Wirklich und wahr: Marlenes klare Schrift

Nichts ist vorbei. Was wir jetzt durchleben, trägt immer auch Vergangenes, Erinnertes, erwünscht Erinnertes und wirkliches, mit sich. Sonst könnte ja niemand die Zukunft aus der schlechten Vergangenheit lösen. Was war da mit CoVid? was war da mit verschiedenen Temperaturen von Wohlstand und Sorgen um Verarmung, oder auch Sorgen um Gesundheit und Körper? Wie erreicht uns der erneute Krieg, der andere Waffengänge überdeckt, und wo lässt er sich nicht oder doch ausblenden?

Solche Fragen lösen sich berufen Fühlende meist durch Einblenden bekannter Namen, die manchmal wie „Leuchttürme“ repräsentieren, worüber Antworten gesucht werden. Weniger sensibel heißt das auch, dass sich viele Diskurse nur innerhalb von Eliten oder Personen im Rampenlicht verstehen lassen, vom großen Rest der Informierten soll es eben geglaubt werden oder hingenommen. Manchmal mit, meist ohne Protest.

Marlene Streeruwitz, unbeirrt und genau, geht einen anderen Weg, nicht zum ersten Mal, aber genauer und hautnah an der Wirklichkeit. Es ist ein Einblick in die Normalität, wie selten geglückt. Mutter und Tochter, auch die Großmütter, auch einige andere in unmittelbarer oder erinnerter oder vorgestellter Kommunikation. Tage im Mai. So heißt das Buch (Fischer, 2023), so wird es in die Zeitläufte eingeschrieben. Die meisten Rezensionen geben ganz gut wieder, was hier abläuft. Aber kaum erfahren wir darin, was mich so fasziniert: Marlene Streeruwitz beschreibt normale Menschen in einer Welt, die wie eh und je von Normalität weit entfernt ist, aber in Wellen besseren oder weniger guten Extremen sich nähert.

Normalität heißt zum einen, dass alle Menschen, deren Tage und Nächte hier beschrieben werden, ihre Besonderheiten mit sich tragen, mehr oder weniger bewusst oder reflektiert: Mutter Konstanze und Tochter Veronica wie ein Zwillingsgestirn in einem Sternbild, das einen guten Ausschnitt aus der Wirklichkeit darstellt, aber unbegrenzt endlich ist. Endlich, weil alle sternemüssen, die in der menschlichen Gesellschaft leben, weil das den Überlebenden zu bedenken nicht erspart bleibt, und doch müssen sie weiter leben. Normal. Nicht zusätzlich herausgehoben. Denn das macht diesen Text so faszinierend, gerade bei den Normalen ist das, wir oft pathetisch menschlich nennen, nicht durch die Wirkung, durch die ständig neuen Kleider sichtbar.

Mich hat dieses Buch enorm erleichtert. Das muss ich kurz erklären. Zur Zeit sind introspektive Lebenserinnerungen jeder Art, Deutungen aus sich heraus, angesagt. Das hebt die Textfabrikation von der Normalität der Wirklichkeit ab, macht die Schreibenden und Erzählenden zu „Besonderen“. Ich mag das nicht, schon, weil es mich vom genauen Beobachten der beschriebenen individualisierten Wirklichkeit ablenkt und ich mir diesen besonderen Menschen zusätzlich vorstellen muss.

Bei Marlene Streeruwitz kann ich innerhalb der Grenzen des Normalen vergleichen: das kenne ich, das ist wahrscheinlich, das tut mir in der Übertragung weh, das ist so. Als hätte ich. Als wäre ich dabei.

Wenn Mutter und Tochter beim Anschauen einer Telenovela „Tango para Estrellas“, Kapitel II, beisammen sind, und die Bedeutungsknappheit der Kommunikation gerade nicht stattfindet, dann ist Inhalt insofern schon bedeutend, als er die schlechte Unendlichkeit einer nicht selbst erlebten Wirklichkeit Folge für Folge für Folge anbietet. Man kann auch vieles überspringen, das Grundmuster bleibt erhalten. Wer dann nicht lachen kann, wenn „Lippen schweigen, flüstern Geigen…“ in englischer Übersetzung erklingt, und die weiße und die schwarze Francine sich in Lehàrn wiegen, der oder dem ist nicht zu helfen.

Aber nach dem Lachen kann man zum Beispiel genau und materialreich erkunden, warum die Telenovelas ein wichtiger Bestandteil einer uns nur oberflächlich bewussten „anderen“ Kultur sind, einer Normalität in anderem Gewand.

*

Was mich an diesem Buch noch mehr als an früheren von Marlene Streeruwitz so fasziniert ist die Kunst uns auf die Wahrheitssuche zu schicken, indem sie die Wirklichkeit, die Normalität wirklicher Menschen, darstellt. Es gibt da nicht die überlegene Bosheit eines überlegenen Draufschauens nach dem Motto, wir hätten andere Probleme. Diese Kunst.

Aufmerksame Rezensionen erwähnen in diesem Zusammenhang Marlene Streeruwitz´ Vorlesungen von 2021 Geschlecht. Zahl. Fall. (Fischer). Zu Recht. Denn der Humanismus der geschlechtszugewandten, feministischen, Wahrnehmung ist so wichtig wie die Kritik am Singular der herausgehobenen und damit kommunikationsdefekten Individuen (ich baue die Brücke zu den „unnormalen“ Persönlichkeiten). Und schon vor dem jetzigen Krieg wird die Kritik am kulturellen, unter der Haut nistenden Bellizismus deutlich, die auch in den Vorträgen und Vorlesungen seitdem immer wieder deutlich wird. Der Krieg wird nicht durch Friedenserklärungen gebannt.

*

Für jedes gute Buch ist man dankbar. Hier kommen aber noch Augmente der Hoffnung dazu. Die normale, also nicht ganzheitliche Kommunikation, nicht nur zwischen Mutter und Tochter, ist so wichtig gegenüber allen, die das Ungenügen gerne in die unmögliche Utopie des so-könnte-sollte-müsste-es doch sein verlagern. Und sich dann auch noch opportunistisch im Ungenügen einrichten, besser als nichts.

Die Hoffnung besteht in den Tagen im Mai unter anderem darin, dass im Reden, vor allem von Konstanze und Veronica, aber auch in anderen Wortwechseln, die Brüchigkeit, das geringe Trefferpotenzial der gewechselten Worte, die oft keine Begriffe deutlich wird. ABER. Die beiden haben sich eine Menge zu sagen. Mein Freund Aron Bodenheimer hat vor Jahrzehnten shon auf diese Differenz hingewiesen, und wenn sich Menschen etwas zu sagen haben, muss man sich nicht auf die Rede verlassen. Was sich beiden zu sagen haben, wird so unheimlich deutlich im Dialog der letzten beiden Seiten, dass einen gerade herausreißt aus der selbstmitleidigen Gegenwart und zu einer vita activa auffordert, für die wir vielleicht noch nicht richtigen Worte haben. Das ist normal.

Es splittert nach dem Karneval

Liebe Leserinnen und Leser,

anstatt die langweilen Umzüge und stammelnden Büttenreden weiter zu tragen, eine Verlagswerbung für meinen wunderbaren Wiener Verlag, die edition splitter. Wunderbar, weil sie nicht nur meine Frau und mich verlegt, sondern weil sie auch nicht über amazon erhältlich macht, was wir loben, und ich deshalb in Deutschland einige Bücher im Sortiment habe und weiterempfehlen kann. Ich schicke sie auch zu billigerem Porto an die Besteller…Immer neue, immer andere, und einige Klassiker. Diesmal also

Ingo Nussbaumer: Zur Farbenlehre – Entdeckung der unordentlichen Spektren. Hier kann man mehr als nur Kunst und Farbe einatmen. Sehen lernen und sich daran entwickeln…38,00 € + 3,00 € Porto

Christian Baier: Romantiker. „Mir war, als würden wir uns schon eine Halbwertszeit kennen“. Nur mehr wenige Exemplare! 22,00 € + 3,00 € Porto

Birgit Katharine Seemann: Der traurige Mörder von Sanssouci. Kunst, Kriminal und die Freude an der kultvierten Entwicklung in einer anderen Stadt. Kennt Ihr Caravaggio? 28,00 € + 3,00 € Porto

Otto Hans Ressler: Kardinal und Hure. Die Geschichte eines Gemäldes. Wer weiß schon, um welches es sich handelt? 28,00 € + 3,00 € Porto

Hannes Benedetto Pircher: Sorella Morte. Über den Tod und das gute Leben. Die Betrachtungen eines Grabredners kommen für alle zur richtigen Zeit, als lebendige LeserIn legt man dieses Buch nicht weg. 25,00 € + 3,00 € Porto

Michael Daxner (das bin ich, richtig!): Flanieren im Mythos. Sexualität und Gewalt. Eine Wanderung durch ein Labyrinth zwischen Erinnerung, Einsicht und Erkenntnissen jenseits einzelner Wissenschaften. KOMMT NÄCHSTEN MONAT, kann man jetzt schon bestellen. 28,00 € + 3,00 € Porto.

Bitte bei mir bestellen, ich schicke die Bücher per Post. Und vorher bezahlen an edition splitter,

Kto. AT81 1515 0005 0103 3070, BIC OBKLAT2L.

Mehr zum Verlag erfahrt Ihr https://www.splitter.co.at/

Bei mir bestellen michaeldaxner@yahoo.com macht es billiger (Porto!) und sehr schnell. Danke, und gute Bewältigung des Aschermittwoch

Faschismus? Nicht schon wieder…

Soll man vom Faschismus sprechen und damit frühere faschistische Wirklichkeiten abmildern oder gar ignorieren? Soll man das Wort – auch den Begriff „Nazi“smus vermeiden, um den Vergleich mit der deutschen Besonderheit nicht am falschen Objekt zu verschleissen?

Der Krieg Russlands gegen die Ukraine und den Westen ist nur einer der derzeit ausufernden Kriege. Ich habe seit längerem Putin in der Nachfolge Hitlers und Stalins beschrieben und ich habe bewusst und ohne konkreten konfrontativen Gegner die Entwicklung eines europäischen, vielleicht globalen Faschismus nicht nur in/mit den Nukleardiktaturen verglichen. Das wird bisweilen belächelt, seltener kritisiert und fast nie mit Argumenten angegriffen, weil es egal ist, was ein privater Akteur jenseits der Meinungsdiskussion zur Situation sagt.

Es kommt darauf an, zu erklären, was man mit Faschismus meint, und auch, was ich am realsozialistischen und stalinistischen Begriff des Antifaschismus immer zurückgewiesen habe. Erich Fried: Aber ein Antifaschist, der nicht sehr viel mehr als ein Antifaschist ist, ist vielleicht kein Antifaschist. (1983). Was ich mit Faschismus meine – von Mussolini über Dollfuss bis Ceaucescu – setzt sich fort in Orban, Erdögan und in Staatssystemen, bei denen es weniger auf namentliche Akteure als auf systemische, schwer zurückzuholende Maßnahmen handelt, wie zur Zeit in Israel. Damit sind auch europäische Staaten gemeint, solche, die innerhalb der grundsätzlich demokratischen und rechtsstaatlichen EU faschistische Rhizome sich verbreiten lassen oder solche Strukturen pflanzen, Italien, Schweden, auch mein Österreich. Das ist, werte LeserInnen, nicht abschließend. Auch Entwicklungen in den USA sind hier festzuhalten, und natürlich China, bei dem die Faschisierung etwas anders verläuft, v.a. wegen der Ökonomie. Ich kann die Liste noch länger machen.

Die Abwehr des Begriffs ist massiv, wenn es um Hinweise auf den rechtsstaatlichen, demokratischen Charakter der so kritisierten Gesellschaften geht. Das ist im Übrigen ein wichtiger Punkt der Erkenntnis, dass es nicht nur um die staatliche, mehr oder weniger legitime, Vertikale von Macht geht, sondern auch um den Willen und die Meinung großer Teile von Bevölkerungen, die sich oft weniger um die demokratische Durchsetzung ihres Willens und um die Mittel, die angewandt werden, als um Ziele kümmern, die gar nicht zur Fragwürdigkeit reifen dürfen. Auch die Tatsache, dass z.B. innerhalb der NATO offen und latent faschistische Staaten ein Bündnis bewahren, das der Idee des „Westens“ so wenig entspricht, wie die Kritik des neuen „Ostens“ daran unsinnig ist, sollte man nicht übersehen.

Kurz, es geht mir darum, das, was evident vor unser aller Augen sich ereignet, so klar und ggf. zugespitzt auch zu sagen.

*

Sagen ist mehr und etwas anderes als einfach „über etwas zu sprechen“. Es bedeutet, sich auszusetzen der Kritik wie der Zustimmung, es ist sozusagen eine Voraussetzung mit Dialog nicht einfach mitzureden, sondern etwas zu sagen zu haben, das die Wirklichkeit zu verändern oder zu bestätigen bestimmt wäre, wenn es auf aktive Gegenüber stieße. Also nicht einfach eine Meinung äußern, sondern darüber hinaus in die Politik kommunizieren. Wenn ich also wünsche, eine Ansage zum Faschismus zu machen, dann auch um den postmodernen Grauschleier von einem Begriff wegzuziehen, bei dem der Streit um seine Wahrheit nur zu oft von der Wirklichkeit – es gibt ihn ja, diesen Faschismus – ablenkt. Manche fürchten, dass den schrecklichen Faschismus und die Nazizeit verkleinert oder relativiert, wenn man den Begriff weiter und erneut verwendet und formiert. Dabei ist eine gewisse Arroganz dabei, dass man selbst das Fürchterliche besser erkennt und benennt als andere. Und wer sagt, dass viel Schreckliches nicht immer wieder kommen kann, in anderem Gewand allerdings.

*

Viele Einlassungen zur derzeitigen politischen Situation, der Krieg der Russen, Postcovid, Erdbeben usw. lassen die wirklichen Probleme der Politik augenscheinlich an den Rand drücken oder verkleinern. Als ob die Umwelt, das Klima, der Hunger mehr „Zeit“ hätten, in „“, weil oft so getan wird, als wäre es in unserer Hand, Entscheidungen mal fünf, mal zwanzig Jahre hinauszuschieben. Das hat mit dem sich ausbreitenden Faschismus insofern etwas zu tun, als der ja u.a. darin besteht, demokratische Strukturen zugunsten einer alternativlos verordneten Politik=Machtausübung + Entscheidung abzubauen. Dass das nicht allen Menschen auffällt, kann man erklären; dass es sie nichts angeht, solange der Wagen rollt, ist nicht so leicht verständlich. Und das Leisereden der faschistoiden Herrschaft(en) macht die Dinge nicht besser. Orban, Meloni & al. werden durch Besäuseln nicht besser.

Was tun?

Nichts weiter als das tun, was man unter weniger faschistoiden Randbedingungen auch tun würde, müsste, sollte. Klimapolitik, Migrationspolitik, Verkehrspolitik, Friedenspolitik…immer Politik, nicht Meinungsaustausch bis zum Weltuntergang.

Ja, aber geschieht das nicht ohnehin? – Nein, es geschieht nicht hinreichend und vor allem deutlich. Deutlich heißt, dass die Folgen und erwartbaren Ergebnisse auch benannt werden. Ein unerfreuliches Beispiel: Ich habe, anstatt eine rechtslastige Kritik des „Westens“ zu unterstützen, einige massive Vorbehalte gegen die USA und die NATO konkret, z.B. ihr Mitglied Türkei. Ich denke, eine europäische Verteidigungspolitik sollte diese Realität aufheben, übersteigen. ABER das wird teuer und vielleicht andere Grundprinzipien, die scheinbar unsere globale Politik ausmachen, verändern. Ein anderes Beispiel: Anstatt Abschiebepolitik zu betreiben, kann man eine unethnische Integrationspolitik betreiben, die zwar die soziokulturellen Zusammensetzungen unserer Nationen verändert, aber mehr als nur Arbeitsplätze schafft. ABER das wird teuer und vielleicht andere Institutionen, wie unsere Bildungspolitik nachhaltig verändern.

Na und?

Angesichts der globalen Bedrohung kein unüberwindbares Hindernis. Dass es uns nicht bessergehen wird, ist vielleicht eine Meinung, aber kann man das wirklich so sagen? Was heißt schon, dass es uns gut geht und nicht schlechter gehen soll?

Leben und Sterben, nicht Tod

Drei gaunze Schüleng kosts aussi zun Grematorium…

So beginnt eines der Wiener Todeslieder. (Natürlich von Helmut Qualtinger – Marcia Funebre / Drei gaunze Schüleng (Drei ganze Schillinge) lyrics | AZ Lyrics.az). Nur die Straßenbahn zum Zentralfriedhof ist teurer geworden…

Keineswegs lustig oder ironisch gestimmt, versuche ich die geballten Erfahrungen der letzten Monate zu „entsubjektivieren“, d.h. es geht mir in der Überlegung nicht darum, wer konkret wann wie gestorben ist, beerdigt wurde, das beschäftigt mich zwar mehr als vieles andere, aber es bietet auch einen Anlass, über „mein“ Thema nachzudenken und zu schreiben. Mein Thema, lebensbestimmend seit ich vielleicht sechzehn war, und bis heute sollte man dieses Wort LEBENSbestimmend lesen, es geht ums Leben, nicht um den Tod.

Zwei Eckpunkte. In der Bibliothek des philosophischen Onkels gab es von Hans Nossack „Das Testament des Lucius Eurinus“, eine Reflexion über den Tod, das Christentum, und die persönliche Haltung, kein besonderer Autor, kein besonderes Buch, aber es hat sich eingeprägt, seit über 50 Jahren. Und der 11.2.2023, also gestern, als eine Potsdamer Bekannte, Politikerin und Performatorin aus Anlass ihres neuen Berufs als Trauerrednerin eine Proberede hielt, bei einem von ihr gestalteten Kulturevent: „Auf das Leben“ – im Programmheft heißt sie uns willkommen und sagt: „Es folgt eine Trauerrede ohne Trauerfall und anschließend lade ich dich ein, auf das Leben zu tanzen oder den Abend bei Getränken und Gesprächen zu verbringen“ (www.jennypoeller.com)

Der eine bindet den Tod an die Religion, und – der Inhalt ist bei mir jedenfalls völlig vergessen, nur dass ich das Buch inhaliert habe, weiß ich noch. Das gestrige Erlebnis war ein weiterer Anstoß, über dieses Thema zu reflektieren und etwas zu sagen, Jenny Poeller animiert die Erinnerung als Zugang zur Trauer.

*

Über den TOD gibt es unzählige Texte, Lieder, Bilder, ohne TOD gäbs wahrscheinlich keine Kunst, und seine Konstruktion gehört zur Evolution wie zur Zivilisation. Über das STERBEN hingegen gibt es zwar auch viel, aber verglichen mit dem Tod fast nichts. Was man erinnert, auch nicht zufällig, „Die Weise von Liebe und Tod“ (Von Rilke 1899 in einer Nacht geschrieben und 1912 auf dem Markt), oder „Romeo und Julia“. Aber um diese bekannten Todesanrufungen geht es mir weniger als darum, dass der Todesdiskurs den Weg der einzelnen Menschen von ihrer Geburt bis zu ihrem Sterben zudeckt.

*

Der von mir geschätzte Charles Baudelaire schreibt einmal „Es ist der Tod, der tröstet und belebt, / in dem wir einzig ziel und hoffnung sehn, …“ (1821). Der weniger geschätzte Stefan George hat das herausgebracht: George, Stefan: Baudelaire. Gesamt-Ausgabe der Werke, Band 13/14, Berlin 1930, S. 181-182. Es heißt „Der Tod der Armen“ und sagt nichts darüber aus, wie die armen Menschen wirklich sterben, sondern in welchen konstruierten Kontext sie eingebettet sind. Und darum geht’s mir in diesen Tagen, wo sich meine Erinnerungen mit der Wirklichkeit von Sterbefällen, Abschieden, Trauerereignissen (nicht „Feiern“, dazu auch noch später) in ungewohnt heftiger Art auftürmen.

*

Manchmal möchte ich sprachkritisch eingreifen, wenn Todestag das Sterbedatum markieren. Es gibt so viel Sterben, wie es Menschen gibt, vermehrt um die Teilhabe anderer Menschen an diesem einen Akt des Übergangs vom Leben ins NICHT. Der Begriff ist sehr schwierig, weil die Meisten vom „Nichts“ sprechen, das aber den Gegenpol des „Etwas“ hat, und das wäre ja drüben oder als Weiterbestehen des Gestorbenen als Molekül im Pazifik o.ä. Nein, mit dem Sterben eines Menschen geht dieser Mensch ins Nicht, und wir bleiben zurück, wir LEBENDEN: Das wäre und ist für das Moment, das „tröstet und belebt“, weil wir konkret den oder die Gestorbenen überleben. „Recht haben die Überlebenden“, sagt Jean Améry, der Immerhin KZ und Tod überlebt hatte. Damit meint er nicht allein sich, WIR überleben.

Jetzt kreuzen sich zwei Wege: Einerseits. Meine Gedanken und Gefühle bei denen, die gerade verstorben oder begraben sind, bei denen, kurz vor dem Sterben sind, und bei der momentanen etwas verblassenden Sprachmasse des Todes. Andererseits. Mehr als andere, ebenso schreckliche gegenwärtige Kriege, trägt der Krieg der Russen gegen die Ukraine eben zu dieser Situation des belebten Sterbens bei wie das Erbeben in der Türkei und Syrien. Belebtes Sterben heißt, dass es uns, wenn wir helfen, spenden, mitwirken wollen, um jeden einzelnen konkreten, wirklichen Menschen gehen muss. Und dabei können und dürfen die Ursachen, Anlässe und Umstände seines und ihres Todes nicht aus den Augen verloren werden, gerade wenn es uns um das Überleben dieses konkreten Menschen, dieser wirklichen Menschen geht.

Die Kreuzung verhindert, dass sich das alles einseitig in Sentimentalität oder dem Selbstmitleid verliert, das durch Trauer genährt wird. Wir leben, das bedeutet auch, dass wir erinnern können, dass wir denen zur Seite stehen (müssen, sollen, dürfen), die unerinnert auf den Schlachtfeldern geopfert werden oder unter den Erdstößen verloren gehen. Dass zur Humanität auch gehört, die Erinnerung zu bewahren oder gar sie herzustellen.

*

Wenn das zum Krieg, zum Erdbeben, zum Hunger, zur Verwüstung gehört, dann geht es, so paradox es klingt, nicht gleich um den massenhaften Tod, der als Konstruktion der Mächtigen Lebenden immer vom Sterben des einzelnen Menschen absehen muss, um eine Botschaft der Lebenden an die Lebenden zu senden. Dazu passen Kunst und Literatur, damit muss man keine Probleme haben. Das ist die „Geschichte des Todes“, wie das Ariès richtig nannte. Das ist auch Teil der nach wie vor gepflegten Rituale, Totenmessen, Trauerreden.

Einschub. Zufällig beginnt heute in manchen Regionen der Karneval. Carne vale. Kurz vor der Fastenzeit bemüht sich das Leben, alles Mögliche in sich hereinzuholen, bevor es jenseitsorientierten Buße oder auch nur Schubumkehr des Lebendigen anvertraut wird, auch jenseits der religiösen Dogmen oder Religion schlechthin. Kann man, nicht nur „ich“, kann man das mit der Erinnerung und präsenten Trauer, vor jeder Erinnerung, in Einklang bringen? Die Frage ist nicht abstrakt, auch nicht philosophisch gestellt. Worin zeigt sich denn die trauernde Einstellung, die ja die Erinnerung aufbaut und in bestimmter Weise sortiert: jetzt kannst du nicht mehr einfach auswählen, woran du dich bei den Verstorbenen erinnern willst. Jetzt gilt das Gedächtnis der Überlebenden, das Subjekt lebt eben nicht weiter, sie oder sind im NICHT. Sind nicht.

*

Der Krieg, die Kriege, das Erdbeben, erlauben es, ein wenig Abstand zum Kitsch des Todesdiskurses zu gewinnen. Der massenhafte Verlust der Welt an Leben ist eben nicht vom Tod durch natürliche Willkür oder durch den Tod fürs Vaterland oder gar zur Ehre eines Gottes zu rechtfertigen oder zu entschuldigen. Vielleicht kann man sich ein wenig besser, d.h. konkreter, in die Trauer der Überlebenden einfühlen, die auch, wie wir, leben, überleben. Das wäre schon ein Gewinn für den Rest des Lebens von jedem und jeder von uns.

*

Nachsatz: Jenny Poeller schreibt im Programmheft: „So ein Abend lässt sich, wie das Leben selbst, nicht allein denken, gestalten, und erleben“. Wer das Leben nicht mehr hat, kann nicht mehr fragen, warum, unter welchen Umständen. Wir Überlebenden müssen das fragen, müssen es wenigstens fragen lernen, und sei es beim Abschied.

Ach, vom Frieden reden .

Nichts leichter, als Frieden fordern. Nichts eingängiger, als Verhandlungen anzumahnen. Nichts gelegener, als populistisch populär zu werden, wenn man ins Rampenlicht möchte.

Sarah Wagenknecht und Alice Schwarzer haben sich ein Manifest gebaut, dem sich gleich eine Menge mehr oder weniger bekannter öffentlicher Menschen angeschlossen haben, von Kässmann bis Chrupalla.

Die Argumente kennen wir. Sie waren schon besser und differenzierter. Der hier vorgetragene Humanismus ist putinophil und antiwestlich, das kennen wir auch. Vieles erinnert an die antiwestliche Geschichte der deutschen Kultur gegen die Zivilisation vor mehr als hundert Jahren.

Man bräuchte dieses Manifest gar nicht mehr kommentieren, wenn nicht unter diesem Propagandatext einige wichtige, wirklich wichtige Fragen lagerten. Zunächst: wer soll wie mit wem verhandeln? Die Frage ist nicht trivial, weil erstens die Legitimation von Verhandlungen und die Verwirklichung eines friedensförderlichen Ergebnisses keineswegs auf konkreter Ebene benannt werden kann, und weil zweitens die Drohung mit dem Nuklearkrieg, ausgehend von Russland, implizit bedeutet, dass man Kompromisse „auf beiden Seiten“ (Manifest) machen muss, damit es nicht zu einem nuklearen Weltkrieg kommt. Wörtlich heisst es da „

Verhandeln heißt nicht kapitulieren. Verhandeln heißt, Kompromisse machen, auf beiden Seiten. Mit dem Ziel, weitere Hunderttausende Tote und Schlimmeres zu verhindern. Das meinen auch wir, meint auch die Hälfte der deutschen Bevölkerung. Es ist Zeit, uns zuzuhören!

Wir Bürgerinnen und Bürger Deutschlands können nicht direkt auf Amerika und Russland oder auf unsere europäischen Nachbarn einwirken. Doch wir können und müssen unsere Regierung und den Kanzler in die Pflicht nehmen und ihn an seinen Schwur erinnern: „Schaden vom deutschen Volk wenden“. Und Schaden von den Menschen in der Ukraine abzuwenden, und Schaden von der russischen Lebenswelt abzuwenden, und Schaden von der friedlichen Kooperation als Ergebnis von Verhandlungen abzuwenden?

Das Manifest ist eine entpolitisierende appellative Form eines Aufrufs, der uns weder als Akteure noch als einflussreiche Vermittler sieht. Die Täter-Opfer-Balance ist ein probates Mittel, die Schuld und damit die Richtung von Politik – parteiergreifender, vermittelnder, oder sich ausblendender Politik – zu vernebeln.

*

Ich kenne einige der Erstunterzeichner, manche finde ich politisch besser als andere, das ist nicht wichtig. Wichtig ist mir, dass die Kritik am Manifest nicht eine schwarzweiß Umkehrung der Argumentation ist. Das bedeutet zum Beispiel, nicht mit der Möglichkeit des Kriegs zu drohen (wenn ihr nicht so verhandelt, wie wir es für richtig finden…), sondern die Realität zur Kenntnis zu nehmen und so zu vermitteln, dass man wissen kann, wer unter welchen Umständen mit wem worüber verhandeln kann. Wenn die Manifestler einerseits Deutschland als Kriegsakteur marginalisieren, andererseits aber Russland und die Ukraine als die beiden Seiten des Kriegs einander gleichsetzen, dann ist die Frage schon, was das mit Deutschland de facto zu tun hat.

Würde man ernsthafter an diese Frage herangehen, könnte man erstens die Differenz zwischen Wirklichkeit – Russlands Angriffskrieg und Verbrechen, Ukraines Verteidigung und Reaktion – wirklichkeitsnah benennen, – wenn man das kann. Das ließe niemanden aus der Kritik herausnehmen, würde aber eben differenziert urteilen. Zweitens spricht m.W. weder historisch noch pragmatisch etwas dagegen, dass während der Krieges verhandelt wird, und zwar um die Anerkennung der Mittler durch beide Seiten und um die Bedingungen für einen Waffenstillstand. Dessen Garantien sind entscheidend, ob der Kampf unterbrochen wird, oder absehbar beendet. Jetzt mit dem Kompromiss zu wedeln, der – vielleicht? – das Ergebnis sein kann, ist zynisch.

Es war immer schon ein probates Mittel, antiwestliche Ressentiments als Instrument des politischen Dazwischenredens zu verwenden. „Immer schon“ heißt seit dem Ende der Monarchie, konkret zu belegen. Dass es die westlichen demokratischen Diskurse, bei aller Kritik am Westen und besonders den USA (Vietnam etc.) dennoch vermochten, die politische Meinungs- und Willensbildung stärker zu prägen und zu beeinflussen als das weniger fassbare, östliche Narrativ, sollen die Kritiker bedenken. Oder befinden wir uns bereits im Drei-Staaten-Weltkrieg von „1984“?

Zufrieden im Krieg?

Eine Mehrheit in Deutschland sieht nicht, dass wir seit längerem IM KRIEG SIND, sondern befürchten, dass wir IN DEN KRIEG hineingezogen werden. Zum Beispiel durch die Lieferung von Panzern.

Die Gegenposition wäre, dass wir seit längerem im Krieg sind. Beide Seiten argumentieren mit scheinbaren Evidenzen. Scheinbar, denn die Evidenzen sind meistens Konstruktionen aus einer Mischung von Geschichtswissen, Vermutung, eigenen und fremdgesteurten Meinungen und auch ernsthaften Ergebnissen von Nachdenken und Analysen.

Wenn ein Land bestimmte Aktionen gegenüber kriegführenden anderen Ländern tut oder unterlässt, ist es im Kriege oder eben nicht. Vor fast einem Jahr habe ich gesagt, dass die Kriegslogik eine andere ist als die Friedenslogik, und wenn man schon eine Meinung dazu hat, sollte man auch auf die angewandte Logik und die Konsequenzen hinweisen. Ich habe auch darauf hingewiesen, dass die Meinungen dazu nicht ausreichen, um sich nachhaltig in diesem Diskurs zu behaupten, obwohl es natürlich wichtig ist, sich erst einmal Meinungen zu bilden und dann aus diesen politische Auffassungen, moralische Urteile etc. zu entwickeln, sich also aus der laienhaften selbst zugeschriebenen Unschuld heraus zu entwickeln. Je nachdem, ob man sich „quantenlogisch“ im Frieden befindet oder im Krieg, fallen die Urteile unterschiedlich aus. Was den Quantensprung bewirkt bzw. wahrnehmbar macht, ist eine komplizierte Fülle von Ereignissen. Die wiederum etwas Sachverstand braucht, um zu vernünftigen Urteilen und Ergebnissen zu kommen. Ich habe den Sachverstand im Einzelfall nicht, darum auch keinen Kommentar zu einzelnen Waffen, es gibt ja nicht nur Leopard2.

Mir geht es um etwas anderes. Wenn meine These von März letzten Jahres stimmt, dass WIR IM KRIEG sind und dass Krieg nicht nur aus sinnlich wahrnehmbaren Kämpfen, Schlachten, Verwundeten, Toten, Gefangenen, Angriffen und Verteidigung besteht; wenn also diese These stimmt, dann sollte man analysieren, wie lange man die Situation unseres Landes ALS IM FRIEDEN SIMULIEREN KANN. Umgekehrt, habe ich Unrecht, dann fragt sich, wie wir mit dem FRIEDEN IM KRIEG vor unserer Haustür umgehen. Vielfältig die Blogs und Statements und Diskussionsrunden, die Verhandlungen, Initiativen fordern, um dort den Krieg zu beenden, wo er hier nicht herrscht. Ich erweitere meine These, dass man sehr wohl aus dem Krieg heraus verhandeln kann, um Waffenstillstand oder eine Struktur von gegenseitiger Übereinstimmung zu erzielen, vielleicht weitreichend, vielleicht nur ganz punktuell. Geschieht ja dauernd, Gefangenenaustausch als Beispiel. Die kompliziertere Frage, nicht These, ist, ob man aus dem Frieden heraus in die Kriegsdiskurse eingreifen kann. Natürlich tun wir das längst durch Sanktionen, Wirtschaftshilfe, auch durch Informationspolitik und versuchte Beeinflussung. Vieles daran ist durtchschaubar und richtig, manches falsch.

Mein Problem, dass viel von dem Leid, das Russland verursacht hat, im Verlauf des Krieges „verallgemeinert“ wird, d.h. man schaut auf den Krieg als solchen und dann sieht man nur mehr Tote, Verwundete, Folter, Zerstörung, – aber man „entpolitisiert und entmoralisiert“ die Situation. Die „“ sollen nur aufmerksam machen, dass das eine sehr verkürzte Begriffsbildung ist. Frühere Kriege haben solche Haltungen hervorgebracht, das ist gut belegt. Was diesmal – seit 1945 wohl das erste Mal? – irritiert, ist die geringe Reflexion der eigenen Situation als nichtkämpfende, aber aktiv im Krieg sich bewegende Gesellschaft und staatliche Einheit.

Das hat, scheinbar paradox, auch mit Schuld zu tun, mehrfacher Schuld. Von Russland wird durch Missbrauch des Nazismusbegriffs die Wiederholung von Hitlers Krieg simuliert, und die Ukraine als Vorhut eines Angriffs aus dem Westen diffamiert, – zugleich will man sie zerstören, unabhängig von der Souveränität eines befreiten Staates. Es hat auch mit der selbst zugeschriebenen Schuld zu tun, eigentlich nicht genau zu wissen, was man jetzt tun sollte, und von wem man sich anleiten ließe, könnte man nicht selbst entscheiden.

Wohlgemerkt: das sind keine politikwissenschaftlichen oder philosophischen Überlegungen, sondern Reflexe auf das, was ich „mitbekomme“, wenn ich das Geschehen verfolge, und dann, hoffentlich, mit darüber Information hole und Gedanken mache (nicht umgekehrt). Und, das beunruhigt mich schon, 15 Jahre habe ich mir solche Gedanken in Afghanistan und gegenüber dem Geschehen dort gemacht. Man kann froh sein, nicht kämpfen zu müssen, nicht in unmittelbarer Sterbensgefahr sich zu befinden, ausweglos: aber deshalb steht man noch lange nicht außerhalb eines Geschehens, das eben auch KRIEG ist. Auch, das heißt, FRIEDEN wird weiterhin möglich sein, und schrecklich genug, auch als Ergebnis von Sieg, Niederlage oder Erschöpfung. Und dann soll niemand sagen, wir wären gottseidank draußen geblieben, weil wir ja drin gewesen sind, lebendig.

NACHSATZ: Das alles bedeutet nicht, selbstmitleidige Resignation oder zynischen Beobachterstatus einzunehmen. Es heißt „nur“, schwer genug, sich jenseits der Meinungsbildung über die eigne Position im Klaren zu sein.

Österarm

Einer der blöden Witze, Österreich ist auch regen- und Ärzte-REICH, und tatsächlich wirtschaftlich teilweise REICHER als sein deutscher Nachbar, das Land ist korrupter im Vergleich, künstlerisch und intellektuell profilierter, im Krieg der Russen gegen die Ukraine vorsichtiger gegenüber Moskau, verbal bösartiger gegen Geflüchtete, oft in der Praxis humaner, und, das merke ich auf Schritt und Tritt, wenigstens in Wien so multiethnisch wie wenige andere Städte in Europa.

Jetzt gab es Wahlen, die drei großen Parteien ÖVP, FPÖ und SPÖ liefern sich einen absurden Schattenkampf, die kleinen Grünen und NEOs im großen Bundesland Niederösterreich sind noch keine Zünglein an der vagen Waage. Es wird schwarz-rot, was den Blauen auftrieb geben wird. Dass die Braunen blau sich färben ist so absurd wie die Landesfarben von NÖ blau-gelb sind. Dass die Braunen so stark geworden sind – 25% – liegt an der Asylfrage – Unmenschlichkeit hat eine Tradition, solange man nicht betroffen ist, und ander durch die FPÖ vereinnahmten Covidpolitik, sie haben zu wenig Opfert der Seuche in ihren Reihen zu beklagen…vielleicht. Aber der Grund für die Schwiemligkeit und Korruptionsanfälligkeit der drei Großen geht weiter zurück. Viel weiter. Bis zum Ende des II. Weltkriegs. Trotz vieler und herausragender intellektueller und künstlerischer Vergangenheitsbewältigung wachsen der Köpfe der faschistoiden Hydra immer wieder nach, austro- und NS, oft vermischt, oft gegeneinander, und die Selbstabschaffung der Sozialdemokratie nach der Ära Kreisky ist noch einmal komplizierter, aber evident. Das alles wird in vielen Medien rauf und runter dekliniert. Aber es ist ein Kennzeichen dieser öffentlichen Politik, dass das SAGEN schon ausreicht, um nicht HANDELN zu müssen.

Der Bundespräsident AvB (van der Bellen für Unkundige) ist die rühmliche Ausnahme, Fels in der Brandung, demokratischer Fels in einer populistischen Brandung.

UND unterhalb dieser unguten rechts-schwappenden Realität gibt es eine Menge weltoffener, kritischer, produktiver Metastasen, die sozusagen das bessere Abbild einer möglichen Politik abgeben, einer möglichen Kultur, einer möglichen Sozialreform etc., die halt eben nur noch nicht wirklich ist. In diesem Möglichkeitsareal fühlt man, fühle ich mich wohl; aber auch wenn wohler als anderswo, jederzeit kann es wieder zu einem Einbruch der Wirklichkeit, faschistoider innenpolitischer Praktiken usw. geben – das kann man an realen Fällen belegen, immer wieder.

Nach einer Woche harter Arbeit, Freundschaftsbesuchen, Diskussion, Projektentwicklung, Burgtheater („Zauberberg“, super), und endlich gutem Essen, nach dieser Woche schaue ich wie auf einen kleinen Planeten, den ich regelmäßig verlassen muss, um meiner Wien- und Alpensehnsucht nachgeben zu dürfen.

Keine Heimattümlei, Heymaththümeley, sondern Ausleben der Differenz. Schaut euch die Armut auch an, z.B. in ländlichen Regionen, wo kleinste Orte weder Lebensmittel, noch Ärzte, noch Gasthäuser, noch ÖPNV-Anschlüsse haben, schaut euch den Wohlstand an, der in viele Poren nicht eindringt und andere aufbläst, und – darum geht es mir – vergleicht. Sozialstatus, Rentenpolitik, Wohnbaupolitik, Tourismus, und vor allem Klimapolitik. Die Skala besser-schlechter ist unsinnig, Differenz bedeutet auch, dass ich immer wieder nach Wien kommen muss.

*

Ich finde es lustig, dass vieles von dieser Zusammenfassung auch in kritischen Fremdenführern, Projekten, Diskussionen aufscheint. Man muss nur Musils „Möglichkeitssinn“ studieren, um die Menschen ohne Eigenschaften zu verstehen.

Meinst du „frei“?

Es gibt eine alltägliche Meinung, dass Meinungsfreiheit zu den herausragenden Freiheiten unserer Gesellschaft zählt. Das kann „man“ so sehen, wenn „man“ eine Hohe Meinung von der Meinung hat. Welche Meinung nun jemand, ein einzelner Mensch hat, erfährt man, wenn dieser Mensch sich äußert. Das darf und kann fast jeder. Und? Schon die Äußerung ist eine niedrige Hürde, aber immerhin erspart sie den anderen zu rätseln, welche Meinung denn der Eine hat, der jetzt seine Meinung kundtut. Das alles ist verfassungsrechtlich gut verankert, und erfreut uns, nicht wahr?

Kein Seminar zur Meinungsäußerung oder Kommunikation. Aber ich muss einen folgenreichen Ärger loswerden. In den letzten Wochen wurde die Meinung zu Kanzler Scholz‘ folgenreicher Ukraine-Panzer-Politik wie ein Mosaikschirm über dem Land verteilt. Ich hatte natürlich auch eine „Meinung“ dazu, ABER.

Das Haben einer Meinung ist nebbich. klar, jeder kann zu allem eine oder mehrere Meinungen haben. Auch darf sie jeder äußernm, in sehr weiten Grenzen, und nur ganz wenige Auffassungen dürfen nicht oder nicht so, wie sie unserem Hirn wuchern, geäußert werden. Gut so. ABER: muss man sagen, was man sagen kann, und zu wem und wie und zu jeder Zeit, vor allem, ohne dass auf einen selbst zurück geschlossen wird, und die Folgen der eigenen Meinungsäußerung haben ja auch eine politische und mentale und andere Wirkung. „Sind Sie jetzt für die Panzerlieferung in die Ukraine, an die Ukraine?“.

Kann man sagen, ja, und kann man sagen, nein. Dafür oder Dagegen. Meinungsumfragen geben dann ein Bild dazu ab. Jetzt erst wird es spannend: warum haben manche die pro-Meinung, andere die kontra-Meinung? und schon bei den einfachsten Differenzierungen der jeweiligen Meinung verwirrt sich das Bild. Da geht es nicht nur um Krieg und Frieden, und in wessen Hände die Panzergehören, da geht es um komplizierte ethnische, ethische, politische, aber auch finanzielle Urteile. Ist doch gut, wenn das aus Meinungsfreiheit sich so entwickelt, ein bunter Strauß von Meinungen, das nenn ich frei. Seit Wochen denke ich darüber nach, was die Meinungsträger über die Panzer wissen, was ich weiß. Ich kann mich informieren. Wirklich? Was wissen wir vom Krieg, in dem wir uns schon befinden, Leo hin, Leo her.

Schon die medialen morgendlichen Pressespiegel zerpflücken den Strauß, aber was können wir daraus lernen? Was sollen wir wissen, um unsere Meinung in die Politik einzubringen, angesichts der Tatsache, dass das VERTRAUEN allein in solchen Situationen vielleicht zu wenig ist (In anderen reicht es, gut so). Vertrauen in wen? in Scholz, in die Regierung, in die Bundeswehr, in die Amerikaner etc.? Der bunte Strauß ist ja ein Zeichen dafür, wie frei unsere Meinungsbildung ist, aber, darauf will ich hinaus, Meinungen sind oft weit weg vom Wissen, und selbst wenn man viel weiß über Strategie, Taktik und die Funktionalität des Panzers – selbst dann ist es nicht leicht, ein Urteil zu fällen, und kommt es auf mein, unser Urteil überhaupt an?

Doch, ja. Aber wem sage ich dazu was und wo, wenn mein eingegrenzter themenbezogener Verstand noch ziemlich laienhaft ist, weil ich ja noch nicht einmal die nicht kriegerischen Aspekte des Kriegs am eigenen Leib, in meiner Umgebung so richtig wahrnehme. Ja, da sind Geflüchtete, meiste Frauen, Kinder, Ältere aus der Ukraine. Ja, da kann man sich karitativ entlasten. Gekämpft, gestorben, getötet wird woanders. Das zeigt auch die Vergleiche auf, die wir gegenüber den unterschiedlichen Kriegen je nach Kriegsort und beteiligten Ethnien und politischen, religiösen Akteuren unentwegt ziehen und daraus unsere Meinungen formen und umformen und unterschiedlich gewichten.

Bedeutet das, dass wir – gesellschaftlich – dass viele Einzelne doch eine Menge von den Kriegen der Gegenwart wissen? oder gar in der Lage sind, mit Kriegen der Vergangenheit zu vergleichen? Und dass sich daraus, jenseits einzelner Meinungen, Strömungen, nationale oder lokale, klassenmäßige oder Umgebungs-bestimmte Ansichten, vor allem Einstellungen zu bestimmten Kriegen ergeben, die durch Religion, Indoktrination, zT. durch Bildung, durch Medieninformation etc. zusammen gesetzt sind und dann eine gewisse WIRKUNG entfalten, die oft gar nicht beabsichtigt und bewusst ist.

Das alles geht mir bei der Frage nach Scholz‘ Politik durch den Kopf. Und darum äußere ich mich nicht zu den Panzern.

Damit nicht genüg. Würde meine Meinung zum Leo-KOMPLEX etwas an meiner Auffassung zum Krieg der Russen gegen die Ukraine, zur Verteidigung der Ukraine zur Verteidigung des Westens gegen Russlands etc. beitragen, und sei es nur für mich und meine Gesprächspartner? Und ist diese Auffassung für irgendjemanden oder gar gezielt für die Politik mitteilbar und mitteilungsbedürftig? Ist die Auffassung nichts weiter als eine reflektierte Meinung? Das ist wichtig, zB. für parteiinterne Meinungsbilder oder folgenreiche Abstimmungen, oder für Konfrontationen innerhalb der folgenreichen Politik.

Damit bin ich ungewollt dort, wohin ich nicht wollte. Jetzt fängt das Auflösung der Meinung nicht nur in Haltung, Stil und Wahrnehmung an, sondern auch in Praxis, in Handeln? Aber ich werde ja nicht zu den Waffen gerufen, ich sowieso als Alter nicht, aber auch andere, Jüngere nicht. Aber ist es richtig, in diesem konkreten Krieg Ukrainer am Panzer auszubildenden. Ich habe auch dazu eine Meinung, aber kommt es auf sie an? In welchem Kontext?

Der Krieg macht eine bestimmte Form von Bildung, eine Anlage von Wissen notwendig, wie andere große, globale Probleme, bei denen die Grenze von Expertentum und Laienkultur eher nicht gilt, wie im kleinteiligen Alltag.

Und da sind die Meinungen vielleicht geschützt und frei, aber auch nicht so wichtig, solange sie nicht zu wirksamen, begründbaren Auffassungen werden, die andere erreichen.

Anvers – Antwerpen

Ein Besuch. Es ist kalt an der Schelde, aber schön.

DéDée d’Anvers – Antwerpen neu

Vorspiel:

Ich sitze mit meinem Alter Ego im ICE nach Brüssel. Nicht unerwartet, gibt der deutsche Zug zwischen Aachen und Brüssel in Louvain seinen Geist auf. Wir springen instinktgeleitet in einen lokalen Zug nach Antwerpen statt in den Ersatzzug nach Brüssel, fahren durch die belgische Flachlandschaft und einige Dörfer, und sind 30 Minuten früher dort als mit den Schnellzügen, obwohl wir „durch Menschen im Gleis“ aufgehalten wurden. Ankunft in Antwerpen um 14.00, es ist klirrend kalt, aber es regnet nicht.

Vorspiel 2:

Dèdée d’Anvers, die Schenke zum Vollmond. Dédée d’Anvers – Wikipedia Dieser Film mit den jungen Bernard Blier und Simone Signoret hat mich nachhaltig beeinflusst, geprägt möchte ich sagen – und auf der Fahrt nach Antwerpen kam mir der Film wieder ins Gedächtnis…und noch einmal in der Innenstadt in einer der Hurengassen. Und natürlich hat mich auch „vorbereitet“ das Buch Austerlitz meines Freundes W.G. Sebald, das ja in Antwerpen mit seinem gewaltigen Bahnhof beginnt. Da kommt man an, und die gewaltige Halle, mit Kolonialgeld gebaut, ist schon beeindruckend, auch wenn der heutige Bahnhof vier Stockwerke umfasst und die Einheitlichkeit des gewaltigen Baus zerlegt.

Endlich da.

Zugegeben, man fährt lange aus Berlin da hin, und so schön ist die Landschaft meist auch nicht. Aber die Stadt nimmt einen sofort gefangen, und es wird sich zeigen, warum sie mich sofort an Wien erinnert und erfreut. Wir gehen nach einer mageren Wegbeschreibung zu unserem Hotel: Citybox, Molenbergstraße, gleich jenseits der Ringstraße. Sehr einfach und ohne viel Personal, man kann alles mit Karte und Computer machen. Gute Zimmer, ohne Telefon und TV. Aber alles Sanitäre ist da und sauber. Das Frühstück wird von einer eigenen Truppe sehr freundlich und günstig zubereitet. Der Hinweis ist wichtig, weil die Preis im Touristenzentrum an der Kathedrale schon eher absurd sind, aber da muss man ja nicht essen oder gar wohnen.

Wir haben die nächsten Tage fast alles zu Fuß gemacht, was sich sehr lohnt, wenn man nicht von den Radfahrern überrollt wird, Achtung! Es gibt viele Straßenbahnen und kaum rechtwinkelige Verkehrswege, eben urban.

Am Weg ins Zentrum des Zentrums fällt schon auf, dass viele alte Häuser gemischt mit neueren und ganz neuen eben jene Urbanität ausmachen, die mir gefällt. Wir kommen an vielen kleinen Plätzen und kleinen Parks vorbei und sind schnell an der St. Jakobskirche. Die hat was Besonderes, außer der typischen Jesuitenfassade: Innen gar nicht so schöne Gotik, aber wo man die alte Apsis sieht, merkt man erst bei genauem Hinschauen, dass es ein Trompe-l’oeil ist, ein Vorhang, der die Renovierung verdeckt. Hier ist Rubens begraben, auch Bilder von ihm und prächtiges Geschnitz ist zu sehen, und überall die Jakobsmuschel für die Pilger nach Santiago de Compostela. Gleich weiter zur Schelde, wir gehen zum ersten Mal auf der Meir. Das ist eine Einkaufsstraße, die den Bahnhof mit der Altstadt verbindet, die Mode zeigt und alle Filialketten, die es bei uns auch gibt, plus die belgischen Bonbonnieren, die wirklich gut sind. Nach der herausragenden Mode muss und kann man suchen, auch in den Nebenstraßen, aber wir wollen ja erst einmal die Stadt sehen, also bis zur Schelde, die schon breit ist wie die Donau, neben der alten Burg (Touristenbüro und Stadtmuseum) ein Riesenrad, immerhin 70m, die Anlegestelle für die Schiffe, halb Ausflug-, halb normale Transporter in die Vorstädte, und etwas weiter der unzugängliche Fußgängertunnel, da wird gerade alles aufgehübscht, weil an der Uferstraße sehr teure Wohnungen mit Blick über den Fluss stehen – die alten Hafenhallen sind jetzt Parkplätze, es gibt auch hier noch ein paar schöne Gebäude. Wir gehen durch die Innenstadt, schauen uns die Öffnungszeiten an, der große Platz vor dem Rathaus ist schon beeindruckend, Der abgenadelte Weihnachtsbaum wird von einem Künstler zur bunten Skulptur, die Kathedrale von Häusern eingebaut, wie es sich gehört, und in vielen Nebengassen ist das mit einigem Abstand zum Zentralpunkt schon ganz erbaulich. In der Jesusstraße essen wir Hawaiisch, weil wir nichts afrikanisches gefunden haben, und von den vielen Italienern uns abgewandt haben. Die Bowls waren schmackhaftes Gemisch aus allem.

Eiskalt, aber.

Am nächsten Morgen wolkenlos. Wir gehen lange durch bürgerliche Viertel nach Süden, über den Markt, zum königlichen Kunst-Museum KMSKA, das grade erst eröffnet hat. Wieder ein Vergleich mit Wien, nicht so groß wie das Kunsthistorische, aber ähnliche Ausstellungsräume, natürlich wieder viel Rubens, dazu andere Maler der ersten (Breughel) und zweiten Reihe, keine Rembrandts, und mit guten Einfällen – nicht nur für Kinder werden Gestalten, Tiere, aus besonders markanten Bildern im Raum nachgebaut, am schönsten das Kamel, und zwischen den Gemälden der Renaissance und des Barock sind bewusst Margrittes und ein paar andere Moderne eingesetzt. Das lohnt, ermüdet in seiner Reichhaltigkeit, und ist ein anziehendes Museum. Die Sonderausstellung ist ein Gegenpol: ein amerikanischer Fotograph hat alle Orte von Weltausstellungen seit 1850 aufgesucht, wie schaut das heute aus…und dazu liegen Stadtpläne aus und man kann sich vorstellen, wie welche Gesellschaft mit ihrer Kulturgeschichte umgeht. Auch das ist Globalität. Und eine Ensor-Ausstellung zeigt, wie der im fortgeschrittenen Zustand alte Bilder verfremdet nachgemalt hat. Nach einiger Zeit wird es hungrig: geht nicht ins Museumscafé, das ist  astronomisch teuer und karg. Vor dem Museum wäre eine Frittenbude gewesen. Man lernt nie aus. Wir wandern an die Schelde und zurück zum Zentrum, ein wenig wie am Donaukanal. Wir steigen ins falsche Touristenboot und fahren flussaufwärts, nicht wirklich lang, an Fabriken entlang, riesige Windräder werden da montiert, weiter draußen wohnen dann die Vorstädter. Ein Zwischenfall: die Strömung ist so stark, dass die Schiffsallzweckbesatzerin, die Einzige, mit einer Axt ein Tau zerhauen muss, weil es beim Zwischen-Anlegen nicht geklappt hat…. Wieder zurück steigen wir ins Riesenrad. Jetzt guter Blick auf Altstadt und die Umgebung, auch da ist es noch kalt. Wir wärmen uns in einer essenlosen Kneipe billigst auf. Dann suchen wir das Rubenshaus auf, das ist aber bis 2027 gesperrt und wird renoviert. Die Meir hinaus, als Gegenpunkt zum Museum Kuchen im Unterschichtkaufhaus, auch ganz gut, und dann länglich in die Bahnhofsnähe und von dort ins Chinesenviertel. Unvorstellbar vollbesetzte Restaurants, erst im letzten in der Reihe bekommen wir einen Platz, es lohnt. Vor der Rückkehr in die Kälter schauen wir noch Fussball und Billard, sehr britisch im TV.

Noch am nächsten Tag wirkt das Museum, wirken die Rubenskoordinaten nach. Wir gehen wieder zum Anleger und fahren flussabwärts. An vielen Raffinerien vorbei, aber wir sehen kein einziges Hochseeschiff, nur ein paar Flusskähne. Das enttäuscht uns. Später, auf der Karte, sehen wir, dass der zweitgrößte Hafen Europas hinter zwei Inseln und Schleusen erst beginnt, da kommt die Flusslinie gar nicht hin. Macht nichts, als einzige Passagiere sind wir privilegiert im kalten Nebel. Dann aber! Erst die Kathedrale von Innen. Das Eintrittsgeld lohnt, und es wird eine stundenlange Tour. Besonders, neben der Architektur, die Rubensbilder, v.a. die Kreuzaufstellung und -abnahme – und besonders die Holzschnitzereien in den Chorgestühlen und die Kanzel. Beichtstühle en masse, mit beziehungsreichen Skulpturen, ob man sich die Sünden aussuchen darf. Ein moderner goldener Kreuzträger kontrastiert das Programm.

Wir wandern westwärts zum MAS. Dieses Museum muss nicht einfach beschrieben werden, es ist ein Erlebnis, innen wie außen. Montag geschlossen, sonst 10 bis 17 Uhr. @masantwerpen . Es gibt da eine lokale Dauerausstellung, die einen Einblicke in die Kulturgeschichte und ihre Verarbeitung ermöglicht. Vieles dreht sich um den Mommedag, Karneval, sehr lustig. Auch viele Bilder, die die Produktionsbedingungen vor den Toren der Stadt zeigen. Jetzt, wo die Wälle weg sind und der Straßenring stattdessen befahren wird, merkt man erst, wie klein die Innenstadt geblieben ist und wie riesig die fast-Millionenstadt heute ist. Dazu kommt eine auch für Kinder großartige ethnologische und mit Sagen und Geschichten angereicherte Ausstellung (u.a. die Geschichte der Elsa von Brabant), eine Wirtschafts- und Sozialgeschichte incl. Kulinarische Anregungen.

Ein Paar Tage zuvor hatte ich die Serie über Maximilian I von Habsburg und Marie von Burgund gesehen: Burgund ist ein Schlüssel zur geschichtlichen Erkenntnis. Und noch drei Stockwerke drüber, die einen weiteren Halbtag gebraucht hätten. Architektonisch lohnt das Gebäude auch, also: einen Tag dafür reservieren. Wir schwanken erfreut zurück ins Zentrum, an allen eher harmlosen Nuttenstraßen vorbei, und weniger harmlos wäre, sähen wir Antwerpen als europäische Kokainhauptstadt – sehen wir aber nicht. Erneute Einkehr bei Hawaii…aber davor, endlich, belgische Fritten, die sind wirklich gut.

Am Tag unserer Abfahrt gehen wir sehr früh noch einmal den Bahnhof inspizieren: da hat man in das klassische Gebäude vier Stockwerke hinauf- und hinuntergebaut, es geht – nicht schön, aber praktisch. Wenige Geschäfte. Es ist ein kombinierter Kopf- und Tunneldurchfahrtsbahnhof geworden, so hätte man es in Stuttgart auch machen können. Daneben der Zoo, schöner Eingang, die Kamelskulpturen vermehren sich. Wir gehen entlang der endlosen Viadukthalle an den noch geschlossenen Diamantengeschäften weiter, immer mehr ultraorthodoxe kommen uns in langen Mänteln, mit Pejes und großen Hüten entgegen, offenbar auf dem Weg zum Gebet oder um ihre kleinen Kinder in die Kita zu bringen. Wir fragen einen nach der portugiesischen Synagoge, kennt er nicht, aber eine kleine Schul gibt’s. Nicht so spannend wie die Bäckerei, wo ich neben drei Frommen Golatschen kaufe und nicht genug bekommen hätte. Zurück im Diamantenviertel, ist jetzt fast alles offen, aber nicht wirklich antörnend. Man muss aufpassen, dass man in jüdische/Juden-Viertel nicht seine Vorurteile mitnimmt, aber auch nicht blind ist. Das Wahlverhalten der jüdischen Bevölkerung hier ist nicht erhebend.

Wir wärmen uns in einem billigen, gut ausgerüsteten Café auf, neben der Oper: die ist umgeben von Spielsalons, Busbahnhof, in einem eher runtergekommenem Viertel – für eine Vorstellung gestern hätten wir 100 Euro zahlen müssen…Zeitungen, Proviant, pünktliche Abfahrt. Nach Amsterdam, außerhalb der Städte ist die dichte Besiedlung nicht so attraktiv, je dichter, desto ordentlicher. Nach Deutschland kommt Belgien, die Niederlande haben schon doppelt so viele Einwohner pro km². Das merkt man.

Wir sind noch immer voll von Antwerpen und dankbar.

EIGENWERBUNG: NEUE BÜCHER

Manchmal schreiben wir Bücher und fragen uns, wie schnell sie an die Leserinnen und Leser kommen. Wir freuen uns, wenn die Bestellungen, Kritiken und Kommentare uns erreichen, und wenn es einen besonderen Weg gibt, unsere Bücher bekannt zu machen, dann ist es auch der Blog:

Eigenwerbung und Ankündigung.

Meine Frau, Birgit Katharine Seemann, und ich, veröffentlichen beide bei edition splitter (Batya Horn) in Wien – ein feiner Verlag mit seinen Besonderheiten. Da findet man den Verlag mit Galerie im Herzen Wiens: Edition Splitter & Splitter Art – Batya Horn1010 Wien, Salvatorgasse 10, +43 (0)664 4030172, horn@splitter.co.at

Zu den Besonderheiten gehört, dass der Verlag NICHT bei amazon ausliefert. Mit guten Gründen. Zu meinen Besonderheiten gehört, dass ich für den Verlag im Auftrag und ohne Provision oder Aufschlag die folgenden Bücher

NUR IN DEUTSCHLAND

versende:

Der traurige Mörder von Sanssouci

Birgit-Katharine Seemann

Roman, 288 Seiten

Nachwort: Otto Hans Ressler

ISBN 978-3-9504404-9-6, 28,00 € + 3,50 € Porto

Ein bekannter Künstler, der seinen Kopf verliert. Ein Mörder, der ein Opfer ist. Ein fast Hundertjähriger, der nicht sterben kann. Eine Professorin unter Mordverdacht. Was sie vereint? Ein Netz aus Leidenschaft und Gewalt, dessen Enden Kontinente und Jahrhunderte miteinander verbinden. Im Mittelpunkt: ein weltberühmtes Gemälde aus der Bildergalerie von Sanssouci.

Kardinal und Hure

Otto Hans Ressler

256 Seiten

Vorwort: Christian Rainer 

ISBN 978-3-9504404-7-8, 28,00 € + 3,50 € Porto

Österreich hat sich fremdes Eigentum unter den Nagel gerissen – und sich eine perfide wie plumpe, den Besatzern anbiedernde Deutungshoheit der Geschichte angeeignet: die Opfer-Rolle. So konnten die selbsternannten Opfer den wirklichen Opfern stehlen, was ihnen schon genommen worden war. Österreich tat ja nur seine Pflicht, das gestohlene Eigentum in seinen Museen zu bewahren. Und einige profitierten individuell davon, weil sie zwar scharfe Augen für die Verbrechen anderer hatten, sich selbst aber einen trüben Blick auf die eigenen Diebhaftigkeit bewahrten. (Christian Rainer, Chefredakteur des Profil)

UND IM MÄRZ 2023 ERSCHEINT: Vorbestellungen an den Verlag oder michaeldaxner@yahoo.com

FLANIEREN IM MYTHOS – SEXUALITÄT UND GEWALT

Michael Daxner

Essay mit Illustrationen, ca. 160 Seiten, ca. 28,00 € + 3,50 €

Nachwort: Marlene Streeruwitz

ISBN 978-3-9504404-8-5

Wenn ich durch das Labyrinth des Mythos flaniere, sind die Dimensionen von Raum und Zeit ungewöhnlich. Vor und zurück, keine Wegweiser, immer wieder stoße ich auf dieselben markanten Stellen – Plätze des Nachdenkens, Erregens, Weglaufens. An vielen Kreuzungen treffe ich Sex und Macht an, aber auf der Suche nach den besonderen Orten läuft es sich nicht geradewegs: Liebe, Glück, Wahrheit, Freiheit, Tod, Hybris, die alle suche ich, und sie sind so im Mythos zuhause wie sie ihn erst herstellen. Und sie alle haben ihren Ausgang bei Sex und Macht. Darum drücken sich viele um das Thema. Ich habe mir das ja nicht ausgesucht.

Ich finde meinen Weg, indem ich meine Erinnerungen sammle, seit der Kindheit, und indem ich meine Bücher und Musik und Begegnungen und Beziehungen aufrufe, – und sieh da, sie stehen in der Landschaft des Mythos herum, verweisen aufeinander oder wenden sich voneinander ab. Deshalb ist mein Text auch nicht geradlinig, wie mit einer Buslinie abzufahren. Namen stehen in der Mythenlandschaft, manche oft (WG Sebald, Ernst Bloch, Hannah Arendt, Peter Weiss), manche selten. Flanieren im Labyrinth des Mythos, ohne den roten Faden, der zum Minotaurus führt. Manches übersieht der Flaneur, anderes springt überraschend ins Auge.

BITTE BESTELLEN BEIM VERLAG ODER BEI MIR, ausgeliefert wird in Deutschland von mir:

https://www.splitter.co.at ,

Edition Splitter – Batya Horn

1010 Wien, Salvatorgasse 10 

+43 (0)664 4030172

horn@splitter.co.at

oder, v.a. wenn ihr aus Deutschland seid, bei mir:

michaeldaxner@yahoo.com

Feuerbachstraße 24-25

D 14471 Potsdam

Der Sendung liegt ein Lieferschein_Rechnung bei. Bitte je Buch nur überweisen an edition splitter, Wien: Kto AT81 1515 0005 0103 3070, BIC OBKLAT2L