Deutsche und Europäische Nazis: Sagen was ist

Ich werde immer wieder ermahnt, die Verbrechen der Nazis (genauer: der deutschen Nazis) nicht dadurch zu verharmlosen, dass ich die AfD und die FPÖ ebenfalls als Nazis bezeichne. Ich weise diese Kritik natürlich mit dem Argument zurück, dass ich ja nicht eine Gleichsetzung  der Nazis an der Macht mit den jetzt agierenden Nazis mache, sondern vor der Machtergreifung 1933 gab es ja auch Nazis, Faschisten und autoritäre Ideologien – nicht nur  in Deutschland. Die Neuauflage dieser Bewegungen erleben wir heute, und sie sind manifest, dokumentiert und vielfältig.

Ich wollte zum Holocaustgedenktag 27.1. schreiben und wurde dadurch unterbrochen:

Study finds Holocaust revisionism rampant in EU’s East

The study raises concerns about Poland, Hungary, Croatia and Lithuania.

By Lili Bayer ( https://www.politico.eu/article/anti-semitism-revisionism-holocaust-study-finds-holocaust-revisionism-rampant-in-eus-east/?fbclid=IwAR1DUtEw8TGGc9xMU16EuISWPZp9DLttrrdqhkhuGWzGoI1OAYgQFcGc7FQ#superComments ) 27.1.2019

Die Schuld und Mitschuld von anderen  verkleinert nichts an den deutschen Verbrechen, aber sie verkleinert auch nicht die Mitschuld. An den in der Studie genannten Ländern kann man das genauer studieren. Im Diskurs geht die Feindeslinie seit ewigen Zeiten immer um die Dialektik von Kollektivschuld und individuellem Anteil. Wie anders als Dazwischen ist die Wahrheit?

*

Der heutige Gedenktag wird „offiziell“ begangen, d.h. der Staat stellt seine Raison dahinter und nimmt die Deutung der Shoah kollektiv für die Nation in Anspruch. Wenn solches nicht zum Ritual erstarrt – was manchmal tut – ist das in Ordnung und legitim. Dabei spielt für mich eine große Rolle, dass aus der Erinnerungskultur allmählich ein Element des gesellschaftsbildenden kulturellen Gedächtnisses wird, das eben die Grundlagen unseres sozialen und politischen Selbstverständnisses bildet. Genau dieses wird von den Shoah-Revisionisten angegriffen.  Widerstand ist angesagt, aber auch Reflexion der eigenen Abkürzungen.

Wenn der bedeutende Volkhard Knigge, Leiter der Buchenwald Gedenkstätte, die AfD vom Erinnerungstag aussperrt, weil sie sich nicht vom Nazi Höcke distanziert, ist das richtig und notwendig, auch wenn die AfD Parlamentarier „demokratisch“ gewählt sind. Das ist keine Schwachstelle der Demokratie, sondern eine ihrer offenen Flanken, die wir in den Grenzen des Rechtsstaats dulden und verteidigen müssen. Höcke fördert ja nicht nur den Revisionismus, er fordert ihn ausdrücklich,  und auch aus dem parlamentarischen Raum heraus.

Wenn die Gewerkschaft der Polizei von AfD-Kandidaten für den Landtag Thüringens eine Distanzierung von Höcke fordert, ist das zu wenig und falsch. Sie dürfen für eine Nazi-Partei kandidieren – und ich soll ihnen auf Verlangen meinen Ausweis zeigen oder ihnen gar auf Fragen  die Wahrheit sagen? Hier geht es nicht um die Dialektik von Rechtsstaat und Widerstand, sondern um die Form des Widerstands.

*

Abseits der ganz aktuellen Ereignisse der letzten Tage wollte ich eigentlich etwas anders herangehen, bin nur durch diese letzten Meldungen etwas abgelenkt worden:

Können wir das Thema (Holocaust, Shoah, ewiger oder beendbarer Antisemitismus) auch jenseits der Zeitzeugenkultur wachhalten, sollen wir das, oder kann die von vielen bekämpfte Historisierung nicht so gar etwas positives bewirken? Die Frage treibt mich seit Jahrzehnten um, weil am Beispiel meiner Familie und der Dokumente aus ihrem Umkreis und vielen anderen Quellen die professionelle Beschäftigung mit der möglichen Antwort auf die Frage immer kompliziert wird, je älter ich werde. Ich bin die erste Generation nach der Shoah, geboren im Jahr der Gründung Israels, und mit dem Defizit, sehr viele Mitglieder  meiner Familie nie gekannt zu haben – hier liegen  Parallelen und Unterschiede zu denen, die ihre Angehörigen „im Krieg“ verloren haben, als Soldaten, Bombenopfer oder durch Hunger. Das“Grab in den Lüften“  (Paul Celan) ist keine Kriegsgräbergedenkstätte.

Die zweite Problematik, auch für mich und verallgemeinert, ist die Frage, was am Antisemitismus 2019 neu ist, so neue, dass man darauf hinweisen muss. Zunächst: nach 1945 hat es auf der Welt mehr als 6 Millionen jüdische Menschen weniger gegeben.  Von diesem reduzierten Stamm hat sich einiges jüdisches Leben wieder und weiter entwickelt, aber da fehlen doch welche, und etwas?

Die dritte Problematik ist die freche, aber immer klüger verpackte Phrase von der Mitschuld der jüdischen Menschen an ihrem Schicksal, das eben heute Antisemitismus und Israelkritik heißt, wobei letztere nicht Kritik an der israelischen Politik ist und ersterer nicht wirklich weiß, wovon er spricht, aber umso schlimmer: die immer wieder stattfindende Neuerschaffung von „Juden“[1] durch den Antisemitismus war meint Thema und ist es heute umso mehr, als die Methode der fremdenfeindlichen Rassisten ja nicht nur jüdische Menschen, sondern die Ethnien von Flüchtlingen, Fremden, Zuwanderern usw. genauso oder ähnlich überfällt. (Deshalb mache ich seit Jahren Forschungen zur Diaspora von Afghan*innen[2], und viele Analogien zum Antisemitismus, aber auch zum Verhalten der afghanischen Gemeinschaft machen mich alert).

Dass sich die Reaktion auf diesen Antisemitismus oft in spiegelbildlichen und analogen Reaktionen auf andere ethnisch, religiös oder sozial ausgrenzende oder ausgegrenzte Gruppen äußert, ist nicht nur bedauerlich, es muss kritisiert und dekonstruiert werden. Aber woher das alles kommt??

Ich nehme drei, mit einander nur schwach oder komplex verbundene Ansätze:

  • Mein Freund Aron Bodenheimer hat mit mir die These ausgearbeitet: „Nur wer vergessen will, darf sich erinnern“, d.h. dass die Opfer ja nicht zwangserinnert werden müssen, an das überstandene Leiden, vor allem wenn es von den Tätern zu deren Selbstversöhnung an sie herangetragen wird (lest bitte die Blogs zur Garnisonkirche Potsdam zu diesem Thema);
  • Nicht nur jüdische, auch andere aufgeklärte Intellektuelle halten die „Rechten“, v.a. die Antisemiten, wegen ihres Rassismus und Fremdenhasses für dumm, unwissend oder primitiv. Falsch, der Median an Intelligenz war bei den Nazis nicht anders als bei ihren Gegnern. Sie haben nur ihre Gewissensbildung und Ethik anders polarisiert als aufgeklärte, empathische Menschen (was übrigens zur Überheblichkeit linker Antisemiten gegen die rechten führt);
  • Dass es jüdische Islamophobie gibt,ist angesichts des Nahostkonflikts ebenso unsinnig wie vordergründig verständlich: die arabischen Länder rund um Israel und die Palästinenser als Inbegriff des Islam zu verstehen ist ungefähr so dumm wie Kapitalisten als jüdisch herauszuheben; verständlich insofern, als ungebildete oder fanatischhe Jüdische Menschen, wie alle andern Menschen, Religion als quid pro quo, als Platzhalter für Herrschaftsideologien missbrauchen.
  • Dass sich jüdische Menschen von ihrer Umgebungskultur „desintegrieren“ sollen oder sollten, ist eine gewagte These einer bestimmten Unzufriedenheit mit der Übernahme der Geschichtsbilder der Tätergesellschaften, als ob es zwischen der Shoah und heute nicht drei Generationen gegeben hätte;
  • Und schließlich die Engführung des Erinnerns durch die pädagogische Lehrbeispielkultur, die nicht funktionieren kann, weil die Einzigartigkeit der Shoah, gewiss sie, nicht ausschließt, dass es vergleichbare Genozide und unfassbare Grausamkeiten auch anderswo und in Zukunft geben kann. Des sind die jungen Menschen einfach leid, weil es ja nicht stimmt.

Und was mache ich heute? Ich werde zu einer der vielen Veranstaltungen gehen, zuhören, bedenken was vor mir im Bücherregal vor dem Schreibtisch sich an Zeugnissen und Erinnerungen findet. Ich bin der Letzte, der das in meiner Familie weitergeben kann, und was meine Enkel und Urenkel damit anfangen, werde ich bald nicht mehr wissen. Innehalten in der dauernden Beschwörung des Nichtvergessensollens wäre eine gute Übung am heutigen Tag. Eine andere ist, sich doch den Holocaustleugnern zuzuwenden, du verstehen, was es kostet, Geschehen ungeschehen zu machen und damit zu verhindern, dass Versöhnung jemals geschieht[3].

Auschwitz ist vorbei, aber nicht zu Ende. Künstliche Metadiskussionen wie bei Menasses Hallsteinrede in Auschwitz oder Würgers Stella können dem kritischen Bewusstsein förderlich sein, aber die Shoah wird sich nur mehr diskutieren lassen, wenn die empirischen Bestimmungsstücke nicht im Zentrum eines Bewusstseins stehen, das sich nicht mehr erinnern kann.

Update: nachmittags.

Eine Veranstaltung im ehemaligen Stasi- und KGB-Knst, der vordem ein Nazi-Erbgesundheitsgericht war. Passende Reden, eben das zu erwartende Seil, gespannt zwischen absterbender Zeitzeugenkultur und der kommenden Zeit aufsteigenden Geschichtsbewusstsein. Viele Vertreter*innen der kommunalen Politik, Geschichts- und Bildungsgemeinschaften, eben „Honoratioren“ (ohne bösartige Ironisierung), nur: bei fast 80 Teilnehmer*innen sogut wie niemand aus dem städtischen Bürgertum, sozusagen nur aus Interesse. Das ist ein Sieg der Geschichtsvergessenen.

 

 

 

 

Daxner, M. and S. Nicola (2017). Mapping and report on the Afghan Diaspora in Germany. Berlin, GIZ/PME.

Daxner, M. and S. Nicola (2018). Die afghanische Diaspora in Deutschland t.b.p., AA (German Foreign Office).

Lipstadt, D. (2018). Der neue Antisemitismus. München, Piper.

 

[1] M.D.  Der Antisemitismus macht Juden. Hamburg: Merus 2006

 

[2] Daxner, M. and S. Nicola (2017). Mapping and report on the Afghan Diaspora in Germany. Berlin, GIZ/PME, Daxner, M. and S. Nicola (2018). Die afghanische Diaspora in Deutschland t.b.p., AA (German Foreign Office).

[3] Lipstadt, D. (2018). Der neue Antisemitismus. München, Piper.

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