Dass Politik Emotionen hervorruft, dass sie von Gefühlen mitgesteuert wird, wenn Rationalität nicht genügend greift, wissen wir. Wenn aber Gefühle auf der selben Ebene wie Vernunft Politik herstellen, steuern und gegen die Gesellschaft, manchmal auch mit ihr, in Stellung bringen, bedarf das der Erklärung.
Und dass Israel heute, Israel nach dem 7. Oktober 2023, stärker noch als Israel nach 1948, als Palästina nach 1917, als Beispiel für eine Theorie genommen wird, die global anwendbar sein kann, gebraucht wird, ist besonders.
Ich hatte schon früher auf die Autorin und Wissenschaftlerin Eva Illouz hingewiesen (*1961, Israel und Frankreich, Originaltexte oft Englisch), sie arbeitet multidisziplinär und nachdrücklich verständlich. Jetzt geht es mir um das Buch „Undemokratische Emotionen“ (2023) und die Verbindung einer wichtigen Theorie mit dem Beispiel Israel, v.a. nach dem 7. Oktober. Gleichzeitig kritisiert sie die antisemitische Haltung derer, die Israel immer als erstes, aber negatives Beispiel internationaler Konflikte nehmen.
Angst, Abscheu, Ressentiment und Liebe – das sind die vier Qualitäten der nationalistischen Politik Israels (durchgängig analysiert, erstmals genauer S.22ff.). Sie führt diese Qualitäten auf drei soziale Erfahrungen zurück, wobei die kollektiven Traumata der Jüdinnen und Juden in Angst vor dem Feind umgesetzt wurden, der umstrittene Nationalismus nach der Landnahme von 1967 ist die zweite Erfahrung. Beide kennen wir ziemlich genau. Aber ich bin positiv erfreut, wie wichtig Illouz den Konflikt mit den Mizrachim, also „jener Jüdinnen und Juden, die oder deren Vorfahren aus arabischen Ländern stammen“ (alle drei Punkte S. 21).
Aus diesen kurzen einleitenden Absätzen entsteht ein faszinierendes Buch, das den jetzigen Zustand der israelischen Auseinandersetzung nicht nur mit der Hamas im Gaza, sondern im weiteren Umfeld beschreibt.
Angst, Abscheu, Ressentiment – die drei Qualitäten der Emotionalität kann man relativ schnell analysieren. Aber „Liebe“ zur Nation (27ff)? Ich habe mich schon mehrfach, auch hier in den Blogs, mit der Doppeldeutigkeit der amor patriae, der Liebes DES Vaterlands und der Liebe ZUM Vaterlande, auseinandergesetzt. Das wird in dem Buch nicht abstrakt, sondern detailgenau empirisch abgehandelt: rationales Herangehen an Gefühle, mit scharfer Kritik am emotionalen Ausblenden der Vernunft, u.a. durch singulare Identität. „Geliebt und gefürchtet zu werden sei die beste Methode, um Macht auszuüben“, bezieht sich Illouz auf Macchiavelli, und auf den Vorrang des Gefürchtetwerdens (32).
Ab hier kann und soll man die Ausformungen, Schnittmengen und Schlussfolgerungen der Methodik genau verfolgen, weil Israel in der Tat die Blaupause für die Zerstörung von Demokratie durch eine fatale Aneignung und Praktizierung der vier emotionalen Bestandteile ist. Der Faschismusvorwurf gegen Netanjahu und Teile seiner Regierung – ad personam und partei-bezogen – wird genau belegt. (Wer Netanjahus Geschichte metaphorisch nachvollziehen möchte, sollte auch das lesen: Joshua Cohen: The Netanyahus – An Account of a Minor and Ultimately Even Negligible Episode in the History of a Very Famous Family, NYRB 2023). Auch der Hinweis, dass der Pöbel nicht von vornherein faschistisch ist, aber für diese Entwicklung prädestiniert wirkt, sollte beachtet werden – es geht eben nicht nur um die prekären Einzelpersonen, die brauchen schon massenhafte Unterstützung.
Unbedingt aber sollte man das Abschlusskapitel lesen. Es ist durchaus parallel zu den wichtigsten Interpreten und Kritikern der gegenwärtigen Politik zu lesen, Omri Boehm, Delphine Horvilleur, Grossmann usw. Aber auch die Herkunft soziologischer Gedanken, v.a. Simmel 1908, fällt auf, wenn es um den Fremden geht: Illouz fokussiert auf Brüderlichkeit im Kontext von Universalismus. „Als Emotion, die typischerweise von Fremden hervorgerufen wird, schließt Brüderlichkeit Mitgefühl ein, geht aber darüber hinaus“ (223). In der Diskussion um Empathie sollte man immer an die Gefahren denken, wie sie zB. Breithaupt (2016) darstellt – und wie sie Netanjahu massenwirksam missbraucht. Illouz` Verbindungt zum Universalismus ist wichtig, geradezu aktuell: “ In einer universalistischen Gemeinschaft sollte die Zugehörigkeit zu einer religiösen Minderheit den eigenen politischen Status nicht beeinflussen. Das mag einer der Gründe dafür sein, warum Juden ein überproportional starkes kommunistisches oder sozialistisches Engagement an den Tag legten“. (225). Das ist schwierig nachzuvollziehen, aber einen Aspekt nennt Illouz sofort, dass „Juden vorbildliche Bürger in Frankreich und den USA waren“. Das Imperfekt stimmt leider, heute sind sie vor allem gegen Trump tief gespalten. Der Abschluss ist nur damit verständlich, weil Illouz vor allem die Religion mit der liberalen Demokratie verbindet, wenn der Universalismus greift – wenn nicht, haben wir die heutige Situation und das, was in dem Buch ausführlich analysiert wird. Den „nichtjüdischen Minderheiten die vollen Menschenrechte zugestehen“ wäre der „wahre und einzige Geist des Zionismus und jener Zivilreligion, die er im Landes Israel zu verwirklichen versucht hat. Ob es ihm gelingt, bleibt eine tragisch offene Frage“. (227)
Für mich traurig, aber wahr. Der letzte Satz wird im Augenblick von den Faschisten negativ beantwortet, und wo der Zionismus und nicht nur sein Geist ist, wäre fraglich. Aber Illouz muss die Frage offen halten.