philosophie. Aber jetzt ganz aktuell. Sagt die israelische Regierung die Wahrheit, sagen die Palästinenser im Gaza und Westjordanland die Wahrheit, wenn sie jeweils ihre Politik darstellen und Verteidigen? Die israelische Regierung, ethnisch sind das Juden, ist de facto nicht „jüdisch“; die Hamas, de facto nicht „palästinensisch“, ethnisch auch semitisch, wie die Juden. Können diese partikularen Herrschenden überhaupt die Wahrheit sagen, wenn ihre Wahrheiten aus dem Kontext gerissen vorgetragen werden: historisch, kulturell, militärisch, alltäglich? Wenn ich jetzt sage, sie können es nicht, dann ist das kompliziert zu begründen, es geht aber. Eine Prämisse lasse ich einmal so stehen: Religion steht immer gegen den Wahrheitsanspruch.

Gegen die Glorifizierung oder Mystifikation von Wahrheit hat die Philosophie mehr Mittel als der Alltagsverstand. Ich hatte schon mehrfach auf Omri Boehms Priorisierung von Gerechtigkeit vor den inkompatiblen Wahrheiten hingewiesen (Boehm 2023). Beide Begriffe sind ohne ihre Kontexte nicht verwendbar, aber die Brücke zwischen Gerechtigkeit und Praxis ist stabiler und praktischer als die Abwägung der Wahrheiten gegeneinander.

Natürlich geht’s mir hier um die Wahrheiten des jüdischen Israel und der Palästinenser, nicht nur. Aber der Plural der Wahrheiten ist etwas anderes als die Heiligung der Fake News durch Trump und Konsorten. Da unser Leben nicht aus einer einheitlichen Ganzheitlichkeit besteht, weder zu Lebzeiten noch gar im nicht zutreffenden Jenseits, kann und muss es auch inkompatible Wahrheiten geben. Das ist nicht schlimm, sofern wir den Kontext lernen und erkennen können. Unwahrheiten spalten die Gesellschaft und stören, zerstören Solidarität. Wahrheiten jedoch verbinden nicht immer. (Mein bissiger Zusatz: geoffenbarte Wahrheiten erst recht nicht). Aber die Interpretation der biblischen Geschichte Abrahams, wonach aus ethischem Ungehorsam erst die „wahre Bedeutung seines Glaubens“ kommt (S.141), hat schon eine Bedeutung, die über die Geschichte in die Gegenwart nachwirkt. Bodenheimer verurteilt Gott deutlich, als er über den Mord an Rabin urteilt (Bodenheimer 1996). Er hat sich ausführlicher der Opferung des Widders angenommen, der statt des Sohnes von Abraham zur Hand war (Bodenheimer 1985). In knapper Form (27-31) wird die Differenz zwischen dem christlichen Lamm und dem jüdischen Widder so dargestellt, dass der Ungehorsam gegen Gott geradezu notwendig erscheint. In einem Interview 1997 hat Bodenheimer sehr deutliche Worte gesprochen:

„Denn jene, die die Schuldlosen verteidigen, schauen dann besonders darauf, wo sich die Schuldlosen selbst schuldig machen. Das sieht man jetzt an der Reaktion der Weltöffentlichkeit auf Juden, die sich in Israel schuldig machen. Aber es stimmt eben nicht, dass jene, denen gegenüber man schuldig geworden ist, die besseren Menschen sind. Das gilt nicht nur für die Juden, es gilt für die Palästinenser, es gilt rundum…(Frage nach der Alternative zu Schuldkenntnissen, MD)…Eine redliche, unpolemische Verständigung über die wesenhafte Verschiedenheit zwischen Judentum und Christentum!…Solange es nur eine Wahrheit geben darf, wird sich das (die Konkurrenz MD) nie bessern“ (Zurkinden 1997)

Das war 50 Jahre nach der Staatsgründung und ist heute noch aktuell. Die Freigabe der Wahrheiten als ethische, politische Praxis, als Bestandteil von Kommunikation unter Gleichen ist eine Form der Gerechtigkeit. Das schließt an Omri Boehm an.

* In diesen Tagen kann und will man nicht die Abstufungen von Wahrheit und Unwahrheit ethnisch zuordnen, ohne sich falscher Parteilichkeit schuldig zu machen. Es muss etwas geben, das die Wahrheiten im Konflikt so überbrückt, dass keine Seite mit Fakes arbeiten kann, dass also Vertrauen und Solidarität sich jenseits von Wahrheit entfalten können.

 

Verweiger Nordwand

Man hat den Eindruck, dass wichtige Informationen, global wie lokal, zunehmend an denen vorbeigehen, die sie wahrnehmen, aber nicht aufnehmen wollen. Die Nachrichten hören, vielleicht „aha“ denken und sagen, und schon ist es vorbei. Als ob eine Decke die wirre Wirklichkeit gegenüber der Draufsicht und Einsicht abschirmt. Das betrifft nicht eine Menge von „anderen“ und keineswegs nur den Pöbel, als den ich die Masse der dem Faschismus zugeneigten und nicht einordenbaren Menschen bezeichne, nein, auch ich, auch „wir“, schieben dauernd von uns weg, was kaum auszuhalten ist. Oder wäre. Das ist eine wesentliche Differenz, die einen zusätzlich ermüdet, erschöpft.

Oberflächlich kommentiert man das unter anderem mit der Ermüdung der Öffentlichkeit durch immer die gleiche Themenfolge, die in den Vordergrund rückt, was anscheinend die Politik aktuell beschäftigt, und das nach hinten reiht, was ohnehin wichtig und bewusst entscheidend ist. Umwelt, Krieg und Hunger – das wissen wir. Der Rest wird aus den Informationsfluten gefiltert. Was wir wissen, brauchen wir nicht dauernd zu hören – denkt man und übersieht dabei, wie einförmig unerbittlich z.B. religiöse Rituale oder juristische Verfahren immer dieselben Sprüche und Floskeln wiederholen, entleert jeden Sinns, aber man weiß, wo man ist, wenn man sie hört. Übersieht man dabei nicht, dass „die Politik“ ganz genauso verdrängt, was wirklich wichtig zu denken und zu tun wäre, und ihre ToDoListe ist auf der Ausweichspur? Das hindert viele normale Menschen, sich der Verantwortung zu entledigen und ihre Freiheit an die Politik abzugeben zugunsten einer gefühlten Sicherheit. Immerhin hätten, wenn das stimmt, Eliten und die Massen keinen so großen Abstand, wie ansonsten geargwöhnt wird.

Wenn das einigermaßen, mit unscharfen Rändern zutrifft, dann wäre das eine allgemeine Beziehungstheorie. Politisierung, Aktivierung etc. sind gängige Ratgeber-Konsequenzen … mit offenbar geringen Folgen.

Unübersehbar ist das schnelle Voranschreiten einer Ausbreitung des Faschismus, bleiben wir einmal in Europa, und die Behauptung, dass es auch daran liegt, wie sehr die Politik aus der Politik verdrängt, wie sehr man thematisiert, was unter anderen Umständen sich ohne Pathos pragmatisch regeln ließe oder kritisch bewertet und ggf. abgeschafft würde? Das ist eine komplexe Umschreibung, dass und wie sehr die Faschisierung auch „an uns liegt“, an der Unbeweglichkeit des Einforderns eigener Ansprüche und am Festhalten von überlieferter Lebenspraxis, die für uns, hier, meistens noch keine Überlebenspraxis ist. These: die kommt auf uns zu. Und die Faschismen haben sich im Übergang dazu breit gemacht, Unterwerfung statt kritischen Aufwachens  unter anderem Unterwerfung durch Ausblenden.

Ich habe eine Liste dieser Ausblendungen parat, und zugleich Hinweise darauf, wer aktiv an der Verschleierung dieser Ausblendung von Wirklichkeit. Das ist nicht einfach Kritik an den verantwortlichen Politikern – das auch -, sondern Kritik an der Weltbildung von Menschen, Erwachsenen und Kindern, die keine Vorstellung davon zulassen, was alles gefordert und eintreten wird, wenn es ums Überleben geht. Heute lese ich, dass Menschen nur dann ökologisch agieren wollen, wenn ihr Lebensstandard nicht abnimmt – das heißt, sie wollen es nicht. Als ob der Lebensstandard und das Überleben eindeutig korrelierten. Darunter ist meine Liste, die die Regierung anders in den Blick nimmt wie die Opposition, wie denn auch nicht? Die Liste rufe ich dauernd ab, sie wird angereichert durch alles, was an Kritik dazu kommt, und allgemein wird sie verkürzt durch alles, was die breite Masse vergisst und verdrängt.

Ein Moment ist dabei beängstigend: die allgemeine Abnahme der Empathiefähigkeit öffentlicher Beurteilung, siehe die europäische Einigkeit in der Flüchtlingsfrage und der idiotische Abschiebediskurs unserer politischen Parteien. Für die Deutschen hat es 1933 ohnedies nicht mehr gegeben…fürchte ich.

Wie mit dem Faschismus umgehen? Das ist kein Thema für kurze Blogs, da muss mehr ausgebreitet werden an Denken. Aber eines ist klar: nur sich selbst dadurch freisprechen, weil man AfD und BSW kritisiert und sich zur Abgrenzung zusammentut, geht auch auf kurze Dauer nicht: die schärfsten Kritiker der Elche waren früher selber welche…werden demnächst selber welche?

Rechtsaußen und linke Mitte

Ihr habt ja alle die Fußballvokabeln in den Gehörgängen und wenn ihr Sport seht, übertragt ihr die Worte wohl nicht gleich in die Politik. Der Ursprung der Bedeutungen ist ja auch sehr verschieden. Noch weniger übertragt ihr die Worte aus der Politik auf das was ihr auf dem Spielfeld seht. Gut so. Es kommt eben darauf an, ob man über die EM spricht oder über die Politik in einem bestimmten Land zu einer bestimmten Zeit. So einfach ist das, gäbe es das Unterbewusste nicht, das bei manchen Begriffen häufig hochspült, woran man gerade nicht denken möchte.

Wenn es Spiele gibt, fühlt sich die Politik weniger beobachtet und kritisiert, die Hauptsache, unsere Mannschaft ist erfolgreich…Da hetzen die Rechten und die Christen gegen die Ukrainer bei uns, und schauen nicht auf den Krieg. Da wollen sie Afghaninnen und Afghanen abschieben, natürlich auch Frauen und Kinder, oder Menschen aus Syrien, nur um beim deutschen Pöbel zu punkten. Sie weichen nur scheinbar auf Verbrecher oder abgelehnte Asylsuchende aus. Über die sprechen sie, aber sie sagen damit etwas anderes. Hört einmal dem Dobrindt zu…https://www.msn.com/de-de/nachrichten/politik/ukraine-alexander-dobrindt-will-gefl%C3%BCchtete-ohne-arbeit-in-ausweisen/ar-BB1oJdjS?ocid=BingNewsSerp (23.6.24), den nehme willkürlich aus der Meute Gleichgesinnter. Die empathielose Vermittlung von folgenarmen „Prinzipien“ wirkt beim so genannten Volk, weil dieses ohnedies das, was das Gerede uns sagen will, nicht kritisch beachtet, sondern einfach hinnimmt, was kommt. Richtig: ich verallgemeinere. Nicht das ganze Volk ist so, nicht alle Rechtsradikalen können Reden und Sagen nicht unterscheiden, und – der Einwand verfängt nicht. Schon historisch kann man deutlich den Unterschied beschreiben und erklären, warum jemand einer diktatorischen Partei seine Stimmt gibt oder gar beitritt und was die Partei sagt. Das gilt nicht nur für die Nazis, sondern auch dort, wo der Parteizwang gewaltsamer erfolgt. Und erst recht, wo der Zwang eher um die Ecke aus der zweiten Reihe kommt. (Methode von AfD und BSW). Dass sich gerade diese Parteien, aber auch andere Politiker, auf die diese Prinzipien vor allem dort berufen, wo sie etwas anderes zu sagen haben als sie von sich geben, ist mein Punkt.

Vor vielen Jahren hat mein längst verstorbener Freund Aron Bodenheimer, (1923-2011) diese Differenz als wesentlich analysiert und beschrieben. (https://de.wikipedia.org/wiki/Aron_Ronald_Bodenheimer) Mittlerweile ist diese Differenzierung in den Sprachunterricht durchgedrungen, aber kaum in ihrer ideologiekritischen Bedeutung. Und mich beschäftigt sie angesichts der immer mehr um sich greifenden Verschleifungen des Aufgenommenen.

*

Wenn die AfD das sagt, was „eigentlich“ die demokratischen Parteien auch sagen wollen, dann wird es für diese schwierig zu erklären wie und warum das „so“ nicht geht. Eigentlich, so. Daran hängt viel politisches Unverständnis. Eigentlich würde die SPD gerne dieses, würden die Grünen gerne das sagen, andere demokratische Parteien jenes. Aber sie können und wollen es nicht, weil es dann ganz anderen Gruppen zugeordnet wird. Und warum das? Das Kapern von Begriffen und die Verlagerung vom Sagen (also der bedeutenden Konzentration) zu jener Rede, die von den Leuten ohnedies verstanden wird, gehört zur Taktik der illiberalen, diffamierenden Politik, bis weit in demokratische Parteien hinein, aber von den Faschisten längst geübt und zur Routine gebracht.

ich meine nicht, dass man sich immer und überall darum bemühen muss, alles was politisch geäußert wird, zu analysieren oder die Rhetorik ideologiekritisch auseinander zu nehmen, oder sich bei den Begriffen den ja vorhandenen Analysen anzuschließen. Kann man ja nicht, dauernd diese zweite Ebene einzuziehen. Aber in bestimmten Zusammenhängen muss man das. Um über die eigene Meinung hinaus politisch darum zu kämpfen, bestimmte Aussagen nicht den Faschisten zu überlassen und sie selbst zu befestigen – denkt zurück, wie sich Rechtsradikalen die „Republikaner“ nannten. Die AfD beherrscht diese Zerstörung von bedachter Sprache besser als die etwas stumpfen Apparate der demokratischen Parteien, u.a. weil sie nicht demokratisch ist und deshalb bestimmte gewaltsame Sprachverdrehungen autoritär durchsetzen kann – aber nicht nur deshalb. Gute Politik muss nicht auf Meinungen allein achten und Rücksicht nehmen, sondern diese zu verändern ist ja ihre Aufgabe. Meinung können alle haben, aber richtig wird es erst, wenn politisch richtig gehandelt wird.

Und meine Einleitung bedeutet ja nur, dass man einen Begriff ohne Kontext nicht unbedacht verwenden soll. Im Fußball hat Rechtsaußen oder ein linker Verbinder eine andere Bedeutung als in der Politik, ich habe den Jandl oft genug zitiert „lechts und rinks…“, wartet nicht darauf, dass sich BSW als adoptiert von der AfD offenbart, und wartet nicht, dass Ränder der demokratischen Parteien zwischen Reden und Sagen schwankende Brücken bauen.

Deutschland wird normal?

Immerhin sieht die liberale Presse die Wirklichkeit der deutschen Migrationspolitik genauer als die Parteien:

Ministerpräsidentenkonferenz zu Migration – Nur ein bisschen Einigkeit: Die Länderchefs berieten Forderungen an den Bund und Kanzler Olaf Scholz, eine noch schärfere Asyl- und Migrationspolitik voranzutreiben:  Asylverfahren in Drittstaaten, Abschiebungen von Straftätern nach Afghanistan oder die Bezahlkarte für Geflüchtete. Für die Bezahlkarte soll eine Bargeldobergrenze von 50 Euro eingeführt werden. Streitthema waren Drittstaaten; in den SPD-geführten Regierungen ist man genervt von immer neuen Forderungen der Union. Die wolle nur den Kanzler mit Symbolpolitik treiben. Hessens Ministerpräsident Boris Rhein erklärte, man habe sich auf eine gemeinsame Erklärung zu Asylverfahren in Drittstaaten geeinigt. SPD-Politiker Weil betonte dagegen die Schwierigkeit solcher Asylverfahren außerhalb von Deutschland.

  • Die Ministerpräsidenten und die Flüchtlinge – Eine nationale Brille verzerrt die Wirklichkeit: Der Kanzler und die Ministerpräsidenten sprechen wieder über Asyl und Flüchtlinge. Es gibt Alternativen zu einem immer härteren Kurs. Das  Geschäft der AfD müssen und dürfen sie nicht betreiben. Ein Zwischenruf von Tagesspiegel-Herausgeber Stephan-Andreas Casdorff.
  • Abschiebungen, Grenzkontrollen und Co.: Ist das Populismus – oder hilft es wirklich? Geht es nach den Ministerpräsidenten, dann gehen die Grenzen nach der Fußball-Europameisterschaft nicht so schnell wieder auf. Die Erwartungen der Länder  im Faktencheck.
  • Thüringer CDU-Chef zum Bürgergeld für Ukrainer: „Ja, es war ein schwerer Fehler der Politik“ und  fordert einen Kurswechsel.

TAGESSPIEGEL 21.6.2024.

Beginn des geheuchelten Sommers, Fortsetzung der völkischen Symbolpolitik gegen Migration.

Wenn man Söder (Bayern) oder Schuster (Sachsen) hört, ist der Abstand zur AfD klein.

Aber die beiden Rechtsaußen sind nicht allein. Die Ministerpräsidenten biedern sich dem Volk durch Asylfeindschaft ohne realitätsnahem Rahmen an und glauben vielleicht, dass der nichtpöbelhafte Teil der Bevölkerung das nicht durchschaut. Dem deutschen Pöbel ist das natürlich recht.

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Vorerst: die Abschiebung krimineller Ausländer ist NICHT das Problem, auch nicht meines. Sperrt sie ein. Basta. Auch die Bargeldbeschränkung für Asylgruppen ist an sich nicht das Problem, aber z.B. für Afghanistan eine fiskalische Fehlorientierung. Es geht um etwas anderes: die Klügeren in der Politik wissen genau, dass sie die weltweiten Fluchtströme nicht wirklich behindern und verkleinern können. Aber sie können sie von uns fernhalten, weil Deutschland keine EU Außengrenze hat. Das fördert den Nationalismus und die Engstirnigkeit, außerdem kommen dann mehr Menschen durch, die erst ausgebildet werden müssen und weniger, die hier sofort arbeiten können.

Aber das muss aus humanitären Gründen gleichgültig sein, ist es aus christlichen, nationalen, wohl auch ethnischen (Wir Deutschen) Gründen häufig nicht. Wenn man so tut, als wäre es gut, Abschiebezwischenstationen in abhängigen Drittländern zu gestalten, ist das entweder folgenlose Symbolpolitik oder es schafft neue Abhängigkeiten von ansonsten eher gemiedenen z.B. autokratischen Systemen. Das sind noch nicht einmal politisch prekäre Feststellungen, sondern eher Beobachtungen.

Aber die deutsche Selbstbespiegelung der ethisch und politisch „besseren“ Nachkriegsgesellschaft ist einer Normalisierung gewichen, die uns einreiht in viele vergleichbare Politiken gegenüber Geflüchteten, Ausländern, Asylsuchenden, legalen und illegalen Grenzüberschreitenden. Das werden diktatorische Systeme, wie Russland, nutzen, um uns noch mehr Asylsuchende zu schicken, die müssen ja nicht über die symbolischen Grenzübergänge kontrolliert einreisen oder abgewiesen werden. Der Normalismus braucht den Symbolismus zur Beruhigung des Volks, wie Brot und Spiele.

?Ein zu gewagte Metapher? Lest und hört die Berichterstattung zum Thema. Die Normalisierung Deutschlands lässt die Vergangenheit wieder auferstehen. Es gab eine Zeit, da haben Deutsche flehentlich Aufnahme in anderen Ländern gesucht.

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Bei uns in…Bagdad? nein, Wien Berlin & hier

Wisst ihr noch, wer Heinz Conrads war? https://de.wikipedia.org/wiki/Heinz_Conrads

Er ist 1986 gestorben, da war ich nicht mehr so jung. Aber an ihn zu erinnern, war wie eine Pflichtaufgabe. Sein etwas fadenscheiniger Humor hat meist nicht verletzt, eher seichtgründig erfreut. wenn es ihm ernst war, begann er „bei uns in Bagdad“. Damit meinte er Wien oder Österreich, und verkleidete spärlich seine Kritik – die meinte er ernst.

In diesen Tagen bin ich versucht, das auch so zu sagen, aber da kommt man mit den sinistren Ernsthaften in Konflikt, also nicht Bagdad…warum nicht gleich Wien, Berlin und hier, wo wir gerade eben sind. Da verklagt der Nehammer seine Ministerin Gewessler und die Naturschänder der österreichischen Bundesländer wollen sofort mehr Geld für den Umweltschutz…dass der Nehammer ein rechter „Kanzler“ ist, und dass die Gewessler eine grüne Expertin ist, tut nichts zur Sache. Die Vorwahlrhetorik ist einzig spannend, weil sie die Nerven beunruhigt und natürlich keine Rolle spielt. Aber bei uns in Wien…hat man keine anderen Sorgen.

In Deutschland hingegen erregen sich Scharen von so genannten „Politikern“ über Minderheiten unter den Flüchtlingen, die auch kriminell sind, wie eben auch Deutsche, auch Menschen, als sich vergrößernde Minderheit kriminell sind. Das ist in der Gesellschaft normal. Siehe die Vier Zeitalter des Ovid, wir sind halt in der bleiernen Zeit. ABER wie sich die so genannten Politiker darüber verzanken ob man nach Afghanistan abschieben kann soll darf muss ohne das Land anzuerkennen, ist schon ein Höhepunkt, das war es bei uns in Bagdad eher harmlos. Wenn sie ihre Strafe verbüßt haben, sollen sie heimgeschickt werden, aber daheim wird ja nicht anerkennt, die Vorgänger waren zwar anerkannt, aber genauso korrupt, die jetzigen Taliban sind unfähig aber, nicht so korrupt, da reden wir besser nicht mit denen. Bei uns in Bagdad hat das Außenministerium ja auch nichts zu sagen. Aber mit den Kriminellen (0,5% der Exilanten) kann man gleich alle Afghanen, Syrer und sonstigen Fremden diskriminieren, das freut den Pöbel und gibt der AfD und der SW neue Nahrung, und man hat ein Thema sich weiß, fremdenfeindlich und stolz zu fühlen. Und die Drittstaaten, über die man abschiebt, kann man auch noch finanziell erpressen…gut, was? Dass der so genannte Baier Söder und andere Undeutsche Flüchtlinge gleich im Ausland diskriminieren wollen, zeigt, wie geschichtsvergessen diese Typen sind. Es ist noch nicht so lange her, da suchten viele anständige Deutsche Rettung und Unterkunft in Drittstaaten…aber das war ja nicht in Deutschland, sondern bei uns in Bagdad.

Anstatt die Bevölkerungsentwicklung durch Aufnahme der Geflüchteten, ihre Behausung und Bildung, zu korrigieren, wächst die Normalität in Deutschland und Österreich gegen die so genannten Fremden, bis die arische, pardon: narrische Bevölkerung von niemandem mehr behandelt, unterstützt oder gar begleitet wird. Und eine Krankheit greift um sich, das multiple Södem.

Schlecht gelaunt…selber schuld (ich)

Ich bin nicht gut aufgelegt. Habe seit den Morgenstunden mich durch die Nachrichtensendungen durchgehört und Hoffnungswirklichkeiten gesucht statt Halbwahrheiten wie immer zu verdauen. Ich mache ja etwas, aber die Zuversicht stößt an zu viele Grenzen, das beschädigt die Hoffnung.

In wenigen Tagen ist „Sommer“, in „“, weil ja die Jahreszeiten, Temperaturen und Ausblicke ohnedies nicht mehr stimmen. Sommer, das ist die Zeit der leeren Ansagen, Fehlmeldungen oder der heimlich durchgesetzten Nachrichten, die man in aufmerksamen Zeit nicht so einfach veröffentlichen kann. Die Medien sind voll von ihrem Glaubwürdigkeits-Abgesang, und vor allem von der Rückkehr des Vertrauens in diejenigen, die anscheinend am Vertrautsein ohnedies nicht gezweifelt haben. Anscheinend…denn heimlich haben es die Klügeren schon gespürt, dass ihnen niemand mehr glaubt. So schließt sich der Strick um den Hals derer, die noch die Wirklichkeit anschreien wollen.

Ich bin erschöpft. Sich dauernd um die Themen zu kümmern, die der Weltkrieg ohnedies setzt, und doch alles an Gedanken darauf zu richten, wer wieder einmal seinem Auftrag nicht gerecht wird…welche Petitessen dann in den Morgennachrichten gebracht werden, um uns abzulenken von der Wirklichkeit.

Wir alle leiden eben nicht (sehr stark) unter dem Krieg, unter dem Hunger, der Armut, Grausamkeit und Dummheit, auch wenn wir das alles jeweils und im Detail erkennen. Warum das so ist, fragen nicht nur die Menschen aus der Wissenschaft, sondern auch viele normale Laien. Und wer leidet, ist noch lange nicht betroffen.

Genug der Bedenken. „Brot und Spiele“ sind leider keine ironische Überschrift, die Fußballmeisterschaft lenkt einfach ab. Das ist so wenig hilfreich wie es auch nicht verboten ist. Fast nichts ist verboten. Aber wenn man sich vor Augen hält, mit welchem Aufwand man die Verbringung von ein paar afghanischen Verbrechern in Drittstaaten diskutiert wird, nur damit man die Regierung dort nicht anerkennen muss, weiß man, warum die Struktur bröckelt. In der Situation verkriecht sich der Pöbel in den Falten der Faschisten, und das rückgängig zu machen rührt an der Psyche und am Selbstbewusstsein der Radikalen. Rechts und links gelten da ohnedies nicht und Mitte gibt es auch nicht.

Jetzt fragt ihr, zu Recht: ja, was sollen wir denn tun, wenn du Recht hast? Und ich sage zögernd, weil es flach wirkt: macht endlich, was ohnedies auf der Tagesordnung steht, kümmert euch um Umwelt und Integration!

Ja geschieht das denn nicht ohnedies?

Nein, es geschieht nicht. Die trottelhafte Schuldenbremse ist ein unhaltbares Glaubensdiktat, zumal die FDP heute wieder den Bundeshaushalt mit einem Privathaushalt verglichen hat – für wie blöd halten diese Neoliberalen die denkenden Menschen eigentlich? Nein, geschieht nicht. Es gibt bei wichtigen Themen kaum Mittel und Wege, die betroffenen Menschen in die Praxis einzubeziehen – damit meine ich nicht noch mehr Kommissionen und Beauftragte, sondern gemeinsame Handlungen, Praxis. Da hat man Angst, die Bürger noch mehr zu verschrecken – aber die wählen ohnedies zu einem großen Teil die Nazis. Außerdem sind sie gar nicht wirklich verschreckt, in ihren gepflegten Häuschen und Stammtischen, sie sagen es nur, damit wir uns vor ihrem Schrecken fürchten.

Werte Leserin, lieber Leser, ihr könnt jetzt mit mir auch lachen. Wieso lachen? Naja, die geschilderte Realität auf der Bühne würde Erfolge feiern als neorealistisches Theater. Die Radikalen behaupten, sie hätten einfache Lösungen für die wichtigen Probleme (bei der Krankenversorgung habe ich ja schon geantwortet: AfD Kranke nur mehr von Deutschen behandeln zu lassen, hilft uns enormen). Die Radikalen profitieren von der Sturheit des seit einem Jahrhundert unflexiblen Schulsystems – anstatt aufzumachen und soziale wie intellektuelle Differenzierung frühestens mit 15 Jahren zu machen. Die Radikalen profitieren von Unzumutbarkeiten, die der Föderalismus bedeutet – aber nicht einmal dazu gibt es Reformdebatten. Dann lachen wir, denn langsam sinkt das Land ohnedies in einen Status, der auch die Zuwanderung selbst von Asylsuchenden abflauen lässt, da können wir noch so gut gerüstet sein. In der Dritten Reihe können wir wieder beginnen, Reformtheoretiker und Visionäre zu entwickeln, aber die hat schon Helmut Schmidt abgekanzlert…

Also, was tun? Mein Vorschlag, wenn euch diese Allgemeinheit des Blogs nervt. Nehmt ein Thema und dann geht hin und arbeitet bei den NGOs oder Vereinen zu genau diesem Thema mit. Informiert euch zu einem solchen Thema nicht nur aus der Überschriftenkommunikation. Und nehmt endlich auch vernünftige und normale Menschen ins Visier, anstatt die AfD oder SW: schon biblisch war es prekäre, sich umdas eine schwarze Schaf zu kümmern und die Herde unbetreut zu lassen.

AEIOU – Das macht das 0:1 besser

Austria erit in orbe ultimo….AEIOU…melancholisch stelle ich fest, dass Österreich immer den Anderen den Vortritt lässt, und sei es durch ein Eigentor! So gehört es sich, und wenn wir siegen, dann gegen die Erwartung, wie Gewessler mit der Mehrheitsstimme für den europäischen Umweltschutz, gegen die ÖVP und die alpinen Agrartölpel und Grunzbesitzer. Wir haben gesiegt…was sagt das schon?

Allen Ernstes ist Oesterreich unerträglich…AEIOU…naja, im Vergleich zu anderen? Die Mehrheit der Faschisten (FPÖ) ist zwar groß, aber gespalten (unter der Kickldecke sind ja Nazis und Austrofaschisten und Neofaschisten und anderes Gesindel durchaus vereint), aber weil der retroaktive Flügel der ÖVP noch immer besser und aktiver ist als die kurze Ära Kurz, besteht Hoffnung, dass bei den Wahlen demokratische Mehrheiten sich irgendwie zusammentun. Anders als in Frankreich? In Ostdeutschland; Ungarn; der Slowakei…Anders ist kein abwiegelndes Füllwort, Anders-Sein kann die Entscheidung um Alles sein. Kann.

Bei A.E.I.O.U. – Wikipedia vergeht mir die Lust, AEIOU weiter zu entschlüsseln, so ernst wie das über Jahrhunderte genommen wurde und heute aufgenommen wird.

Österreich und Deutschland ähneln sich nicht, selbst in der Sprache dominieren die feinen Unterschiede. Oder doch: unsere Grundschulwesen, Sozialabbau ab der 4. Klasse, sind die rückständigsten in Europa. Aber das ist schon viel an Ähnlichkeit. Über die Differenzen kann eigentlich nur das Kabarett hilfreich Auskunft geben, oder eben EU Abstimmungen. Wenn die Diskussion heftig wird, sage ich immer, dass es so schlimm wie mit Söder und Aiwanger in Österreich noch nicht ist. Aber die Bayern verlieren auch keine Gletscher im Klimawandel (das, werte Leserschaft, ist ein typisch österreichischer Illogizismus).

Aber jetzt einmal ernster: WENN sich die eurofaschistische Realität nach den Wahlen im Herbst verfestigt – in vielen Ländern und Kommunen -, dann hoffen wir nicht auf Widerstand; dann frage ich mich, ob sich in Österreich dieser Widerstand formiert und durchsetzt. Ein Maßstab ist das Sozialwesen, der andere die Kultur. In beiden können sich die Deutschen etwas bei Österreich abschauen.

Dabei war es ja ein Eigentor, 0;1…Lächerlich.

Rettet die Rechten – vor sich selbst

Die hartherzigen Demokraten können die Sensibilität der AfD nicht nachvollziehen. Diese endlich öffentlichen Rechtsradikalen wollen doch nur das Beste für sich selbst. Und dazu gehört eben auch, dass manche Angehörige der Minderheiten, also Demokraten, nicht dauernd auf den Deutschdeutschen herumhacken sollen, sondern endlich Gesetze durchdrücken, die die Rechten , wenn sie an die Macht kommen, ohnedies erlassen werden. Die Liste könnte so aussehen:

  1. Mitglieder der AfD  dürfen nur von deutschen Ärzten behandelt werden, deren arischer Stammbaum wenigstens drei Generationen alt ist. Diesbezügliche frühere Dokumente werden anerkannt.
  2. Im Krankenhaus dürfen diese Mitglieder auch nur von deutschen Pflegerinnen und Pflegern betreut werden, Ansonsten ist die Entgegennahme von Nahrung und Medikamenten zu verweigern.
  3. AfD Mitglieder haben das Recht, allein auf Parkbänken zu sitzen. Dazu sind an besonders schönen Plätzen braune Bänke zu reservieren, damit es gar nicht zu Vertreibungen nichtdeutscher Sitzender kommt.

Nun können diese Vorschriften zu subjektiven Behinderungen von AfDeutschen führen, was aber durch Rechthaben hinreichend kompensiert wird.  Natürlich ist die Liste bei weitem nicht erschöpft, sie ist nur ein Beispiel dafür, wie man das Leben der deutschen Rechten erleichtern kann. In den Politikwissenschaften gibt es eine Theorie, wie Radikale, wenn sie an der Macht sind, sich recht bald mäßigen. Noch sind die Rechten nicht wirklich an der Macht, darum reden sie so unmäßig. Fällt euch etwas auf? Die Demokraten sind schuld, dass die Rechten so stark sind, und die Minderheiten sind schuld, und wer will schon dauernd mit Menschen umgehen, die noch vor hundertfünfzig Jahren in den Kolonien für deutsche Erfahrungen gesorgt hatten? Also, bitte.

Im übrigen würden die Vorschläge 1 und 2 das deutsche Gesundheitswesen erheblich erleichtern und das Bestattungswesen dynamisieren. Vorschlag 3 könnte das Parkwesen germanisieren, um die braunen Bänke herum kann man auch deutsche Eichen pflanzen und alles wird schöner.

Genaue Langsamkeit

Nach diesen grässlichen Tagen der Wahldebakel, des Hochredens von AfD und Wagenknecht, der Angriffe auf politische und kulturelle Resilienz eine Atempause. Wörtlich zu nehmen: eine Atempause, in der es mir nachläuft nachzudenken, was ich lese zwischen den Arbeitsaufgaben. Obwohl, das ist ja auch Arbeit, aber an einem selbst, für mich.

Marlen Haushofer, deren Wand ich immer wieder gelesen, gesehen, besprochen habe, hat mich eingeholt (Haushofer 2004). Und das ist gut so. Band 6 der Gesamtausgabe ist 2023 erschienen und die fast 800 Seiten beglücken und fordern einen, auch wenn man nicht alles zugleich und der Reihe nach lesen kann (Haushofer 2023). Für die Formalen: beginnt mit dem Vorwort von Clemens Setz, für die Einsteiger Marlen Haushofer – Wikipedia, und wer vertraut: fangt an zu lesen.

Das ist heute nicht schwierig, und man vergisst, wie lange die Haushofer nach ihrem Tod 1970 vergessen und unscheinbar war. Und ihre Wiederbegegnung mit dem kulturellen Interesse nicht nur in Österreich beginnt mit der Wahrnehmung, wie früh, wie genau, wie illusionslos die Fragen des Geschlechts, der Rolle der Frau, des sozialen Zusammenhalts, die Dialektik von Stadt und Land und die von Kunst und Wirklichkeit bei ihr in makellosem Stil und genauer Darstellung vorgelegt wurden. Da ich kein Literaturkritiker oder Rezensent bin, werde ich mich diesem Metier auch nicht laienhaft nähern. Aus Ergriffenheit und Vergleichen sage ich zunächst „wieder eine von diesen Österreicherinnen“, wie die Bachmann, geboren 1926 und damit ein wenig jünger als Haushofer (*1920), wie die jetzt schreibenden und also lebenden Streeruwitz, Menasse, Sargnagel…es gibt noch ein paar dazwischen, aber wenige, die sich durch maskuline Wände so durchkämpfen konnten und können. Aber dass das wieder eine von den Österreicherinnen ist, das ist mir wichtig, eine andere Literatur als die von deutschen Autorinnen, und in einer anderen Beziehung zu Politik und Geschlecht. Das ist mir wichtig, weil die beiden Gesellschaften unterschiedlich sind und zu oft nur durch die Verlagspolitik verschwimmen. Also zur Haushofer. Das dauert schon quantitativ, sich da durchzulesen, und ich muss mir den Sog erklären, der mich da hineinzieht. Zwei Wahrnehmungen zunächst: die „üblichen“ Metaphern sind einfach nicht da, es wird die Wirklichkeit ohne Wegweiser so beschrieben, dass sie die Leserin und den Leser „trifft“. Anders gesagt: man=ich, erkennt sich in vielen Situationen im Text, und zwar nicht aus analogen Erlebnissen, sondern strukturell: …so wie bei mir… Und: Der Blick und die Gedanken der Frau, ihr Stil und ihre Betonung, kippt nicht die Maskulinität, wie viele heute das tun, sondern zerbricht systematisch das Gefäß der ungleichen und ungerechten Geschlechterrollen. Bedenkt – vor über 70 Jahren fängt sie an. Mich fasziniert es, und ich stelle mir vor, wie es im Kreis der Wiener Intellektuellen und Autoinnen und Autoren sich entwickelt und demonstriert hatte, und das dann auf dem Land, im Wortsinn, verarbeitet hatte.

Soweit die Leseempfehlung.

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Das Unterbrechen der angeschlagenen politischen Resilienz hat den Vorteil, dass man sich „erholen“ kann, dass das Lesen und Durchdenken andere Reviere der eigenen Wahrnehmung aufweckt und stärkt (und dazu bedarf es bestimmter Qualitäten und – Zeit). Die nimmt man sich besser, bevor man – vorschnell – die jetzige Situation für sich analysiert und dann in einem immer beschränkten Rahmen mit anderen teilt, man ist ja kein Lautsprecher. Ich frage mich zum Beispiel, wie man in einer solchen Situation agieren kann, die einerseits die Formen eines Weltkriegs neuer Form schon angenommen hat (nicht einfach droht…), und andererseits lokale Umgebungsprobleme thematisch aufblasen lässt. Haushofer füllt eine Lücke in der unentwegten Wahrnehmungsrallye, die ja für Politik-Adepten die Zugehörigkeit markiert: ich bin da, ich bin hier, und nicht das ich wird wirklich betont. Dass man in der wirklichen Krise und Auseinandersetzung die Natur wahrnimmt, hat nichts mit Ganzheitlichkeit zu tun, sondern mit dem eigenen Leben inmitten einer zergliederten, nicht ganzen, sondern vielteiligen Welt, der man nur einmal – nämlich in u8nserem kurzen Leben – nicht entkommt.

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Der Tag schreitet fort, mit Besuchen, Terminen, Antworten, – und eine Wirkung des beschriebenen Lesens und Bedenkens ist, dass ich nicht umgehend – per Blog oder Meeting oder auch nur Selbstgespräch – auf die neuesten Nachrichten von der Renazifizierung des Landes in seiner Fläche reagiere. Ich sammle sozusagen Kraft für das Agieren, das Handeln, statt für die Raffinierung der Meinung.

Haushofer, M. (2004). Die Wand. Hamburg, Claassen.

Haushofer, M. (2023). Gesammelte Erzählungen. Berlin, Claassen.

Faschisten breiten sich aus – nein, keine Wahlanalyse

Jetzt erstmal durchatmen, resilient? oder gedämpft? sein. Das Wahlergebnis europaweit, aber auch in Deutschland, Österreich, Brandenburg und Potsdam – war es nicht gefürchtet, aber erwartet worden? nicht in diesem Umfang, aber schon hat es sich abgezeichnet. Also, keine Analyse. Die kommt später, und Besserwisser haben sie schon auf der Zunge.

Eine seltsam gemischte Gruppe schlägt um sich, wenn sie Vergleiche von gegenwärtigen zu- und Umständen mit der NS Wirklichkeit wittern. Nichts darf, kann, soll mit der Herrschaft der Nazis verglichen werden, damit die Retrovision nicht verkleinert oder marginalisiert wird. Den Standpunkt kann man verstehen, aber nicht teilen: weder logisch noch historisch sind konstruierte „Einzigartigkeiten“ bestandsfest, und vieles an der Nazisingularität weist bedenkliche Rücksichten auf die Nutzer dieser Rückschau. Ich habe das vor kurzem mit den Linien Hitler – Stalin – Putin und vergleichbaren An- und Unordnungen schon angesprochen.

Es hätte der gestrigen Wahl nicht bedurft, um die Ausbreitung des Faschismus, lokal, europäisch, global? zu beschreiben, selbst wenn vieles (noch) nicht hinreichend erklärt werden kann. Die Wahrnehmung ist solider als man es möchte…

Nun habe ich ein Problem: in meiner Umgebung werde ich mit dem zu „freizügigen“ Gebrauch des F-Wortes kritisiert, es würde unscharf platziert oder verkleinert (weil eben der Faschismus so groß und schrecklich war?). Ich wehre mich dagegen. F geht weit über die Parteien, FPÖ, AfD, … und Personen, Meloni, Le Pen, … hinaus, und es ist einfach nicht richtig, den Faschismus einfach in das Rechts-Links-Schema einzuordnen, ganz rechts ?natürlich?… Wenn man die Geschichte des Faschismus im späten 19. und dann im 20. Jahrhundert ansieht, dann ist es falsch, sich auf die Rückschau von 1945 und über den Nationalsozialismus in eine Verständnis einzubringen, das die wesentlichen Bestandteile des F von seiner extremen NS Wirkung her einengt, seine Analogien zu Stalinismus und anderen Herrschaftsformen ebenso ausblendet wie seine Herkunft. Aber mir geht es vor allem um Wirkungsgeschichte und – heute, 2024 – darum, warum wieder einmal die Jugend so – anscheinend so leicht – vom F ergriffen wird. (Da habe ich Zweifel, tiefer graben!).

Bevor es eine tragfähige Analyse des Wahlergebnisses gibt, sollte es eine der zeitlich leider begrenzten Potenziale politischer Alternativen für die nächsten 10, 20 Jahre geben, und die Hierarchien der Bedeutung und Wichtigkeit für unser menschliches Weiter- und Überleben geben. Die Kriege des (tentativen) Dritten Weltkriegs und die dummdreiste Wachstumsökonomie behindern die Umweltgedanken – was sich lokal unerträglich auswirkt, nicht nur bei lokalpolitischen Programmen, sondern auch in den Prioritäten des Verhaltens von (uns allen?) Bürgerinnen und Bürger, die Lebenszeit ihrer Generation zu überbrücken.

Da reicht es nicht, die Demokratie an die neuen Führer abzugeben, um nicht verantwortlich sein Leben umstellen zu müssen, handeln zu müssen.

Was machen wir draus?