Ich bin aus bestimmten Debatten innerhalb meiner grünen Partei ausgestiegen, weil sie irrelevant für die Politik der Partei sind, aber den Keim von Spaltung und Verwirrung in sich tragen, und, wie ich behaupte, durch einige wenige (<10) Spoiler Unheil anrichtet. Auch sind dauernde Drohungen über netiquettierende Moderation oder die ungezügelte Freiheit und Gleich=Gültigkeit jeder Aussage nervig, weil man – also die bereits offen liegenden Diskurse – sehr viel weiter sind. Ich verzichte auf jede Namensnennung und persönlich sind mir die Spoiler so unerheblich wie unsympathisch. Politisch kann ich so irren wie alle anderen auch, aber ich bestehe darauf, dass es mehr als Laienverstandes bedarf, um politische verallgemeinernde Aussagen zu treffen, wir sind eben nicht die Gelbwesten oder Sarah Wagenknecht. Um es klar zu sagen: die Grüne Partei ist in ihrer offiziellen Politik, in ihren Diskussionsprozessen und im Umgang mit Realität und Diskurs sehr viel weiter, aufegklärter und geschlossener.
Anhand von zwei Debatten will ich mein Unbehagen zunächst verdeutlichen: Lieblingsthema der Spoilergruppe ist der Nahostkonflikt, der schon einmal auf zwei Linien zusammengekürzt wird: Israel vs. Palästina, und Legitimität der russischen Politik zur Unterstützung von Assad. Die erste Linie zeigt bei einigen deutliche Anzeichen auch eines tiefwurzelnden linken Antisemitismus (den sogar Saul Friedländer im Bundestag beim Namen nennt, der mir aber regelmäßig um die Ohren fliegt, wenn ich keine Namen lebender linker Antisemiten nenne, weil es ein Strukturproblem ist, das seit den Anfängen der Arbeiterparteien besteht). Wir haben keine „rechten“ Antisemiten in unserem Umfeld, aber die Nähe der Argumente zu Lasten Israels und, auf der zweiten Linie, zugunsten Russlands in Nahost zeigen sprachlich und ideologisch eine bedenkliche Nähe zur AfD. Gerade weil ich gar nicht allein in der Kritik der israelischen Besatzungspolitik und der Aushöhlung des einzigen Rechtsstaats in der Region durch die derzeitige Regierung und ihre populistischen Anhänger bin, gerade weil ich das als jüdischer Mensch geradezu als meine Pflicht erachte, bin ich auf das antisemitische Substrat der Israelkritik besonders empfindlich. Hier wird sowohl historisch als auch in Bezug auf die Gegenwartsdiagnose ein Kurzschluss an den anderen gereiht, und vor allem werden wie bei einem „Mühlespiel“ dauernd die historischen und die aktuellen Befunde hin und hergeschoben. Ich habe mich, wie ich denke: redlich, über Jahre bemüht, mit Unterlagen, Hinweisen, Literatur, und vor allem mit meiner Kenntnis der Situation die Politik zu erklären, und vor allem die moralisierende Israelkritik, die einen antisemitischen Kern hat, abzuwehren (ohne dass es so ausgesprochen wird, hat die immer den Unterton, die Juden müssten es doch besser wissen/machen…). Dass viele der Israelkritiker gerade hier mit dem Völkerrecht argumentieren, ohne davon wirklich viel Ahnung zu haben macht es noch schlimmer: denn was Russland (und die Türkei und Assad und die USA und Iran…) in der Gegen aufführt, hat mit Völkerrecht so viel und so wenig zu tun, wie mein zweiter Beispielfall: Venezuela. Nur noch zum Nahen Osten: was versäumt wurde, eine Intervention, ggf. auch bewaffnet, der UNO, um den Aufstand gegen Assad zu unterstützen und den IS zu bekämpfen, würde völkerrechtlich jedenfalls sicherer gewesen sein als alle anderen Lösungsvorschläge seit 2013.
Zweite Linie: Bei Venezuela ist die Sache zugleich komplizierter und ganz einfach… Es ist selbstverständlich nicht richtig, wenn Trump eine Kette von Unterstützern nach sich zieht, die den neuen Präsidenten anerkennen und den Diktator Maduro abservieren wollen; d.h. ihn abzuservieren, ohne Krieg und Bürgerkrieg, wäre richtig, kann aber nur durch die Bevölkerung UND eine nicht durch Partikularinteressen gebildete internationale Vermittlung geschehen. So einfach, so kompliziert. Russland kann hier völkerrechtlich sauber argumentieren, dass die Souveränität v.a. durch die USA gefährdet wird – und zeigt damit auf sich selbst, auf den Überfall auf die Krim, auf die Besetzung der Ostukraine, durch die aktuelle Bedrohung der baltischen Staaten. Anerkennung ist ein völkerrechtliches Mittel, militärische Drohung oder Erpressung keineswegs. Die EU hätte zu beiden Positionen Äquidistanz üben können. Venezuela ist potenziell unendlich reich. Das macht den Unterschied zum Donbass. Die Einsätze aller Akteure sind entsprechend höher. In der Diskussion hat Omid Nouripour in zwei knappen Absätzen alles zusammengefasst (am 24.1.2019, Grüner Pressedienst), was man sagen kann. Darüber hinaus kann man unterschiedliche Meinungen haben, die man auch austauschen kann, aber im politischen Raum haben sie zur Zeit wenig Gewicht. Das gilt zu den Nahostmeinungen erst recht, die ich oben angesprochen habe.
Es ist gerade fünfzig Jahre her, dass alle Linken in Ost und West, und ihre Theoretiker, das Entfernen von Diktatoren als edle revolutionäre Aufgabe im Sinne der Dekolonisierung gefeiert hatten. Faktische koloniale und postkoloniale Abhängigkeiten erzeugen mehr Innenpolitik als transnationale Abhängigkeiten es erscheinen lassen. Und da gilt plötzlich das Nichteinmischungs-Gebot? Erst die UNO schwächen und dann beklagen, dass Nationalisten wie Trump und Putin, Brüder im Geiste, analog handeln.
(An dieser Stelle spätestens setzt dann ein didaktischer Sturm ein, der mir aber hundert Gegenbelege gegen diese und andere Behauptungen vor die Füße wirft. Ob ich diese oder jene Stellungnahme, Aussage oder Fakten nicht kenne. Hier ist nicht der Platz zur Kritik des vereinfachenden Konstruktivismus. Ein wenig wissen sollte man schon, und ein wenig erklären können, warum man was weiß. Aber was soll’s? In einer Zeit der Abwertung von Verträgen, einer Überhöhung des Völkischen (das anstelle des Volkes tritt, bei Russen, Amerikanern, Deutschen, Italienern, Türken und und und) kann man nicht entlang der einfachen Linien rückwärts gewandter Utopien argumentieren (Heute im DLF Interview „War es dann nicht doch im Kalten Krieg besser?“). Sagt mir jetzt einer: in der Aufzählung fehlen die Chinesen. Ja, die fehlen, weil ich dort eine eher unsichere staatsdiktatorische als völkische Politik vermute, die ich anders erklären muss; weiß ich zu wenig Innenpolitisches).
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Zurück zum Anfang. Mit den aktuellen Aufregern verschwinden die kurz davor hektischen Diskussionen. Es gilt „der Terror der Aktualität“ (Carl Amery). Man darf sich ruhig gegenüber der vorletzten Aussage widersprechen, die gibt es ja kaum mehr im fixierten Gedächtnis von Debatten.
Politik aber ist die Veröffentlichung eben der Resultate dieses Gedächtnisses und ihr Abgleich mit der Wahrnehmbaren, beobachtbaren, deutbaren Realität. Ihr Sinn ist die Freiheit, das sagt nicht nur Hannah Arendt. Aber ihre Praxis ist nicht Freiheit, sondern Befreiung, (im besten Sinn; oder eben ihre Verhinderung) und die Befreiung ist kein Punkt, kein Ereignis[1] sondern ein immer wiederkehrender Prozess (den kann man zu Recht dialektisch nennen). Nun kann man kurz sagen, dass es ohne Wissen kein Gedächtnis gibt. Man kann auch sagen, dass die moralische Abkürzung noch keine Legitimation für die Akteure schafft, sondern nur für die Interpreten, die Diskutierer. Natürlich brauchen wir die politische Ethik, die Moral unseres Handelns etc., aber die Moral kann nicht Machtverhältnisse durch bloße Urteile ersetzen.
[1] Dazu kann man Bahman Nirumand zur Ablösung der Shah-Diktatur durch Khomeini lesen).