Also weiter. Die etwas unreife Vorstellung vom Widerstand als Barriere, Barrikade gegen ungeliebte Herrschaft, als legitimes Attentat birgt die Gefahr, wirkliche Gefahren zu unterschätzen und schon gefangen zu sein, bevor man gefangen wird. Widerstand empfinde ich zunächst als einen gegen meine Neigung, nicht aktiv Widerstand leisten zu wollen, ihn zu meiden, aufzuheben, bis es wirklich notwendig ist. Als Teil der Vita activa ist es notwendig, sich zu wehren, – aber mit Verlaub, man sollte doch wissen, wogegen und zu welchem Zweck und gegen welche Personen und Strukturen.
Ich verfolge mit Aufmerksamkeit einen fiktiven Widerstand gegen Israel, getragen von der Auffassung, mit bestimmten Aktionen den Palästinensern zu helfen. In vielen meiner jüdischen Einsprüche habe ich Kritik an Israel geübt, ohne dem linken Antisemitismus auf den Leim zu gehen, aber ich bin sehr vorsichtig bei der Frage, wie und wobei man den Palästinensern helfen sollte, und ob es tatsächlich der Widerstand gegen Israel ist, der ihnen hilft. Immer wieder kommt diese Diskussion auch bei Teilen der Friedensbewegung und des „linken“ Parteienspektrums wie ein Wiedergänger ihrer selbst (meine unwillige politische Korrektheit hindert mich, die Debatte bei den Grünen zu reproduzieren). Israel muss genauso kritisierbar sein wie jedes andere Land, ja, genauso heißt aber, den Kontext der Kritik über das Niveau „man wird ja noch sagen dürfen“ zu präzisieren. Landnahme, Westjordanland-Besetzung, Zensur, Lobbyismus, Diskriminierung kann ich so scharf kritisieren, wie es nötig ist. Wieweit ich dabei Partei oder wenigstens Empathie für die palästinensische Sache produziere, ist aber fraglich. Ich halte Israels Politik für falsch, ohne dass ich dazu die Palästinenser brauche, deren Politik ich auch für falsch halte. Mein Widerstand gilt einerseits denen, die Israel verteidigen, ohne seine falsche Politik auch nur im Kontext zu begreifen, geschweige denn den Anteil von anderen, incl. der palästinensischen Führer, an dieser Politik wahrzunehmen; andererseits denen, die Israel so kritisieren, dass berechtigte Kritik nur als Tarnung eines tiefsitzenden antisemitischen Ressentiments dient, weil sie einem Palästina damit zu helfen meinen, das es gar nicht gibt; so nicht. Politik, die sich daraus ergibt, ist Widerstand gegen eine Vereinnahmung der eigenen Geschichtslügen („Staatsräson“), aber auch gegen eine ambivalente Nicht-Unterstützung der demokratischen Palästinenser gegen ihre Regierungen und Religionen.
(Dazu setze ich mit Teilen meiner Partei vehement auseinander, das gehört nur am Rande hierher: auch ein Stück Widerstand).
Dieses Beispiel habe ich gewählt, um zu zeigen, dass man in des Teufels Küche kommt, wenn man sich das Widerstandsargument anzieht und meint, es folge daraus schon eine Belohnung oder gar Ruhe. Nichts als angestrengten Ärger handelt man sich ein, und dann muss man wirklich argumentieren.
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Auch der mikrosoziale Widerstand ist politisch. Unten ist die Angst größer. Im Grunde geht es immer um Macht- und Bedeutungsverlust, den man sich einbrockt in dem sozialen Raum, in dem man agiert – und also Widerstand ausübt, du hast ja Recht, aber du Querulant…Im Alltag kommt es darauf an, sich die Objekte der Opposition zu wählen, leichter gesagt als getan. Wenn es um Verhalten geht, kann ich das getrost der Beraterliteratur überlassen. Wenn es aber um Positionen geht, deren Verlust oder Beschädigung nicht trivial ist, dann wird Widerstand oft zum Wagnis. In jeder Beziehung, in jedem Berufskonflikt, aber auch in vielen subjektiven Entscheidungen wird Opposition zum Wagnis mit ungewissem Ausgang. Widerstand mit Kalkül ist auch legitim, aber nicht eigentlich Widerstand. Wenn die Aufklärung, die Vernunft von mir Besitz ergreift, und nicht einfach umgekehrt, wird es spannend. Widerstand gegen Bedeutungsverlust ist auch einer gegen sich selbst. Trennung, Austritt, Ablehnung, Verweigerung einer ansonsten gebotenen Geste – wenns Kinder machen, ist es kindisch, wenn wir es machen, ist es Politik. Widerstand ist das Heraustreten aus dem Wir, um als Ich wieder einem Wir beitreten zu können, diesmal vielleicht einem anderen. Politik?
Die eingefahrenen Gleise der Alltagsbewältigung infrage stellen, und sich außerhalb positionieren, und sei es auch nur, um Klarheit zu bekommen. Oft ein way of no return. Freundschaften und mehr zerbrechen an so etwas, anderes ist schwierig zu reparieren.
Das war aber ein weiter Weg von Israel da hinunter in die Ebene des Vereins- und Beziehungslebens. Oder gar nicht. Ich erfahre selbst, wie wenig das Widerstandsargument zählt, wenn‘s darum geht, bei mir dem jüdischen Gegenüber, vorsichtig zu sein. Zum Beispiel in einer Diskussion über Netanjahu oder die Orthodoxen. Vorsicht? Ich provoziere ja auch nicht gern einen Unbedarften, wenn ich denke er ist mir unterlegen, und dann kommt das Machtargument hinein und alles ist schwierig. Israelkritik ist folgenlos. Den Antisemiten decouvrieren, kann Folgen haben. Und Folgen akzeptieren, die man nicht gleich oder ganz voraussieht: da hilft keine Ängstlichkeit…und ist doch so gegenwärtig.
Noch ist das ein Thema in Deutschland, in Österreich, vor dem einer Angst haben kann.