Ende vor dem Ende vor dem Ende

Der Krieg reiht die Prioritäten der Lebenden beständig um. Gerade waren noch Klimaschutz und Energiewende und Sozialreform mühselig nach vorne gerückt worden, so stehen sie jetzt im Schatten des Kriegs. Ich behaupte, dass wir im Krieg sind, und nicht, dass wir versuchen ihn fernzuhalten. Deutschland wurde nicht am Hindukusch verteidigt (BMVg Struck 2002), wir verteidigen uns auch nicht militärisch, aber wir sind ohne jedes Drumherumreden im Geflecht eines imperialen Kriegs. Was heißt „imperial“? dass im gesamten Kriegsgebiet nicht die nationale Homogenisierung erfolgt und ein Land ein anderes angreift oder sich dagegen verteidigt, sondern dass ein kompliziertes Geflecht ungleichmäßiger Interessen, aber auch ungleicher Potenziale herrscht und uns zu bestimmten Handlungen zwingt, uns andere näherlegt und wieder andere abwehren lässt.

Krieg ist keine wissenschaftliche Denkaufgabe, bei die Reduzierung von Komplexität zum Handwerkzeug gehört. Die realistische Prognose der Situation ist: das 2° Ziel wird nicht gehalten, die bis dann Überlebenden werden vielleicht die letzten sein, aber die gegenwärtigen Oligarchen, Meinungsmacher, Influencer werden sich mit ihren Partikularinteressen durchsetzen. Die Profiteure des Kriegs verteilen sich ungleichmäßig über die Erde wie Überfluss, Hunger, gutes Leben, schlechtes Leben, Burka und Entblößung, Gebet und Blasphemie. Eine optimistische Prognose gibt es so wenig wie eine pessimistische: beide würden unser Leben, d.h. innerhalb der Lebenserwartung zum Rahmen nehmen. Wie lange brauchen wir, um das Zerstörte wieder aufzubauen, wie lange müssen wir Glyphosat sprühen, um die Menschen zugleich zu ernähren und zu vergiften, wie lange noch?

Aber es gilt auch: Prosperos Vision der Wirklichkeit: Das Spiel ist nun zu Ende – alle Spieler…/ waren Geister, / und sind aufgelöst in Luft, in dünne Luft……ja der Erdball selbst / mit allem was ihn schmückt, es schwindet einst / und läßt wie dies unkörperliche Spiel / nicht eine Spur zurück – wir sind der Stoff / aus dem die Träume sind; und unser kleines Leben / ist rings vom Schlaf umhüllt… (Shakespeare, Der Sturm, (1611), übersetztvon Wolfgang Swaczynna, Bärenreiter Verlag, Kassel).

Wir können wieder unbeschwert leben, wenn das Spiel zu Ende ist. Nur die Gestorbenen können das nicht, und ob die Gefolterten, Gefangenen, Hungernden aus dem Schlaf erwachen wollen, ist nicht nicht unsere Entscheidung.

Wenn das Spiel nicht zu Ende wäre, also nicht nur wir überlebten, dann müssten wir handeln. Etwas tun, das unser bisheriges Leben (und sei’s der letzten Zeit) aus Bahn wirft um sich anderswie bewegen zu können, dann gewinnen alle Begriffe wieder eine andere Bedeutung, vom Waffenstillstand bis zum Neuaufbau. Dem CO² ist das egal. Den Kindern und Gefährten der Gefallenen, den Eltern nicht.

Oft habe ich in diesen Tagen den Eindruck, die (oft) durchaus gut gemeinte Interpretation des Geschehens, eben die Kritik der kritischen Kritik, hüllt uns ein in den Kokon der Gleichgültigkeit.

Wir kehren den Wiener Spruch um: Es muss etwas geschehen! – Da kannst du eh nichts machen!

Einhalten

Eines dieser dialektischen Wörter: ich halte die Regeln ein, ich unterbreche eine Handlung, . Manchmal unterbrechen auch die Regeln das, was man gerade tun möchte, und das Gegenteil ist zur Zeit angezeigt. Haltet ein, nicht nur, wenn ihr Freunde oder Genossen oder Verbündete seid.

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Die Kommentare zu den Kommentaren retten niemanden, sie gefährden höchstens zustimmende Beitritte in nicht demokratischen Gesellschaften. Brutaler gesagt: seid für einen Augenblick still; Atemholen; Nachdenken….uiuiui, da sagt ihr, haben wir schon, lange genug. Die Zeit drängt. Das ist richtig, und die Opfer von Russlands Krieg haben nicht darauf gewartet, dass ihr die Zeit für eure Ansichten drängen lasst.

Manche Auseinandersetzungen erinnern mich an eine Stelle bei Borges‘ Bibliothek von Babel: (Die Bibliothek um fasst alles): „…die Geschichte der Zukunft bis in einzelne, die Autobiographien der Erzengel, den echten Katalog der Bibliothek und Tausende und Abertausende falscher Kataloge, den Nachweis ihrer Falschheit, den Nachweis der Falschheit des echten Kataloges, …die wahrheitsgemäße Darstellung deines Todes, …“ (J.L.Borges: Labyrinthe, München 1959, S. 191). Auch diese Bibliothek ist nicht unendlich…Die Auseinandersetzung um die beiden Unterschriftlisten erinnert mich spontan und systematisch an diese Stelle. In beiden Gruppen habe ich Bekannte und Freunde, auch Gegner, und ließe ich mich auf die Kritik der jeweiligen Aufrufe ein, würde ich nicht mehr handeln können, weil ja die Intentionen und der Instrumente der AufrufautorInnen so weit von einander nicht entfernt sind.

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Ja, ich weiß, ich habe mich auch einige wenige Male zu diesem Krieg geäußert; ich habe viel mehr dazu gehört, gesehen, gelesen, als ich kommentiere. Weil eine Meinung eben nicht zur Demokratie beiträgt, wenn man sie nur hat. Jede(r) kann etwas tun, man kann handeln, aber man muss nicht immer darüber reden. Das bedeutet gerade NICHT, dass man den Krieg verdrängen darf, ihn sozusagen auf die Seite der „Sie“ schieben kann, denen „Wir“ kommentierend gegenüberstehen. Aber die Tatsache, dass WIR IN DIESEM KRIEG SIND, muss nicht in jeder Kommunikation und allen Gesprächen stattfinden, wir können tatsächlich eine Menge tun. (Und viele tun das, und sie berichten bestenfalls, aber sie reden nicht darüber hinweg, wenn sie Wohnung geben, Spenden abliefern, Botschaften vermitteln oder den Geretteten in den Ämtern helfen).

  • Es ist richtig, dass wir uns auf eine Verringerung unseres Wohlstands einstellen müssen, udn das kann Anlass sein, die Sozialpolitik zu korrigieren, weg von den neoliberalen Kriegsgewinnlern hin zu den von Armut bedrohten Menschen.
  • Es ist richtig, dass es Verwerfungen in der Klimapolitik gibt, die unlösbare Gleichungen auslösen. Wer jetzt den Klimawandel von der Priorität verdrängt, braucht seine Nachkommen nicht zu retten, die ersticken sowieso…
  • Es ist leider auch richtig, dass es jetzt schon Kriegsgewinner gibt, nicht nur die Rüstungskonzerne und Lobbys, auch andere Profiteure. Und mit manchen müssen wir zusammenarbeiten, aber sie sollen wissen, auch ihnen wird im Frieden wieder der Prozess gemacht werden. (Das gilt auch für mindere Diktaturen, die zur Zeit auf der „richtigen“ Seite in dem Konflikt stehen, aber im Krieg dominieren scharfe Grautöne gegenüber der klaren Zuordnung, das gehört ebenso leider dazu.
  • Über dem einen Krieg dürfen wir nicht vergessen, was wir auch wissen: dass wir zum Beispiel den Menschen in Afghanistan helfen müssen, die am verhungern sind und in einer elenden Diktatur leiden; viele Flüchtlinge hier bei uns drohen in den Schatten der anderen Schwerpunkte zu geraten, auch Geflüchtete aus dem Jemen, aus Syrien. Auch darauf kann man aufmerksam machen, man muss es nicht kommentieren, aber man kann etwas tun.

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Draußen blüht der weiße Flieder, man kann den trockenen blauen Himmel bewundern und die Atempause des Wochenendes. Das macht nichts besser, aber wichtiger: es macht nichts, das wir richtig machen, schlechter.

Wir sind im Krieg, aber wir brauchen diese Atempausen weniger als die von den Kämpfen wirklich Betroffenen, Traumatisierten, Geflüchteten. Das Komitee für Grundrechte hat schon von Jahren ganz praktisch „Ferien vom Krieg“ dekretiert und tut etwas. Im Jahresbericht 1920/21 hat der Krieg Russlands gegen die Ukraine gerade für das Vorwort gereicht, März 2022. Auch hier gehen alle Argumente durcheinander, aber diese Fokussierung auf die nicht nachlassende Aufmerksamkeit und die Ferien vom Krieg zeigen, dass man nicht selbst der Versuchung erliegen soll, zu leben, als wäre man in der Feuerlinie.

Zynisch, das sagt sich leicht

Deutschland schlittert – wieder einmal – in eine Beschimpfungskultur. Da sind die einen Kriegstreiber, die andern im naiven Unrecht, wenn es um Waffen für die Ukraine geht. Nicht einmal vor diesem Thema macht das behagliche Nichtbetroffensein – scheinbar! nicht betroffen – halt.

Nicht selten ertappe ich mich, dass ich auch „mit-„schimpfe, nicht bei diesem Thema, aber aus anderen Anlässen, so geht es wahrscheinlich vielen. Aber Mitglied dieser Kultur der entpolitisierenden Beschimpfung bin ich nicht. Es gibt viele Gründe, sich nicht alle Höflichkeit und Zurückhaltung zu verbieten. Klartext, nennt man das. Aber bei „großen“, vielleicht lebensbedrohlichen Themen kommt dem Klartext eine besondere Bedeutung zu. Und die wird durch die krasse Beschimpfung gemindert, nicht erhöht.

Kultur wäre es erst, wenn es die Massen ergreift, nicht wenn einer den andern beschimpft. (Das soll niemand mit der persönlichen Kultiviertheit verwechseln, zu der auch einmal schimpfen gehören kann, oder loben, oder Ironie).

Der heutige Anlass ist auf allen Kanälen, also nichts weiter dazu. Aber da lese ich einen bemerkenswerten Artikel, ein Interview mit Peter Sloterdijk. Damals, 1983, haben wir im Kollegenkreis nächtelang die „Kritik der zynischen Vernunft“ diskutiert, Es war wie ein Angriff auf unsere angestrebte modernisierte Aufklärung.

Sloterdijk hatte für uns, auch für mich, höhere und tiefere Entwicklungen, wurde zur Seite gerückt. Nicht wichtig. Heute schreibt er aber, bedenkenswert mindestens und nicht zynisch: die idealisierenden Programme, v.a. der Grünen, erscheinen in reinen Farben. Die Realität der Politik (also der „Wirklichkeit“, frage ich, mein Thema) hingegen lehrt schnell, das Grau in seinen Abstufungen wahrzunehmen, zu beachten. „Für mich bildet die Sammlung der Graumotive in der Summe so etwas wie eine Freiheitslehre, die Befreiung von starkfarbigen Illusionen betreffend“, sagt er. Ich stimme nicht zu, weil Befreiung andere Prämissen hat als Freiheit. Aber meine zu wissen, was er meint. Die Zustimmung zu den Waffenlieferungen ist grau, nicht idealistisch, die Kooperation mit Katar oder Polen gegen Russland ist ein anderes grau und auch nicht idealistisch, und die Ängste sind schrill, knallfarbig, aber ausweglos (das sage ich zum Atomkrieg).

Was dazu gehört: im Grau verschwinden oder verschwimmen die Konturen. Es ist nicht zynisch sich zu irren, verirren, aber es ist zynisch darauf zu bestehen, dass alle andern irren, wenn man selbst falsch liegt. Der Geisterfahrer beschimpft die tausenden Falschfahrer in der Gegenrichtung.

1. Mai, Quantenmechanik des Friedens

No person with a conscience can abide the crimes against humanity Russia is committing in Ukraine today. But the moral myopia of those who sanctimoniously see the transgressions of others as unfathomably different from their own historical wrongs dilutes the outrage that would forge a liberal order the rest of the world can stand behind. (Nathan Gardels)

Hast du keine anderen Themen, fragen mich die LeserInnen des Blogs? Doch, ungezählt viele. zu gestern nur ein Nachtrag.

Ist es richtig, was die GRÜNEN abgestimmt haben, für Waffenlieferungen an die Ukraine, für eine Stärkung der Bundeswehr? Oder haben Jürgen Habermas und die Proteste dagegen Recht?

weil ich kein Opportunist sein möchte, mich auch nicht weg ducke, ist meine Antwort paradox: BEIDE haben Recht, je nachdem, wo in der Weltpolitik sie sich befinden.

ES KOMMT DRAUF AN.

Wenn wir uns im Krieg befinden, wenn das DORT der Kämpfe und das HIER der relativen Ruhe, also nur wirtschaftliche und soziale Bedrohungen und Opfer sind, dann passen die Beschlüsse. Sie sind folgerichtig, haben wenig mit den Westen und der amerikanischen Führungsrolle zu tun, aber immerhin: man rückt zusammen und macht eine rote Linie: WIR vs. SIE, mit dem Blick auf die Stellvertretung unserer Werte durch die Ukraine. Ob der Krieg damit verlängert wird, ins Endlose, steht dann nicht im Vordergrund.

Wenn wir uns nicht im Krieg befinden, wenn das DORT der Kämpfe nur durch eine friedensfördernde Haltung HIER abgeschwächt, unterbrochen, beendet werden kann, dann sind Aufrüstung und Waffenlieferungen falsch, weil es nicht um Selbstverteidigung geht, sondern der Krieg ins Endlose verlängert würde. Das hieße, wir setzen auf FRIEDEN. Wir, bitte, nicht „die“.

Beides hat etwas für sich und viel dagegen. Die Waffenlobby, die Rüstungskonzerne, und die Westgewaltredner profitieren so vom Krieg, wie andere widerwillig ihnen auch Raum lassen, um mit Waffen der Ukrainer gegen den Aggressor zu helfen. Die Gegner der Waffenlieferungen müssen damit fertig werden, dass der Westen keineswegs völlig unschuldig an der Entwicklung Russlands und seines Selbstherrschers ist, aber – natürlich! – wir hier das denken und sagen dürfen, was dort mit Tod und Gift bestraft wird. Deshalb lieber hier für den Frieden arbeiten?!

Das kleinliche Gezänk, auch der Medien, über Zögerlichkeit, Einseitigkeit, mangelnden Patriotismus etc. deckt unter anderem die Angst zu, dass es uns im Fall der Übertragung des Dort nach Hier schlechter gehen wird, den Ärmeren noch schlechter als dem Wohlstand. Und eine Vorahnung, wie es sein würde, hätte man im Ergebnis die falsche Position eingenommen – Angst vor den irdischen Höllenstrafen, klassisch.

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Heute reden noch manche vom internationalen Kampftag der Arbeiterklasse. Keine Arbeiter, keine Kämpfe. Was kann der Beitrag aller arbeitenden Menschen zum Frieden sein? Das kommt darauf, woran und wofür wir arbeiten. Jede(r) von uns.