Schluss jetzt.

Erinnert euch daran, dass vor einigen Jahren ein Gedicht von Eugen Gomringer an der ASH zensiert und durch einen absurden, angeblich politisch korrekten Text, ersetzt wurde. Zur Auffrischung des Gedächtnisses: Streit um Gomringers „avenidas“-Text: Das neue Gedicht für die Alice Salomon Hochschule – Wissen – Tagesspiegel.

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Die Zensur schreitet weiter voran. Schon den BEGRIFF darf man nicht verwenden, es ist so ähnlich wie Putins Verbot, vom KRIEG zu reden (7 Jahre Haft). Wer die identitätsschwere Ablehnung von Kritik oder kontroversen Meinungen selbst ablehnt, wird mit Shitstorm oder Ausgrenzung bestraft. In einem ganz neuen Fall mit Ausladung. Lest erst einmal: Marie-Luise Vollbrecht: Der Vortrag, den ich nicht halten konnte (ZEIT #28, 7.7.2022, S. 11.). Die Hauptthese des Vortrags ist:

„Zu erklären, warum es aus biologischer Sicht nur zwei Geschlechter gibt. Klarzumachen, dass Debatten um soziale Geschlechterrollen etwas anderes sind. Und zu begründen, warum ich es für falsch halte, wenn beides vermengt wird“.  Es geht im Kern um die Vermengung von zwei Begriffen, Sex und Gender, die unterschiedliches bedeuten und verschiedenes in Kommunikation und Praxis bewirken.

Peinlicher noch als die Absage ist die selbstgerechte Unterwerfung des Vizepräsidenten der Humboldt-Universität unter die möglichen Folgen und Kontroversen, wäre der Vortrag in der Langen Nacht der Wissenschaften wirklich gehalten worden. Er hat im Übrigen die Differenz von Sex und Gender nicht verstanden und sagt zum Abschluss des Interviews: „Die Universität ist aber nicht dazu da, die politische Meinung ihrer Mitarbeiter zu schützen“. (Gleiche Ausgabe, S. 39).

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Schlimm, aber mit dem Vorteil, dass nun sehr viel mehr Menschen den Vortrag von Frau Vollbrecht kennen und darüber nachdenken oder auch streiten können. Auch das Gedicht von Gomringer ist nun weit verbreitet und ist überall nachzulesen. Das nenn ich Dialektik. Dass es in beiden Fällen um Sex und Gender geht, ist besonders auffällig und nachvollziehbar, die beiden Begriffe berühren ja wirklich alle Menschen. Begriffe: nicht jedes Wort ist ein Begriff, und Adorno setzt in seiner Negativen Dialektik (Adorno 1975), eine zugegeben schwierige, aber überraschend aktuelle Kritik der neuerdings so modischen Identitäts-Konstruktion in den Text.

So, wie ich mich nicht hindern lasse, LGBTQY zu unterstützen, im Allgemeinen und meist in den besonderen Fällen, so wenig lasse ich mich daran hindern, andere wissenschaftliche Erkenntnisse daraufhin zu prüfen, wieweit sie gesellschaftlich in das Konkrete unseres sozialen und individuellen Lebens übersetzbar sind. Kritik und Übersetzung macht unsere Kommunikation aus, nicht Ablehnung des Abgelehnten (und nicht Verstandenen?).

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Ich würde das gerne ausdehnen auf meinen Appell, aufzuhören mit dem mittlerweile dummen Anti-(anti)-Anti²- ANTI-semitischen Kommentaren zu dem, was sich auf der Documenta 15 tut. Viele, die da mitzureden meinen, meinen nur ihre Mein8ungen zu etwas, das mit jüdischen Menschen, meinetwegen „Juden“ nichts zu tun, aber mit deutschen Nabelschau, die sich nur als gereinigt und moralisch einwandfrei betrachten möchte. Damit kann man Vergangenheit auch auslöschen oder unscheinbar machen. Den Antisemiten machts Freude. Sagt mal schnell, um welchen Begriff es hier geht.

Adorno, T. W. (1975). Negative Dialektik. Frankfurt, Suhrkamp.

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