Wir leben noch in einer ganz passablen, funktionierenden Demokratie. Wenn man Demokratie nicht so abstrakt hochjubelt, dass sie einem nie den Standard erfüllt, landet man bei Robespierre oder bei den Wortklaubern der Gegenwart. Aber natürlich gibt es bei uns eine Menge zu verändern und zu verbessern, aber vor allem zu korrigieren.
Kennt Ihr Marilynne Robinson? Autorin, Essayistin, politische Stimme? https://de.wikipedia.org/wiki/Marilynne_Robinson
Man kann aus der Biographie lernen, wieviele Elemente, widersprüchlich da zusammen kommen, um eine Meinung anzufertigen, die auch verstanden werden kann. In diesen düsteren Zeiten gibt sie einen kurzen, scharfen Einblick in die Situation der USA, eigentlich auch global. „Notes from an Occupation“, NYRB LXXII, #11, S.28-29.
Sie beschreibt konkret die Strukturen von Diktatur und nicht (mehr) vereinbarem Kompromiss. „I am proposing, of course, that America is, at present, an occupied country“. Das müssen sich die um Trump herumschwirrenden Beschwichtiger schon klar machen. Und sie folgert „Democracy cannot decline far without ceasing to be democracy“. Das sollten die sich klar machen, die auch bei uns aus falschen Gründen Abstriche von Freiheit (Misshandlung von Fremden und Asyl), der Umwelt, Sozialem und Kulturellem machen. Wir sind von den USA abhängig, aber sie sind nicht unsere Verbündeten. Dass wir von anderen Diktaturen nicht abhängig sind und sie natürlich auch nicht mit uns verbündet sind, ist klar. Dass manche Diktaturen von uns teilweise abhängig sind, sollte uns mehr beschäftigen.
Robinson zerlegt vor allem die Innenpolitik, richtig so, denn an ihr kann man die Struktur der Diktatur besser ablesen. Zu meinem letzten Blog und etlichen davor passt das, weil es für uns (fast) alle, sagen wir: für uns politisch gebildete Laien, leichter ist, Innenpolitik auch zu beurteilen, zu kritisieren und zu verbessern. Natürlich kann man zur Außenpolitik mehr als nur eine Meinung haben, das ist aber oft schwieriger. Nur zu.
Die Gefahr der Reduktion von Demokratie ist auch bei uns, in Europa, weltweit groß – und oft stehen größere Diktaturen kleineren gegenüber, und wer nimmt dann für wen Partei?
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Gehen wir zurück zur Kritik an der Konzentration auf Rahmen und begriffsarme Worte, Drecksarbeit, was gegen diesen Begriff spricht, ist eine komplexe Bildungsfrage. So wie die Kleidung und Frisur von politischen Größen ideologiekritische Nachträge provozieren, so sind Begriffe wie Drecksarbeit ein Instrument der Überbrückung von Unsicherheit.
Ich hatte VOR der Amtsübernahme der Regierung Merz davor gewarnt, schon ex ante Urteile über die Praxis – Form und Inhalt – von politischen und gesellschaftlichen Aussagen zu veröffentlichen. Und hatte Recht behalten. Lasst die Regierung einmal arbeiten. Und? Was denkt ihr heute? JETZT kann man Kritik üben, an Personen, an der Komposition der Regierung, an ihrer Leitung. Interessant, wie niedrigschwellig Kritik ausgeteilt wird. Das müsste für meine wissenschaftlichen und moralischen Schwerpunkte zweitrangig sein. Aber für meine Beobachtung der gesellschaftlichen Meinung ist es schon deprimierend, entscheidungsfähige Aussagen, die für die Herstellung von verbreiteten Meinungen wichtig sind, unter den Teppich zu kehren. Und erst jetzt kann ich allmählich das Profil der Regierung, die Handlungen von Merz % Co. bewerten. Aber wen interessiert meine Meinung, und diese Frage habe ich verallgemeinert. Wer sind die politischen und moralischen Empfänger meiner Positionen? Richtig ist die Antwort in Richtung Allgemeinbildung, aber darüber hinaus sind natürlich schon die Form, die Begriffsbildung, die Querverbindungen wichtig – darum schreibe ich ja auch solche Blogs. Und die Reaktionen dafür und die Antwort auf diese Reaktionen machen ja die Blogs mehr als nur einen Rekurs auf meine eigene Meinung.
Jetzt schließe ich an Marilynne Robertson an. Sie meint ja begründet, dass die politischen Gegner in der Demokratie Brücken über ihre Differenzen bauen müssen, sonst geht die Demokratie bergab. Und nicht nur in den USA sind die abgebrochenen Brücken ein Zeichen für die entstehende Diktatur. Wenn euch das übertrieben erscheint, dann denkt die deutsche Geschichte zurück. (Als Österreicher kann ich auch zurückdenken). Wenn die Diktatoren die Macht ergriffen haben, ist es gleichgültig, ob das demokratisch befördert wurde oder nicht…und DARÜBER sollten wir reden.