Eines dieser dialektischen Wörter: ich halte die Regeln ein, ich unterbreche eine Handlung, . Manchmal unterbrechen auch die Regeln das, was man gerade tun möchte, und das Gegenteil ist zur Zeit angezeigt. Haltet ein, nicht nur, wenn ihr Freunde oder Genossen oder Verbündete seid.
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Die Kommentare zu den Kommentaren retten niemanden, sie gefährden höchstens zustimmende Beitritte in nicht demokratischen Gesellschaften. Brutaler gesagt: seid für einen Augenblick still; Atemholen; Nachdenken….uiuiui, da sagt ihr, haben wir schon, lange genug. Die Zeit drängt. Das ist richtig, und die Opfer von Russlands Krieg haben nicht darauf gewartet, dass ihr die Zeit für eure Ansichten drängen lasst.
Manche Auseinandersetzungen erinnern mich an eine Stelle bei Borges‘ Bibliothek von Babel: (Die Bibliothek um fasst alles): „…die Geschichte der Zukunft bis in einzelne, die Autobiographien der Erzengel, den echten Katalog der Bibliothek und Tausende und Abertausende falscher Kataloge, den Nachweis ihrer Falschheit, den Nachweis der Falschheit des echten Kataloges, …die wahrheitsgemäße Darstellung deines Todes, …“ (J.L.Borges: Labyrinthe, München 1959, S. 191). Auch diese Bibliothek ist nicht unendlich…Die Auseinandersetzung um die beiden Unterschriftlisten erinnert mich spontan und systematisch an diese Stelle. In beiden Gruppen habe ich Bekannte und Freunde, auch Gegner, und ließe ich mich auf die Kritik der jeweiligen Aufrufe ein, würde ich nicht mehr handeln können, weil ja die Intentionen und der Instrumente der AufrufautorInnen so weit von einander nicht entfernt sind.
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Ja, ich weiß, ich habe mich auch einige wenige Male zu diesem Krieg geäußert; ich habe viel mehr dazu gehört, gesehen, gelesen, als ich kommentiere. Weil eine Meinung eben nicht zur Demokratie beiträgt, wenn man sie nur hat. Jede(r) kann etwas tun, man kann handeln, aber man muss nicht immer darüber reden. Das bedeutet gerade NICHT, dass man den Krieg verdrängen darf, ihn sozusagen auf die Seite der „Sie“ schieben kann, denen „Wir“ kommentierend gegenüberstehen. Aber die Tatsache, dass WIR IN DIESEM KRIEG SIND, muss nicht in jeder Kommunikation und allen Gesprächen stattfinden, wir können tatsächlich eine Menge tun. (Und viele tun das, und sie berichten bestenfalls, aber sie reden nicht darüber hinweg, wenn sie Wohnung geben, Spenden abliefern, Botschaften vermitteln oder den Geretteten in den Ämtern helfen).
- Es ist richtig, dass wir uns auf eine Verringerung unseres Wohlstands einstellen müssen, udn das kann Anlass sein, die Sozialpolitik zu korrigieren, weg von den neoliberalen Kriegsgewinnlern hin zu den von Armut bedrohten Menschen.
- Es ist richtig, dass es Verwerfungen in der Klimapolitik gibt, die unlösbare Gleichungen auslösen. Wer jetzt den Klimawandel von der Priorität verdrängt, braucht seine Nachkommen nicht zu retten, die ersticken sowieso…
- Es ist leider auch richtig, dass es jetzt schon Kriegsgewinner gibt, nicht nur die Rüstungskonzerne und Lobbys, auch andere Profiteure. Und mit manchen müssen wir zusammenarbeiten, aber sie sollen wissen, auch ihnen wird im Frieden wieder der Prozess gemacht werden. (Das gilt auch für mindere Diktaturen, die zur Zeit auf der „richtigen“ Seite in dem Konflikt stehen, aber im Krieg dominieren scharfe Grautöne gegenüber der klaren Zuordnung, das gehört ebenso leider dazu.
- Über dem einen Krieg dürfen wir nicht vergessen, was wir auch wissen: dass wir zum Beispiel den Menschen in Afghanistan helfen müssen, die am verhungern sind und in einer elenden Diktatur leiden; viele Flüchtlinge hier bei uns drohen in den Schatten der anderen Schwerpunkte zu geraten, auch Geflüchtete aus dem Jemen, aus Syrien. Auch darauf kann man aufmerksam machen, man muss es nicht kommentieren, aber man kann etwas tun.
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Draußen blüht der weiße Flieder, man kann den trockenen blauen Himmel bewundern und die Atempause des Wochenendes. Das macht nichts besser, aber wichtiger: es macht nichts, das wir richtig machen, schlechter.
Wir sind im Krieg, aber wir brauchen diese Atempausen weniger als die von den Kämpfen wirklich Betroffenen, Traumatisierten, Geflüchteten. Das Komitee für Grundrechte hat schon von Jahren ganz praktisch „Ferien vom Krieg“ dekretiert und tut etwas. Im Jahresbericht 1920/21 hat der Krieg Russlands gegen die Ukraine gerade für das Vorwort gereicht, März 2022. Auch hier gehen alle Argumente durcheinander, aber diese Fokussierung auf die nicht nachlassende Aufmerksamkeit und die Ferien vom Krieg zeigen, dass man nicht selbst der Versuchung erliegen soll, zu leben, als wäre man in der Feuerlinie.