Furcht, keine Angst. Politik

Ich fürchte, Trump gewinnt die Wahl, egal, ob real knapp, gefälscht oder als Produkt amerikanischer Vorliebe für weiße Männer.

Ich fürchte, Netanjahu und seine faschistischen Koalitionspartner zerstören Israel, bevor es eine demokratische Zweistaatenlösung oder eine Föderation mit Palästina gibt.

Ich fürchte, Russland besiegt die Ukraine, weil der sog. Westen nicht Widerstand leistet, und die Russen stehen an der Grenze der EU, unterstützt von faschistoiden EU Mitgliedern wie Ungarn.

Ich fürchte...

Es gibt noch viel mehr, das ich fürchte. Aufgrund von Nachdenken, Analysen, Gesprächen, Vergleichen.

Aber ich habe keine Angst.

Wie denn auch. Ich bin persönlich nicht direkt in die Konflikte, und man kann sie umfangreich vermehren, einbezogen. Ich kämpfe nicht, man verfolgt mich nicht, politische Schmähung oder gar Gegnerschaft hält sich in Grenzen. WENN etwas davon Wirklichkeit würde, bekäme ich Angst. Dann würde ich mich nicht nur vor dem, was wirklich geschieht, fürchten, sondern vor dem was mir geschieht. Und das müsste ich ausweiten, auf Kinder Verwandte Freunde Kollegen Partner etc., auch – innen natürlich.

Für die Literatur gilt: Schreine, als wäre man unter der Folter, auch wenn man weiß, dass man es ist nicht ist (ich finde gerade die Stelle bei Peter Weiss nicht, aber er sagt das, immer wieder). Und über viele Jahre, nach 1945 bis zu seinem Freitod 1978 hat Jean Améry immer wieder seine Geschichte, seine eigene Geschichte des Weiterlebens nach dem Leben unter der Folter dargestellt, um die Unumkehrbarkeit solchen Schicksals deutlich zu machen (U.a. im letzten Kapitel von „Jenseits von Schuld und Sühne“, 1966, später Klett-Cotta 1977). Dass einem selbst dies geschieht, davor darf und kann man mit Gründen Angst haben, aber es in eine allgemeine Furcht einzupacken, das geht nicht. Schon gar nicht, wenn es nicht um Literatur geht, sondern um unser alltägliches Leben.

Wenn man aufwacht, und die Mörder, die Folterknechte, oder schlicht „die Verbrecher“ sind da, dann werden alle Bekenntnisse zu Mut und Furchtlosigkeit hinfällig. Andererseits: selbst die realistische Vorstellung, wie das wäre, wenn…hat mit der Wirklichkeit solchen Geschehens nur bedingt zu tun.

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Vervollständigen wir die Liste am Anfang dieses Abschnitts, wir kommen damit zu keinem Ende, aber wir verwirren die Ereignisse, deren Eintritt wir fürchten, zu einem globalen Knoten. Das nützen sie aus, die Faschisten, der Pöbel, die Wunderheiler, auch viele Religionsgurus und Esoteriker. Flucht vor der Furcht. Nur keine Angst, sagen sie dann, nur keine Angst….Aber Angst ist eben so unkonkret, dass sie Objekte der Furcht – Trumpsieg, Russeneinmarsch – nicht konkret so benennt, dass man sie behandeln kann, dass wir damit umgehen. Wenn ich jetzt sage, dass es zu jeder Furcht eine konkrete Politik gibt, die sie entweder ausschaltet oder bearbeitbar macht, dann macht das nur Sinn, wenn ich darüber nachdenke, was ich oder was wer (konkret) wirklich tun muss und kann um die Objekte der Furcht abzuwehren.

Dieses Nachdenken hat über Jahrtausende zu unserer Zivilisation, zu unserer Bildung beigetragen und tut es weiterhin, aber dann muss ich soweit in der Politik sein, dass ich die Objekte der Furcht auch anordnen kann, sie sozusagen der Politik konkret zugänglich machen, was nicht nur Vor- und Nachdenken erforderlich macht, sondern Handeln. Darum fängt vieles mit der Umweltpolitik an, die im Augenblick von denen verdrängt wird, die auf den Knoten der politischen globalen Gewaltpunkte starren.

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Das, werte Leserinnen und Leser, sind keine hohen Ziele, wie sie an Neujahr geäußert und tags darauf vergessen werden. Das ist Alltag. Um den gehts mir immer mehr, je weniger Zeit zum Leben ich vor mir habe: denn was immer ich als furcht-erregend wahrnehme, es hat seine Geschichte, seine Entstehung. Und in ihrer Aufdeckung sind viele Problemlösungsansätze wahrnehmbar. Nur Hinschauen und dann den Kopf abwenden, gelangweilt oder aus Furcht, reicht dazu nicht.

3 Gedanken zu “Furcht, keine Angst. Politik

  1. Danke lieber Michael. E sind bewegende und sehr nachdenkliche Zeilen in dieser schwierigen Zeit. Deine Ausführungen strukturieren meine Gedanken, regen an, bestätigten aber auch einige meiner eigenen. Kein antagonistischer, dafür ein dialogischer Austausch. Daran mangelt es viel zu oft.

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    • Lieber Klaus, der Dialog steht aus, wenn Menschen ihn verweigern oder aber ihm misstrauen. Das letztere ist die Folge eines Auseinanderfalls gesellschaftlichen Zusammenhalts, der die Grundlagen von aufrichtigem Meinungsaustauschs nicht in Frage stellt. Nicht erst Corona und die wirtschaftliche Verlustangst haben diese Folge bewirkt, sondern eine besonders deutsche künstliche Ethno-Kultur, die sich Pluralismus nur mit einer besonderen ethnischen Deutsch-Stärke meint erlauben zu können, und genau diesen Pluralismus jetzt in Frage stellt. Ironisch gefragt: wie lange gibt es Deutschland denn?

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