Überall in Demokratien gedenkt man der Opfer des Hamas Überfalls vom 7. Oktober 2023.
Das ist richtig so – und hinterlässt doch mehr als nur ein unruhiges Gefühl. Wie ist es zu diesem grausamen, kaum je erlebten Massaker gekommen?
Ich frage mich selbst, warum mich die Vorgeschichte des 7. Oktober so wenig verlässt wie mein eigener, wirklicher Schrecken. Warum diese Geschichte auch nur andenken, wenn Netanjahu die Macht über Gaza und die Hamas entglitten war?
Lest erst einmal: https://en.wikipedia.org/wiki/Israeli_support_for_Hamas (7.10.2025). Unschärfe und Details möglich, die Hauptlinie stimmt. Aber dann muss man auch untersuchen, warum und wozu viele konservative, nationalistische und ultra-religiöse israelische Strömungen den Likud (Partei) und andere Entwicklungen schon lange vorher betrieben haben. Lest auch die Geschichte der Gaza Verhandlungen 1948f. (Ich gehe nicht in die Vorkriegszeit zurück, aber meine Kritik am britischen Kolonialismus bleibt bestehen). Wiederum: es muss nicht alles im Detail mitgetragen werden, aber man muss das Zwischenkapitel: „Das Gaza-Plan-Zwischenspiel“ im 10. Kapitel „Lösung des Flüchtlingsproblems…“ bei Benny Morris genau lesen, um etwas von der Vorgeschichte zu verstehen (Benny Morris: Die Geburt des palästinensischen Flüchtlingsproblems, Hentrich&Hentrich 2024, original 2004, überarbeitet). Und dazu gehört natürlich eine Vorgeschichte seit der letzten Jahrhundertwende und vor allem ab 1936, und dazu gehört die Selbstständigkeit des Staates Israel und der freimachende Krieg 1948, und dazu gehört die Vorgeschichte der jüdischen Gegner des Zionismus und der britische Kolonialismus, und dazu gehört….
Wenig davon erklärt oder gar begründet die unmenschliche Grausamkeit der Hamas am 7. Oktober 2023 und die Vorbereitung darauf.
Die fatale Täter-Opfer-Rotation der Kritik an Hamas und an der israelischen Reaktion darauf verkürzt nicht nur Wissen und Bewusstsein, sondern auch die moralischen und ethischen Positionen, die nicht mit einer Wahrheit umgehen dürfen, ohne Gerechtigkeit – für alle Situationen und nicht linear – an die Begründung der eigenen Position und Interessen zu stellen. Dazu reicht Benny Morris natürlich nicht aus, da muss man schon tiefer in die Geschichte des Zionismus in allen Spielarten, der Gegner des Zionismus etc. graben – und die Geschichte der Palästinenser genauso genau verfolgen, wenn man es aufgrund der zugänglichen Quellen so genau kann.
Wiederum: Wenig davon erklärt oder gar begründet die unmenschliche Grausamkeit der Hamas am 7. Oktober 2023 und die Vorbereitung darauf.
eine Überschrift bedeutet keine Leerstelle: Gedenken hat nur Sinn, wenn es wirkliche Menschen und die Ursache und Folgen ihres Leidens und Sterbens betrifft. Strukturelles Gedenken ist eine gängige, oft folgenlose politische Entmenschlichung. Die Bedenken sind zahlreich, etwa die Kritik an oder Erlaubnis zu Demonstrationen der propalästinensischen Aufmärsche, die sich auch antisemitisch ausbreiten, und mit dem antisemitischen, genauer, judenfeindlichen Substrat der Geschichte zusammengehen. Auch die ambivalente, doppeldeutige, manchmal -züngige jüdische Position zur Situation des Kriegs von Netanjahu (cum et sine Trump) und seiner teils faschistischen, rechtsradikalen Regierung kann man nicht geglättet als Reaktion auf den 7. Oktober einfach hinnehmen. als jüdischer Mensch kann ich das nicht, als Jude bleibt mir nichts anderes übrig?! Diese Differenz bestimmt zur Zeit viel an meinem Denken, Fühlen und also Leben.
Und so würde ich mir heute wünschen, dass die Menschen bevor sie öffentlich werden, nochmal Amos Oz, David Grossmann, Zeruya Shalev, aber auch Omri Boehm, Tom Segev, Ron Leshem, Joseph Croitoru, und auch Herzl und seine Tagungen lesen (ich weiß schon, das geht nicht an einem Tag, aber doch?!). Zu manchem Leid kann man nur Schweigen. Und darf nicht heucheln. Das gilt auch für jeden von uns selbst, gar nicht so einfach.
Danke für den Link. Ich dachte mich könnte kaum noch etwas überraschen, aber im Grunde ist es gar nicht so überraschend. Ich werde mir die Leseempfehlungen einmal notieren und sehen, dass ich die Zeit aufbringe, tiefer einzusteigen.
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