Faschismus real und als Begriff. Weltweit. Heute

Dass mich manche meiner LeserInnen wegen des von mir häufig gebrauchten F-Vorwurfs (Faschismus) kritisieren, bedrückt mich weniger als dass darunter auch Bekannte sind, die ich wegen ihrer politischen Haltung schätze. Dass der Faschismus sich den eindeutigeren systemischen Religionen und Ideologien durch eine breite Varianz seiner Ausprägungen entzieht, unterstützt paradoxerweise seine Verbreitung.

Gerader nach meinen letzten Blogs überlegte ich, wie ich den kritischen Gebrauch des F-Begriffs gegenüber denen legitimiere, die meinen, unsere verhärteten Systeme seien noch nicht „so weit“ und man solle den F nicht herbeireden, wo es noch hinreichend Widerstand gibt. Da kommt mir zu Hilfe, was ich scharf gar nicht erwartet hätte:

Der frühere stv. Nationale Sicherheitsberater und Autor Ben Rhodes (Ben Rhodes – Wikipedia)(5.8.2024) ist ein erfahrener jüngerer Politikberater mit einem beachtlichen wissenschaftlichen Hintergrund. Dass er im NYRB schreibt, ist außergewöhnlich, und seine Rezension zweier wichtiger neuer Werke zum globalen F für uns alle ebenso bedeutsam, wie es mich unterstützt. Dabei ist seine Besprechung so wichtig wie die beiden Bücher selbst: (Rhodes 2024). „American Descent“ ist ein vieldeutig gewählter Titel (Descent = Abstieg, Talfahrt, Einfahrt, Sinkflug, Landeanflug, Absprung), und er passt. Bevor er zu den besprochenen Texten kommt, erläutert er die globale F-Entwicklung und verbindet Namen mit politischen Entwicklungen: Putin, Orban, Sheikh Hasina, Nayib Bukele, Netanjahu, Trump…es können noch mehr sein, und viele sind demokratisch gewählt, um danach das Wahlsystem und die Demokratie zu untergraben. Frankreich und die USA haben z.B. noch demokratische Barrieren gegen den F, die andere Länder längst abgebaut haben oder sich – anders als die Nazis und Stalin – nur formal hinter Parlamenten verstecken. Rhodes beendet seine Rezension mit einem ergreifenden Bericht über seine Dialoge mit Nawalny, dessen Reise in den Tod durch Putin auch den Zweck hatte, „offering his life as a warning to the rest of us about where wannabe fascism can lead“ (S. 29).

Wannabe – Möchtegern, auch ernsthaft – ist der Titel eines der beiden rezensierten Bücher, beide aus prominenter Feder:

Federico Finchelstein: The Wannabe Fascists: A Guide to Understanding the Greatest Threat to Democracy: U California Press.

Jacob Heilbrunn: America Last: The Right’s Century-Long Romance with Foreign Dictators: Liveright.

Finchelstein hilft, F und Populismus zu unterscheiden, auch wenn sich beide auf das „Volk“ berufen. Zur Zeit wird die dünne Trennlinie zwischen beiden getestet (Ich finde das in Deutschland zwischen AfD und Sarah Wagenknecht). Noch haben die USA, anders als Russland, Ungarn und andere, die Demarkationslinie nicht überschritten, aber sie porös geworden und teilweise wird Demokratie in ihren Ländern unterminiert, ich nenne das „aufgerollt“, Flüchtlinge, Ausländerfeindlichkeit, Grenzidolisierung. Das Wannabe im Titel von Finchelstein bedeutet, dass zB. bei Orban und Modi Überreste von Gewaltenteilung und auch Reste der Zivilgesellschaft vorhanden sind (ich denke, dass war auch unter Mussolini der Fall, nie aber unter Hitler). Rhodes zählt dann die Gefahren und Drohungen auf, die von Trump ausgehen, und die weniger willkürlich als systemisch sind. Heilbrunn ist wichtig für die Entstehungsgeschichte des US-Faschismus nicht nur aus der Vorgeschichte (Mencken, Calvin Coolidge, Ford, Lindbergh etc.), sondern auch aus den rechten konservativen Absetzbewegungen unter Reagan.

Dass sich die USA seit Generationen immer wieder auch mit faschistischen System verbinden, um entweder den Kommunismus zu bekämpfen oder die eigene Lagerstellung zu festigen, gehört zu dieser Geschichte. Mich erinnert dieser Aspekt daran, wie ihn Zygmunt Bauman nach der Unabhängigkeit von den Sowjets und in der Entwicklung der Republik beobachtet (Bauman 2024). Und es ist mir wichtig, als Unterstützer Israels, die Kritik an Netanjahu als Faschisten so deutlich begründet auch zu lesen – was bei uns in Deutschland ja gewisse Barrieren hat.

Ben Rhodes bitte lesen.

Bauman, Z. (2024). Fragmente meines Lebens. Berlin, Jüdischer Verlag.

                Zusammengestellt aus verschiedenen Zeitrahmen, sehr präzise, oft narzisstisch

Rhodes, B. (2024). „American Descent.“ NYRB LXXI(13).

                Globaler F mit USA mittendrin

2 Gedanken zu “Faschismus real und als Begriff. Weltweit. Heute

  1. Vielen Dank, das war eine für mich sehr hilfreiche Erläuterung zur heutigen Verwendung des Begriffs Faschismus. Ich hatte bisher auch immer Zweifel, ob der begriffliche Rückgriff richtig und zweckmäßig ist.

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