Hitler. Stalin. Putin

Es gibt – nicht nur deutsche – Geisteswissenschaftler, Historiker, Gescheite eben, die uns klarmachen, warum man Putin NICHT mit Hitler vergleichen soll. Warum Hitler und Stalin auch ganz unterschiedliche Systeme regiert haben. In Deutschland, dem Kombinat zweier untergegangener deutscher Staaten, hat dieser Diskurs einen besonderen Beigeschmack, kein G’schmäckle.

Im letzten Monat hat man die Bestie des Antisemitismus anhand der Documenta durchs Dörfchen getrieben, jetzt geht es um Karl May Winnetou, und wenn schon der deutsche Wald stirbt, dann waschen wir unsere Autos wenigstens, um nicht aufsehen zu erregen.

Das hat natürlich seine Gründe. Wir, dieses „Wir“ der gebesserten, der geläuterten Deutschen, lassen die Verbindungen zum Nationalsozialismus bestenfalls in der Wissenschaft, vielleicht noch in marginaler Kunst und Literatur, aber doch nicht im Alltag erlebbar, wirklich weiterleben, zumal wenn wir das im Westen doch bis zum Überdruss praktiziert haben; der Nachholbedarf der ehemaligen Ostdeutschen wird eher in Richtung auf Stalin geschoben, und zwischen dem und Hitler gabs doch wirklich keine Parallelen.

Ich denke, der Vergleich MUSS sein, auch und besonders um die Differenzen deutlich zu machen, aber auch die Parallelen. Und in diesem Vergleich darf, kann, soll man nicht Putin zugestehen, mit 500 Jahren, jedenfalls mit 200 Jahren Geschichtsfälschung zu operieren, wenn wir hier bei uns bestenfalls das Verhältnis zu Russland mit Bismarck beginnen lassen, oder mit dem Ersten Weltkrieg und schon gar mit dem Zweiten, und am besten mit 1989, wo sich der Osten befreit hat, damit ihn der Westen retten konnte.

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Ihr merkt, ich bin ungehalten. Putin verkauft seinen loyalen Russen den Angriff auf die Ukraine als einen a) gegen die Nazis, die nach seiner Auffassung sich besonders gelungen der Juden bedienen, b) gegen die Ungläubigen, dabei hilft ihm der Uhrendieb Kyrill, damit endlich wieder Gott ins Spiel kommt, c) gegen ein Land, das kein Staat ist, weshalb das Abschlachten auch kein Krieg ist, d) gegen den Westen, den es so wenig gibt wie umgekehrt den Osten, und e) gegen die Minderheit im eigenen Volk, die ihm in diesem National Bolschewismus so wenig folgt, wie damals eine Minderheit an Deutschen dem National Sozialismus gefolgt sind.

Zu a) muss man die Geschichte des russischen Antisemitismus, verstärkt durch b) die Rolle der orthodoxen Kirche, nicht nur in Russland, studieren, c) ist eine von vielen Geschichtsfälschungen, mit denen Diktaturen ihr Volk mürbe machen, mit mehr oder weniger Erfolg, auch die kleinen Tyranneien spielen da mit, wir haben solche in der EU und als Verbündete, d) wird gerne von den Liberalen bei uns bemüht, denn da ist ein Kalter Krieg auf dem Vormarsch, da kennen wir uns aus. Erinnert ihr euch, ich habe vor ein paar Monaten gesagt, entweder sind wir auch im Krieg und Teil desselben, dann gelten andere Regeln als wenn wir im Frieden uns als Vermittler zwischen am Aggressor und dem Opfer anböten; ich denke, wir SIND im Krieg; und e) ist eine Fortsetzung der hunderte Jahre langen Diktatur, von Gorbatschow zu kurz unterbrochen, und da unterscheiden wir uns heute in der Tat von den Diktaturen ausgeprägter Art.

Dass Putin mit dem Nazivergleich und dem Nazivorwurf sich rechtfertigt, verschafft ihm einen diskursiven Vorteil, weil wir – der demokratische Westen – ja das Unikat des Nationalsozialismus, noch mehr als jeden Faschismus‘, beanspruchen, daher Putin sozusagen eine strukturelle Differenz zu seinen Gunsten hat. Dass das Blödsinn ist, wissen wir, aber Deutschland ist in dieser Frage zu Recht oder zu Unrecht leise, zu leise. Denn wir haben uns am Faschismusbegriff und vor allem dem Faschismuskonstrukt der DDR sehr lange abgearbeitet, auch um unseren demokratischen Exzeptionalismus (jetzt sind wir WIRKLICH geläutert und gebessert) unter Beweis zu stellen (was überhaupt nicht nötig wäre, denn die Praxis bewiese es besser als jeder Diskurs).

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Ich habe schon mehrfach auf die Drei-Mächte-Konstruktion in Orwells 1984 hingewiesen. Ja, ja, ich weiß, die USA sind anders als Russland und China und die beiden sind auch nur teilweise analog. Aber, siehe oben, man MUSS vergleichen. Und sehen, worin sie sich ähneln und worin nicht. Man kann auch zur eigenen Unterstützung Hannah Arendt lesen, und wirklich genügend Vergleichsmaterial aktuell heranziehen.

Aber das bedeutet auch, die Toleranz der Friedenszeit nicht zum laissez-faire in Kriegszeiten herunterzuwirtschaften. Die Morde der Russen bei uns und in anderen Ländern, die Massaker jenseits der „Militäroperation“, das Verschleppen von Menschen in unmenschliche Verhältnisse, massenhaft, alles das lässt sich schon seit langem, jedenfalls seit Stalin und Hitler mitsamt ihren Satelliten, detailliert verfolgen und beschreiben (für irgendetwas muss auch die digitale Wahrnehmungspolitik tauglich sein).

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Nun werden einige einwenden, sie würden ja in der Schuldfrage ohnedies die gegenwärtige Hauptschuld Putin geben, nur die Anlässe seines Schuldigwerdens hätten wir, der Westen mitverursacht. Das war auch jahrelang ein gutes Entschuldigungsargument zur Begründung, warum die Nazis so erfolgreich waren. Aber wenn sie das konzedieren, dann könne man doch verhandeln. Als Kriegspartei können wir eigentlich nicht wirklich verhandeln, bzw. als was sollten wir verhandeln? Unsere politischen Oberschichten sind TEILWEISE, nicht alle, diejenigen, die die Feuersteine für die Brandstiftung durchaus mitgeliefert haben, übrigens natürlich unter Zustimmung des so genannten Volkes, das jetzt die kalte Jahreszeit mehr fürchtet als den Bombenhagel (die haben noch immer eine etwas veraltete Kriegsberichterstattung im Sinn, die ja nicht weit weg ist von dem, was die Russen in der Ukraine anrichten). Darum wird der Zustand nicht wirklich zu Ende ausgeleuchtet, nur ein wenig…

Wieviel Land, Menschen, Schicksale sind diejenigen bereit, Putin zu opfern, bei ihrer Münchner Konferenz, nur damit die Russen befristet Ruhe geben?

Ich weiß schon dieser Vergleich macht manche wütend, andere sprachlos. Egal.

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Egal vor allem, weil wir uns aus unserer ÖlGas-importrolle nicht als ernstgenommene Friedensstifter entpuppen können, ohne auch die jüngere Geschichte der Bundesrepublik nach 1989 kritisch zu beleuchten, etwa die Benachteiligung der baltischen Staaten und der Ukraine bei den Verbindungen mit Russland.

Was tun? Mich fragt niemand und darum sage ich dazu nichts. Aber ich kann etwas zu Kultur und Ethik sagen. Es muss im Krieg nicht immer und überall scharf geschossen werden, um die Wahrheit sichtbar zu machen. Und das kann jeder von uns, denke ich, im Alltag auch ohne darüber mit anderen als den Betroffenen zu reden.

Nachsatz: ich denke, man macht sich schuldig, wenn man Putin nicht mit Hitler vergleicht.

Ein Gedanke zu “Hitler. Stalin. Putin

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