Im Titel ist schon eine These enthalten: die Gesellschaft, auch unsere, korrodiert, löst sich auf. Natürlich wissen wir, dass es immer eine Gesellschaft gibt. Aber als Produkt eines Zerfalls ist die dann sicher anders als eine konsolidierte, und bevor sie sich wieder stabilisiert muss einiges geschehen. Dazu gibt es eine Menge Theorien, aber mir kommt es auf die Beobachtung der vielen, kleinen Erscheinungen an. Die kann man nicht einfach mit „Zerfall“ bezeichnen, sozusagen eine negative Romantik, dass früher oder bisher alles besser gewesen war, und jetzt, aufgrund von…., wird es schlecht, alles zersetzt sich usw. Das meine ich nun gar nicht. Aber bestimmte Zusammenhänge, Brücken zwischen Unvereinbarkeiten, Kommuni-kation, Kritik, lösen sich auf, sie verschwinden nicht, aber ihre Zusammensetzung, ihre Bindungen lockern sich. Das ist nicht so sehr die Folge kultureller Eingriffe, sondern bewirkt auch deren Veränderung. Nicht nur die Politikwissenschaft, auch andere Disziplinen können erklären, warum das so ist – ich habe u.a. vom bereits eingetretenen dritten Weltkrieg gesprochen – aber was es bedeutet, sollte genauer durchdacht werden. Denn die vordergründigen Praktiken, den Pöbel und die Privilegierten zu stabilisieren durch bloßen Individualismus, durch weitere Trennung von Ökonomie und Politik etc., reicht nicht aus (etwas polemisch: Lindner und die FDP begreifen das so wenig wie die rechtsradikalen Eiferer).
Wenn Gesellschaften zerfallen, dann muss sich nicht nur der Staat stabilisieren und also verändern (Man muss die Dinge ändern, damit sie die gleichen bleiben – Lampedusa), es kommt auch darauf an, dass in der Zivilgesellschaft sich neue Strukturen so festigen, dass sie nicht wie Sandbänke weggeschwemmt oder abgetrieben werden. Mir kommt immer in den Sinn, wer mit wem sich austauschen oder kooperieren soll, damit die Grenzen der eigenen Expertise oder Routine nicht versteinern, – also selbst in Bewegung geraten, ist angesagt, anders als die Richtung des Zerfalls kommt es hier auf Verbindungen an, auf das Probieren des zuvor nicht praktizierten Handelns – mit der einzigen Begründung, dass es ohne diese Versuchsanordnung ohnedies beim Zerfall bleibt und uns dem Zufall überlässt)(das war ein Kalauer mit Sinn).
Diese Gedanken entwickle ich nicht aus meiner wissenschaftlichen Tagesarbeit, sondern bei der Wahrnehmung der Nachrichten, aus aller Welt, also auch von hier. Die Mischung aus Resignation (es ändert sich ja doch nichts) und Erwartung (jetzt muss sich doch etwas ändern) stört mich. Dass etwas geschehen muss, wäre ja die Folge davon, dass etwas getan wird (gerade bei der Umwelt kann man ja sehen, dass Verhinderer wie Wissing das Tun besser fundierter Politik zerstören, siehe oben…das wäre bei uns; im Großen kann man das ja an Netanjahu und seinem Kabinett sehen, die sich auf peinliche Weise mit den Terroristen gemein machen, und eben deshalb nichts Friedensstiftendes tun, sondern sich im Verhindern überbieten). Und das wird in den Nachrichten überdeutlich – ungewollt freilich – halbstündlich verbreitet. Es gibt da 9immer ein paar Ausnahmen, aber zu wenige.
*
Ich sehe mich, uns, sowohl auf Aktivitäten vorbereiten (Vorbilder gibt es da viele: zB. die Überlebenden geflüchteten Vertreterinnen der russischen Demokratie – externe Opposition mit befreiender Perspektive), als Reflexion, Überdenken dessen, was wir von einer Politik erwarten, in die wir uns einbringen müss(t)en. Es kann nicht jede(r) alles machen, aber etwas muss jede(r) tun. Und das ist Teil des Clous, dass man auch Positionen verlassen muss, wenn man sich noch so wohl da gefühlt haben sollte, weil man ja schon weiß, dass sie nicht haltbar sind (Lebenspraxis contra Umwelt, Kommunikation contra Wahrheit, Justiz contra Gerechtigkeit etc.), also – kurz – Politik im eigenen Leben wieder sich entfalten lassen.