Michael Köhlmeier:
- Spielplatz der Helden. Piper, München 1988, ISBN 3-492-21298-0.
- Michael Köhlmeier – Wikipedia
- Der Porsche kommt. In: Der Spiegel. Nr. 13, 1984 (online)
In einer umfassenden kurzen Auszeit der letzten Wochen lese ich ein Buch. Michael Köhlmeier, Spielplatz der Helden, 1988: einer seiner ersten Romane. In der Nachbereitung dieser Lektüre wird mir erst klar, wie viel dieser Autor * 1949 geschrieben hat, wo er politisch und wie sich geäußert hat, und ob er oder das Buch über die Antarktis, Südtirol und eine Beziehungsgeschichte mich stärker für Autor interessiert. Es kann der Umstand der Auszeit sein, der mich tiefer in das Buch hat einsteigen lassen, und jetzt, hier, folgt keine literarische Kritik. Ich kannte ein paar wenige Bücher des Autors, wusste um seine endlose Preis- und Ehrungsliste so wenig wie seine politischen Positionen. Fragt mich jemand nach Autor und Buch, nenne ich ihn einen guten Schriftsteller, wobei gut nicht auf- oder abwertend ist, sondern eben gut, anders als sehr gut oder ganz gut oder schlecht. Ausgangspunkt für das Romanthema war eine Grünlandexpedition von drei Südtirolern. 1983 wurde Robert Peroni „…international bekannt durch die Erstdurchquerung des grönländischen Inlandseises an seiner breitesten Stelle. Diese Nordtransversale unternahm er 1983 gemeinsam mit den Südtirolern Pepi Schrott und Wolfgang Thomaseth. Die 88 Tage währende Expedition unter extremsten Bedingungen ist auch Gegenstand seines Buches „Der weiße Horizont“. Die 1400 km lange, lebensgefährliche Durchquerung Grönlands wurde ohne Hilfsmittel und Versorgungsdepots durchgeführt“.[ Köhlmeier hat die Expedition bewundert, das Buch ist den drei Expeditionsteilnehmern gewidmet, allerdings mit anderen, erfundenen Personen. Das habe ich alles erst im Nachhinein genauer durchleuchtet, das Buch hat mich über die Zeit gebracht.
Da nun keine literarische Kritik folgt, also keine eigentliche Rezension, ist es vielleicht nur eine Überlegung in einem ungewöhnlichen Zustand, und ein Abschluss mit einem zweiten Buchhinweis, zu Adalbert Stifter, den man vielleicht hier nicht erwartet hätte, und der mich am Ende dieser Lektürephase, sehr beschäftigt hat.
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Es gäbe sehr viele thematische Ausgänge, die in ganz andere Sphären führen könnten, aber die vorhandenen reichen. Wenn man ein bisschen etwas über Expeditionen weiß, freut man sich über die karge und schmale Vorbereitung ebenso wie über die nicht im Mindestens abgeschlossene psychosoziale Vorbereitung dessen, was überhaupt funktionieren kann. Was in der Familie, im Umfeld vor dem Aufbruch abgeht, Das Eindringen des journalistischen ist spannend. Und wie es zu Ende geht, gut, würden wir sagen und nicht nur Überleben, sondern es lebt sich weiter (womit zwei Drittel des Buches einen Rahmen haben, in dem sich dann ganz anderes abspielt: Beziehungen, Politik etc.). Die gegenwärtige soziale und individuelle Situation der Berteiligten, Südtirol, das Private, die Studienexkurse nach Marburg, RAF etc., das kann alles rein, die erfolgreiche Beziehung des Journalisten mit Pia bis zur letzten Zeile ist wie ein Gegenbild zum Erzählstoff, obwohl die Beziehungsgeschichte oft wie die Grönlandwüste ihre Unfassbarkeiten hat. Ich habe mich beim Lesen mit den Situationen, dort wie hir, eher identifiziert als mit den Personen. Und das fertig gelesene Buch beiseite gelegt, dankbar für die Überbrückung der Auszeit…wären da nicht Nachwirkungen gewesen. Ich kanns nicht aufschlüsseln, aber einige Beschreibungen haben mich (wieder einmal) zum erstklassigen Adalbert Stifter gedrängt und zu dessen bestem Text „Bergkristall“. Auch hier geht es um eine in Frage stehende Rückkehr. Das reicht für die Verbindung nicht, hier sind es Kinder in den österreichischen Bergen, und obwohl keine tragfähige Ortsbeschreibung vorhanden ist, weiß ich doch so ungefähr, wo sich was abspielt. In meinem Studium und seither spielt Stifter eine wichtige Rolle, aber hier geht es um Vergleich auf der nicht positivistischen Beschreibung. Die Landschaftsbeschreibung ist so großartig und umfangreich, wie die Soziologie der Familienbeziehung präzise ist, um die beiden Welten – Welten! Zwei Dörfer, diesseits und jenseits des Sattels, über den die Kinder gehen, um die Familie auf der anderen Seite zu besuchen. Irgendwie kommt mir das Ganze heute noch bekannt vor…Landschaft, Gesellschaft, die in die Irre führende Wanderung – und nur ganz wenige Seiten werden der Rettung der Kinder gewidmet, bevor sie wieder nach Hause geholt werden und daheim sind. Sie haben sich am Leben erhalten, weil gutes Wetter (Schneefall!) war und kein Wind ging, das wird genau beschrieben. Das kurze Dankesgebet der Retter ist aufgeklebte Formalie. Keine Romantik.
Die Erinnerung an das strenge Seminar zu Stifter bei einem weniger fortschrittlichen Hochschullehrer ist nicht völlig überblendet, aber von ihm hängt fast nur mehr die Zählung der „Ja“ und „Nein“ Kommentare des Mädchens zu dem älteren Bruder…
Insgesamt ist dem Köhlmeier schon zu danken, für die Aufnahme des ja jetzt aktuellen Grönlands, vielleicht auch für seine frühromantischen Beziehungsgeschichten, und dafür, dass ich wieder „Bergkristall“ gelesen habe, Juwel nach der Romantik. Der Realismus macht die Wahrheit eher besser.
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Nun könnte man fragen, warum ich dieses Leseerlebnis hier ausbreite. Was ich sonst alles lese, beschreibe ich hier ja auch nicht. Aber da man mir die Grönlandgeschichte vor Augen gebracht hat, habe ich sie gelesen, und schon der Unterschied zu den Expeditionsbüchern meiner Jugend war frappierend, positiv: weil die Reiseumstände und Vorbereitungen keinen gewaltigen Rahmen für das Bild der Entdeckung darstellen, und auch, weil das Meiste, das geschieht und dargestellt wird, mit der Expedition wenig bis nichts zu tun hat, es sind Dialoge, Monologe dreier Akteure, die wer weiß warum zusammengefügt die Durchquerung der Insel geschafft hatten. Also wird der Phantasie und den Assoziationen ein weiter Raum gegeben, den meine etwas gelockerte Disziplin eben bis nach hinten zu Stifter ausgenutzt hat.
Ich kann beide Texte empfehlen.