Man bekommt leicht Ärger, wenn man bestimmte Glaubenspositionen in Zweifel zieht. Eine bestimmte Form von Pazifismus bezeichnet sich selbst als links, und nimmt diese Marke als richtige Plattform für politische und moralische Aussagen für sich in Anspruch. Ich habe das immer bekämpft, weil der Anspruch eine Kontroverse provoziert, die unnötig, aber destruktiv ist: wer gegen die tatsächlich eingenommenen Positionen von „links“ ist, ist dann was? Rechts, konservativ, wenn es um Frieden geht gar militaristisch? (Ist man dann einr echter Militarist?)
Ein Beispiel für missverstandenes „links“ ist der Pazifismus selbst, dessen Geschichte eher eine von Gewalt und Gegengewalt ist. Ein Irrtum linker Rhetorik ist, dass die illegitime Gewalt immer in irgendeiner Form bewaffnet auftritt, und der Frieden ohne Waffen geschaffen werden muss/kann. Empirisch sind alle Befreiungsbewegungen auch mithilfe von Gewalt aufgetreten und erfolgreich/erfolglos gewesen, und nicht jedes illegitime Regime hat seine Herrschaft (bloß) auf Waffengewalt gestützt, oder (bloß) auf Folter und Gesinnungsterror, ebenso wenig wie die Befreiungsbewegungen auf diese Instrumente durchgängig verzichtet haben.
„Links“ bin ich selbst genug, um das sozialpolitisch, kulturpolitisch, ethisch hinlänglich zu begründen, stärker an Marx, Bourdieu, Hannah Arendt oder Bloch orientiert als an irgendeiner so genannten sozialistischen Staatserfahrung. Aber Widerstand gegen falsche Politik, in diesem Fall gewaltsame Außenpolitik (bestimmte Interventionen) oder Innenpolitik (Abschiebungen von Geflüchteten) ist nicht links, auch nicht rechts. „Richtig“ wäre der Widerstand durch die übergeordneten Prinzipien zu beschreiben, die einem zu politischen Handeln bewegen, also aus der kommentierenden in die aktive Rolle bewegen. War Ghandi links? In gewissem Sinn nein. War der Vietcong pazifistisch? In gewissem Sinn ja. Das kann man erklären, analysieren usw. Worauf es mir ankommt, ist die Rhetorik und den rechthaberischen Duktus der richtigen Fraktion innerhalb politischer Bewegungen zu dekonstruieren.
Wie die Beispiele der Marx-Gedenkfeiern zeigen, gibt es bei „linken“ PolitikerInnen ein Unbehagen: Marx‘ Theorien seien nicht für Gräuel des Kommunismus verantwortlich (Wagenknecht), aber sie seien konstitutiv für die Sozialdemokratie (Nahles). Beides stimmt, hat aber mit links nichts zu tun. Links kann eine bestimmte Sozialpolitik sein, ein bestimmtes Gesetz, ein bestimmter Rechtsrahmen, wenn man links als generischen Begriff für Solidarität, Gerechtigkeit, Republikanismus und demokratische Verfahren versteht. Aber es gibt eine Menge von Herrschaftsformen, die das eine oder andere Produkt durchsetzen, das wir für richtig erachten, das aber keineswegs alle vier Bestimmungsstücke enthält. Und die müssen natürlich immer wieder aus den Konflikten und ihrer Regulierung neu entstehen. Womit wir beim „Frieden“ sind. Innerhalb meiner eigenen politischen Gruppe strebe ich immer an, Frieden nicht als existenzielles Ziel oder eine Vision anzusehen, sondern als temporäres und bestenfalls zeitweise nachhaltiges Produkt von Konfliktregulierung. Die kann, muss aber nicht, gewaltsam erfolgen – Frieden schaffen, nicht herbeireden… – und sie kann das Ergebnis von Kompromissen sein, die nur wenig mit den vier genannten Prinzipien zu tun haben.
(Ein Einschub: man kann diese Prinzipien erweitern, kein Problem, wenn es in Richtung Gender-Gleichheit, Minderheitenschutz, oder noch prinzipieller Überleben im Sinne der Klimapolitik geht. Man kann diese Prinzipien auch durch Ausbildung bestimmter Tugenden, erhaltensweisen, versuchter Habitusänderungen herbeizuführen. Aber lassen wir es bei den einfachen Prinzipien, die auf einem Primat der Freiheit beruhen, über die Umstände friedlichen Lebens zu verhandeln und dabei seine eigenen Position, auch Macht- oder Ohnmachtspositionen, deutlich zu machen).
Wenn jetzt über Krieg & Frieden diskutiert wird, dann ist die Frage nicht so sehr was wünschbar ist, sondern welche Konfliktregulierung angestrebt und gemacht werden soll und kann. Die kann nicht abstrakt – ich sage oft böse „vom Sofa aus“ – gefördert werden, sondern muss sich in der eigenen Sichtbarkeit und dem Ausgesetztsein der wirklichen Machtstrukturen sozusagen anbieten, um als Partner in der Friedenspolitik wahrgenommen und akzeptierbar zu werden.
Ein Beispiel, subjektiv: meines. Wenn ich in der Flüchtlingsarbeit mich für von Abschiebung betroffene Menschen einsetze, bin ich zugleich im Widerstand gegen die unmenschliche und verachtungsvolle Politik von Seehofer, Dobrindt und Söder UND in einer Auseinandersetzung, die jenseits des persönlichen Schicksals die Fluchtursachen nicht nur in Armut, Entrechtung und Gewalt sieht, sondern auch in der Politik, die unser Land und alle anderen global vernetzt tatsächlich machen. Dann muss zugleich er- und geklärt werden, warum Afghan*innen und Syrer*innen im gleichen Lager aufeinander losgehen, warum die Abschiebungspolitik zu einer Spaltung von Justiz und Außenpolitik führt, und wie es sich mit den Rüstungsexporten in bestimmte Länder mit bestimmten Adressaten verhält. Aber das wird ja nicht in der Alltagspraxis meines Umgangs mit einem bestimmten Menschen erörtert. Wenn der unsägliche Herr Dobrindt die Klagen gegen Abschiebungen mit Abschiebungsbusiness bezeichnet (6.5.2018, DLF Nachrichten), dann assoziiere ich „Shoah-Business“ und schon erhöht sich die Komplexität meines politischen Nachdenkens eines ansonsten klaren und sehr beschränkten Sachverhalts.
Ein anderes Beispiel ist komplexer und politisch wirklich sensibel. Die linke Kritik an der israelischen Politik ist bisweilen offen, bisweilen verdeckt antisemitisch, und zwar ohne emprisch belegbare Not. Natürlich kann und muss man, nicht nur pazifistisch, die Besatzungspolitik Israels und dieDiskriminierung von Palästinensern kritisieren, wie man das in jedem anderen Konfliktgebiet auch täte. Aber schon das Changieren der Bezeichnungen über die Herkunft der Kritik (antizionistisch ist nicht antisemitisch, Israel gleich „Juden“, die Anführungszeichen sind Ausdruck von Unsicherheit der Kritiker, die gewollte Unkenntnis der Geschichte, und die Entschuldigung aller Untaten der Palästinenser und ihrer Hintermänner als aus der Opferperspektive verständlich – das ist für mich ziemlich entsetzich, wenn es auch in der demokratischen Friedensbewegung geschieht. Man möchte sagne: Dank sei Abbas, der seinen Antisemitismus vor dreißig Jahren so deutlich ausgesprochen hatte wie letzte Woche – und da fehlt mir die präzise Reaktion der Linken aller Schattierungen so weit, als dies nicht auf einen Persönlichkeitsfehler reduziert werden kann, der dem eher moderaten Palästinenserführer anzulasten sei. (Das hat man vorher nicht gewusst?) Von hier zur Diskussion des islamischen wie des arabischen Antisemitismus ist ein harter und „linker“, d.h. aufgeklärter Weg zu beschreiten, der aus der rechten Opferideologie und den Kontrapunkten Shoa und Nakba endlich ausbricht. Dann, – vielleicht? Nur dann – kann man auch die Kippadiskussion der letzten Tage politisch führen.
Am Rüstungsbeispiel kann man deutlich aufzeigen, dass es zwar völlig richtig ist, Rüstungsexporte zu beenden, aber das würde keineswegs das Ende der Rüstungsindustrie bedeuten. Denn die Forderung „…ohne Waffen“ ist ja nicht politisch, wenn man nicht auf spontane Erleuchtung oder Zwang von Oben spekuliert, sondern bedarf der Gewalt gegen die Waffenproduzenten und ihre Lobbys…Damit kommen wir aber ganz nahe an das Problem, dass Gewalt oft die unbedingte Voraussetzung gewaltfreier, ziviler und zivilisierter Regeln ist. Also nicht ohne eigene Gefährdung angewendet werden kann und selten das produziert, was sie provozieren möchte. Die Gleisbesetzungen in Gorleben sind so ein Moment, oder die Belagerung der Atomwaffenstützpunkte. Sie fordert die Anwendung der legitimen Anwendung des staatlichen Gewaltmonopols dort heraus, wo sie seine Schwächen zeigt. Wieweit das in der globalen Friedenspolitik ebenso sinnvoll und möglich ist, ist eine delikate Frage. Wie sähe denn die Gewalt aus, die die Verhältnisse so zum Tanzen brächte, dass am Ende eine Friedenslösung oder ein „Westfälischer Friede“ (metaphorisch, eine neue Vereinbarung müsste natürlich anders aussehen) stünde.
Die „linke“ Politik stützt sich oft auf ein anti-kapitalistisches Element, dem aber kein Gegenentwurf, sondern die Kritik entgegensteht, die in der Überwindung der Erscheinungen des Kapitalismus das Terrain öffnen möchte, in dem dann die richtige, freie, demokratische Politik möglich wäre, ein Glacis sozusagen. Nicht übel, aber auch nicht praktisch. (Insofern ist der letzte Spiegel-Leitartikel nicht so schlecht).
Hier könnte man in der Friedenspolitik einmal den Kontrast zur „rechten“ Politik deutlich machen, die ja in vielen Spielarten Befriedung als maximale Stabilität ohne die Freiheiten der angestrebten gesellschaftlichen Entwicklung (Menschrechte, Grundrechte, Gleichheit vor dem Gesetz, Leben oberhalb der Subsistenzgrenze….) anstrebt. Hauptsache, der Bürgerkrieg wird beendet; Hauptsache, das sinnlose Morden hört auf; Hauptsache, wir haben jemanden, mit dem wir die Beziehungen wieder aufnehmen oder aushandeln können…“. Das ist „rechts“? in gewisser Weise ja, weil es Stabilität ohne Demokratie, also genau das System Orban, Kaczinksy, Zeman, Putin etc. aufzeigt – unterschiedliche Mittel zur Ausübung der Herrschaft lassen friedenspolitische Ansätze nicht homogen formulieren. Den Russen die Krim wegzunehmen, wird schwierig. Wäre aber nicht falsch. Den Ungarn die Freiheit der NGOs zurückzugeben, ist machbar, aber mit ausgeübter legitimer Gewalt durch die EU, ähnlich die Grundlagen der Verfassung in Polen. Dem Seehofer die Idee seiner unmenschlichen Ankerzentren wegzunehmen, wird innenpolitisch schwierig, darauf müssen wir aktiv drängen, nicht den einzelnen Polizeieinsatz „für sich“ kritisieren oder akzeptieren. (Die Ellwangen-Analyse ist in diesem Fall wichtiger als die Beschreibung angemessener oder unangemessener Gewalt der beteiligten Gruppen).
Neben dieser Hinführung zu einem Ende der rechts-links Selbsttäuschungsdebatte ein Grundsatz: die Atomwaffendiskussion muss unbedingt wieder aufgenommen werden, und hier werden wohl Grenzüberschreitungen gegen Nuklearwaffen und-rüstung unvermeidlich sein. In diesem Licht ist die Atompolitik der Atomwaffenbesitzer ebenso wie die der Atomwaffen-Anstreber ins Zentrum zu rücken, und da steht als erstes die Aufklärung. Wir Älteren haben die Auswirkungen des Atomkriegs noch direkter mitbekommen, für die Jüngeren ist das ein wenig abstrakt, was es heißt, „taktische“ Atomwaffen einzusetzen, von den großen Bomben gar nicht zu reden. Und so wie wir uns weitgehend einig darüber sind, dass die sog. Zivile Atomkraft (Energie) zu Ende gebracht werden muss, so prioritär sollte das Gleiche mit den militärischen Atomwaffen sein. Das kann politisch dann gelingen, wenn die Autorität regelsetzender Institutionen, z.B. der Vereinten Nationen, wieder hergestellt werden soll, und dahin sollte unser Land seinen jetzt drohenden Sitz im Sicherheitsrat verwenden (woraufhin zu arbeiten wäre, politisch und öffentlich und aufklärend).
Unser Staat wendet oft unnötig Gewalt gegen die Schwächsten an, um die Gemüter der politisch Schwachen, ich sage der Rechten, ruhig zu stellen. Beispiel Bayern und Sachsen. Es gehört auch Friedenspolitik, legitime und illegitime Gewalt auseinander zu halten und hier Stellung zu beziehen.