Kein Wahlkampf

Alle (?) machen Werbung für ihre Parteien, viele haben Mitgliederzuwachse, die großen Demonstrationen gegen die AfD und Merz sind menschenstark, nur Lindner kritisiert sie, die Rechten brauchen keine Veranstaltungen, sie beherrschen TikTok, und man fragt sich, was man übersehen hat, wenn man sich ein Urteil zum Wahlkampf bilden möchte. Nicht einfach mit einer vorschnellen Meinung auf Söders Kirchenschelte und Lindners Leihstimmenabwehr und Merzens vorgeblicher AfD Abwehr und und und…reagieren. Einmal keine Prognose machen, weder selbst noch bei andern abschauen. Die Prognosen beeinflussen das Wahlverhalten auch, aber das nur nebenbei. Nehmen wir einmal an, die kommenden Wahlen sind tatsächlich eine Entscheidung, für eine reformierbare Demokratie und Wirtschaftspolitik, oder gegen eine demokratische Weiterentwicklung in Richtung auf undemokratische Umstrukturierung von Politik. Beides gibt es, auch anderswo, die Tendenz gegen die Demokratie ist stark in der EU und demnächst in Österreich und vielleicht Deutschland, aber auch eine Revision für eine neue, erweiterte Demokratie ist möglich. Es steht schon was auf dem Spiel. Dass sich ein Hindenburgdammhirsch Lindner gegen hunderttausende DemonstrantInnen ausspricht, zeigt vielleicht seinen Tiefblick, wer weiß?, oder es zeigt seine weltabgewandte Denkschwäche, wer weiß? Dass die Grünen und die AfD an Mitgliedern gewinnen, sagt verschiedenes, aber bitte in welche Richtung? Dass vor allem die Rechten auf die Medien einschlagen, sagt nichts über eine linke Mediendominanz aus, aber viel über das Selbst-verständnis angeblicher Kritik.

Soweit verfolge ich das Wahlgerede heute und mache es nicht lächerlich, sondern behandle es wie einen Vorhang, hinter dem sich die Wirklichkeit mit der Wahrheit arrangiert. Wir können ja unsere Entscheidung, für diese oder jene Partei zu stimmen, die eine oder die andere jetzt noch mit Geld oder Hilfe zu unterstützen, noch einmal genauer durchdenken. Was wird sich für uns, für mich ändern, wenn die einen oder die anderen verlieren oder gewinnen oder wenn sie so oder so koalieren? Was hat das mit mir zu tun? Keine triviale Frage, wie man an den neuen Diktaturen in Osteuropa, in der EU erkennt. Was verändert sich in den neuen Faschismen für die demokratischen Minderheiten. Im Alltag, nicht nur mit Blick auf die übergreifende Politik. Wie sieht mein Tag unter einer rechts-radikalen Regierung aus, wie sehen meine Abend-veranstaltungen aus, und was verschwindet aus der Kulturwelt, analog zum Verschwinden von Lebe-wesen und Pflanzen aus der Natur? Diese Analogie ist mir wichtig. Was weg ist, dem kann ich nachtrauern, aber ich kann es nicht mehr verändern und es kann mich nicht verändern. Wir wissen, wer dieses Ausrotten damit verklärt, dass ja etwas Neues dafür, anstatt, kommt. Das aber ist gelogen. Und ihr wisst es.

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Müde kehrt man diesem Spiel um Rechtfertigung der eigenen Entscheidungen – und indirekt doch: Lebensweisen – den Rücken. Was soll ich tun? Keine Frage an einen jenseitigen Richter, sondern an meine Umgebung und auch an mich. Keine Ratgeber und Belehrungen bitte. Lasst die Frage einfach einmal auf euch einwirken und spielt ein Spiel: es darf immer nur eine Antwort geben, die bleibt dann lange erhalten, also keine spontanen Antworten, sondern nachgedachte, sagen wir: bis zum Morgengrauen. Das ist für viele Notleidende, Flüchtlinge, Hungernde, Wohnungslose etc. eine lange Zeit. Für uns nur eine kurze Unterbrechung. Nur: so sicher, wie man uns einredet, sind auch wir nicht. Das kann auch hilfreich sein, wenn wir Partei ergreifen, und den nächsten Schritt wählen, der ja nicht einfach eine Partei ist.

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