Komplex Faschismus, nicht nur kompliziert

Die Diskussion um Faschismus ist in Deutschland schon deshalb besonders kompliziert, weil hier unbestimmte Mehrheiten den Begriff immer unter die Nazis und ihre Spätzeit, also 1933 bis 1945 subsummieren, und von dorther ihre Maßstäbe und Ansichten abflachend auf andere Faschismen ausbreiten – von denen sie übrigens erstaunlich wenig wissen.

Wir können ohne Einordnung und Zuordnung von Faschismus heute weder europäische noch globale Nationalentwicklungen verständlich diskutieren. Also erstmals die Hürden vor dem Begriff abbauen. In vielen europäischen Staaten, mehrheitlich EU, sind faschistische Parteien an der Regierung oder bilden starke Opposition. Sie sind faschistisch, das kann man gut rekonstruieren, aber sie agieren nicht deckungsgleich. Das zeigt das Werben der EU-Granden Ursula von der Leyen und der französischen Rechtsradikalen Le Pen um Giorgia Meloni – Italien. (Vgl. Salzburger Nachrichten „Die Umworbene“, 3.6.2024, S. 5). Man muss sich mit dem Faschismus anders beschäftigen als die selbstbezogene kritische Haltung zum NS Regime in Deutschland, vor allem die Be- und Verarbeitung in den jeweiligen Staaten und dann „unsere“ Beobachtung als sekundäre Befunde. Diese Befassung soll und kann nicht zu einer Abschwächung der Kritik (und der politischen Ablehnung des Faschismus) führen, aber auch nicht zu seiner Isolation aus dem übrigen politischen Welt- und Staatsgeschehen.

Ironische Zwischenbemerkung. Antifaschismus ist weniger eine Haltung als eine Engführung der eigenen politischen Haltung, das wusste schon Erich Fried, und das ist heute hilfreich und notwendig, weil nicht ausreichend um gegen Faschismus zu handeln.

Um sich zu orientieren: Rachel Donadio: „Meloni’s Cultural Revolution“ (NYRB LXXI, #6, 35-38). Das ist eine im Detail genaue Analyse der Tatsache, dass Giorgia Meloni in vielen demokratischen Regierungen in Europa und natürlich bei vielen rechten und/oder faschistischen Parteien gleichermaßen akzeptiert wird oder hohes, kooperatives Ansehen genießt. Die Analyse verweist nicht nur auf bekannten Tatsachen, dass Italiens Regierung, oder eher Meloni selbst, in der Ukrainefrage eindeutige Position bezieht, auch gegen rechte und ultrakonservative Koalitionsgruppen; dass sie überhaupt eine integrative Position in und zu NATO und Außenpolitik bezieht, auch innerhalb der EU; und dass dies nicht nur mit der finanziellen Abhängigkeit Italiens von diesen Organisationen abhängt. Im übrigen gilt das für viele faschistisch mitbegleitete Regierungen innerhalb der EU, mit ausgefransten Rändern: Orban, Fico an der Spitze der destruktiven Mitglieder.

Faschismus aber ist etwas „anderes“ als die bloß antidemokratische vertikale Führerpartei, als die er in verkürzter Geschichtsdarstellung erscheint. Das wird deutlich, wenn man die innenpolitische, kulturell pointierte Strategie verfolgt, die von einem von unserem abweichenden Geschichtsbild und Zeitverständnis ausgeht, wobei nationale Identität mit einer klitternden Vergangenheitsrekonstruktion zu einem abgegrenzten Faschismus für jedes einzelne Land führt (Italianità…). Das erinnert mich an den Austrofaschismus, der auch nahe an Mussolini war und durchaus die illegalen Nazis in Österreich bis 1938 bekämpfte. Rassismus, nationale Superiorität, Identitätsbindung, aber auch Bevölkerungsreproduktion etc. sind allesamt in Gewebe eingepackt, die durchaus unterschiedliche Facetten haben können – ich bezeichne das als faschistische Galerie. Zu Italien muss man den ganzen Essay lesen, um die realitätsferne Begründung für die faschistische Innenpolitik zu verstehen. Natürlich gibt es Widerstand. Donadion zitiert ausführlich die Journalistin mit ghanesischen Wurzeln Djarah Kan, die energisch gegen die Gummiwand derer anläuft, die Macht und Einfluss haben, u.a. auf „tax code, … labor law to the Catholic Church, which are designed to preserve power and wealth in the hands of thos who already have it and who are fearful of letting in newcomers“ (Hier würden wir sofort die Flüchtlingspolitik aufrufen, nicht nur für Italien). Kan: „Italians always have to go backward because they are too afraid of going forward“. Fortschrittsfeindlicher Identitätsrahmen – in kultureller und sozialer Hinsicht, nicht in technischer und ökonomischer…(Hier kann man zu Karl Marx zurückgehen, aber auch auf linke Wurzeln mancher rechter Politiker, nicht nur Mussolini).

Was mich an der Analyse am meisten verstört: auch in noch einigermaßen festen Demokratien, z.B. in Deutschland oder Österreich, erodiert es an der kulturellen und politischen Front. In Italien ziehen sich viele linke und demokratische Intellektuelle in den „Orticello“ zurück, in den eigenen Garten. Und bei uns diskutieren sie an Nebenfronten. Dazu komme ich noch.

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