Die Igel und die Bäume sterben an der Trockenheit – bei uns. Wascht wenigstens eure Autos. Man hat die Hiobsbotschaften und Szenarien des Untergangs satt. Alle gehen wieder arbeiten, die Monatslöhne werden wieder überwiesen und das Kurzarbeitergeld aufgestockt, die Kondensstreifen nehmen wieder und am diktatorischen Strand von Antalya wie am Ballermann entlädt sich die Volksseele.
Glücklich ist, wer vergisst, was doch nicht zu ändern ist. (Die Fledermaus)
Die coronare Sterberate ist doch mit der Pest des Mittelalters so wenig zu vergleichen wie mit dem HIV Ausbruch Ende der 70er, und überhaupt, es muss doch weitergehen. Das Volk will seine Seele zurück, wer am Straßenrand zurückbleibt, hat es entweder nicht besser verdient oder ist selber Schuld. Währenddessen widmet sich die Politik ihren Hausaufgaben (z.B. Wahlrechtsreform, äh, wisst ihr, worum es da geht: dass die Zahl der unbeschäftigten Bundestagsmitglieder reduziert wird, dass also weniger, dafür aktivere übrigbleiben), oder dem Dilemma im Umgang mit Russland (man möchte ja Nordstream, aber nicht Nawalny), oder endlich einmal Außenpolitik machen, mit wem auch immer.
Eigentlich ist doch alles nicht so schlimm.
Wenn doch die Diktatoren und ihre Aftermieter auch zu dieser Einsicht kämmen, schlaraffig setzt sich das Immergleich fort bis in eine Unendlichkeit, wo man sich wieder des kühlen Klimas abgeschmolzener Gletscher erfreuen kann, sollen doch die nächsten Generationen Ananas an den Polkappen bauen.
Die Verblödung der Spezies wird wahlweise den sozialen Medien, der Überbevölkerung, dem zu vielen Fressen und Saufen oder der mangelnden Bildung derer zugeschrieben, die über die Zeitläufte nachzudenken die Zeit und die Muße haben. Und so klug in Einzelgesprächen und Kultursendungen eine Erklärung gegeben wird – philosophisch, psychologisch, zeitdiagnostisch – so wenig nähert sich solche Einsicht dem wirklichen Eindringen in eine Endzeitkulisse, in der „es sich halt so weiter lebt“.
Aber es lebt sich nicht.
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Ich lebe, andere leben. Noch – das ist nicht trivial. Lest „finis terrae“ immer einmal nach. Noch leben wir, und es geht nicht darum, unseren Mitmenschen eine schlechte Unendlichkeit zu vermitteln, sondern unsere sehr begrenzte Zeit auszudehnen, für unsere Kinder, Enkel, oder „nur so“,wäre ja schön, wenn dieser Erde länger so bliebe; verglichen mit den Staubsternen ist sie doch ganz gut, auch ohne uns.
Leider geht das nicht einfach mit gutem Willen und Herzenswärme. Ein wenig nachdenken muss man schon, und dann wird es Politik, nicht Meinung. Und da wird es düster, jetzt 2020…
Wer glaubt, hier setzt sich eine Fastenpredigt fort, irrt.
Die Gesellschaft, unsere deutsche Gesellschaft, verhält sich wie im Taumel des WIEDERAUFBAUS nach der Zerstörung durch den Krieg, es wird eine Zukunft um den Preis der kollektiven Verdrängung von (jüngster und weiter zurückreichender) Vergangenheit anvisiert.
Ich zitiere eine längere Passage des wohl besten deutschen Nachkriegsautors, W.G.Sebald:
(Ein bestimmtes Bewusstsein) „…erweist sich bei näherer Betrachtung als ein auf die individuelle und kollektive Amnesie bereits eingestimmtes, wahrscheinlich von vor bewussten Prozessen der Selbstzensur gesteuertes Instrument zur Verschleierung einer auf keinen Begriff mehr zu bringenden Welt“ (W.G.Sebald: Luftkrieg und Literatur, München 1999, S. 18).
Ja, ich vergleiche die Coronazeit mit dem Nachkrieg. Alles redet, manches handelt von der „Rückkehr zur Normalität“, der Wiederankurbelung der Wirtschaft, dem Einfinden des individuellen Ich in eine Gemeinschaft, die vor allem durch ein Tabu gegenüber der jüngsten Vergangenheit gekennzeichnet ist. (Wenn eintritt, was man erhofft, wird man stolz auf die Leistungen verweisen, die das Leben nach der Pandemie so viel schöner darstellen als es vorher gewesen war). Nur, wie war das Leben vor der Pandemie?
In dieser geschichtslos herbei zu regierenden Zukunft sind sich alle einig, während sie sonst vor den Diktatoren und alternativlosen Strukturen kuschen und kriechen. Wird der Klimawandel wirklich bei sinkenden Infektionszahlen politisch ernst genommen? Verweigern wir uns den Sanktionen i-m Innern und Äußeren nur deshalb, weil wir zu schwach und zu konfliktscheu uns selbst gegenüber sind? Klar, wenn wir uns darauf einlassen, jetzt zu handeln, kann das nicht in der Zukunft beginnen, wenn das BIP wieder den Stand von 2019 erreicht hat.
Wir können uns nicht damit zu begnügen zu erkunden, woher das Virus diesmal kommt und wer anfangs an seiner Verbreitung „schuld“ war. Das ist auch typisch Nachkrieg. Es wäre angezeigt zu bedenken, was es mit uns und wir mit der Situation gemacht haben, nachdem wir das immer nur zwischenzeitliche Ergebnis wahrgenommen haben.
Das Decamerone des Boccaccio (ca. 1340) zeigt, wie man die Zeitläufte kritisch reflektiert, gerade wenn man sich gegen die Regeln des Zusammenlebens vor der Seuche wendet; die Erzählungen sind ja Zeitdiagnose und -kritik, nicht Zukunftsvision. 1945 und danach war so eine privilegierte Flucht ins befreite Refugium der Reflexion und der Lust am Leben nicht mehr so einfach. Da verdrängte der Drang zur Wiederherstellung die Herstellung einer besseren Welt.
Auch die Aussage, nach Corona wird es nie mehr so wie vorher, ist unsinnig, weil es ein „nach Corona“ so wenig geben wird wie ein „nach der Pest, nach HIV, nach Fukushioma, etc…“. Ja, nach dem Erdbeben kann ich aufräumen, wieder und besser aufbauen. Da muss es sich aber reflektieren lassen, das Erdbeben, ich baue gegen die Geschichte auf, darum muss ich sie kennen, und dazu auch mich.