Tag von Potsdam, die Garnison der Unbelehrbaren – und Widerstand

Ich hatte schon mehrfach zur Garnisonkirche Potsdam geschrieben – und eigentlich wollte ich mit diesem Kriegerdenkmal nicht mehr auseinandersetzen. Es gibt wichtigeres zur Zeit: die Deportation von Flüchtlingen, die Verwerfungen mit Russland, Amerika, China, der Türkei und und…, die Armut vor der Haustür, die Lobbyarbeit der Ganoven in dne Vorständen der Autoindustrie etc.

Aber da die Stiftung und der Förderverein unbeirrt durch sachliche Argumente und durch Politik an ihrem Bauvorhaben der Wallfahrtskirche festhält, muss man immer wieder, ebenso unbeirrt,Widerstand leisten, auf allen Ebenen.

Vorgestern, am 21.3., war der –> Tag von Potsdam –> s.d. ausführlich im Internet, bei Matthias Grünzig, in der Potsdamer Presse. Teilweise mit guten, kritischen und nachdenkenswerten Veranstaltungen. Am Tag darauf veranstaltete eine kleine evangeische „Profilgemeinde“ ein Podiumsgespräch, zu dem ich auch eingeladen war. Eine kleine Gruppe, deren politische und weltanschauliche Affiliationen an diesem Tag nicht zu erkennen waren, hat über den Stand der im Bau befindlichen Wallfahrtskirche – naja, bisher wird nur der Turm gebaut –  diskutiert. Ich drucke hier meinen Beitrag mit einer Bemerkung: ich halte mich aus religiösen Diskursen meistens heraus, und hänge auch die jüdische Sicht auf die Dinge nicht wie eine Fahne raus. Aber hier geht es um das Grundprinzip der Versöhnung, die durch die Kirchenbaumeister verhöhnt wird. Und da fängt man am besten mit der jüdischen Tradition an, und mit der jüdischen Auslegung (Philosophisch zB. mit Levinas, politisch mit Hannah Arendt). Potsdam wird für immer durch den Handschlag von Hitler und Hindenburg auch gekennzeichnet sein, und dieses AUCH ist es, was uns zu Politik zwingt.

GARNISONKIRCHE DER NATION – GESEGNETE KRIEGE VOR 1933

Veranstaltung zum Tag von Potsdam

Altes Rathaus, 22.3.2018

DIESE ART VON VERSÖHNUNG LEHNE ICH AB

Ich nehme an dieser Veranstaltung teil, weil ich vehement gegen den Neubau des Turms der ehemaligen Garnisonkirche bin. Ich bin der Einladung zu diesem Podium gerne gefolgt, habe aber weder mit den anderen beteiligten Personen oder Vereinen je Verbindungen gehabt, werde also Neues erfahren, lernen, vielleicht auch Dissens haben. Mit der Profilgemeinde bin ich durch  Frau Pastorin Rugenstein und Frau Paul vertraut, gehöre der Gemeinde aber als jüdischer Deutscher nicht an. Von Frau Rugensteins ziviler Courage bin ich beeindruckt und überzeugt, ebenso wie von den Veranstaltern.

*

Dies soll eine Gedenkveranstaltung zum Tag von Potsdam sein. Gedenken hat meist einen pathetischen oder erhabenen Beigeschmack. Es ist tatsächlich nicht wichtig, wie sich der Tagesablauf dieses schrecklichen Tages abgespielt hat, im historischen Gedächtnis nicht nur unseres Landes ist er mit Potsdam und der Garnisonkirche dauerhaft verbunden, und seine Bedeutung ist natürlich nicht im Händedruck des Generals mit dem Diktator begrenzt, sondern in dem von beiden davor und erst recht danach produzierten Schrecken und Verbrechen. Das Bauwerk kann nichts dafür, oder vielleicht doch, aber die Garnisonkirche, die es ja nicht mehr gibt, ersteht bei jeder Erwähnung, jedem Gedenken an den Tag von Potsdam neu und immer wieder. Ohne diesen Tag könnte man noch immer streiten, ob die Hinzufügung einer weiteren Kulisse der Kulissenstadt Potsdam gut täte, aber dazu will ich mich heute nicht äußern; ebenso wenig zu den städtebaulichen und touristischen Erwägungen, obwohl die sehr einseitig sind und oft die soziale und kulturelle Situation der Innenstadt verzerren.

Martin Sabrow bringt vieles auf den Punkt: „Allerdings habe sich in den Tagen danach gezeigt, „dass am Ende die Nazis den Nutzen auch aus einer zunächst verunglückt wirkenden Veranstaltung zogen – weil die Bewegung, die sie trug, ihre Stärke und Begeisterung nicht aus inszenierter Verführung zog, sondern aus einer nationalistischen Erlösungshoffnung“, sagt Sabrow. Schon 1934 wurden Gedenkmünzen für den „Tag von Potsdam“ geprägt, auf denen die Garnisonkirche abgebildet ist.

Das Foto vom Händedruck, das der US-amerikanische Journalist Theo Eisenhart für die New York Times anfertigte, sei indes erst nach 1945 zum Symbolbild für den „Tag von Potsdam“ geworden – weil auf dem Bild die an jenem Tag jubelnden Massen und alle damit verbundenen Fragen zu eigener Mitverantwortung oder Schuld ausgeblendet werden, so Sabrows These“. (PNN 20.3.2018)

 

Ich konzentriere mich auf einen Absatz aus dem Programm der Stiftung Garnisonkirche.

Zweck und Ziel der gegründeten Stiftung ist der Wiederaufbau der Potsdamer Garnisonkirche als Kultur- und Baudenkmal. – Wenn das der Zweck ist, muss alles, was danach kommt, als Ornament gelten. Die wieder gewonnene Garnisonkirche …– wie wurde sie verloren, wem ist sie verloren gegangen, und wer setzt sich als legitimer Erbe ein? Sie soll zukünftig als offene Stadtkirche, als Symbolkirche und als Schule des Gewissens genutzt werden – also ein Gotteshaus. Zu diesem Gott komme ich noch, und stelle schon hier fest, dass ich mit dem Gott dieser Kirche als jüdischer Deutscher nichts zu tun haben will. Dann aber der unerträgliche Satz: „Es geht um die Heilung der offenen Wunde im Stadtbild Potsdams und um den christlichen Auftrag, Botschafter der Versöhnung an Christi statt zu sein.“

Ich bin Wissenschaftler, jüdischer Deutscher und Österreicher, Potsdamer seit 12 Jahren. Bei diesen Zeilen lese ich Verhöhnung, nicht Versöhnung. Sich an Stelle des eigenen Gottes zu setzen und dann Fakten statt Versöhnung zu schaffen, ist Blasphemie. Das sollen die Christen untereinander ausmachen, es trifft jenseits der Religion.

Aber ich frage mich: wer ist legitimiert, Versöhnung anzubieten? Wem gilt das Angebot? Und wie kann es realisiert werden? Große Worte sagen wenig. So wenig, wie die sozialistischen Friedenskonferenzen dem Frieden gedient hatten, so wenig dient die Stiftungsprogrammatik der Versöhnung. Ich weise das Angebot zurück, es kommt mir vor wie ein marktliberales Bündnis von reichen Spendern und ideologisch geschichtslosen Demagogen.

Nun aber zur Versöhnung. Was bedeutet das eigentlich, wenn wir von der Alltagsformel einmal ausgehen: vertragen wir uns wieder? Nach einem Streit, oder einer kontroversen Entscheidung. Doch ja, wir vertragen uns, zwar sitzen die Nazis in unseren Parlamenten, aber die Demokratie in diesem Land ist ziemlich stabil, und Deutschland hat in der Tat aus der Geschichte gelernt – einiges zumindest.

Wir müssen davon ausgehen, dass sowohl theologische als auch wissenschaftliche Auslegungen des Begriffs davon ausgehen, dass Menschen sich mit den Umständen – mit ganz konkreten Umständen, versöhnen, sie also hinnehmen. Das ist nicht einfach, wenn man den Anlass zur Versöhnung als Erklärung nimmt: wenn einer Unrecht tut und dem andern wird Unrecht getan, was heißt dann: hinnehmen?

Erster wichtiger Hinweis: es geht nicht um Entschuldigung oder Verzeihung. Darauf können wir vielleicht noch eingehen.

Schon eher kommen wir dem Problem auf die Spur, wenn es um etwas geht, das nicht wieder gut zu machen ist, das nicht zu heilen ist[1]. Was wollen denn die Garnisonkirchenbaumeister wieder gut machen? Doch nicht einfach, dass alle Welt einen schönen Anblick, eine schöne Kulisse erhält (an die alte können sich kaum mehr Menschen erinnern)[2]. Wenn das ehemalige Reichsluftfahrtministerium, in der DDR Haus der Ministerien, heute Finanzministerium, nicht an Göring und die Nazi-Zeit erinnerte, wozu steht dann noch so da? Es könnte erhalten geblieben sein, um auch daran zu erinnern, wie man sich mit der Geschichte kritisch ausgesöhnt hatte. Aber hätte man das Gebäude nach 1945 oder nach 1989 in seiner alten Kubatur neu aufgebaut? Nochmals: es handelt sich nicht um Wiederaufbau, sondern den Neubau des Alten, und der wird auf absehbare Zeit, für uns Lebende auf ewig, mit dem Tag von Potsdam und Auschwitz verbunden sein. Was natürlich die preußischen Militaristen und die Anhänger der frühen Nazis nicht so vorausgesehen haben, aber doch so ähnlich, und zwar millionenfach. Wer bietet also Versöhnung an? Die Stiftung. Sie schafft Fakten, indem sie baut, und dann soll sich wer womit versöhnen, an Christi statt? Was hat der damit zu tun?

Ich werde hier nicht theologisch oder exegetisch. Aber schon die Tora und Maimonides und fast alle jüdischen Ethiker bis jetzt verlangen, dass der Versöhnung mit Gott die Versöhnung mit den Menschen vorausgehe[3]. Das ist nicht der Akt des Angebots, sondern der aktiven, solidarischen, kollektiven Praxis, an der mitwirken muss, wer einbezogen werden will. Für das nicht-erlöste Volk sind Buße und Leiden zwei Modi eines Wegs, der nicht schon vorgezeichnet ist. Wenn das Leiden in einem Gedenken instrumentalisiert wird, das einem ganz anderen Zweck dient, also zum Beispiel die städtebauliche Wunde zu schließen oder einen würdigen Gedenkort zu haben, dann ist das die Umkehrung der Möglichkeit von Versöhnung. Ich belasse es bei diesem Hinweis, meine aber, dass er diskutiert werden sollte, zumal so viele christliche Kleriker ja in diesem Konflikt kontrovers tätig sind.

*

Zunächst: ich bestreite der Stiftung das Recht, Versöhnung irgendjemand Anderem anzubieten außer sich selbst. Wenn sich die Herrschaften mit sich selbst versöhnen wollen, bleibt es hermetisch und die Wirklichkeit der gedenkwürdigen Vergangenheit wird zum Fakenews einer Wallfahrt in die schuldbeladene Vergangenheit zurück. Aber mir, uns, den Nachkommen der Naziopfer, den Widerständigen aller Diktaturen, Versöhnung anzubieten? Vielleicht, im Nachhinein, mit den Globkes und all denen, die neue Demokratie noch Jahrzehnte mit sich geschleppt hatte?[4] Natürlich intendieren das die wenigsten Mitglieder der Stiftung, aber warum machen die anderen mit? Ich habe eine einfache, aber erschreckende Formel. Der verstorbene Psychiater und Gelehrte Aron Bodenheimer, ein Freund und Lehrer, hat mit mir immer sich ausgetauscht über den Satz: „Nur wer vergessen will, darf sich erinnern“. Das bringt uns näher an die Versöhnung, weil das Wollen, etwas zu vergessen, das man nicht vergessen kann, der erste Schritt ist. Dazu schaffen Sie aber bereits das nicht überwindbare Bollwerk des neuen Turms, ob Sie da fromm oder klug sich erinnern werden, ist egal. Denn um sich erinnern zu dürfen, müssen Sie sagen, was Sie wirklich vergessen wollen: doch nicht die dutzendfach barocke Architektur, sondern den Tag von Potsdam. Es wäre besser, es hätte ihn nie gegeben, aber es hat ihn gegeben, und zwar so, wie er erinnert wird, denn so war er dann und so ist er im kulturellen Gedächtnis[5] unserer Gesellschaft. Für immer. Selbst wenn Sie sich mit sich selbst derart versöhnen wollen, was hat das mit uns zu tun? Warum sollen wir dafür zahlen, warum sollen wir uns diese Wallfahrtsstätte der Geschichtsvergessenheit anschauen? Sie kommen mir ein wenig vor wie die gerade aktuelle polnische Diskussion über Schuld und Mitschuld. Ich kenne einige Mitglieder ihrer Stiftung, ich unterstelle diesen nicht, dass sie die Täter mit sich selbst versöhnen wollen, weil sie keine Täter sind und diese auch nicht in Schutz nehmen wollen. Aber warum sind sie dann dabei, an diesem Versöhnungswerk mitzuwirken? Darum werden Sie von mir keine Anklage hören, aber Verweigerung gegenüber dem Versöhnungsangebot.

Ich nehme eine sehr klare Definition zum säkularen, existenziellen Ausgangspunkt:

„Versöhnung mit dem Andern ist zwar kein Scheinvorgang, denn sie gibt nicht vor, Unmögliches zu leisten – verspricht nicht die Entlastung des Andern. Das heißt, er stellt Gleichheit wieder her. Dadurch ist Versöhnung das genaue Gegenteil der Verzeihung, die Ungleichheit herstellt und spielt nicht eigene Unbelastetheit – aber dafür geschieht auch in der Versöhnung verzweifelt wenig: der sich Versöhnende lädt sich einfach die Last, die der Andere ohnehin trägt, freiwillig mit auf die Schultern.[6]

Dieser Satz, in seiner Konsequenz zu Ende gedacht heißt, dass „Wirklichkeit nicht in Möglichkeitzurückgedacht werden kann (H.A. ebenda, S. 6); und: dass ich der Taten fähig gewesen wäre, die die Fakten geschaffen haben, mit denen ich mich jetzt auseinandersetzen muss. Mit den Widerstandskämpfern gegen Hitler muss ich mich nicht versöhnen (lange genug haben sich Nachfolger der Täter geweigert, dies zu tun). Mit den Widerstandskämpfern gegen die DDR muss ich mich auch nicht versöhnen. Mit wem oder was dann? Ich sage es vorläufig und erstmals nur für mich: ich sollte mich mit denen versöhnen können, die mich auch mit ihrer Geschichte belasten, damit wir sie gemeinsam, solidarisch so bearbeiten, dass sie keine Rolle mehr spielt, wenn wir sie künftig erinnern.  Vorher müssen wir ihrer gedenken. Gar nicht so einfach, wenn man Hitler und Hindenburg und eine Kirche zusammenbinden möchte.

Aber nehmen wir zu Gunsten der Stiftung an, sie suche Versöhnung unter Gleichen. Nehmen wir an, Sie, Stiftung und Förderer, suchen weder Verzeihung, weil Sie sich tatsächlich an die Stelle der Täter setzten, was die Opfer und ihre Nachkommen zur Richtern machte; noch suchen Sie Rehabilitation all derer, die im Preußen und in den Tagen vor 1933 auch das Gute sehen wollen, klar sehend, wohin es geführt und was es nicht geändert hatte. Wie machen Sie uns gleich, wenn wir bereits täglich diesen Turm sehen, der ja nur die Eitelkeit der Stifter und die Selbstreinigung der Anbieter repräsentiert, aber auch in einer Ausstellung oder tausend Traktaten den Umgang mit dem Tag von Potsdam nichts aus dem Subtext an die Öffentlichkeit bringt.

Hannah Arendt macht es uns da schwerer und leichter zugleich. Sie meint, richtig handeln könne man nur bei gegenseitigem Verzeihen, „das in der Politik Versöhnung heißt“ (303f.). Das widerspricht nicht dem oben Gesagten. Das „gegenseitige Verzeihen“ ist ja gar nicht angedacht im Schaffen von harten Fakten aus Gips und Beton. Die Ungleichheit bleibt.

Nun werden Sie fragen, ob diese lächerliche Kirche, eingezwängt zwischen mäßig hässlichen Plattenbauten, die Diskussion lohnt. Auch anderswo sind urbane Wunden eher schlecht als gut bepflastert, wie am Eingang der Humboldtstraße in Potsdam oder beim Berliner Stadtschloss. Die Debatte muss aber bleiben, sie muss wachsen, und sie ist ja schon aus Potsdam hinausgegangen, nach Europa und in die Welt. Die New York Times und Le Monde sind ein Anfang, und es wird mehr werden.  Denkende Medien sind mehrheitlich der Auffassung, dass dieses Denkmal mehr spalten wird als einigen.

Denn da war der Tag von Potsdam, der keinen Abend kennt. Der Historiker Kellerhoff hat gestern (21.3.2018) dargestellt, wie die Menschen, die Parteimitglieder, 1933 Politik machen konnten, indem sie die Partei unterstützten, wo die Funktionäre allein keine Erfolge hätten haben können. Bevlkerug, gerade nicht das Volk, von dem das Recht ausgeht. Aufmarschiert waren auch die Veteranen aus den deutschen Angriffskriegen davor, Deutschland hatte schon damals eine fatale Neigung zur Kontinuität seiner Selbstvorstellung.

Primo Levi, Auschwitzüberlebender, Journalist, Chemiker und Suizidär, schreibt 1960, was heute noch gilt:

Es ist schwer, das Herz eines Volkes abzuhorchen. Wer heute nach Deutschland reist, scheint dort Verhältnisse anzutreffen, wie man sie überall antrifft: wachsenden Wohlstand, friedliebende Menschen, kleine und große Intrigen, kaum Aufruhrstimmung…und doch liegt etwas in der Luft, das man anderswo nicht findet. Wer ihnen die schrecklichen Tatsachen der jüngeren Geschichte vorhält, trifft ganz selten auf Reue oder auch nur auf kritisches Bewußtsein. Sehr viel häufiger begegnet er unschlüssigen Reaktionen, in die hinein sich Schuldgefühle, Revanchegelüste und eine hartnäckige und anmaßende Ignoranz vermengen[7].

Diese Ignoranz sehe ich auch im Versöhnungsangebot im Kontext des Stiftungsprogramms. Das „Kultur- und Baudenkmal“ steht an erster Stelle, und die „offene Wunde im Stadtbild“.

Was mich als Potsdamer noch irritiert ist der Hinweis ehrenwerter Bewohner, wie sehr sich die Einwohner der Stadt über die Sprengung der Überreste der beschädigten Kirche gekränkt hätten. Nicht, dass ich diese Sprengung guthieße, sie war dumm und unmoralisch. Aber wenn es keine anderen Gründe gegeben hätte, sich über das Regime zu ärgern oder sich kulturell zu kränken, dann muss es eine glückliche Zeit gewesen sein.

Zurück und zum Abschluss: Versöhnung kann nicht angeboten werden. Sie muss ausgehandelt werden, im öffentlichen Raum und ohne Vorbedingungen. Wenn erst einmal das Kriegerdenkmal Garnisonkirche, einem seltsamen Gott geweiht, wieder steht, ist diese Bedingung unerfüllbar. Ja, ich spreche von einem Kriegerdenkmal unseliger deutscher Angriffskriege. Heute früh, im Deutschlandfunk, gab es einen Bericht über Hadamar, dem Vergasungszentrum für Opfer der Euthanasieprogramme der Nazis. Dort, in Nordhessen, steht auch ein Kriegerdenkmal im Zentrum des Ortes, und kein Hinweis auf die Gedenkstätte, an die Opfer.

Wer diesen Turm, er wird ja kein Gotteshaus, denn da gibt es keinen Gott, der diese Art von Gedenken annehmen könnte, wer also diesen Turm aufbaut, baut keine „Kultur des Friedens“. Und wie man Versöhnung lebt, erkläre mir jemand, der nur mit sich selbst versöhnt ist.

 

Anmerkungen:

[1] Emanuel Levinas: Vom Sakralen zum Heiligen, Fünf neue Talmud-Lesungen. Frankfurt 1998: Neue Kritik. Traktat Baba Kama, S. 60a-60b (150ff.): hier geht um die Verantwortung dessen, der das vernichtende Feuer gelegt hat, und dass „Gerechte und Frevler“ gleichermaßen vernichtet werden, in der Gemara dazu steht der wichtige Satz „Die Guten werden hinweggerafft, ehe das Unglück hereinbricht (Jes.57,1). Levinas geht auf das Problem des „Wiederaufbaus“ sehr scharf ein, und verbindet die Zahlung der Kriegsverbrecher mit dem Wiederaufbau Zions.

[2] Vgl. Birgit Seemann: Potsdam – Die schöne Unbekannte. In: Eisenhuth/Sabrow: Schattenorte. Göttingen 2017: Wallstein, S. 174ff.

[3] Vgl. Die vielen Interpretationen, die auf Lev. 16, 29ff. zurückgehen; Emmanuel Levinas: Schwierige Freiheit, Frankfurt 1992: Suhrkamp, v.a. 70-80; ders.: Vier Talmud-Lesungen. Frankfurt 1993: Neue Kritik, 23-55, betr. Joma 85a-85b. Das ist harte Kost, als Levinas u.a. erklärt u.a. „Wir haben dafür nicht auf die Evangelien gewartet“ (52). Der Kontext ist hier, indirekt, die Verantwortung der Nachkommen für die „Fehler“ der Eltern, wenn ein „Fremder Unrecht erleidet“.

[4] Schauen Sie die ZDF-Fernsehserie Ku’damm 59. Wie lange hat die NS-Zeit ins bürgerliche Leben noch als Vorbild oder wenigstens als Bestimmung nachgewirkt?

[5] Vgl. Aleida Assmann: Erinnerungsräume. München 2006: Beck. U.v.m. mit ihrem Mann Jan Assmann

[6] Hannah Arendt: Denktagebücher, Bd. I. München 2003: Piper. S. 4. Dazu auch die folgenden Seiten, über politische und christliche Versöhnung.

[7] Primo Levi: Der Kommandant von Auschwitz. 23.12.1960. In: Die dritte Seite. Frankfurt 1992: Stroemfeld, S.13

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