Jüdischer Einspruch: Mendel hat Recht

Jüdischer Einspruch. Den macht Meron Mendel in der SZ vom 11.7.2022: „Wir brauchen keine Oberaufseher“.

Er hat sich als Vermittler von der documenta 15 zurückgezogen, erklärt das, und spart an einer Stelle nicht mit einer wichtigen Kritik, die ich teile: Über den Auftritt von Botmann vom Zentralrat im Kulturausschuss. „Die Documenta wird jetzt genützt für eine Generalabrechnung mit allen vermeintlichen Feinden. Man wirft das Banner, die Konferenzen ‚Hijacking Memory‘ und das Berliner Zentrum für Antisemitismusforschung in einen Topf…-Es gibt offenbar Menschen, die den Skandal dazu nützen wollen, um vorzugeben, was in diesem Land diskutiert wird, und diese Vorstellung basiert auf einem weiten Verständnis dessen, was Antisemitismus ist“.

Dass der Zentralrat nicht nur hier, auch anderswo den Antisemitismus nicht nur bekämpft, sondern auch fördert, ist bekannt und lässt sich nachweisen. Aber auch hier gilt, dass schwarz-weiß als Diskurslogik verboten ist, und man endlich dem Zentralrat mit adäquater Kritik entgegentreten muss, wie das Mendel sehr präzise tut. Mir geht’s nicht um die Documenta, sondern um das Reden darüber, vor allem von Menschen und Gruppen, die zum Thema nichts zu sagen haben und sich hinter ihrer Definition des natürlich abzulehnenden Antisemitismus verstecken.

*

In Zeiten wie diesen darf der Diktator Putin den jüdischen Selenskyi Nazi nennen. Darf er nicht? Er tut es. Wenn manche sagen, man müsse mit Putin trotzdem reden, dann frage ich nicht, ob ja oder nein, sondern worüber. Über seinen Nazi-Vergleich? Nein. Nicht mit ihm. Darüber müssen wir reden. Wir umschreiben so vieles bis zur Unkenntlichkeit, dass selbst Megaworte, die längst keine Begriffe mehr sind, zur taktischen Waffe verkommen. Man kann und vielleicht muss man Putin als Faschisten bezeichnen, wenn man Faschismus als wissenschaftlichen Begriff ernst nimmt. Man kann und vielleicht muss man die AfD als Nazipartei bezeichnen, der klassische Faschismus passt weniger auf sie. Man kann und vielleicht muss man die ukrainische Geschichte, von den Judenmassakern 1920f. bis hin zu Bandera, ebenso kritisieren wie die Abwägung der Position zur Gegenwart. Ob das von ausgerechnet denen kommen sollte als Argument, die an der Abdrängung der Ukraine aus der deutsch-russischen Freundschaft beteiligt waren, bis vor ganz kurzem, ist eine innenpolitische und eine Frage der Aufrichtigkeit.

*

Zurück zu dem verdienstvollen Mendel. Dieser reflektierte Mensch fasst in ein paar Sätzen zusammen, was im Augenblick untergeht, weil die Diskussion über die Ufer tritt. „…Mit dem Völkermord an den Herero und Nam muss man auch in Deutschland daran denken, wie man auf Rassismus gegen Schwarze reagiert. Darum dreht sich ja die aktuelle Diskussion um multidirektionale Erinnerung von Holocaust und Kolonialverbrechen. Diese Diskussion kann nicht durch Dekret für beendet erklärt werden. Deshalb tue ich mir auch schwer mit Statements wie dem, dass Israels Sicherheit deutsche Staatsräson ist, wie Angela Merkel 2008 vor der Knesset verkündet hat. Wir brauchen keine Oberaufseher, die sagen, wie über Israel diskutiert wird, wir brauchen eine gesellschaftliche Diskussion…“ Er schreibt noch mehr richtiges, aber das sitzt bzw. soll wirken.  

*

Jüdische Argumente gegen den Antisemitismus sind selten deckungsgleich mit deutschen Argumenten dagegen, und mit den Argumenten anderer Gesellschaften. Manches muss man als jüdischer Deutscher dann den Deutschen überlassen, wenn man die nicht verheilte Wunde des Bindewortes weiterhin schwären sieht. Deutsche UND Juden.

Deutsche Argumente gegen den Kolonialismus sind selten deckungsgleich mit den Argumenten anderer Gesellschaften, wenn es um die konkrete Geschichte und nicht um den universellen Begriff geht.

Was Mendel mit multidirektionaler Erinnerung meint, steht der so sehr herbeigeredeten Eindeutigkeit, auch in der Politik, entgegen.

*

Die deutsche Zeit scheint manchmal still zu stehen. Da tobt der Krieg Russlands gegen die Ukraine, da versucht der globale Süden sich aus dem Schwarzweiß-Denken der postkolonialen Zeit zu befreien, da strickt sich Deutschland einen weiteren wärmenden Pullover für den nächsten nicht nur Kalten Krieg.

Kommentar verfassen

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit Deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Twitter-Bild

Du kommentierst mit Deinem Twitter-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit Deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s