Jetzt gebt mal Ruhe…

Seid endlich still. Respektiert, dass viele Menschen die „stillste Zeit im Jahr“ so richtig ausleben möchten, bis am Abend im Lichterglanz der Tannenbäume die Mischung aus Kerzen und Erwartung die Annäherung an Geschenke, Gesangs-Verzögerungen, wahlweise Würstchen & Kartoffelsalat oder feine Platten in feste Bahnen lenkt. Ein sachkundiger Beobachter wird alle Spötter belehren, dass es ohne Rituale in keiner Gesellschaft zu keiner Zeit gegangen ist und geht, und da seien doch die Bräuche Bestandteil einer Leitkultur, die man getrost akzeptieren kann, auch wenn sie einem persönlich gegen den Strich gehen. Kritische Ethnologie, gestern und heute im DLF und anderswo, unterstützen diesen heiligen Abend, dessen Geschichte selbst ja ein spannendes Kapitel zur Dekonstruktion der Leitkultur wäre. Aber keine Angst, ich reihe da nur ganz am Rand in dieses Ritual der Ritualkritik ein.

(Anlass ist allerdings ein gewisses Unbehagen and en Weihnachtspredigten und Ansprachen, die schon vor Kerzenlicht an alles an uns, in uns und über uns appellieren, was sonst nicht so wahrnehmbar ist, worauf Bischöfe und Präsidenten nicht müde werden hinzuweisen: wenigstens heute sollen wir von der Kälte Abstand nehmen, mit der wir uns und die Erde zugrunde richten. Amen).

Natürlich bin ich nicht frei von Erinnerungen, deren Analyse zu weit ginge und wirklich viel zerstörerischer wäre als eine unpersönliche Kulturkritik. Die ironisch-sentimentale Literatur besorgt diese Kritik schon ganz gut. Weil jeder, auch ich, anknüpfenswerte Erlebnisse hat. Seht ihr, es ist etwas daran, an der kulturübergreifenden Wirkung der Weihnachtserzählung, die ja in der Tat eine der besseren Projektionen unseres Überbaus ist. Die Selbstprojektion ist gut geeignet, das Sentimentalische mit der eigenen Geschichte zu verbinden – Ein Beispiel, wie das geht, ist Weihnachtsfrau von Bodo Kirchhoff, und so wird man milde. Wie auch ertragen wird, dass alle möglichen Spötter sich einen Baum zulegen und ihn besonders schön schmücken. Wieder andere investieren Phantasie in die Krippen, zumal wenn sich Kinder daran erfreuen.

Genug. Die Weihnachtsgeschichte wird zum Allgemeingut, dem auch Diktatoren, Nationalisten, Staatsreligionsverfechter und andere Widerlinge etwas abgewinnen können, weil viele Menschen denken, dass solch eine Reverenz vielleicht Besserung verheißen könnte…so viele auch wieder nicht, aber der Tyrann vor dem Christbaum hat schon etwas sadistisch-komisches an sich. Ich habe die letzten Predigten zum heutigen Tag ein wenig analysiert und sie vergessen. Niemand nennt die, die bekehrt werden sollen oder sich wenigstens benehmen müssten, beim Namen. Denn alle sind sie vor der Krippe versammelt, bevor es wieder ans Foltern, Betrügen und Profitieren geht.

Die wunderschönen Krippen zeigen, was religiöse Volkskultur oft zeigt, die Verbildlichung der Bedürfnisse, Nöte, aber auch Arbeitszusammenhänge usw. Und diese lassen sich den Kindern nun wahrlich besser erklären als die Darstellung der Herrschaft im Hintergrund.

Genug. Wir machen solches bis zu einem gewissen Grad mit (Ritual), weil es lockere Zusammengehörigkeit zeigen kann, ohne dass der Grad der Ernsthaftigkeit sichtbar wird.

*

Warum ich mich damit abgebe, heute zumal, und vielleicht Ärger derer auf mich ziehe, die dennoch althergebracht feiern (wogegen ich übrigens nichts habe)? Mein Blog hat ja immer ein Oberthema, finis terrae, das Ende von allem.

Mich giftet die jährliche Einmaligkeit der verdünnten Friedensbotschaft, alles andere – Brauchtum, Ritual, Feiertagslegitimation, meinetwegen auch der Einzelhandel und das Kriegsspielzeug neben der Krippe, all das ist eben auch Kultur, und die sozialen Gruppen dürfen das. Nur das eine, dieses Friedensgeblubbere, grad heute, nur heute, das was als BOTSCHAFT Einigkeit, gar Einheit stiften sollte, offenbart so deutlich wie selten, dass die beiden großen Konstruktionen der Zivilisationsgeschichte, die Gotteskonstruktion und die Todeskonstruktion, arg verbogen werden müssen, um daraus eine Friedensbotschaft abzuleiten. (Dass sich die Religionsgemeinschaften nicht einfach der Erzählung bemächtigen, sondern sie in den Dienst einer politischen Umkehrbotschaft stellen, macht die Religionskritik an Weihnachten so wichtig, ohne dass man die Erzählung gleich mitzerstören müsste).   Da sagt der gute Kleriker dann: aber ihr hört doch, Frieden, denen die guten Willens sind[1]. An allem ist der Große da oben Schuld oder wenigstens beteiligt, und jetzt haben wir die Freiheit zum guten Willen…Da schließt man gern die Augen und schaut sich die Krippe an.  UND JETZT WERDE ICH POSITIV, und freu mich erst einmal: der Deutschlandfunk (DLF),  den ich besonders gern höre, hat in den letzten Tagen, bis heute, an der Dekonstruktion von Weihnachten klug, kritisch und unpolemisch mitgewirkt, gute Sendungen zu Ritualen und – jetzt wichtig – zum  Jubiläum von „Stille Nacht, Heilige“ à 200 Jahre). Dass das ein durchaus politisches Lied für die „Völker“ war (6. Strophe), wird heute ebenso ignoriert, wie dass der evangelische Autorität à Wiechert eigenmächtig „Jesus“ durch „Christ“ ausgetauscht hat (https://de.wikipedia.org/wiki/Stille_Nacht,_heilige_Nacht#Originaltext_und_gebr%C3%A4uchliche_Fassung), bis h – Quellenreicher EIntrag), heute also der transzendente Herrscher im Lied und nicht der Menschensohn.  Daran knüpften sich wichtige Überlegungen zur Funktion und Überlieferung dieses Welthits, das die Grenzen christlicher Frömmigkeit weit überwunden hat. Mich hats gefreut, dass die BOTSCHAFT so dekonstruiert wurde, und dass nicht nur auf die seltsamen und teilweise abstoßenden Kulte hingewiesen wurde.

Das habe ich miterlebt, bei den bombastischen Inszenierungen im Salzburger Festspielhaus, Lesung von à Karl Heinrich Waggerl, einem sehr rechtsnationalen Hamsunverschnitt mit ungeheurer und teilweise anstößiger Popularität. Es war mir in seinem Kitsch unverständlich, aber zugleich hatte es die Anziehung zu süßer Bonbons, wenn man den Widerstand überwunden hatte. Das Tagebuch von damals sagt anderes.

UND JETZT GEBT RUHE. Das ist ein Wunsch, der dann ganz leicht in Erfüllung geht, wenn man schon am 24.12. abschaltet und nicht gleich am 25. wieder rotiert. Das ist, gar nicht paradox, ein Ansporn sich gegen den meisten Schmus der oben bereits genannten Ansprachen und Predigten aufzulehnen, die die Botschaft an einem Abend im Jahr zur Beruhigung der Völker abspulen. Weiterhin DLF hören (Produktplacement! Vorsicht), und schon das Sich-Gedanken-machen ist ja auch nicht laut.

Man kann, wir können,  aus einer gewissen Distanz aus der ganzen Weihnachtsgeschichte etwas sehr praktisches machen: sich der Sentimentalität hingeben – es ist ja ein wirklich gelungenes Narrativ, verglichen mit anderen –  und die gesamt politische und kulturelle Kontextualität dieses Feiertags und seiner Rituale als Beispiel dafür nehmen, dass eben nicht nur die eingefahrene Meinung dazu, sondern die intellektuelle, oft schmerzhafte Seite der Wirkung des jüdischen Jeshua seit langer Zeit bedacht, analysiert werden muss (gegen diese Intellektualisierung wenden sich vor allem die, die die „Ursprünglichkeit“ der Rituale schätzen. Das läuft schon in Bethlehem, wenns ein gutes Jahr ist, ganz anders: Volksfest und Zirkus).

Viele  andere Friedensrituale sind nicht so gänzlich unterschieden von dem Weihnachtsnarrativ, nur meist flacher oder pathetischer. Darum eher Widerstand gegen die Instrumentalisierung einer wichtigen Erzählung durch die Religion im Dienste unmenschlicher Politik. Dieser Widerstand kann uns besänftigen, wenn wir uns in der Weihnachtsruhe fragen, wie es sein wird, fast unabweisbar sein muss, wenn wir aus der Narkose erwachen.

Und diese Besänftigung wünsche ich euch und allen meinen Bloglesern ebenso herzlich wie ein gutes Jahr 2019.

 

 

[1] Aber es heißt  doch „…und den Menschen ein Wohlgefallen“ oder „den Menschen seines Wohlgefallens“ (Jesaja 57.19) (Lukas 19.38) (Epheser 2.14) (Epheser 2.17). Die Weihnachtsbotschaft vom Frieden als politische würde viel verlangen von denen, die unter Frieden nicht die Befriedung durch Herrschaft mit dem Patriarchen an der Seite verstehen. Das gilt übrigens säkular durchaus für all die, die in diesen Tagen besonders nachhaltig vom Frieden reden, aber ihre Positionen im Herrschaftsgefüge wenigstens diskursiv nicht verändern.

….So einfach kann man die Erzählung weiter spinnen.

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