„Mir fällt zu Hitler nichts ein | Dritte Walpurgisnacht – Karl Kraus dokumentiert das Jahr 1933 (Wienbibliothek). Es folgen 300 Seiten Kritik des Nationalsozialismus.
Ich habe diesen Titel gewählt, weil ich meine Kritik an vielfältigen politischen Akteuren und Institutionen, Ereignissen und Vorwegnahmen durchaus fortsetzen werden, aber – wie schon hier gesagt, bestimmte Namen normalerweise nicht nennen werde und wenn, dann unter dem Aspekt der KRITIK. Wen ich verachte, den/die kritisiere ich für gewöhnlich nicht, und jetzt erst recht nicht, wo sich eine ungewöhnlich große Zahl von Verachtenswerten in die Medien und also zu meiner Wahrnehmung drängt.
Aha, denken die LeserInnen, wen meint er denn jetzt konkret? Und wen vergleicht er mit Hitler?
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Was bedeutet es eigentlich, wenn man jemanden verachtet? Gar nicht so einfach, diese Form der geringen Wertschätzung genauer zu beschreiben. Für mich steht im Vordergrund eine Schlussfolgerung, die den Weg vom Bewusstsein zu den Emotionen und Verhaltensweisen gegangen ist. Erst musste ich wissen, warum ich jemanden nicht so wertschätze, dass ich ihn oder sie kritisieren kann. Dann kann ich sagen, den oder die kritisiere ich nicht, ich verachte sie oder ihn. Ich kann eine ganze Partei, einen Verein oder eine Gruppe verachten – und stoße auf Widerstände, wenn dann da ein Mensch drin ist, den oder die ich nicht verachte, aus welchen Gründen auch immer. Erster Schluss: am besten verachtet man, wenn überhaupt, Individuen. Das ist gar nicht abstrakt, denn Kritik muss konkret sein, um gerechtfertigt zu sein, und also auch Verachtung, wenn ich nicht kritisieren kann und mag.
Ich machs einfach. Gute Kritik erzeugt Reaktion(en), Widerspruch, Gegenkritik oder Kompromisse, Einsicht und Einlenken. Verachtung erzeugt nichts von dem, es sollte mich nicht beschäftigen ob der oder die Verachtete es merkt (hoffentlich) und ob er oder sie darauf reagiert. Verachten ist ein Ausblenden der Kommunikation, darum macht es wenig Sinn zu sagen „Ich verachte Sie“, man tut es und damit ist viel getan – nämlich die Abkehr von der Kritik.
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Warum dann das Hitlerzitat zum Anfang? Karl Kraus, der m.E. schärfste Kritiker seiner Zeit, der nie um die Namensnennung des Kritisierten verlegen war, ist hier deutlich: Hitler zu kritisieren ginge an der Kritik am Nationalsozialismus vorbei, es würde seinen Aufstieg, seine Macht usw. nicht erklären. Natürlich kommt er in der Kritik dann vor, aber nicht als das gleichwertige Subjekt mit dem Kritiker. Das setzt natürlich Selbstbewusstsein voraus, und Selbstkritik, bei der Verachtung nicht daneben zu greifen.
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Solche Gedanken tragen mich zur Zeit über die Untiefen, die Wirklichkeit für verachtenswert zu empfinden. Aber wenn man die Augen schließt, gibt es trotzdem ein Draußen, und Drinnen wird nicht besser.
Immerhin, Ihr Leserinnen und Leser müsst keine Kritiken an Menschen lesen, die ich verachte. Meistens.