Die Wolken türmen sich. Gleich geht der Starkregen wieder los. Die Pfützen sind breit und tief, eigentlich eine schöne nasse Landschaft in einer Saison großer Trockenheit. So ist es häufig: was nicht regelmäßig eine Situation, eine saisonale Witterung, eine politische Erwartung beherrscht, erfährt mehr Aufmerksamkeit und manchmal unerwartetes Lob. So, wie Klima und Wetterbefund nicht dasselbe sind, aber sich gut vermischen lassen, so geht es überall: ein guter Konservativer findet plötzlich Aufmerksamkeit, wo die Mehrheit dieser Rechten eher Abwendung erfährt; auf der Linken nicht anders, in der Mitte auch so, nur, dass man nicht so genau weiß, was die Mitte ist.
*
Das Wetter, das wir früher erlebt haben, wird heute verklärt. Die Politik unserer Jugend war auch nicht gut, aber durchschaubar – und wir konnten eingreifen. Davor auch wieder nicht. Beziehungen waren….naja, nicht eindeutiger als heute, aber auch durchschaubarer. Alles haben wir damals durchschaut und können es heute so wenig wie wir den Jungen diese Fähigkeit zutrauen, etwas zu durchschauen, zu erklären und es dann ändern oder beibehalten zu wollen. Lamento senile…Diese Generationenhaltung ist nicht neu, und viele Pädagogen, Blogger, Gurus verdienen mit ihr gutes Geld. Aber einen Nachteil haben diese Diskurse, sie verdecken, was sich wirklich ändert, nicht nur von Generation zu Generation, sondern von gestern bis heute.
Wer eine Zeitenwende behauptet, nimmt meistens wenigstens einen nachweisbaren Veränderungsfakt als Ausgangspunkt. Wer sie leugnet, versucht den zu dekonstruieren. Und altmodische Geschichtsredner denken nur in Zeitenwenden, die immer näher aneinanderrücken, bis die gesamte Geschichte nur mehr eine Wende ist, die keine bestimmte Zeit braucht. Soweit, so banal. Aber wenn eine Zeitenwende lange stabil gehaltene und fest geglaubte Tatsachen destabilisiert, was dann, o Bewusstsein?
Also: das alles hat wenig mit dem Alter der Betrachter zu tun, viel mehr mit selektiver Erinnerung. Manchmal aber hatte sich die Zeitenwende angekündigt, lange bevor sie eingetreten war. In Israel z.B. schon 1948, oder jedenfalls 1973, oder wann – sicher nicht am 7. Oktober 2023, da war sie schon eingetreten, und wieweit sie eingetreten gewesen ist, beschäftigt mich heute fast noch mehr als die richtige Kritik an Hamas und Netanjahu, die in gewisser Weise unmenschlich zusammenwachsen. Und das ist eine Kritik unter vielen, und wenn sie auch nicht alle auf einer Ebene sind, sie dürfen nicht abgelegt werden. Denn wenn man sich aussucht, was man historischer Kritik für sich beansprucht und was man dem „Man“ allgemein überlässt, macht man sich nicht nur vor anderen verdächtig, auch vor sich selbst.
*
Auf diese Weise wird man zu einem Menschen, der in den Abständen zwischen Laien und Profis, zwischen subjektiven Selbsteinschätzungen und der objektivierenden Tätigkeit des sich in die Kommunikation Einschaltenden bewegt (Was für Satz-Gethüm, geht mir nicht besser). Die Wahrnehmung der Abstände wird von vielen verdrängt, dann kann man sich am besten „raushalten“. Das aber soll ja wirklich nicht sein, auch wenn es – oder genauer: wenn man – nervt.
Darum denke ich, dass wir nerven müssen, wenn es um die Abwehr der rechtsradikalen Subfraktion geht, Klöckner, Spahn, Dobrindt & al., auch wenn sich viele mit der Normalisierung der Rechten noch zufrieden geben. Diese Normalisierung geht aber eher der Festlegung als der Veränderungsdynamik entgegen. Veränderung ist nicht an sich gut, sondern braucht Inhalte und Formen, und die sind z.B. bei den Kritiken . siehe oben . wichtig. Beispiel: auch wenn es evident ist, Israel kann man nicht kritisieren, wenn der Bezug zu Hamas nicht genannt wird. Übrigens reicht der innerhalb der Kritik nach beiden Seiten. Ähnliches gilt für jede Kritik, und man darf das nicht verwechseln damit, dass „alle“ irgendwie schuldhaft an „allem“ beteiligt sind. Sind sie nicht, und wenn, muss das Wort „irgendwie“ getilgt werden.
Das schlechte Wetter hält irgendwie weiter an, aber es ändert am Klima nichts.