Finis terrae XXXVIII

Prag vor 52 Jahren, vor einem Lebensalter.  Hans Meissner, mein Lehrer und Mentor, später Freund,  hat immerhin noch 40 Jahre weiter erlebt. Er war mit mir in Prag, wir haben die Rückkehr der Regierung aus der Zukunft in die stalinistische Vergangenheit drei Tage vor dem sowjetischen Einmarsch erlebt.

Nichts geht mehr, es ist nicht die Wiederkehr des Gleichen, sondern die Beständigkeit eines sich ständig verändernden Reagenzglases, das seine Form mit dem Chaos im Inneren leicht mit verändert, aber weder zerbricht, noch grössere Risse zeigt. Die Wiederkehr der Sklaverei ist keine, sie war nie weg; die Wiederkehr der „unmittelbaren Herrschaft“ ist keine, der Pöbel war immer da, wie ein schlafender, oder manchmal blinzelnder Drache; nur der Fortschritt der Kritik ist wahrscheinlich in dem Maß deutbar, in dem das Reagenzglas des Erdplaneten Alterserscheinungen zeigt. Ich ertrage nicht, wenn man diesem eine optimistischere Deutung abverlangt, weil es darum gar nicht geht. (Sie kommt aus der –> Hysteresis, einer Zeit, in der wir noch an einen bestimmten Fortschritt gegen die irrationale Reaktion zu glauben vermochten; jetzt ist es der Welt, dem Klima, schon ziemlich egal, ob wir unsern Habitus ändern wollen, weil es immer schwieriger wird, es zu tun.  Vor allem muss man infrage stellen, ob das WIR die Gleichung = Menschheit erträgt, oder ob wir wie die Splitter der Schneekönigin einzeln vergehen, weil das Kollektiv nicht reparierbar ist.

Das ist kein Widerruf der Politik und Handlungsanleitung zur Hoffnung, aber eine grausame Bestätigung, dass Hoffnung nicht Zuversicht sei und sein könne, und statistisch, ‚positiv‘, haben wir schon verloren. Und wir haben die Möglichkeit, Macht auszuüben und gute Politik zu machen, an die abgegeben, die immer mit Gewalt die Unwahrheit durchsetzen wollen, nicht einfach über fake news, sondern mit dem unsinnigen Glauben, einen so genannten Gott auf ihrer Seite zu haben, der in ihre irdische Gewalt nicht eingreift, aber vorauseilend schon die Richtigen bestrafen lässt….ob evangelikal oder nationalistisch, ob unaufgeklärt-libertär oder mit dem Kadavergehorsam, denen Denkverbote noch die bessere Alternative erscheinen – egal. Wenigstens zum guten Teil haben wir diese Macht abgegeben.

Warum das so ist zu erklären, ist meine Sache nicht (dazu habe ich weder Lebenszeit noch richtig Lust, etliche philosophische und andere aufgeweckte Geister können hier Lorbeer erwerben).

Wozu noch weiter Politik machen und Widerstand leisten?, schon eher. Das Gedankenexperiment fragt, ob Resignation ein Instrument zur Unterwerfung der Menschen unter die angewendete Gewalt sein kann; also ob das Wegducken die Leidenszeit unter den Schlägen des Regimes bzw. der Systemkomponenten verkürzt. Ob wir wollen oder nicht, wir landen immer beim Camus’schen Sisyphos, mit der Ausnahme, dass wir uns nicht als glückliche Menschen selbst vorzustellen brauchen oder vermögen. Wir wollen nicht, klar. 

Jeden Morgen, beim Einschalten meines PC Netzwerks, sehe ich ca. 20 Nachrichtenblöcke, die fast ausnahmslos in diese Richtung gehen: da, hier, dort muss etwas geschehen, wir wissen in welche Richtung, wir wissen, was man dazu braucht…dass etwas geschehen muss, ist eine Art Abwälzen auf ein unbestimmtes „Man“, das handeln soll. Wenn es uns einbezieht, wird es politisch,  risikoreich, prekär. Die Wiener Dialektik steht gegen Hegel: Es muss etwas geschehen – da kannst eh nichts machen.

Wir können und sollen keine Attentate auf alle die machen, die „weg müssen“; diese Erkenntnis ist einfach (sie trennt Leidenschaften von Interessen, wie Hirschman gesagt hätte). Die Personalisierung von schlechten Systemen ist zwar oft eskalierend, aber sie ändert am System nichts grundsätzliches. Und der Freund, der mich am Vergleich von Seehofer mit  Globke gehindert hat, verstärkt das mit dem Hinweis, dass und wie Institutionen jenseits der Person ein System stützen oder stürzen können, das Oberste Gericht in Polen oder die Post in den USA). Wie man die Driver wegbekommt, ist eine Frage der Politik und des Zusammenwirkens, nicht des Helden.

Wir können und sollen nicht alles verbieten, wovon wir wissen, dass es uns schadet, von lauten Motorrädern bis zu Sojaimporten aus dem Amazonasbecken. Aber welche Verbote wir erzwingen müssen, ist Teil der Politik, die nur durch öffentliche Auseinandersetzung Profil gewinnen kann. Meinungen sind nur ein kleiner Teil der Freiheit (an die leugnenden Shoah-, Corona- und Impftrottel gewandt)

So wichtig es ist, Verantwortliche für Teile der jetzigen Situation ausfindig zu machen, sozusagen diejenigen, die die Eissplitter der Schneekönigin verbreiten oder weiter abkühlen, so unsinnig ist es, eine Hierarchie der Schuldigen zum Maßstab allen Handelns zu machen. Wer ist schlimmer, Trump oder Xi oder Putin, oder…wen bekämpft man zuerst, Orban oder Erdögan oder Kaczynski oder den NSU-lastigen Verfassungsschutz….? Das ist falsch gedacht, denn diese Aushängeschilder der Fehlentwicklung, widerlich allesamt, sind meist nur die Charaktermasken, die getragen werden von dem, was bisweilen als Pöbel, als white trash, als dumpfe Volksmasse, als IS, … erscheint, aber im konkreten Fall immer von dem mit bestimmt ist, wo sich Einzelne im obigen Reagenzglas gerade befinden. Nur sind die gewalttätigen Herrscher bisweilen so über-mächtig, dass ihnen die Zuckungen der Plebs egal sein können und sie immer neue Nahrung in ihrer Rhetorik gegen die Eliten finden; jener Eliten, die nicht selten Aufklärung und Vernunft gegen formale Demokratie setzen.

(Das ist ein Widerspruch, den es in den USA nach 1776 50 Jahre lang gegeben hat, bevor diese Gegnerschaft umgekippt war; es gibt ihn in allen demokratischen Republiken bis heute, was ja einige zu Populismus von links=demokratischer Seite rufen lässt). Demokratie gegen Vernunft hat schon einige seltsame „Repräsentanten“ wählen lassen.

Was also tun? Denkt an Sisyphos. Man muss nicht glücklich sein, um das Richtige auch konsequent zu tun.

*

Warum mich das umtreibt? Viele Bücher und Stellungnahmen namhafter Wissenschaftler*innen geben oft überzeugende idealtypische Lösungen vor, von denen man begeistert sein kann, bis ihnen vergleichbare Lösungen für Probleme in anderen Systemen in die Quere kommen. Beispiel: vegane Küche im großen Stil, mit Soja aus kolonial angebauten Sklavenbetrieben als Kompensation für unterlassenes Fleisch; Beispiel: Home Office in all seinen widersprüchlichen Komponenten; Beispiel: die unaufschiebbare Klimapolitik, die immer wieder unterbrochen wird durch den Terror der Aktualität (Améry) unmittelbarer Probleme (Corona, aber auch Wirtschaftskrisen). Beispiel: der oben genannte Verfassungsschutz, der den Rechten Vorschub keistet, uns rund um die Uhr überwacht, und auch fremde Hacker von unseren Iphones fernhält. Und ich versuche, diese Ratgeber auf hohem Niveau zu vereinbaren, zu verdauen, und erzeuge doch nur Paraphrasen ihrer Konzepte.

Die Alternative ist die geheuchelte verständnisvolle Analyse, die nie zur Praxis kommt, und deshalb immer alles „ganzheitlich“ auffassen kann, wobei ganzheitlich das Gegenteil eines idealtypischen Konzepts ist, weil es alle Gegensätze und Widersprüche mit einer Vorstellung zuklebt, die ungefähr so realistisch wie die ursprünglichen Schöpfungsmythen ist. (Dann greift man zur Religion, die Ganzheitlichkeit simuliert, indem sie die Dogmen auf den Ganzen Gott projiziert, den wir eben nie ganz begreifen werden, und uns deshalb dem Glaubensdogmatismus unterwerfen).

Ein wenig war das die Diskussion um und in Prag im August 1968 und danach bei uns. In Prag haben die Demokraten und die  Aufklärer gehandelt, haben ihre Differenzen im politischen Handeln aufgehoben, – und sind von den dummen Kommunisten entsetzlich verprügelt worden, mit Narben bis heute. Die meisten von denen, die ich damals kannte, vor allem im Neuen Forum Wien, leben nicht mehr. Der Kampf gegen die Erinnerung ist in allen Gesellschaften nicht einfach ein Geschäft der Postmoderne, sondern eine fatale Politik, mit dem „Here and Now“ nicht nur Vergangenheit, sondern auch Zukunft auszublenden (Klimawandel, Leben der nächsten Generationen“. Now here = nowhere, ein alter Kalauer mit größerer Wirkung (William Morris 1890; Brigitte Wormbs 1977).

Die duckmäuserische Unmoral der deutschen Sucht nach Unterwerfung, wenn man nicht gerade diktiert, ist in diesen Tagen ein Zeichen für diese Zukunftslosigkeit der eigenen Weltbetrachtung. Wenn ich dem die Erinnerung, zum Beispiel an Prag 1968, entgegenstelle, dann fordere ich zum handeln auf, was auch darin besteht, andere vom Handeln zu überzeugen.

(Nur keine Rezepte, denn die gibt es ja schon; sie zu begründen, sozusagen auszuprobieren, ist die Küche des politischen Widerstands). 

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