Widerstand ist nicht Angst

Eine Selbstverständlichkeit?

So wenig wie mein Leitspruch unter anderen: Hoffnung ist nicht Zuversicht (Ernst Bloch).

Widerstand aus Angst heißt Panik oder Ausrasten oder wildes Umsichschlagen. Aufrufen zum Widerstand ist vielleicht schon ein zu starkes Verb: es reicht, Widerstand als Option, als Möglichkeit so genau wie möglich immer wieder darzustellen. Vor allem: Widerstand ist nicht Meinung, sondern das Umschlagen von Meinung in Handlung, auch Sprache kann Handlung sein.

Ich habe mehrfach zu verschiedenen Formen des Widerstands aufgerufen oder mich geäußert. Immer bedacht, den emotionalen Tonus nicht auszuschließen, aber niedrig zu halten (in dieser Hinsicht ist Robert Habeck eine Orientierung).

Es gibt Aufrufe zum Widerstand, die ich für unproduktiv halte: (Hessel: Empört Euch!) und solche, die ich bekämpfe, also ihnen Widerstand entgegensetze. Wenn die Doppelgängerin von Frauke Petry, Sarah Wagenknecht, mit ihrer Aufsteh-Kampagne sich an den Gelbwesten in Frankreich orientiert, dann macht sie, was ich für besonders gefährlich halte: den Schließmuskel zwischen links (z.B. Melenchon) und rechts (le Pen) auch praktisch, auch gewaltorientiert, betätigen.

Auch ist das „Verständnis“ für die Gelbwesten nicht genug, um sich politisch zu positionieren. Natürlich verstehen wir alle, dass viele Millionen Französinnen und Franzosen unter schlechten sozialen Bedingungen, in großer Ungleichheit und vor allem in sehr mangelhaften sozialen Netzen leben. Aber schon bei genauerem Wissen über die Umstände sehen wir, dass das Verständnis sich zwar individuellen Lebensschicksalen – Abgehängte, Hoffnungslose – zuwenden kann, aber nichts mit Problemlösungen zu tun hat.

Ein ganz wichtiger Vergleich: das war vor Hartz IV genauso. Und Hartz IV war weder eine Wohltat noch lustig im Sinn einer ständig wachsenden Wirtschaft mit sozialen Wohltaten im reformbereiten Kapitalismus. Die Erfolge von Hart IV werden heute von denen bekämpft, die aufgrund dieser Reform überhaupt sozial gefestigt sind und so etwas wie Sozialreform machen können (was bei 5+ Millionen Arbeitslosen nicht so einfach wäre, wie Kevin Kühnert, Nahles und die oppositionellen Jugendorganisationen so gerne tröten).

Anders gesagt: überall kann Kapitalismus nur durch Widerstand und nicht durch Systemgegnerschaft zu Veränderungen gebracht werden, bisweilen sogar gezwungen.

Sozialistische Systemgegnerschaft hat sich empirisch erledigt oder diskreditiert. Lokale Verinselung baut auf Einschlüsse erfolgreicher Selbstregulierung zu lasten größerer sozialer Gruppen, privilegiert also wieder nur eine kleine Menge. Wie Gelbwesten zeigen, ist der Hufeisenschluss der äußersten Linken und der äußersten Rechten keine blasse Theorie, sondern Realität, bei der die Rechten gewinnen werden und die Linken erodieren. Dieser Schluss ist bittere Realität.

(Das heißt nicht, dass Macron in allen sozialen und Wirtschaftsfragen Recht hat; aber in vielen, vor allem Europa betreffenden, liegt er richtig).

Verständnis ist wichtig für eine Überprüfung ethischer Einstellungen und moralischer Urteile über Mitmenschen. Aber ganz radikal formuliert: ich verstehe ganz gut, warum in den 20er Jahren viele Menschen in den Nazis ihre Heilsbringer gesehen haben, trotzdem hatten sie a) nicht Recht und b)  war der Widerstand gegen die Nazis schon in der Frühzeit deren Bewegung teilweise falsch orientiert. Politisch Unrecht haben ist eine Folge mangelnder Aufklärung, aber auch (tatsächlich oder eingebildet) erlittenen Unrechts und  nicht zuletzt einer unrichtigen Selbsteinordnung in den sozialen Raum (à Bourdieu: Sozialer Raum und Klassen).

Widerstand ist nicht gegen den Rechtsstaat, sondern ohne ihn (Kirchenasyl) oder als praktische Kritik, die ihn weitertreibt (Debatte um Abtreibungswerbung).

Widerstand ist auch Verletzung der Formen, die als Konsens immer von denen eingefordert werden, die sie von der Kritik, dem anderen anderen “Wir“, d.h. uns gefährdet fühlen. (Was agte ein Leitkulturdepp: bei uns sagt man Grüß Gott!… nu, manchmal, wenns passt sag ich das in Österreich auch, aber in der politischen Öffentlichkeit ist es natürlich eine Verspottung, wenn ich das sage, und das „Man“ des reaktionären Diskurses ist verdächtig). Darum sage ich auch: Man muss mit Unholden wier Trump verhandeln, Deals machen etc., aber man muss mit ihnen nicht festlich dinieren oder, wie weiland Schröder und Berlusconi beim Fußball einander umarmen). Kleinigkeiten? Unser Alltag besteht fast nur aus solchen.

Widerstand kommt fast immer über Sprache und Zeichen. Es ist ja gut, wenn einige gegen die “Verrohung“ von Sprache ankämpfen. Aber das darf nicht bedeuten, dass geglättet wird, wo der Begriff und der Kontext spitz und verletzend sein sollen. Ich mache das am Beispiel „Nazi“ deutlich. Nicht jeder AfD Mensch und nicht jeder FPÖ Wähler ist ein Nazi. Aber beides sind Nazi-Parteien und zwar bezogenen auf die historische Analogie von 1923-1933, nicht danach. Das ist noch nicht einmal eine böswillige Interpretation, sondern eine Tatsachenbehauptung, die ich vielfach begründen kann – und dies relativ unabhängig vom Publikum, begründe. Verrohung bedeutet nicht Gebrauch krasser oder unangemessener Worte, sondern die Ausschaltung von Kommunikation durch solche Worte: was soll einer auf einen bestimmten Begriff, auf ein Schimpfwort oder einen Tonfall sagen, wenn der Kontext ihn oder sie einschnürt. Die Sprache verroht, wenn sie Sprachlosigkeit auslöst. Mir ging das geradezu physisch so, als Kellyanne Conway von „alternative facts“ redete. Auch der Vogelschiss von Gauland gehört in diese Kategorie. Aber das gleiche Wort, der gleiche Begriff kann in anderen Umständen, ironisch, pathetisch, wiederum gebrauchsfähig sein.

Ich sag das auch zu meinem Schutz, weil ich weiterhin schimpfen und ab und an gezielt beleidigen oder provozieren will. (aber eben nicht in roher Sprache („In die Fresse“, Frau Nahles) und nicht auflösbar (schimpf doch zurück)).

*

So einfach ist Widerstand nicht zu begreifen. Er sollte in viele Ritzen und Unebenheiten der Gesellschaft eindringen und dort sich ausbreiten, als Illoyalität und vor allem als Verweigerung dem gegenüber, das Man von uns erwartet. Daraus wird Politik.

Ernsthafter Einwand: mache ich damit Widerstand zu leicht, verniedliche ich damit nicht die Leistungen des echten, des großen Widerstands, der Weißen Rose oder …Ich denke nein. Jede Gewalt, jede Unmenschlichkeit erfordert ihre je besondere Form von Widerstand. Und die muss sich entwickeln, und das nicht zu langsam (Das „Nein“ des Herrn Egge bei Keuner (Bert Brecht) kommt ein wenig spät auf die Frage, ob er dem Agenten dienen möchte à Maßnahmen gegen die Gewalt).

Das alles führt nur scheinbar weg von dem Widerstand, den wir üben müssen, bevor es zu spät ist (es IST bereits zu spät, bedenken wir Kattowitz und was dort NICHT geschieht). Widerstand heißt im einfachsten Fall einmal zu wissen, wo man sich gerade befindet. Wer meint, das sei einfach, irrt.

Wer weiß, wo er oder sie sich im sozialen Raum befindet, kann auch wissen, gegen welche Gewalt sich zu wehren richtig ist, und bei der Wahl der Mittel zu fragen, welche sich lohnen.

(Auch hier gibt es eine bestimmte Verzichtethik. Man kann nicht allem nur deshalb widersprechen, weil es falsch ist.  Die Wirkung, die Konsequenzen könnten oft nicht kleiner sein, und Rechthaberei ist manchmal rechts, auch wenn sie von links kommt, und umgekehrt).

Bevor ich aphoristisch werde, breche ich ab. Der Weg der Gelbhemden ist falsch. Aber wir haben verstanden?

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