Verflucht oder gesegnet?

Baubeginn beim Neubau der Garnisonkirche in Potsdam

Viel ist hingesunken uns zur Trauer

Und das Schönste hat die kleinste Dauer.

(Heimito von Doderer)

Ich hatte mir vorgenommen, zu dem Unsinn, die Wallfahrtskirche des preußischen Militarismus und des Nazi-Beginnens und der DDR-Revanche wieder aufzubauen, nichts mehr zu erwähnen. Zu tief sind die Kontroversen in die Potsdamer Gesellschaft eingeschnitten, zu peinlich die Stadtbild-Argumente der Befürworter eines Gedenkturms und zu kontrovers die Fronten unter den Ablehnern. Aber dann wurde drei Tage vor dem Reformationstag mit einem Gottesdienst und einer aggressiven Konfrontation der Baubeginn des Turms gefeiert, und es hält mich nicht.

Ich kenne kein überzeugendes Argument FÜR den teilweisen Neubau, weil das Stadtbild ohnedies die Verbrechen von Nazidiktatur und DDR-Diktatur nicht abschütteln kann, weil die Stadt mit jedem Nachbau mehr zu musealisieren droht, zur Kulisse einer unaufrichtigen Fassade von Geschichtslosigkeit wird. Alte Kirchen sind reihenweise gemeuchelt worden, auch andere alte Gebäude. Neues ist auf historischen Gründen entstanden und mit historischen Stadtansichten kann man vielleicht Disneyland oder Rotenburg ob der Tauber erfreuen, aber nicht lebendige Städte. Und wenn wer glauben will, wie schön die Silhouette der Stadt einmal war, dann glaubt er das auch anhand eines Bildbandes oder mehrerer Postkarten. (Lies nach bei Italo Calvino: die Unsichtbaren Städte, München 1977, 36f. und in Bezug auf Potsdam: Birgit K. Seemann: Potsdam – Die schöne Unsichtbare, in Eisenhuth/Sabrow: Schattenorte, Göttingen 2017, 172-183) – es lohnt, sich mit diesem Blick auseinander zu setzen.

Dass einige Befürworter des Turmbaus es mit Versöhnung und gar Frieden ernst meinen, glaube ich ihnen (diese Einigen kenne ich zum Teil, und mit ihnen kann ich ernsthaft produktiv streiten). Aber die Protagonisten des Projekts sind Heuchler und bösartig dazu, oder sie sind naiv, oder sie verwechseln Ursachen und Wirkungen. Ich habe zwei Haupteinwände GEGEN den Neubau:

  1. Wer wagt es, wie Bischof Huber, der kindische Halloweenkritiker, den Opfern des Nationalsozialismus Versöhnung anzubieten? Die Opfer haben bestimmt nicht darum gebeten, den Tag von Potsdam 1933 für die Ewigkeit zu konservieren.
  2. Zu Recht kritisieren sozial engagierte Christen und andere sensible Menschen, dass die Kirche klagt, ihre Mitglieder liefen davon und sie hätte ohnedies für ihre Projekte kein Geld, aber dafür fließen Millionen, ebenso wie aus dem Leitkultur-Schuppen der Frau Grütters, wohl weil diese Kirche zum deutschen Kulturerbe gehört.

Ich kritisiere ausdrücklich nicht die Idee, ANSTELLE der alten Kirche ein Zentrum des Dialogs und der Streitkultur für den Frieden zu bauen. Aber den weithin sichtbaren Turm, einen Leuchtturm der Anziehung aller rechten, militaristischen und reaktionären Geschichtsinterpreten, als Gewinn für das Stadtbild zu feiern, ist ebenso pervers wie die Mutmaßung, aus diesem Isolani könne eine Stätte friedlicher Dynamik werden.

Zu 1.: da predigt ein Bischof den Willen zur Versöhnung mit Hilfe eines Monuments des Hasses und der Unmenschlichkeit (das war im Militarismus vor 1933 so angelegt, und später verfestigt – ob man das „wollte“, ist dem Narrativ der deutschen Geschichte egal: der TAG VON POTSDAM bleibt eingeschrieben in diese Geschichte, nicht Hubers Worte). Ich glaubs ihm sogar, dass er Versöhnung WILL, naiv genug ist er, dass er nicht sieht, dass ER  KEINE VERSÖHNUNG ANBIETEN DARF. Versöhnung ist nicht dasselbe wie um Verzeihung bitten. Das braucht er nicht, aber kollektiv könnte man das, indem man den Turm nicht baut. VERSÖHNUNG ist etwas anderes: die nachträgliche Abänderung von Geschichte jenseits von Schuld und Vergebung, um wieder frei handeln zu können. Und: welche Opfer wurden gefragt, welche Leistungen geben die Bauherren in den gemeinsamen Diskurs außer, dass sie ihren Willen erhalten und die Opfer ihre Bewunderung für den Turm äußern dürfen? Der Gott, der hier angebetet wurde, ist nach christlicher Lesart, also monotheistisch, auch der Gott Wilhelms, Hitlers und Hindenburgs. Darüber kann man mit Menschen gut sprechen, die dieser Annahme weitere zur Seite stellen, aber Steine sprechen nicht. Und wenn der Turm auch kein Gotteshaus mehr sein wird (man möchte sagen: Gottseidank!) dann wird er doch GarnisonsKIRCHE heißen…Als jüdischer Deutscher würde ich Versöhnung nicht annehmen, die mir von den Bauherrn angeboten wird. Und das ist nicht so dahin gesagt, dazu habe ich nicht Jahrzehnte mit dem Schicksal meiner Familie und vieler anderer Menschen mich auseinandergesetzt – übrigens in einem Deutschland, in dem man gut und mit Hoffnung auf noch Besseres leben kann. (Spottet dieses Satzes nicht, den so ähnlich auch Merkel gesagt hat, er ist genau so gemeint, wie er hier steht).

Die Pastorin der französischen Kirche, Frau Hilga Rugenstein, hat engagiert gegen den Neubau geschrieben, viel Zustimmung und ebenso viel Kritik erfahren. Eine aufrichtige und von mir geschätzte Befürworterin des Neubaus Saskia Hüneke, verwahrt sich gegen die gleichen Vorwürfe, wie ich sie oben erhebe (in 1.), aber in einem schwergewichtigen offenen Brief betont sie auch:“ Versöhnung kann man nur mit Wahrheit versuchen, das ist nun mal so. Tatsächlich hat die Sprengung Schmerz ausgelöst und es besteht das schlichte Bedürfnis, diese Lücke wieder zu füllen“. Sie bezieht sich auf die Sprengung der Kirche durch die DDR. Das war die Lücke? Über deren, der DDR,  Motive in einem recht fadenscheinigen Antifaschismus muss man sich im Klaren sein, aber der aus einer blöden und falschen Handlung entstehende Schmerz ist doch nicht der, den die SUBJEKTE der Versöhnung anstreben könnten, im besten Fall.

Versöhnung heißt, „ich versöhne mit der Realität als solcher, und gehöre nun dieser Realität als Handelnder zu. Das findet im Verstehen statt….(Hannah Arendt, Denktagebücher (1953), S. 331). Sehr viel früher, 1950, ganz entscheidende Überlegungen zur Versöhnung, auch als Anerkennung und Abfinden mit dem Gegebenen, S. 4ff. Mir ist das so wichtig, weil eine (in diesem Fall regressive) Betrachtung der Vergangenheit die Deutung verändern kann, aber niemals das Geschehene).

Genau dieser Schritt hat aber vor der Entscheidung nicht stattgefunden, Versöhnung wird nicht aus dem Verstehen angeboten, und wem? Ich unterstelle Menschen wie Saskia Hüneke nicht, was ich den Initiatoren und den meisten Befürwortern des Neubaus sehr wohl unterstelle: sie wollen sich mit sich selbst versöhnen, um nicht handeln zu müssen, vor allem denen gegenüber, die ihnen Versöhnung anbieten könnten. Die Schwäche meines Arguments ist, dass es sich nicht „beweisen“ lässt, außer vielleicht psychoanalytisch oder durch Selbstaussage. Die Stärke aber meiner Kritik liegt darin, dass nur damit zu erklären ist, warum die langen Diskussionen nicht zu einem umgekehrten Vorgehen geführt haben: erst Versöhnung und dann darüber reden, was an diesem Platz geschehen solle.

Das hat nichts mit den städtebaulichen Diskussionen zu tun, die sind mir an diesem Platz nachrangig.

Zu 2.: Die Pastorin Hilga Rugenstein und viele andere in Potsdam beklagen zu Recht, wie in den prekären Wohnvierteln, also nicht im Kulissenstadtbild, die Häuser, Schulen, Wohnungen, Spielplätze verfallen. Wie auch hier die weitere Spaltung der Gesellschaft voranschreitet. Dafür haben die Kirchen, die Kommunen, die Bundesbehörden kein Geld, oder zu wenig. Das Argument ist gefährlich, denn auch für mich hat Kultur in prekären Zeiten einen hohen Stellenwert und muss, darf etwas kosten. Ich spiele nicht soziale gegen kulturelle Gerechtigkeit aus (Schaut euch den Film „The Square“ an…). Aber geht es hier wirklich um Kultur?

Ein letztes. Ich werde ab jetzt zu dieser Kirche, die keine sein wird, nichts mehr schreiben. Die Welt fällt nicht gerade an der Breiten Straße in Potsdam in Stücke, und Handeln müssen wir anderswo. Aber es deprimiert, wie wenig weit wir mit der Versöhnung gekommen sind angesichts von Umständen, die es in unserem Land leichter hätten machen können als anderswo.

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