Linke Heimat

Linke Heimat gibt es nicht. Für die folgenden Überlegungen gelten für mich einige Regeln:

  • Die Rechts-links Koordinate ist außer Kraft, sinnlos, nichts-sagend
  • Die öffentliche Erörterung des Heimatthemas ist erstaunlich vielfältig und oft auch erhellend, aufklärend und irreführend. Ich werde dem nicht einen Metakommentar hinzufügen
  • Begriff und Kontext sind für mich seit vielen Jahren (Jahrzehnten?) ein bestimmendes Thema
  • Heimatlosigkeit und Kosmopolitismus sind ein Paar, und gerade deshalb nicht identisch

Warum hänge ich mich jetzt, am quantitativen Höhepunkt des Themas, an den Begriff?

Weil mir viele Aspekte zweifelhaft und viele Dimensionen fehlend erscheinen. Weil ich fürchte, dass viele auch kritische Kommentatoren nicht bereit sind, den Ernst der Lage – global, hier in Deutschland, vor Ort im kleinsten lokalen Detail – wirklich zu begreifen, d.h. sich auf diesen Ernst einzustellen. „Heimat“ verhält sich zur Gesellschaft, wie der „Glaube“ zur Religion. Die beiden hängen eng mit einander zusammen, sind aber weder identisch noch beliebig aus einander ableitbar.

  1. Der Heimatbegriff konkurriert mit vielen anderen, nächstliegenden Begriffen: Vaterland, Mutterland, oft auch Nation, und seltener vermittelt, „Zuhause“. Die jeweilige Geschichte dieser Begriffe muss historisch – meist aus der frühen oder späten Nationsbildung her rekonstruiert werden und ist kein ursprünglicher, „primordialer“ Begriff unserer Sprachbildung seit jeher.
  • Patria, das Vaterland, kommt von „Vater“ und setzt oft Heimat mit Herkunftsort gleich, aber auch der Patriot(ismus) stammt daher, die Loyalität zur … Nation, zum Staat, zur Volksgruppe (Ethnie), seltener zur Religionsgemeinschaft, und ost nicht reflektiert in der Ambivalenz von Ethnos und Demos (wie z.B. ganz aktuell in Russland und den USA – einmal die „Russen“, einmal die „Whites“).
  • der à Bund Heimattreuer Jugend im Nachkrieg von Deutschland und Österreich ist eine späte NS Organisation, wobei sich seine Qualität aus dem Begriff „treu“ und nicht von Heimat ableitet. Dafür gibt es viele Beispiele bei AfD, Pegida, FPÖ… und bei ganz und gar nicht rechten Befürwortern einer Leitkultur. Treue zu einer realen Vergangenheit: Naziterror, Sowjetmacht, Weltherrschaft (Briten, Römer…) oder zu einer imaginierten (Ewig siegreich, ewig Opfer, ewig überlegen, ewig Trash….).
  • Speziell Deutsch ist der Heimatbegriff durch die verspätete Nationsbildung geworden und sehr stark über Sprache (= verengt „Kultur“) vermittelt. Beispiele für Heimat als den Ort, wo man die Muttersprache spricht, gibt es viele, auch aus neuester Zeit, z.B. beim serbischen Anspruch auf die Krajna oder die neuen Südtiroldebatten).

Schluss der Belehrung. Vieles spricht dafür, dass der Begriff stark mit der von Ernst Bloch beschriebenen Ungleichzeitigkeit von Zukunftsphantasien und Vergangenheitmythisierung zu tun hat (à einfach: https://de.wikipedia.org/wiki/Ungleichzeitigkeit;genau Ernst Bloch: Erbschaft dieser Zeit, 1935. Vgl. dazu die Schriften von Burghart Schmidt, Michael Daxner, oder, zitatenreich: den Bloch-Blog von Welf Schroeter).

Gefährlich wird Heimat, wenn sie juridifiziert, dogmatisiert, vergöttlicht wird (Idiotie eingeschlossen: Patria o muerte…in allen Sprachen).

2.

Mein Heimat-Begriff ist in der Tat von Ernst Bloch geprägt: „Die  Wurzel der Geschichte aber ist der arbeitende, schaffende, die Gegebenheiten umbildende und überholende Mensch. Hat er sich erfaßt und das Seine ohne Entäußerung und Entfremdung in realer Demokratie begründet, so entsteht etwas, das allen in die Kindheit scheint und worin noch niemand war: Heimat“ (Das Prinzip Hoffnung, Bd. 3, Frankfurt 1959/1968, S. 1628). Das ist der Abschluss eines grandiosen philosophischen Werks, aber auch ein doppelter Hinweis: auf die reale Demokratie und auf die Kindheit. Will sagen: Heimat entsteht durch die reale Demokratie, und hier kommt das Volk ins Spiel, das sich demokratisch aus der Bevölkerung konstituiert: eine Bevölkerung für sich hat noch keine Heimat. Und Kindheit: da gibt es doch die Erinnerung – in manchen Diskussionen klug benutzt: Erinnerung an ein Zuhause, das die Bilder und Vergleiche mit allen späteren menschlichen und lokalen Landschaften prägt. Beides fehlt mir oft in den vielen klugen Aufsätzen und Kritiken zum Thema Heimat.

3.

In den liberalen Medien wird Heimat häufig in Zusammenhang mit Identität, mit Zugehörigkeit verbunden und dann oft zutreffend so beschrieben, wie diese Heimat an Kontur, an „Mitte“, an Zentrum versus Peripherie verliert. Das ist aber eben nur ein Teil der Heimat.

In unserer Studie zum Afghanistankrieg und seiner Rezeption in Deutschland (Heimatdiskurs, mit Hannah Neumann, Transcript 2012) weisen wir auf Spezifika des deutschen Heimatdiskurses ebenso hin wie die neue Wendung im angelsächsischen Begriff der Homeland-Politik. Homeland ist nicht ein das Vaterland, das es zu schützen und zu verteidigen gilt (vor wem? Gegen wen?), sondern auch die Zuweisung von Lokalität an eine beherrschte Gruppe – eng verwandt dem Konzentrationsbegriff, den die Briten wohl erstmals gebraucht hatten, die Nazis in ihren Konzentrationslagern aufs Schrecklichste verwirklichten, und die Nazipartei FPÖ in Österreich für Flüchtlinge anwenden will. Darum geht es mir nämlich auch: die Beherrschten und die Herrschenden, wir und sie, die Eigenen und die Fremden…Und da fehlt mir in vielen der liberalen Analysen das Gegenstück, der entgrenzte, aber keinesfalls konturlose kosmopolitische Ansatz, dass Heimat einerseits das erinnerte Zuhause und andererseits der ortlose Zustand ist.

Von der Versuchung, sich selbst der Heimat zu bemächtigen, sind linke und grüne Politiker nicht frei, weil sie der Rechten ein Gegenstück servieren wollen. Das geht aber nicht. Denn weder der Austausch blödsinniger Werte und Tugenden der rechten Leitkultur eines de Maizière durch bessere und sinnvollere schafft Heimat: er schafft bestenfalls Programme; noch die Formulierung eines emotionalen und rationalen Behältnisses für Staatsbüger*innen, wo diese sich zuhause fühlen können, um von dort aus das Hier und Dort, das Eigene und das Fremde definieren zu können. So wie die bayrische Herdprämie Käfighaltung von Müttern bedeutet, so ist ein nicht-rechter Heimatbegriff nur ein Placebo für nicht verwirklichte Demokratie, für den nicht in Anspruch genommenen, d.h. politikzugängliichen, öffentlichen Raum, für das richtige Leben im falschen….

Ich bin nicht dort zuhause, wo man deutsch spricht, ich fühle mich nicht dort zuhause, weil man deutsch spricht. Ich fühle mich auch noch nicht dort zuhause wo ich eine andere Kultur verstehe. Zuhause bin ich, wenn ich Differenzen der verschiedenen Kulturen, Sprachen, Kontexte verstehe und auf mich selbst rück-projizieren kann, also z.B. meine Kindheit s.o. auf das hin aufrufen, was aus mir geworden ist und warum.

Heimatverlust ist nicht Vertriebenwerden. (o ihr Schlesier und Sudeten und Preußen…aus den geraubten Gebieten vertrieben werden und gar durch artfremde und nicht deutschblütige Andere. Ich weiß, wie kompliziert das ist, aber wenn die Schlesier sich im Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten nach 1945 gesammelt hatten, durfte man nicht aufrufen, dass der böse alte Fritz im 18. Jhdt. Schlesien den Österreichern nicht viel anders geraubt hatte als Putin die Krim, nur in einem aufwändigeren Krieg….ach, das ist lange her? Wenn der Nazi Höcke Rassenkunde betriebt, dann meint er das nicht exterministisch…ach, das verstünde sich in der Demokratie von selbst, und schließlich würde die AfD ja das Grundgesetz achten, zugleich mit Pegida…Es ist ein Irrtum, links wie rechts, zu glauben, dass Heimat dadurch saniert würde, dass sie in der Demokratie stattfinde, und es nicht darauf ankomme, was an Demokratie, Rechtsstaat, Menschenwürde und Menschenrechten man selbst ernst nähme. Links, hält man oft die Demokratie auch schon für gegeben und zieht sich gutmeinend aus ihrer ständigen Kritik zurück, sie in der Form, die es jetzt gibt, in Frage zu stellen.

Flüchtlinge wollen und können sich eine Heimat schaffen, bei uns, wenn sie an dieser Demokratie mitarbeiten. Dann sind sie wie unsereiner. Ist es zu weit gegriffen, wenn ich zweimal die hebräische Bibel zitiere: „Seht, der Mensch ist geworden wie unsereiner, er kann gut und böse unterscheiden“ (Gen.3:22)? Hegel meinte schon, das sei, weil der Mensch denken kann, wir gehen da noch weiter, aber sei es drum: Demokratie wird erst verwirklicht sein, wenn wir das unterscheiden wirklich folgenreich in allen Dimensionen können…dazu fehlen überall Meinungsfreiheit, Konfliktkultur, Ambiguitätstoleranz etc. – mit andern Worten, wir sind noch nicht so weit, deshalb kennen wir die eine Seite der Heimat besser als die, wo noch niemand war. Und die andere Heimat, das gute Leben auf Erden, wo eben Wolf und Lamm zusammenleben (Jesaja 11 und 65): das ist heimtückisch, weil es auf die höhere Macht verzichten muss, die die Wölfe keinen Hunger auf Lammkotelett zu haben anweist, und das Lamm soll anderen gut schmecken als seinen Feinden…Dazu bedarf es keines Wunders, sondern der Politik.

5.

Heimat ist kein schlechter Begriff. Auch kein guter. Er ist, wie alle wichtigen Begriffe, kontextabhängig und bedarf einer gesellschaftlichen Beziehung.

Ich war einmal ein paar Jahre Mitglied der österreichischen Pfadfinder. Da gab es viel abwegiges Liedgut, zusammengewürfelt aus Wandervogel, Jugendbünden, auch aus faschistischer und manchmal sozialdemokratischer Quelle. Hier nicht so wichtig, weil man das dekonstruieren kann. Es gab da ein Lied: „Drum immer höher, immer weiter, wir sind schon viel zu lange hier, es bleibt die Sehnsucht uns Begleiter, und alle Welt ist uns Quartier“. Höher und weiter ist geographisch, nicht olympionikisch gemeint. Weiter…das kann man auch mit Schuberts Winterreise verbinden, weiter…man muss (aus)wandern, man kann nicht bleiben (obwohl, vielleicht weil, es wie Heimat ausschaut?). Sehnsucht…ersetzt das Wort einmal durch Zukunft und geht zu Bloch zurück: zur Erbschaft dieser Zeit und zum zitierten letzten Satz aus dem Prinzip Hoffnung. Das „es“ bildet den Kontext, und wenn die Zukunft nicht besser werden kann als das Jetzt der Erinnerung, bleibt Heimat eine Chimäre.

6.

Allenthalben betreibt die Kultur einen riesigen Aufwand, die „Gereiztheit“ literarisch zu verarbeiten (Weidermann), das Ungenügen an der Gegenwart zu erklären („abgehängt“ und „ausgegrenzt“, unbeheimatet, fremd im eigenen Land…). Ich kanns nicht mehr hören und lesen. Man fühlt sich fern der Heimat und die liegt in der Vergangenheit? Alle Welt ist uns Quartier, weil sie es muss, nicht weil wir es wollen. Das gilt für die Essener Tafel so gut wie für die Glücklichen, die sich in den USA einen deutschen Pass aufgrund der schrecklichen Vergangenheit beschaffen können und vielleicht auch bei uns Quartier nehmen, wenn die dortige Gesellschaft kippt.

Zurück an den Anfang: Zuhause. Das ist immer der Ort, an dem jeder das Recht, Rechte zu haben, verwirklichen kann. Das konnten wir als Kind, dahin aber gibt es kein Zurück. Und das können wir, wenn wir die Grundlage dafür schaffen, dass wir es mit allen anderen können. Was dabei herauskommt, wissen wir nicht, aber wir müssen nicht aus Fremde nach der Heimat barmen.

Die Grünen hatten vor ein paar Monaten einen Parteitag „Zukunft wird aus Mut gemacht“. Schön, wir sollen mutig, couragiert, engagiert sein…Drehen wir den Satz um: „Mut wird aus Zukunft gemacht“. Viele Flüchtlinge kommen aus Ländern, in denen es weder eine Perspektive auf Zukunft gibt, noch bisweilen einen Begriff davon. Wenn die zu uns kommen, erkennen sie hier Heimat ein Stück weit besser als  die Nazis, die mit unserer Demokratie spielen.

 

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