In der Debatte um die Stationierung der US Atomwaffen in Büchel wird von CDU-Militärpolitikern, nicht nur von diesen, immer wieder darauf verwiesen, dass wir
a) in den USA einen Verbündeten hätten, dem wir
b) 75 Jahre Frieden verdanken und mit dem wir
c) eine Wertegemeinschaft bilden.
Daraus folge, dass wir uns gegen die möglichen nuklearen Angriffe durch Russland nur wehren können, wenn die NATO Nuklearwaffen der Abschreckung dienen, obwohl im Ernst niemand daran dächte, dass die eine oder die andere Seite solche Waffen offensiv benutzte (aber die Russen eher als der Westen….).
Halbwahrheiten sind oft schlimmer als Lügen, weil schwerer zu widerlegen.
Die Debatte berührt mich aus biographischen und Erfahrungsgründen. a) und b) sind, wenn man die wichtige Zäsur von 1975 nimmt, richtig. Aber insofern nur zum Teil, weil wir im Kalten Krieg natürlich weder die Innenpolitik der USA noch ihre außereuropäische Großmachtpolitik beeinflussen konnten. Mit Innenpolitik hat das insoweit zu tun, als ja vieles an der Demokratie der USA wie ein Leitbild wirkt, anderes aber evident furchtbar war und ist, weshalb c) extrem fragwürdig ist.
Bevor ich mit dieser weltpolitischen Sicht fortfahre, ein kurzer Bericht:
Creation in Confinement: Art in the Age of Mass Incarceration Nicole R. Fleetwood
“…all contributed to an increase in the US prison population of more than 500 percent since the 1970s. This confluence of circumstances has resulted in the United States’ having the highest rate of incarceration in the world, with almost 2.3 million people in 1,719 state prisons, 102 federal prisons, 1,852 juvenile correctional facilities, 3,163 local jails, and eighty Indian Country jails, as well as in military prisons, immigration detention facilities, civil commitment centers, and state psychiatric hospitals.”
Es ist kein Zufall, dass das in einem Land geschieht, in dem die Freiheiten sich fast immer zugunsten der Reichen, der Waffenträger, der Weißen, und – einer religiös reaktionären Bevölkerungsgruppe ausgelegt werden. Der Widerstand dagegen, gegen den rassistischen Unterton der Rechtsauslegung, ist allerdings bemerkenswert und hat in den USA oft mehr bewirkt als vergleichbar in Europa. ABER nicht wegen c). Die amerikanische Zivilgesellschaft hat sich seit 200 Jahren anders entwickelt als unsere, oft haben wir davon politisch und kulturell profitiert, wie zB. in den 60 er Jahren. Die Werte werden – generalisierend – in Europa in einem anderen, im besten Fall engeren, aber dialektischen Verhältnis von Staat und Gesellschaft ausagiert, während viel Gutes in den USA ohne und gegen den Staat sich gesellschaftlich durchsetzt.
Im Fall von a) und b) war und ist es richtig, sich lieber mit einer defizienten, aber funktionierenden Demokratie zu verbünden als mit einer (post)sozialistischen Diktatur. Da muss man nicht viel mehr sagen, aber: das heißt nicht, dass man jeden Irrsinn, den der pathologisch prekäre und gegnerische US Präsident tut, mitmachen muss, weil man ja durch die NATO mit den USA verbündet ist.
ORF online 5.5.2020:
Die Coronavirus-Krise ist nach Ansicht von US-Präsident Donald Trump schlimmer als die Terroranschläge vom 11. September 2001 und der japanische Angriff auf den US-Stützpunkt Pearl Harbor im Zweiten Weltkrieg. „Das ist wirklich der schlimmste Angriff, den wir jemals hatten“, sagte Trump heute im Weißen Haus über das Coronavirus. „Das ist schlimmer als Pearl Harbor. Das ist schlimmer als das World Trade Center.“
Da spricht das Unbewusste eine Teilwahrheit aus: an Corona in den USA ist Trump mit Schuld…
Was aber a) und b) betrifft, kann man die nukleare Bedrohung von Büchel und Deutschland nicht davon ablösen, dass es eine europäische Verteidigungslösung ohne oder gegen die NATO geben sollte, bevor und wenn man die USA zum Abzug ihrer Waffen bewegen will: sonst landen die auf neuen Stützpunkten in Osteuropa.
Lasst uns weiter über c) diskutieren. Nicht alles, was gut und richtig war, z.B. 1945, muss 75 Jahre später weiter gut und richtig sein, und eine Erweiterung unserer republikanischen Verfassung, unserer Zivilgesellschaft, unserer Demokratie darf und soll gerade keine Revision sein. Hier kann von uns eine Avantgarde gegen die ökonomische Globalisierung erfolgen, nicht aus Bündnisgründen eine globalisierte Verkleinerung unserer Demokratie in Kauf zu nehmen.