Mittelmaß ist eine Kampfansage

 

 

…an uns Bürgerinnen und Bürger, an uns Citoyens, an uns kritische und politische Menschen, an uns, die wir uns nicht in den Kategorien von Establishment oder Elite, aber auch nicht von Abgehängten wiederfinden; sondern vom seltenen Fall politischer und gesellschaftlicher Menschen, die Antworten darauf finden können, wie sie leben wollen, warum sie es nicht hinreichend können, und wie alles zusammenhängt.

? ZU PHILOSOPHISCH ODER RHETORISCH ODER UNSCHARF?

Sicher, aber wie einleiten in eine Gegenwartsdiagnostik, deren Begriffe oft so verwaschen oder abstrakt sind, dass sie nur verwaschenes Bewusstsein anziehen? Ich versuche es anders.

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Die politische Situation ist höchst unangenehm, bedrohlich, voller Gefahren, deren Risiken wir gar nicht kennen. Es ist wie ein Alptraum ohne hinreichende Gewissheit des Erwachens, aber mit der klaren Beobachtung in den Traum hinein.

Frau Merkel empfängt Kurz, ich nenne ihn aus alter Gewohnheit Kurtz (Joseph Conrad, Apokalypse now). Herr Kurz regiert mit Nazis, deutsch-nationalen Burschenschaftlern, einem KZ-Planer (Kikl) und hinreichend vielen Verbrechern. Wie angenehm, aber auch fehlorientiert waren doch die EU Proteste gegen Haider und seine damaligen Nazis. Heute beschwört man Gemeinsamkeiten, die ungefähr so glaubwürdig klingen wie die Beschwörung des olympischen Eides 1936 oder das Gutachten des gekauften Doktors, der Trump für nicht wahnsinnig und nicht krank erklärt. Gleichzeitig macht Gabriel den Türken Hoffnung auf erneute deutsche Touristenmassen, wenn nur der Yücel freikommt (der hat sich schon verwahrt gegen den Tauschhandel). Und wir drehen uns immer schneller, um ja nur alle Gemeinheiten, Irrsinne und Bedrohungen mitzubekommen; wie eine Enzyklopädie der wahrlich zu befürchtenden  Ereignisse dreht unser Hirn – und macht schon den ersten Fehler: es simuliert ein Deutschland, das irgendwie „außerhalb“ dieser Bedrohungen ist,, WEIL man hier ja einigermaßen rational beobachten und analysieren kann. Wir sind aber mittendrin und spielen mit. Haben das übrigens seit langem. Zurück zu den nicht so strahlenden Abgründen der Vernunft und der Kritik.

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Heinz Bude, einer der Klügsten und Gewissenhaftesten unserer Zunft, analysiert die deutschen Zustände: Links sein, Rechts sein, Dazwischen sein, ZEIT 16.11.2017). Er dekonstruiert den Dreiklang Familie, Nation und Gott (konservative Grundlage von Gesellschaft) und positioniert die Parteien in einem sozialen Raum dieser drei Dimensionen. Gott fällt dabei sowieso raus. Bude findet, dass die „politische Person von heute“ sich nicht Merkels pragmatisch verbissener und ideologisch offener Politik unterwerfen will, also dem institutionalisierten Relativismus, wählen, also entscheiden will, wie „wir als Gemeinschaft, Staat und Menschheit leben wollen“. Budes Parteienkritik ist plausibel und glaubwürdig, mir geht’s aber um etwas anderes. In Deutschland kann ich an einer Behauptung ausführen, warum die drei Ziele nicht ansatzweise erreicht werden (können), obwohl fast jeder ihnen zustimmen würde, sofern „politische Person“. Ist es trivial zu behaupten, die Lobbys hätten das Regieren längst übernommen, wenn sie nicht nur in den Ministerien sitzen und die Gesetzestexte vorformulieren, sondern die Schlüsselproduzenten des hegemonialen Wohlstands dirigieren. Auto, Chemie, Pharma, Bau und Digitalkonzerne, aber vor allem auch Finanzinvestoren sind keineswegs invisible hands, sondern frech sichtbare Lenker unserer Politiker –  aber sie fördern auch unsere Wohlstandsverwahrlosung, aus der heraus uns Kritik an ihnen ebenso erlaubt ist wie das Denken über sie hinaus. Nun sind diese Lobbys nicht der „Trash“ der unpolitischen Abstauber des Systems, sondern die Sprecher für jene Freiheiten, deren  Grenze die Unverbindlichkeit ist – als die sich z.B. die Klimaziele der GroKo herausstellen oder die Glyphosat-Entscheidung des so genannten Ministers Müller oder die Abschiebung in den Tod durch den so genannten Minister de Maizière. Wir stehen vor einem Dilemma, das man besser als Ambiguität bezeichnen sollte. Die uns gewährten Freiheiten zur Kritik und zum Durchblick sind eben nicht bloß das Ergebnis der „repressiven Toleranz“, die uns Marcuse 1968 vor Augen führte, sondern tatsächliche Freiheiten, die wir verteidigen und erweitern, jedenfalls beschützen müssen – anders als die Zustände in den Diktaturen, illiberalen Demokratien, autoritären Systemen.

Ein Einschub: ich streite zur Zeit relativ unironisch und heftig innerhalb einer bestimmten Grünen Parteigruppierung, die genau jene repressive Toleranz ausnutzt, um auf den Westen zu schimpfen, und das Loblied Putins, Assads und anderer Unholde singt, weil die vom Westen (=uns, plötzlich kommt da ein Grünes Wir) falsch behandelt worden sind. Es handelt sich ausgerechnet um die mit Frieden befasst Arbeitsgruppe.

Uns wird vielmehr gestattet, Auswege aus der Krise und jedem welt- und lebensbedrohenden Dilemma aufzuzeigen, solange die Konsequenz aus der Antwort, wie wir leben wollen, nicht politisch gefordert oder praktisch wird. Das heißt, dass wir nicht Objekte der fremdbestimmten Toleranz sind, sondern die Grenzen unserer Freiheit so eng stecken, dass man sie uns nicht entgegenbringen muss.

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Das fällt nicht nur mir auf. In vielen Feuilletons und Traktaten wird moniert, man müsse wieder zum Träumen zurückkehren, und vor allem werden diese Träume dann vorschnell mit Utopien gleichgesetzt, also Rückkehr von der Pragmatik zur Utopie. Wenn es so einfach wäre, und wenn zur Utopie immer die politische Praxis vorhanden wäre, sie anzusteuern. Der Traum: Man braucht nur das erlösende Wort aussprechen, und schon beginnen sich die Verhältnisse zu  ändern. Mich erinnert das an die endlosen Debatten über den schönen Satz: Die Waffe der Kritik kann allerdings die Kritik der Waffen nicht ersetzen, die materielle Gewalt muß gestürzt werden durch materielle Gewalt, allein auch die Theorie wird zur materiellen Gewalt, sobald sie die Massen ergreift. Der Satz von Marx, 1843, (Einleitung zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie) lange vor dem Kommunistischen Manifest, ist so berühmt, dass ich mir heute schon eine Variante erlaube: Muss ja keine Theorie sein, kann ja ein Wort sein, das es nicht zum Begriff bringt, z.B. Frieden, oder Gerechtigkeit o.ä. Aber dann schreibt Marx ein paar Seiten weiter, speziell auf Deutschland gemünzt: Deutschland als der zu einer eigenen Welt konstituierte Mangel der politischen Gegenwart wird die spezifisch deutschen Schranken nicht niederwerfen können, ohne die allgemeine Schranke der politischen Gegenwart niederzuwerfen.

Nicht die radikale Revolution ist utopischer Traum für Deutschland, nicht die allgemein menschliche Emanzipation, sondern vielmehr die teilweise, die nur politische Revolution, die Revolution, welche die Pfeiler des Hauses stehenläßt. Worauf beruht eine teilweise, eine nur politische Revolution? Darauf, daß ein Teil der bürgerlichen Gesellschaft sich emanzipiert und zur allgemeinen Herrschaft gelangt, darauf, daß eine bestimmte Klasse von ihrer besonderen Situation aus die allgemeine Emanzipation der Gesellschaft unternimmt. Diese Klasse befreit die ganze Gesellschaft, aber nur unter der Voraussetzung, daß die ganze Gesellschaft sich in der Situation dieser Klasse befindet, also z.B. Geld und Bildung besitzt oder beliebig erwerben kann.

Keine Klasse der bürgerlichen Gesellschaft kann diese Rolle spielen, ohne ein Moment des Enthusiasmus in sich und in der Masse hervorzurufen, ein Moment, worin sie mit der Gesellschaft im allgemeinen fraternisiert und zusammenfließt, mit ihr verwechselt und als deren allgemeiner Repräsentant empfunden und anerkannt wird, ein Moment, worin ihre Ansprüche und Rechte in Wahrheit die Rechte und Ansprüche der Gesellschaft selbst sind, worin sie wirklich der soziale Kopf und das soziale Herz ist.

Nein, kein Seminar zu Marx, brauchen wir nicht. Aber in diesen gescheiten Sätzen bindet es sich wieder zu Heinz Bude und zur Gegenwart zurück. Bude verlangt zu Recht, dass sich die politische Person am Entwurf des möglichen Lebens (zu Lebzeiten bitte, nicht im Jenseits) orientiere, dahin sich entscheide. Und mit Marx frage ich nun, was uns jetzt so bedroht: die „nicht politische Person“, die sich im Gewande des zu Ende gekommenen Individualismus im amorphen Kollektiv derer befindet, die immer schon den Weg als Ziel empfanden, deshalb kein Ziel haben. Lacht nicht: aber die KlimaZIELE heißen nicht zufällig so…

Weiterer Einschub: in der oben angedeuteten Kontroverse haue ich ziemlich massiv gegen die gesinnungsethische Legitimation der begriffslosen Hoffnungsworte hin, die daran erinnern, dass man doch etwas wollen kann (Frieden) ohne eine Ahnung zu haben, wie man es herstellt. Dabei hätten es gerade die Grünen an der Hand, doch verantwortungsethisch und ohne jedes falsche Pathos sich auch der Menschheit, also der Zukunft praktisch zuzuwenden. Wir wollen eben nicht nur die Politik revolutionieren, sondern auch die anderen Säulen verändern.

Davon jedenfalls ist beim gegenwärtigen Stand der Verhandlungen unserer Lobby-Abkömmlinge nichts zu bemerken. An deren Sondierungsergebnis kann man den Status der unpolitischen Personen ablesen, auf die sich nicht nur die Große Koalition wird stützen müssen. Mittelmaß, Sie erinnern sich…

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Jetzt gehen wir einmal dran, die Politik zu beschreiben, die teilweise und windschief ein paar passende Antworten geben kann auf die Frage, wie wir leben wollen. Das KANN gar kein PROGRAMM  werden, weil wir erst einmal diese Frage uns stellen wollen und denen, die gar nicht die Macht haben sie zu stellen. Z.B. den Flüchtlingen, die erst Deutschland erreichen müssen, um diese Frage ernsthaft zu stellen.

Atom

Am 03.01.2018 um 16:00 schrieb IPPNW-Newsletter:
> —————————————————————————-
> PRÄSIDENT TRUMP SPIELT MIT DEM ATOMAREN FEUER
> —————————————————————————-
>
> US-Präsident Donald Trump deutet in der neuen US-Militärstrategie eine
> neue Nukleardoktrin an. Die unter Barack Obama reduzierte Rolle von
> Atomwaffen in der Gesamt-Militärstrategie soll rückgängig gemacht
> werden. ICAN und IPPNW Deutschland kritisieren dieses Rollback scharf.
> Xanthe Hall, IPPNW-Abrüstungsreferentin und Vorstandsmitglied von ICAN,
> kommentiert: “Der US-Präsident verkennt die Gefahr eines Atomkrieges
> durch eine weitere Eskalation und spielt dabei mit dem Feuer. Jeder
> Atomwaffeneinsatz hätte katastrophale humanitäre Folgen.
>
>
> Neue US-Militärstrategie im Wortlaut (Link:
Diese Meldung schreckt auf – oder sie wird mit anderen Information vom Tage abgelegt. Wie ist das bei mir, der ich alt nin und nicht zur Hystereie neige, was MEINE Lebenszeit betrifft:

Es gab eine Zeit, da fürchteten sich die Menschen vor dem Atom. Genauer: vor der Atombombe. Und sie fürchteten sich vor der Radioaktivität. Damals, in den 50er Jahren, las man noch à Reader’s Digest, vorgekaute Mittelschichtbanalitäten, und da wurde beschrieben, wie ein Kind zu viel Strontium 90 beim Doktor bekam, und folgerichtig starb. Das nächste Mal machen wirs besser. Ich hatte da schon Angst, und frühreif las ich dann Rudolf Brunngrabers „Radium“, und hatte noch mehr Angst. Die Bombe, das war etwas anderes, unheimlich fern. Ungefähr um diese Zeit las man im „hobby“, dem Magazin der Technik, die Erfahrungen des Piloten Tibbet mit seiner Enola Gay, und wie es ist, wenn man eine Bombe ausklinkt. So ungefähr war das. Später las das Kind Robert Jungk, mit dem ich danach auch befreundet war, und begann mich gegen die Atomrüstung auszusprechen bzw. zu orientieren.

Aber da war auch unser, der 68er, fortschrittlichster Philosoph der Hoffnung, Ernst Bloch, über den habe ich dissertiert…und bei dem war es klar: Nukleartechnik war friedlich und diente dem Fortschritt. Im Westen hieß das „Atome für den Frieden“, und schlecht waren die atombewaffneten Systeme der NATO, und die Deppen aus dem Ostblock meinten, ihre Atomwaffen seien ein Deut besser und würden wirklich dem Frieden dienen. Der Kalte Krieg war transparent geworden, wenns ums Atom ging, und die Angst vor der Verstrahlung sank in den Subtext unserer Diskurse, um die Zeit, als die Ökobewegung schon erwacht war.

An einem Tag im April 1986 spielte ich mit Kollegen an der Uni Osnabrück Fußball. Tag 1 nach dem Unfall von Chernobyl. Bald wussten wir, die Wolke würde kommen. Warnungen vor dem Sammeln von Pilzen wurden ausgegeben. Diffuse Angst, bei der üblichen kleinen Minderheit auch Hysterie, wenig konkrete Information. Kein Atomkrieg, menschliches Versagen. Die Radioaktivitätsmeßstelle der Universität Oldenburg sollte für meine Wahl und Amtszeit als Unipräsident eine Rolle spielen, für unsere Partnerschaft mit der damaligen spätsowjetischen Spitzenuniversität Novosibirsk, und eine wissenschaftliche Debatte, in der Atom nicht in Ost und West gespalten wurde. Der Kalte Krieg ging zu Ende WARUM ERZÄHLE ICH DAS? Hirsohima und Nagasaki, der sowjetische H-Bombentest, das Mururoa-Atoll….sind alles Ferne der dritten Generation eher ins Vergessen und Nichtwissen als in die politioserbare Erinnerung eingeschrieben. Deshalb ist die Reaktion auf Atomrüstung, Nachrüstung, Verletzung von diesbezüglichen Verträgen auch etwas unterschwellig, man könnte sagen: lasch und unaufgeregt. Der Atomkrieg taugt nicht einmal mehr zum Film- und SF Stoff.  Nun, wir Ü70 Menschen haben das nicht ganz so vergessen, und so wichtig die künstlerische und moralische Verarbeitung der Atombomben auch war, die jetzige Gefahr taugt zu den alten Mustern nicht.  Und was für uns ältere, friedenspolitisch und ökologisch angeschärfte Politiker*innen gilt, trifft ja auf eine ganze Generation von herrschenden politischen Akteuren, von Trump bis Putin, und ihre von der Leine gelassenen Unterlinge nicht zu: die denken nicht in den Gefahren, sondern in der Risikoregulierung für IHRE Machtbasis. Eine bestimmte Form von Atomkrieg ist eine potenzielle GEFAHR; das RISIKO, sie zu verhindern, ist etwas irrational, wenn die Dinger einmal in Gang gesetzt sind.  Ein langjähriger Kollege in diesem Revier, KW Koch, arbeitet unermüdlich an der Aufklärung zu diesem Thema. Man kann sich auf die Seriosität seiner Quellen verlassen. In vieler Hinsicht unterscheiden sich unsere politischen Ansichten. Aber was nukleare Vernichtungspotenzial der Menschen betrifft, bin ich sehr überzeugt von seiner unbeugsamen Mahnung: die Gefahr ist nahe.  Ich lege Texte hier an, am besten ihr versorgt euch über ihn mit mehr davon:Die Gefahr eines Atomkrieges wächst

Was wir in Europa dagegen tun können und müssen.

Die Doomsday-Uhr (englisch, Atomkriegsuhr) steht auf 2,5 Minuten vor 12, so dicht vor der Stunde Null wie seit 1953 nicht mehr. Selbst 1984 bis 1989 war es 3 Minuten vor 12! Jeder dritte Deutsche hält einen Atomkrieg in den nächsten zehn Jahren für wahrscheinlich. In einer Umfrage vertraten 32 % diese Auffassung. Nur 13 % halten ein solches Szenario für ausgeschlossen. 41 % meinen, ein Atomkrieg sei nicht wahrscheinlich. Die nukleare Bewaffnung hat im Zuge des Nordkorea-Konflikts und der Ukraine-Krise wieder an Bedeutung gewonnen.

Ein Atomkrieg zwischen den USA und Nordkorea scheint mittlerweile unausweichlich. Die Süddeutsche zitiert: „… ein europäischer Beobachter kam unlängst verstört aus der US-Hauptstadt zurück und schrieb auf Twitter: „Krieg zwischen US und N Korea ist wahrscheinlicher, als viele Leute es glauben. Die Offiziellen glauben, dass Abschreckung gegen einen Verrückten nicht funktioniert.“ Die Frage bleibt, wer von beiden (Trump oder Kim) verrückter ist. Weiterhin laufen in den USA Planungen, das Atomabkommen mit dem Iran zu kündigen. Davon abgesehen, dass damit der nächste Atomare Krisenherd (wieder) eröffnet würde, ist vor allem die Signalwirkung auf Nordkorea und andere potentielle Möchtegern-Atommächte verheerend: „du kannst machen was du willst, WIR werden uns nicht an die Verträge halten, wenn es uns gerade mal so passt …“: Gaddafi lässt grüßen!

Die Vorbereitungen des Krieges gegen Nordkoreas laufen, lediglich die letzte Stufe – die Evakuierung der mehreren Hunderttausend US-Bürger aus Südkorea – fehlt noch, aber auch über diesen Schritt wird bereits diskutiert. Aktuell läuft das größte Manöver der USA gemeinsam mit der südkoreanischen Armee, das Ziel ist es: „die ‚Bereitschaft‘ der beiden verbündeten Länder stärken“.

Die Lage in Nordkorea ist so verfahren, dass jede weitere Entwicklung die Lage verschärfen und die Gefahr eines Atomkrieges weiter erhöhen wird. Selbst ein weiteres „Aussitzen“ wird die Lage nicht bessern: Da die Bedrohung durch Nordkorea latent weiter anhalten, wenn nicht gar weiter eskalieren wird, werden in der Folge in absehbarer Zeit Tokio und Südkorea (und in der Folge weitere Südostasiatische Staaten, die sich wiederum dann von diesen bedroht fühlen) zur Atomaren Bewaffnung greifen. Dasselbe wird sich um den Iran wiederholen, sowie das Atomabkommen aufgekündigt würde. Saudi Arabien, die Emirate, Ägypten und die Türkei würden schnellstmöglich atomar aufrüsten. (Wer dazu mehr nachlesen will, u.a. zur deutschen Haltung: s. HIER)

Aber Nordkorea und Iran/Mittlerer Osten sind nicht die einzigen Krisenherde, Indien/Pakistan, der Ukrainekonflikt und Putins Unberechenbarkeit machen die Sachlage nicht eben entspannter. Die Welt bewegt sich also mit Riesenschritten auf einen Atomkrieg zu als hätte es die Abrüstungen und Erkenntnisse der 1980 Jahre und die Friedens-Nobelpreis-belohnte Abrüstungsinitiative Obamas nie gegeben. Es wird wieder – erstmalig seit den frühen 1980er – darüber spekuliert, dass ein Atomkrieg gewinnbar sein könnte … entgegen allen physikalischen und naturwissenschaftlichen Erkenntnissen. Es sei erinnert, dass bereits ein begrenzter Atomkrieg mit einigen Dutzend eingesetzten Atomwaffen eine weltweite Klimakatastrophe auslösen wird.

Ein Krieg in Nordkorea wird von beiden Seiten vermutlich mit Atomwaffen ausgetragen werden: Die USA werden in Anbetracht genauer Infos kein Risiko eingehen und daher mit dem Vorschlaghammer statt mit dem Skalpell arbeiten, Nordkorea wird im Fall der drohenden Vernichtung zumindest Seoul, wahrscheinlich auch Japan atomar angreifen. Eine Enthauptung Nordkoreas wird vermutlich nicht gelingen, erinnert sei hierbei an „ruhmreiche“ Aktionen des US-Militär wie die „Befreiung“ der Geiseln in der US-Botschaft in Teheran.

So makaber es auch klingt, die einzige (?) Hoffnung scheint zu sein, dass der kommende Konflikt sich in wenigen eingesetzten Atomwaffen „erschöpft“ – seien es die Reste von Vernunft der Beteiligten oder die Reaktion der restlichen Welt – und der weltweite Schrecken darüber so groß sein wird, dass der UN-Atomwaffen-Abrüstungsvertrag UMGEHEND WELTWEIT umgesetzt wird. OHNE eine Eskalation sehe ich dafür aktuell nicht den Hauch einer Chance … SOWEIT haben wir die Erde also schon „an die Wand gefahren“. (KOMMENTAR MICHAEL DAXNER: das ist nicht zynisch, sondern eine Art negativer Zuversicht, dass auch ein begrenzetrr, „kleiner“ Nuklearkonflikt noch Überleben ermöglicht. In dieser Form nicht neu, aber fast nostalgisch an die Rationalität politischer Akteure erinnernd, derer wir ja heute etwas entraten müssen….)

Lasst uns alle dafür kämpfen, dass der Bremsvorgang auf den letzten Millimetern noch gelingt.

Karl-W. Koch

(Geschrieben am Tag der Verleihung des Friedensnobelpreises an ICAN)

Weitere Links:

https://www.stoerfall-atomkraft.de/site/steht-die-welt-am-rande-eines-atomkrieges/#more-3111

https://www.stoerfall-atomkraft.de/site/droht-ein-atomkrieg-im-fernen-osten-und-was-waeren-die-folgen/

https://www.stoerfall-atomkraft.de/site/iran-der-mittlere-osten-viele-konflikte-und-die-bombe/

https://www.stoerfall-atomkraft.de/site/pakistan_und_indien/

„Atomkraftwerke für Indiens militärische Supermacht-Ambitionen>

> Da einerseits der Ausbau der Atomenergie auch in Indien immer absurder

> erscheint und anderseits die indische Regierung nicht blöd ist, stellt

> sich die Frage nach den wirklichen Zielen des indischen

> Atomenergieprogramms. Der Beitrag stellt folgende These zur Diskussion:

> Mit dem Bau von Atomkraftwerken soll eine einheimischen Atomindustrie

> aufgebaut werden, die in der Lage ist, die indische Kriegsmarine mit

> Atomantrieben auszurüsten.“

>

> Rest unter

> https://indien.antiatom.net/atomkraftwerke-fur-indiens-militarische-supermacht-ambitionen/

Wiener Blut & Boden

Ich möchte gerne eine Intifada gegen die neue Regierung Kurz/Strache in Österreich anzetteln; aber wie und mit wem?

Herr Juncker findet das Regierungsprogramm in Ordnung. Die EU wird darin ja auch angerufen und weiter hat er nicht gelesen. Von dort sind also Sanktionen oder Widerstand so bald nicht zu erwarten.

Im Volksmund hat man den FPÖ Ideologen –> Kikl  längst Kiklgruber getauft. (Wer Schicklgruber war, weiß man in Österreich). Innenminister Herbert Kikl hat begonnen, die Polizei umzufärben (www.kurier.at); er ist ein Hetzer und Hassprediger und hat das Schlüsselressort, um nach Innen die zivile Gesellschaft zu zermürben. Ab sofort.

Ich gehe heute Vormittag meinen Agenden in Wien nach, und könnte heulen und fluchen, dass diese schönste Stadt vielleicht bald in die Hände der Nazis fällt. Da weiss ich noch gar nicht, was der (nicht amtsführende) Vizebürgermeister –> Gudenus sagen sollte, im Fernsehen zur Migrations- und Asylpolitik befragt: er wird Fraktionsvorsitzender der FPÖ im Parlament, Klubobmann nennt man das hier.

Sagt Gudenus, dass die 13.000 Asylsuchenden und befristet geduldeten, die in Wiener Privathaushalten leben, an den Stadtrand gebracht und dort interniert werden sollen. Sie sollen sich gar nicht integrieren; bzw. sollen sie desintegriert werden. Solche Lager nennt man Konzentrationslager. 1933 waren die in Deutschland noch keine Vernichtungslager, der Begriff muss hier angewandt werden.

Ich fahre nach Traiskirchen, 25 km südlich von Wien. Dort gibt es ein riesiges Gebäude, das seit Jahren als Asyl- und Migrantenunterkunft dient, für 800 Menschen ausgelegt ist und über 2000 beherbergt. –>Bundesasylamt Erstaufnahmestelle Ost in 2514 Traiskirchen. (genauere Zahlen bei Wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/Bundesbetreuungsstelle_Ost/Überfüllung). Schon in meiner Schulzeit in Baden bei Wien, vor 1965, war dieses Lager ein „Lager“. Als ich heute zurückfahren will, sehe ich drei Polizeibeamte, die die am Bahnhof wartenden augenscheinlichen Bewohner des Lagers nach den Identitätskarten fragten und diese auch gezeigt bekamen. Wechsel von martialischer Ansprache und freundlicherer Verabschiedung. Die drei Afghanen dürfen in den Zug einsteigen.

Die Pläne der neuen Regierung sehen grobe Verletzungen der Grundrechte vor: Geld soll ihnen abgenommen werden, um die Verwaltungskosten zu decken; die Handys bekommen sie erst zurück, nachdem die Verbindungsdaten geprüft wurden. Ach was, Grundrechte. Gudenus meint, die Frauen trauten sich schon nicht mehr auf die Straße, wenn Asylanten in Privatquartieren lebten. Er meint wohl seine Partei-Frauen.

Ich erfahre von einer Kollegin die üblen Details des mittlerweile restriktiven Umgangs mit Asylbewerber*innen und Migranten; frühere praktische Besserstellung gegenüber Deutschland sind nicht mehr zu erkennen. Wir vereinbaren Informationsaustausch und Kontaktvermittlung. Später: Im Zug sitzt ein mit rechten Tattoos geschmückter halbglatzerter Mann. Einer der Afghanen geht auf ihn zu und bietet ihm die Hand zum Handschlag an. Erstaunen. Händedruck. Entspannung. Alles halb so schlimm?

Gemessen an anderen Aufregern ist die Stimmung gegenüber der neuen Regierung recht verhalten. Es wird protestiert, das ist wichtig zu wissen, weil es sich zu wenig herumspricht. Originell: https://www.youtube.com/watch?v=DzVYvc0bRTQ. Ein Bild macht die Runde: der Bundespräsident bedeckt sein Gesicht, hinter ihm feixt Strache. Manche suchen eine Bildunterschrift.

 

Erste Schlussfolgerungen:

  • Skepsis gegenüber der schwarzblaubraunen Regierung ist noch keine Kritik.
  • Der europäische Gewöhnungseffekt ist gegenüber Österreich besonders fatal, weil es kein Vishegradland ist: niemand kann sich auf Überreaktion nach sowjetischer Zwangsherrschaft herausreden, und außerdem ist 1989 schon etwas her. In Norwegen, Dänemark, der Schweiz sind faschistische bzw. ethno-nationalistische Parteien einigermaßen eingehegt. Woran man sich in Österreich wird gewöhnen, wenn man sich gewöhnen muss?
  • Der vergleichsweise unglaubliche Wohlstand Österreichs verführt die Bevölkerung zum Glauben, es ginge auch ohne Demokratie. Dabei kann man sich rechterseits sogar leisten, Kritik weitgehend zu ertragen, d.h. zu ignorieren.
  • An der Flüchtlings- und Migrationsfrage zeigt sich die ganze Verlogenheit dieser Abendländer. Tusk hat ja mit der Beschreibung der Situation recht, er hat sie nur politisch normativ so umgesetzt, als ob es keine solidarische Einigung geben könne bzw. solle. Jetzt gewinnen falsch-liberale Appeaser wieder Oberwasser, die Balkanroute ist ja geschlossen. Um den Preis wie vieler Menschenleben und Lebensschicksale? Österreichs Aufnahmeleistung wurde 2014 ignoriert, und das Revanchefoul beginnt nicht mit der FPÖ. Die hat nur die beiden anderen Parteien vor sich hergetrieben.
  • Noch gibt man sich europäisch, weil man muss (der Bundespräsident hat hier stark eingewirkt und im nächsten Jahr gibt es die Ratspräsidentschaft); menschenrechtlich und sozial braucht man solche Taktik nicht, wieder steht die FPÖ nicht allein da, SPÖ und ÖVP machen schon lange keine gute Figur. DESHALB ist auch der Begriff Populismus falsch, eds geht um die Herstellung einer virtuellen Identität, die die Zertrümmerung der pluralen Identitäten – die es ja auch gibt in Österreich – zur Voraussetzung hat.
  • Das ist in der teilweise gegenüber Deutschland markant besseren Sozial- und Kulturpolitik eine absehbare Katastrophe. Und nichts Rettendes zeigt sich.

Noch wirken das Glück dieser kultivierten Millionenstadt, ihre Infrastruktur, ihre Kulinarik, ihr Aufnahmefähigkeit wie eine Droge: ich weiß, ich werde morgen erwachen und hoffen, dass mir etwas einfällt zum Widerstand außer dem SAGEN WAS IST.

Satire setzt wissende und verständigen Menschen voraus. Kurz von Papen-Schleicher wäre ein Modell für eine Umgestaltung der Macht, aber wer von diesen Verwahrlosten kann mit diesen Namen noch etwas anfangen? Eher noch mit Kiklgruber und den geplanten Konzentrationslagern des Herr Gudenus.

 

Schwarzblau=braungrau in Österreich

Ist der Kurz nun ein Austrofaschist? Nein, ist er nicht, aber in der ÖVP gibt es viele Schlacken, die dieser Tradition noch nahestehen.

Ist der Strache nun ein Nazi? Wahrscheinlich ja, aber gut abgeschirmt.  Viele seiner Minister- und Parlamentskollegen incl. viele der farbentragenden schlagenden Verbindungsbrüder sind Nazis.

Wir Österreich jetzt von Nazis mitregiert. Ja. Wieweit sie eingehegt sind und innerhalb einer einigermaßen stabilen Demokratie nicht alles verwirklichen können, was sie gerne täten, ist noch unklar.

Wird Österreich wieder autoritärer, undemokratischer und rechtsstaatlich schwächer? Sicherlich, denn ein FPÖ Innenminister verheißt nichts Gutes, ein Verteidigungsminister dieser Partei sorgt innenpolitisch für einen Nationalismus gerade der ohnedies anfälligen Truppe, und die Außenministerin wird sich wohl leichter mit den Orbans des neuen Europa einigen können.

Das Staatsbürgerschaftsangebot für die Südtiroler*innen ist nicht die Kriegserklärung, die ich erwartet hatte, sondern eine Nebelbombe. Nur um den Partnern in der EU zu signalisieren: jetzt kommen die Nationalisten.

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Das alles geht leise und ohne aufgeregte Krawalle vor sich; ja, es gibt ein paar Tausend Protestierende, aber gar nicht zu vergleichen mit Haiders Zeiten. Das ist beunruhigend und zwingt zu genauerer Ursachenforschung. Drei Vermutungen:

  • Bundespräsident Alexander van der Bellen, ein aufrechter und kluger Demokrat, hat „rote Linien“ für die Selbsterklärung und Rhetorik der neuen Regierung gezogen; vielmehr hätte ihm sein Amt nicht erlaubt, aber so weit war und ist er deutlich. Es ist schon ein Erfolg, dass er die Antieuropäer, v.a. in der FPÖ, daran gehindert hat, sich zu ertklären. Bei seiner Wahl hat er eine Mehrheit motiviert, nicht einen rechtsradikalen Prätendenten zu küren. Diese Mehrheit gibt es noch. Und das wissen schwarzblaubraunen Anfänger genau, deshalb sind sie vorsichtig, hoffen auf Abnutzung.
  • Ganz Europa, nein: fast die ganze Welt, rückt nach rechts. Also sind die FPÖ und der rechte Rand der ÖVP keine so großen Überraschungen. Die Sozialdemokratie ist fast überall auf dem Rückzug. Opposition formiert sich nicht mehr an der Achse rechts-links, mit einer rechten Mitte als Zentrum; sondern von der Peripherie her, ökologisch, kritisch, politisch. Umgekehrt wird antidemokratisch von der Peripherie der Machtausübung her gegen ein demokratisches Zentrum regiert (Trump).
  • Österreich war nie links, aber mit einer starken kritischen Kultur und einer respektablen Sozialpolitik gegen die Prekariatswut (USA), gegen die Ethnisierung (wir sind halt nicht deutsch!!!), gegen die Hybris der Hegemonialmächte positioniert. Was sich jetzt durchsetzt ist die Vergrößerung eines ethnischen und rassistischen Bestands, der viele Voraussetzungen hat zu wachsen. In Richtung Bayern: der rechte Schmutzrand belobigt sich wechselseitig; in Richtung Vishegradländer: dumpfe Ausländerfeindlichkeit ohne Angst vor Wohlstandsverlust – Flüchtlinge sind keine Touristen, paart sich mit unbewältigter Moderne. Das geht bis weit in die ÖVP und eine SPÖ hinein, die eigentlich schon lange gar nicht mehr sozialdemokratisch oder sozial oder demokratisch ist. Dass sich die Grünen kurz vor der Wahl zerlegt haben, ist ein böser Zufall mit erheblichen politischen Folgen, dass die Neos nicht wissen, wie liberal sie sein wollen, ist eine weitere Schwäche unter den Demokraten.

Die meisten Medien in Deutschland greifen solche Annahmen heraus, angereichert durch Vergleiche mit der AfD. Nazis hier wie dort, kein Vertun. Nicht nur Nazis. Schlechter getarnt in Österreich, dafür unsicher, ob sie deutsche Gewalttäter oder österreichische sein wollen oder können. Die Vereinigungsmenge aus austrofaschistischer und nationalsozialistischer Ideologie zeigt sich an der Ausländerpolitik und am Umgang mit Menschenrechten. Österreich ist genauso ein Tätervolk wie Deutschland gewesen, wurde aber taktisch von den Siegermächten geschont; wir brauchten keinen Auschwitzprozess und keinen Willy Brandt. Dafür haben – und hier bin ich ein wenig Lokalpatriot – dafür haben unsere Schriftsteller und Künstler, darunter viele Frauen, genau diese Lücke viel kräftiger und vehementer ausgeleuchtet, und das hat teilweise sogar den deutschen Kulturraum gestützt. Deshalb kommt die österreichische Wahrheit so spät an die Macht; bereits dazu und parat war sie schon länger.

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Was also tun? Erst einmal nachdenken, wann man den Nazis ihre Wirklichkeit entgegenhalten muss und wann nicht. Einhegen oder provozieren? Ich vermute, Kurz hat die Schlüsselministerien deshalb an die FPÖ gegeben, um bei eklatanten Brüchen das Bündnis zu sprengen. Das ist schon einmal schief gegangen…und die Umstehenden der Weimarer Republik habens einfach nicht sich vorstellen können, dass die Nazis die Macht ergreifen, und behalten, sobald sie sie haben. Und was in Österreich geschah, kurz bevor die Nazis den jämmerlichen Kanzler Schuschnigg vertrieben, muss auch gedeutet werden: wo hätte man sich Wienerseits „einigen“ wollen?

Wiederholungen mags bald wieder geben, aber in anderem Gewand und vor allem in anderem Umfeld.  Das gemarterte Polen, dem man schon vor 1989 alle Sympathien schenke musste, wird unter der Freude der prekären Bevölkerungsmehrheit faschistisch oder klerikofaschistisch. Ungarn, die Slowakei, Tschechien, Kroatien,… alle nicht viel besser, oder vielleicht noch schlechter. Das heißt, dass die demokratischen Schwergewichte in der EU noch mehr zu kämpfen haben, um nicht Appeasementpolitik machen zu müssen. Das ist meine größte Besorgnis. Appeasement heißt, die Zerstörer stark machen.

Heute, am 19.12. hat Kurz bekanntgegeben, man wolle in Weißrussland ein Gedenkmal für die dort gestorbenen, d.h. ermordeten, österreichischen Juden errichten. Glauben wir ihm die gute Absicht einmal, sie ist plausibel: diese rassistischen, ethnopluralistischen Teilnazis sind nicht notwendigerweise alte Antisemiten. Die Muslime, Araber, Neger, Zigeuner, Flüchtlinge unterschiedlicher Nasenform etc. reichen aus, um das Ressentiment gegen das Fremde und die Fremden in ihrer Bevölkerungshälfte ordentlich wachsen zu lassen. Bei den Juden würde es gefährlich, denn dieser rechte Rand hat mit Israel aus dessen Umgebungsidiosynkrasien weniger Probleme als mit den „eigenen“ Österreichern jüdischer Herkunft.

(Ich weiß, wovon ich hier rede. In Deutschland und übrigens auch in den USA gibt es zur Zeit auch bei den demokratischen Parteien eine teilweise skurrile Diskussion ob und wie man Palästina unterstützen kann…ohne sich ostentativ israelkritisch zu äußern und gar darin den wirklichen antisemitischen Ressentiments erkennen zu lassen. Meine diesbezüglichen österreichischen Erfahrungen sind so anders als die deutsche Wirklichkeit, dass ich manchmal aufschreien möchte: schaut doch hin, auch wo die Unterschiede sind. Und erkennt dann die Unterschiede zum Guten wie zum Schlechten. Nirgendwo ist deutsch-österreichisch eine dümmere Wortverbindung, im übrigen auch das Wortpaar christlich-jüdisch, um den Einschub nicht zu lang werden zu lassen. Das Thema kommt wieder).

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Dass und wie sich Österreich mit der neuen Regierung wird schaden müssen, ist seit heute manifest; bisher haben es ohnedies nur die befürchtet, die ohnehin nicht auf schwarzblau gesetzt haben. Sanktionen? Wer sollte sie fordern. Zählt doch einmal nach, an wievielen europäischen Regierungen Nazis, rechtsradikale oder faschistische Parteien, jedenfalls Nationalisten beteiligt sind – oder wo die in den Startlöchern stehen. Der unzivilisierte Teil der Engländer hat das ganze Land schon exponiert; schaut man auf die Schlachtordnung in Spanien, möchte man sich an den Kopf greifen: hier eine plötzlich wieder postfrancistische Zentralmacht, dort Abspaltungsidioten, die ihre Abspaltungsgründe mit ihrer Politik auflösen; in Deutschland pöbelt ein unerfahrener Außenminister (im Vergleich zu Gabriel ist Kurz ein elder statesman) gegen die Umweltpolitik, um seine Arbeiter wieder in seine Partei zu führen –  die Partei gibt’s noch eher als die Arbeiter; Österreich ist mainstream, man wird nichts allzu plötzliches erleben, aber in einem Klima von Demokratiemüdigkeit sind Umkehrmanöver bekanntlich schwierig, weil es kein Volk gibt, das sie betreiben kann.

P.S. ich habe das Wort Populismus oder Rechtspopulisten nicht einmal gebraucht. Es sind keine Populisten, die da regieren.

Nächstes Jahr in Jerusalem

Ich sitze mit à Teddy Kollek im Garten des –> Ticho-Hauses in Jerusalem. Kollek war Bürgermeister von 1965 bis 1993, er lebte von 1911 bis 2007. Damals war er noch im Amt und wir sprachen über das Problem der Hauptstadt. Er war optimistisch, weil die Palästinenser Jerusalem als heilige Stadt des Islam ansahen, und heilige Orte – Mekka, Medina, –>Al Quds (Jerusalem) – nicht weltliche, politische Hauptstädte sein dürften. Und für Israel stand die Hauptstadtfrage am Ende, nicht am Anfang des Friedensprozesses. Wir waren uns aber einig, dass eine gewaltsame Teilung der Stadt auch kein erstrebenswertes Ziel sein konnte.

Um 1995 herum war ich mit der damaligen Ministerin für Wissenschaft aus Niedersachsen, zu Besuch in Israel. U.a. hatten wir im Ostteil der Stadt eine lange politische Unterredung mit –> Hanan Ashrawi, damals schon eine der wichtigen Unterhändlerinnen, und anderen PLO Granden. Es ging um vieles, aber nicht um die Hauptstadtfrage.

Würde man heute in Deutschland eine Umfrage machen: welches ist die Hauptstadt Israels? So sagten wahrscheinlich die meisten Deutschen Jerusalem. Fragte man nach der Hauptstadt der Palästinenser, wäre ich mir nicht so sicher, ob die gleiche Antwort eine Mehrheit fände, aber Ramallah oder Hebron würden auch nicht genannt; ja, was ist denn die Hauptstadt der Palästinenser? Was ist denn die Rolle und Funktion einer Hauptstadt? Symbolisch hoch aufgeladen, gewiss, ein Zeichen für nationale Identität (Paris), ein Regierungssitz und Zentrum der Politik (Wien vor 1918, mit mehreren „Hauptstädten“ wie Budapest oder Prag), eine künstliche Metropole (Astana) oder eben eine historische Konstruktion. Analysiert die Vatikanstaat-stadt und Rom.

Ob der Frieden durch Zweistaatenlösung, Föderation, Einstaatenlösung oder was ganz Neues erreicht wird, wahrscheinlich ist, dass der Frieden immer bedeuten wird: Jerusalem wird die Hauptstadt für zwei Staaten oder Nationen oder Völker. Am Ende.

Nun hat Frau Mogherini vor zwei Tagen in Brüssel genau das gesagt, richtig gesagt, und Benjamin Netanjahu musste es zur Kenntnis nehmen. Soweit, so gut.

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So weit, so schlecht. Die USA waren NIE Vermittler im Nahen Osten, und sie können es jetzt auch gar nicht mehr formal sein, aber sie haben dies mit aller wünschenswerten Klarheit dokumentiert. Da Trump Menschen verachtet, ist ihm ihr Tod und Leiden auch gleichgültig, also ist das Blutbad, dass er mit seiner blödsinnigen Ankündigung anrichtet, eine Folge nicht der Realität, sondern dieser Ankündigung.

Aber dahinter steht nicht einfach ein bösartiger Psychopath. Eine unheimlich glasklare Logik wird deutlich. Die muss man sorgsam herausarbeiten. Am einfachsten ist es, die religiöse Rahmung zu dekonstruieren. In der jüdischen Überlieferung seit der Eroberung durch David spielt die Stadt eine wichtige Rolle, sie wird in der religiösen Geschichtsschreibung vielfach und immer weiter ausgeschmückt, wobei interessant ist, dass mit der Zerstörung des Tempels der heilige Charakter nichts aufgehört hat und u.a. die Stadt als Hauptstadt aller Völker der Erde prophezeit wird, nicht nur der jüdischen – die ja erst zurückkehren müssen. Es lohnt dazu, in das vorisraelische Jüdische Lexikon von 1927ff. zu schauen, wo völlig unaufgeregt die religiöse und die weltliche Geschichte, und auch die arabische Eroberung und Heiligung ab 637 dargestellt wird (Jüd. Lexikon (1927), Nachdruck Ffm 1982, Bd. 3, S.190ff.). Zur religiösen Zuordnung lohnt sich dann die Geschichte der Stadt im Midrasch (Auslegung) weiterzulesen (S. 209). Natürlich gibt es dazu viel neuere und historisch bessere Literatur. Aber mir geht es darum, dass eine religiöse Vereinnahmung eines Ortes immer und notwendig mit seiner säkularen Position kollidiert. Wenige Tage nach Trumps Ankündigung haben sich 50 islamische Staatsvertreter – nur solche, die es sich mit den USA nicht ganz verderben wollen – in Istanbul getroffen, um jetzt Jerusalem zur Hauptstadt der Palästinenser zu erklären. Die Retourkutsche verfängt nicht. Entscheidend ist, dass keine religiöse Begründung hinreichend und akzeptabel erklären könnte, warum die Stadt „Hauptstadt“ irgendeines Staates sein muss oder soll. Der Mythos benutzt eine unbegriffene religiöse Vergangenheit, um handfeste politische Ansprüche anzumelden. Ob Trump wusste, wo er war, als er einen Wunschzettel in die Mauerritzen der Klagemauer steckte, die schon seit hundert Jahren sensibelster Ort ist, weil sich darüber die Al Aksa Moschee erhebt? Schon 1928 kam es zu Konflikten mit orthodoxen Juden und der britischen Mandatsverwaltung über den Zugang und die dort praktizierte Geschlechtertrennung. Auch bei der Geschichte des Felsendoms kann man die Schichten und geschichteten politischen Auslegungen religiös notierter Politik genau studieren, wobei die ursprünglichen Mythen eher eine Nähe von Islam und Judentum, die späteren schroffe politische Gegensätze betonen. Alles egal: Hauptstadt lässt sich daraus nur politisch und lebensweltlich, als aus Traditionen und Ritualen, aber nicht aus Religion ableiten. Deshalb verzichte ich darauf, die gut zugänglichen Quellen dazu auch nur anzugeben: das ist spannend,  aber es geht an der Sache vorbei und wird zur Zeit von den Orthodoxen aller Richtungen instrumentalisiert. Der Glaube und auch die rivalisierenden Götter der Glaubensgemeinschaft haben mit der gesellschaftlichen Ordnungsmacht Religion in diesem Kontext wenig zu tun. Aber im Namen all dieser Gotteskonstruktionen wird man sehen, dass es zu Gewalt kommen wird, fast zwangsläufig muss.

THERE WILL BE BLOOD…THERE IS BLOOD.

Das war meine erste Assoziation nach der Ankündigung von Trump. Der Filmtitel von 2007 passt fatal, man ahnt, was sich ein paar Tage später ereignen wird.

Schieb die Entscheidung über Jerusalem auf, das war das Rationale aller Stabilisierung und Friedensbemühungen, zumal nach 1967 (–> Tom Segev: 1967, Berlin 2005). Ohne irgendeine religiöse Konnotation. Hauptstadtentscheidungen fallen, wenn das Land/die Länder einig ist/sind. Das war auch in Deutschland so, und die Dislokation vieler Hauptstädte von den Schwerpunktzentren ist ja auch nicht von ungefähr. In Hauptstädten wird regiert, nicht gebetet. Nun sagt nicht nur Trump, sondern sagen viele, inclusive Bibi Netanjahu,  dass er nur ausgesprochen hat, was ohnehin schon immer Tatsache ist. Der Fehler liegt im kleinen Wort “ist“.  Dass Jerusalem Hauptstadt werden soll, ist eine legitime, vielleicht nicht kluge, Option, und zwar für beide Seiten, mit unterschiedlichen Begründungen. Jerusalem ist nicht Hauptstadt Israels, und wäre es auch nicht, käme die US Botschaft zu unseren Lebzeiten da hin.

Ich denke, Trump will Gewalt provozieren, weil er – zu Recht – annimmt, dass zur Zeit niemand die USA attackieren oder angreifen kann, und weil er, der ja ein Psychopath und Sexist und Rassist, aber nicht dumm, genau wusste, was kommt: die Palästinenser, die Araber, die Muslime jaulen auf, die Hamas oder wer werfen Raketen auf Sderot und Ashkelon, in Berlin demonstrieren die Palästinenserfreunde mit den alten antisemitischen Tötungsparolen, und die Idioten verbrennen dort israelische Fahnen. Damit hat Trump seinen Kritikern viel Wind aus den Segeln genommen, ohne in einem einzigen Punkt wirklich Recht zu haben. Nun wird wieder getötet, anscheinend hat Netanjahu einen Punktsieg erzielt, den er braucht, weil er ja ein Gauner ist und sich dauernd im Visier der Justiz sieht: so lenkt man ab. Die noch weiter rechts stehenden Siedler, die Bennet, etc. verbünden sich nur zu gerne mit den US-Antisemiten, solange die in Amerika ihr evangelikales Unwesen treiben. In Israel nimmt man das offene Wort zur Hauptstadt halt mehr oder weniger feststellend auf, der Protest dagegen ist nicht ethnisch oder gar religiös, er ist politisch und zur Zeit nicht so stark. Das Land wird ja wirklich angegriffen. Und Erdögan, diese islamistische Diktatorennummer, schart – Muslime um sich, also Staatschefs, die sich über den Islam definieren. +

ANTISEMITEN IN DEUTSCHLAND

Natürlich gibt es sie, die antisemitischen Straftaten nehmen zu.  Auch die Straftaten von Immi-granten, Asylsuchenden, Geduldeten, auch die Straftaten von Islamisten. Sie nehmen nicht unverhältnismässig stark zu, sondern mit der grösseren Anzahl wächst ihre absolute Zahl, und wir können schon annehmen, dass sich der Antisemitismus der islamistischen Propaganda nicht schon dadurch auflöst, dass seine Subjekte jetzt schutzbedürftige Flüchtlinge sind.

Aber ich will es uns nicht leicht machen. In einem guten, sehr geschichtsbewussten Interview sagt Karl Lagerfeld „etwas Schreckliches“, wie er selbst meint: „Die Deutschen haben Millionen von Juden umgebracht, und da schämen wir uns noch heute für. Und jetzt lässt Angela Merkel eine Million ihrer Erzfeinde ins Land“. Auf den Einwand, dass nicht alle arabischen Flüchtlinge seien, sagt er: „Natürlich nicht. Aber ich habe auch wenige Araber getroffen, die sagen ‚ich liebe die Juden‘ “ (ZEIT Magazin, 7.12.2017, S. 22). Den kollektiven antisemitischen Ressentiments von „Arabern“ in Deutschland, kann ich zwei Dinge hinzufügen: es gibt sie, und was sich hinter den „Arabern“ verbirgt, sind weniger ethnische Zugehörigkeiten als vielmehr national-religiöse Prägungen. Und: national-religiöse Ressentiments israelisch-jüdischer Politiker*innen sind auch nicht besser, vielleicht anteilsmässig nicht so massiv, aber schlimm genug. Religion kapert die Politik. Im Übrigen ist das ein guter Grund, nicht einfach von Juden oder Arabern zu sprechen. Man kann ohnedies nicht ozeanisch ganze Völker „lieben“ oder „hassen“.

Ich habe lange über Antisemitismus geforscht und geschrieben. Nicht gerade populär, aber solide, heisst mein Buch dazu „Der Antisemitismus macht Juden“ (Hamburg 2007 (Merus)). Und da kritisiere ich durchgängig die sachliche Bezeichnung Juden, und plädiere für alle Verbindungen mit dem Adjektiv, Adverb oder der Kopula „jüdisch“. Denn Juden werden changierend benutzt, einmal ethnisch, ethno-kulturell oder „rassisch“, einmal aber religiös (Das erscheint abwegig, aber im Balkankrieg haben wir analoges erfahren: Serben, Kroaten, Muslime…äh, wieso Muslime? In der Verfassung und politischen Einteilung steht es aber so…). Also: Religion hat nicht das Recht, aus ihrer Denomination eine andere Gruppe von gläubig Bestimmten sozusagen „umzurassen“; das gilt für alle drei montheistischen Religionen und Sekten, und was mit den amerikanischen weissen Evangelikalen ist, sollten wir hier auch bedenken.

Was tun? Europa sollte, ganz im Sinn von Frau Mogherini, eine Doppelhauptstadt-Idee in die Friedensverhandlungen einbauen: und diese natürlich wie bisher ans Ende, nicht an den Anfang der Gespräche setzen. Unabhängig davon, welche Art von Endergebnis wir haben werden.

Die Linke bei uns, die bekanntlich einen stark antisemitisch-antizionistischen Flügel hat, auch schon lange vor 1967 gehabt hatte, diese Linke ist wohlberaten, für die Gewalt der Hamas und anderer sich auf Allah berufenden Gruppen so wenig Verständnis zu zeigen wie für die israelischen Ultras und Siedler. Und zwar ebenso öffentlich, wie sie das pro Palästina tut. Der nicht antisemitische Mehrheits“flügel“ dieser deutschen Linken sollte sich viel mehr als bisher damit befassen, wo denn die friedensfähigen und -willigen Mehrheiten der Israeli sich politisch verorten, und zwar quer zu religiösen Überzeugungen und Praktiken. Das geht über Kultur und Austausch, über offene Kritik und nicht über die Leisetreterei, wie sie die nicht-linken Israelophilen pflegen. Ich warne vor einer Vereinnahmung von Israel durch die Rechten, auch das hatten wir 1967 schon, als Dayan als quasi-deutscher Held gefeiert wurde….

Und was Jerusalem als Hauptstadt betrifft. Wenn die israelische Regierung mit der zunehmenden Okkupation und Integration der Westbank und von Gaza in den Staat weitermacht, dann haben die so gefangenen Palästinenser auch eine Hauptstadt, wenn auch ohne eigenen Staat: Jerusalem.

FAHRT NACH ISRAEL UND SCHAUT EUCH ALLES AN

Natürlich auch Jerusalem. Die heilige Stadt ist manchmal so penetrant heilig, dass viele Besucher ein Syndrom entwickeln, christlich wie jüdisch wie muslimisch: mit Erscheinungen, Ohnmachten und allem. Man kann aber auch auf Spurensuche gehen in den früheren Stadtvierteln und Quartieren, vor dem Weltkrieg, oder noch früher. Man kann auch im Garten von Ticho-House sitzen, nachdem man sich die Sammlungen angeschaut hat. Man kann sich zurecht über die bigotte Pseudoreligiosität von Mea Schearim aufregen („ei da bin ich aber froh, denn Gottseidank, ich bin nicht so“); man kann in die arabischen Dörfer auf der Rückseite von Ölberg und Universität gehen…und von dort ins Land fahren, man wird nicht immer von Steinwürfen getroffen, und man lernt, dass es vernünftig ist, das jüdische Leben in Tel Aviv von dem in B’nai Brak unterscheiden zu lernen. Man kann in Ramallah verstehen lernen, warum die Palästinenser bislang weder regieren konnten noch wirklich wollten, und man kann in Bethlehem der Ambiguität des Christentums auf den Zahn fühlen. Man kann im Technion von Haifa verstehen, warum die USA und Israel eine so fest umschlungene Rüstungsmarktbruderschaft pflegen, und am Markt Jehuda Machane in Jerusalem verstehen, wie gut zusammenarbeiten mit den Palästinensern auch sein kann. In der ersten Intifada war ich in Ostjerusalem und habe in streng verschlossenen und unzugänglichen Gebäuden durchaus israelisch-palästinensische Kommunikation vom besten erlebt, beim Essen übrigens: es sind ja nicht alles Gewalttäter….(das ist lange her, stimmt). Und so weiter…lest einfach Oz, Sobol, Goldmann, Kaniuk (v.a. „1948“), Rabinyan etc.

Nächstes Jahr in Jerusalem. Für Kosmopoliten die Hoffnung, dass es überall zugleich ist.

 

 

Deutsche Juristen

Man liest:

Landgericht Frankfurt: Kuwait Airways muss keine Israelis befördern …

http://www.zeit.de › Gesellschaft

16.11.2017 – Er hatte geklagt, weil die Fluggesellschaft sein Ticket für einen Flug von Frankfurt nach Bangkok storniert hatte, nachdem sie von der Nationalität des Kunden erfahren hatte. Die Fluggesellschaft verwies auf kuwaitische Gesetze, die einen Vertragsabschluss mit israelischen Staatsbürgern verbieten.

und weiter:

Pegida Sächsische Justiz erlaubt den Verkauf von Galgen für Merkel und Gabriel

Gebastelte Galgen bei der Pegida-Demonstration am 12.Oktober 2015 in Dresden.
  • Im Erzgebirge hat ein Mann Nachbildungen des Galgens, der auf einer Pegida-Demonstration zu sehen war, zum Kauf angeboten.
  • Die Staatsanwalschaft Chemnitz hat daran nichts auszusetzen: den Tatbestand der Volksverhetzung oder Aufforderung zu einer Straftat sieht sie nicht gegeben.
  • In der Begründung, die der SZ vorliegt, heißt es: Die Galgen seien Kunst und hätten eine vieldeutige Botschaft:

Das Frankfurter Gericht urteilt nach der gefühllosen Pragmatik der Eigentumsrechte und hat keinen Sinn für die politische Wirklichkeit. Der sächsische Staatsanwalt ist ein Straftäter. Gerade dass er die Kunstfreiheit ins Spiel bringt, zeigt, dass er die Schändlichkeit seiner Argumente kalkuliert einsetzt. Nun sind ja AfD und CDU in Sachsen nicht weit auseinander, aber die Justiz ist nur in Ausnahmefällen offen faschistisch. In diesem Fall zum Beispiel.

Das beginnt beim Vorspiel: Dass nicht alle Pegidisten, die Merkel und Gabriel töten wollten, symbolisch, „in effigie“ hieß das in der Inquisition, sofort verhaftet wurden, ist der erste Skandal. Wer in Sachsen motzt, wird bestraft, wer das Volk verhetzt und zu Straftaten auffordert, wird beschützt. Das Spiegelargument gilt nicht, weil Demokraten so etwas nicht machen, z.B. Herrn Tillich symbolisch teeren, federn oder dem Waterboarding zuführen, – aber täten sie dennoch: so schnell, wie die Täter in Bautzen wären, könnte man gar nicht eine Pressemeldung verfassen. Der nächste Skandal ist, dass die Staatsanwälte, die das zu verantworten haben, nicht sofort suspendiert wurden. Unabhängigkeit der Justiz ist hier nicht gegeben, sondern eben eine Straftat, zumal diese Staatsanwälte mit in effigie-Argument ihre Einstellung begründen: die Nazis wollten Merkel und Gabriel ja gar nicht wirklich töten, sondern nur symbolisch. Der weitere Skandal aber ist sehr kompliziert und reizt mich vielleicht deshalb.

Es gibt eine ganze Reihe von Künstlern, die Nazisymbole und ähnliches in ihre Kunst einbauen, v.a. in Performances, und sich gegen strafrechtliche Verfolgung meist erfolgreich wehren. Aber, das geht natürlich nur, wenn zwei Bedingungen erfüllt werden:  Kunst darf nicht nur behauptet werden, also nicht von oben als solche deklariert werden; und der Kontext muss stimmen, d.h. er muss einem reflektierenden Beobachter oder der aufmerksamen Öffentlichkeit verständlich sein.

Was haben die beiden Skandale gemeinsam: es handelt sich um zwei Ausprägungen der politischen Ökonomie. Kuwait möchte man als Handelspartner nicht vergrätzen, und wenn Kuwait keine Israelis befördern lässt, kuscht die deutsche Justiz. Muss sie nicht, aber sie kann. Sachsen möchte seine perversen Landesbürger nicht vergrätzen, die Gewerbefreiheit und der Kunstbegriff eines vielleicht etwas unterbelichteten Staatsanwalts (?Staatsanwalts?) zählern mehr als Menschhenwürde (Art. 1 GG) und die Einschränkungen von Art 5 (Treue zur Verfassung).

Man sollte diesen Juristen den Roland Freisler Orden am Bande verleihen und lebenslanges Warterecht am Frankfurter Flughafen.

100

Mein hundertster Blog. Dankbar bin ich euch liebe Leser*innen, Ihnen, werte Leser*innen, für die Treue über genau zwei Jahre. Allmählich komme ich monatlich regelmäßig in die 300er Sphäre von Clicks, nach wie vor bin ich nicht in den Netzwerken aktiv und den Link mit LinkedIn schalte ich hier auch nicht.  Fast ein Salon.

Ich habe diesen Blog unter dem Rahmen von FINIS TERRAE  begonnen, der Verzweiflung, vor dem Ende der Welt aufschreiben zu müssen, was doch nicht in die Transzendenz eingeht wie Luthers  Apfelbäumchen (ich nenn es immer Abfallbäumchen, im Kontext). In letzter Zeit rücken die aktuellen Bedrohungen näher, sie drücken von allen Seiten auf die Möglichkeit, Politik zu machen. Dabei ist die klimafeindliche Verlierer GroKo noch das geringste Übel, fahrt euch doch selber an die Wand, möchte man gut republikanisch rufen, damit die Menschen endlich ihre Sache in die Hand nehmen. Das größere Übel sind die Nazis, die jetzt in Österreich mitregieren werden. Sagt mir gestern einer im DLF, die FPÖ sei ja viel moderater als die AfD…auch so ein Problem. Aber Vorsicht. Die Aufzählung der aktuellen Bedrohungen zeigt nur an, wie gut man informiert ist. Sie sagt nur nicht, ob und wie man sich eine Meinung bildet und wie daraus eine Praxis folgt, für das eigene Leben und eine gesellschaftliche Konsequenz dazu.

Also gut. Ich schreibe meine Blogs, um deutlich zu machen, dass es nicht ausreicht, privat zu meinen oder zu wissen, was ist, wenn daraus nur folgt, dass ich mehr weiß als andere oder politisch dies mehr unterstütze als jenes. Dafür bedarf es keines Blogs. Ich will Sie und euch über zwei Umwege, zwei Ereignisse, dahin führen, wo ich letzthin aufgehört habe.

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Vor drei Tagen war ich in Oldenburg, an meiner alten Uni, eingeladen, an einem Podiumsgespräch mit Simon Brückner teilzunehmen, Simon ist der jüngste Sohn von Peter Brückner, mit Barbara Sichtermann, er hat 2014 einen Film über seinen Vater gedreht, den er kaum kannte, er war vier als der starb. Peter Brückner wurde 1922 geboren und starb 1982. In meinem Flur hängt sein Bild neben dem von Erich Fried. Peter habe ich 1969 kennen gelernt, wir waren später befreundet, ganz spät in seinem Leben auch politisch verbunden, und ich halte ihn für wichtiger in meiner wissenschaftlichen und moralischen Laufbahn als viele andere, auch nicht übertreiben: er war da nicht allein. Der Film hat mich über Erwartung berührt, ein guter Film, der den Vater weder zu groß, noch zu schlecht macht. Eine Biographie halt. Mein Vater war genauso alt, nur starb er dreißig Jahre nach Peter. Das ist der Rahmen. Meine letzte Lehrveranstaltung in Osnabrück war zu Brückners Werk, nicht nur zu einzelnen Texten.  Einige der früheren Studenten erinnern sich noch dran. Was an diesem Werk so fasziniert ist nicht einfach seine Klugheit, Stringenz, Konsequenz. Sondern die Probleme, die aufkommen, wenn da einer Wissenschaft und Aufrichtigkeit im gesellschaftlichen Kontext verbindet. Wenn der Widerstand gegen die Gewalt des Staates nicht vermischt wird mit der Ablehnung gegen die, gegen jede Gewalttätigkeit; wenn die staatliche Ordnung abgelehnt, unterlaufen werden muss, wenn sie die Falschen schützt, und die Freiheit einengt. Wenn man sich nicht einfach auf die linke Seite schlagen kann, nur weil die rechte Seite unrecht hat. Weil man sich als Bürger versteht, aber dem bürgerlichen Widerstand das Recht bestimmter Handlungen abspricht, weil er nicht im Namen der Entrechteten sprechen soll. All das während der RAF und danach hoch aktuell, Mescalero, Berufsverbot, Ulrike Meinhof (Brückner: das Buch über Gewalt), die gemeinsamen Seminare, das Totengedenken in Hannover (etwas unheimlich), die Diskussion über eine Übersetzung seiner wichtigsten Bücher, unterbunden. Das Buch über die Bundesrepublik wird auch von rechten Intellektuellengelesen, wird glaubhaft kolportiert: das wundert nicht, denn die echten sind nicht dümmer als wir und suchen Argumente, wo es nur geht.

Mit meinem Blog hat dieser Exkurs etwas Wichtiges zu tun: das Hineintragen des Öffentlichen ins Private, ins Persönliche, um dort mehr als Haltungen, nämlich Praktiken zu konfigurieren. Brückner hat mit seinen Texten, Aufrufen, Verhaltensweisen eine Art politischer Intellektualität repräsentiert, die wirklich das Wort…zur materiellen Gewalt hat werden lassen, bevor es die Massen ergriffen hat. (Marx: Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie, der Kontext lohnt) Zugespitzt ist jedes Dogma für ihn Gewalttätigkeit, und Gegengewalt nicht symmetrisch zur Gewalt, die über uns gestülpt wird. Was eben nicht heißt, dass sie schon dadurch legitimiert wird: das war seine Position zur RAF. Wenden wir das heute auf die Politik der Abschiebung im Flüchtlingskontext an, wenden wir es bei der Zähigkeit an, mit dem Klima den so genannten Arbeitsplätzen geopfert wird…Gewalt ist nie eine.

Wenn wir die obige Sorgenliste mit Wut beantworteten, mit einem Rundumschlag darüber, was alles nicht akzeptabel – Die rote-Linien-Inflation – machen wir uns nur lächerlich. Von Brückner lernen, heißt die Einsetzung der Kritik in die theoretische Praxis lernen, und da unbeirrbar das Messer der kritischen Vernunft, den Verstand, einzusetzen, nicht ein Programm.

Derart gestärkt habe ich Oldenburg verlassen.

Bei der Verleihung des diesjährigen Hannah-Arendt-Preises am 1. Dezember 2017 an Etienne Balibar ging es auch, und für mich, vor allem um Europa. Neben vielen anderen, besseren und schlechteren Argumenten, auch im anschließenden Seminar, fiel mir eine Tendenz auf, die ich sofort verstand: wenn bestimmte politische Verhältnisse geschaffen werden sollen, etwa der Ausgleich von Ungleichheiten, die Ausweitung von Freiheiten, die stärkere Kohärenz, dann muss zweierlei geschehen: ein europäisches „Volk“ muss sich aus den europäischen „Völkern“ konstituieren, damit von ihm alles Recht ausgehe. Das wird demokratisch nicht gehen, weil es den Kräften die Türen öffnet, die beides nicht wollen, das europäische Volk und die Demokratie. Es wird also Zeit, wieder an die Republik als Voraussetzung für die Demokratie zu erinnern, die sich dann entwickeln kann (und nicht umgekehrt). Und zweites, müssen wir über den Konstitutionsprozess selbst nachdenken, der ja nicht notwendig in den Formen der Nationalstaaten sich vollziehen muss, die halt gerade, im Absterben zwar, sich gewalt-tätig zu stabilisieren scheinen. Diesen zweiten Umweg muss ich weiter beschreiten, weil mir die Gewaltverhältnisse, das staatliche Monopol und die Gegengewalten, in diesem Kontext ungeklärt und politisch erörterungsbedürftig erscheinen.

Von dieser fast philosophischen Plattform heruntersteigend frage ich nach den Gewalten, die legitim das Manipulieren von Automotoren, das Nachgeben der Politik gegen jeder Art von Lobby (Pharma, Rüstung, Auto, Netzwerke usw.)  verhindern könnten. Zustimmung im Sinne demokratischer Entscheidungsverfahren werden wir zu all dem wahrscheinlich nicht und nie bekommen, und Ablehnung würde demokratisch genug wirkliche Reformen verhindern.

Wie also wird die res publica zur persönlichen Sache derer, die den Übergang in nicht aufhebbare Selbstzerstörung aufhalten, umkehren wollen? Ich behaupte, es geht. Aber es geht nicht ohne Verzicht und ohne gewaltsame Einschränkung der Lebensführung, auf die ein Recht zu haben viele beharren und sich dabei auf die Demokratie berufen.

Wir müssen bitteren Wirklichkeiten ins Auge schauen, die nicht zugleich Wahrheiten sind. Der sexistische, rassistische Umwelt- und Bürgerrechtsverbrecher Donald Trump würde aller Wahrscheinlichkeit wieder gewählt werden, und wenn er rechtswidrige Erlasse ausgibt, folgen ihm viele – nicht alle – Gerichte und Abgeordnete. Der Kriegstreiber und Interventionsdiktator Putin kann Teile seiner Bevölkerung mit einer Ideologie des Großen Russland und mithilfe einer korrupten orthodoxen Kirche nach wie vor an sich binden. Der Diktator Erdögan hat offenbar eine Mehrheit der in Deutschland lebenden Türken hinter sich, auch wenn die noch einen deutschen Zweitpass besitzen. Noch mehr? Duterte, Kaczinsky, Orban, … n+1. Es gibt Unterschiede in der Ausprägung und Wirkmächtigkeit von Opposition, aber es ist eindeutig, dass in keinem der genannten Länder Demokratie ein fraglos geteiltes Grundprinzip von gestaltbarem Gemeinwesen ist. Und in Deutschland und Österreich sieht es gefährlich aus, wenn die AfD mit der Taktik der Nationalsozialisten vor 1933 sich ein Doppelgesicht gibt – parlamentarische Beschwichtiger und rassistische Gewalttäter auf Abruf; wenn die FPÖ sich auf eine farbentragende Schlägertruppe stützt, deren Ähnlichkeit mit SA Anführern überdeutlich wird: eine Partei, die mit fremdenfeindlicher Hetze längst einen großen Teil der Bevölkerung – nicht die Mehrheit – hinter sich gebracht hat.

Nun gibt es überall Opposition und Widerstand, in den USA mehr und öffentlicher als in Russland, in Deutschland und Österreich mehr als in Ungarn, in Polen mehr als auf den Philippinen. Aber ein zweistelliger Prozentsatz in der Bevölkerung reicht aus, um die Konstitution eines Volkes aus der Verfassung heraus zu behindern oder zu sabotieren.

Da sind wir nahe an Brückners Beobachtungen, dass illegitime Handlungen von staatlichen Gewalten bestimmten partikulären Interessen dienen, die sich dann als Volkswille tarnen. Erfolgreicher als wir gerne wahrhaben möchten.

Nun kommt eine gefährliche Überlegung, gefährlich wegen der Notwendigkeit, sehr genau und kritisch zu reflektieren, ob da in mir nicht eine Gegenutopie durchgeht, die endlich handeln möchte, um den Spuk zu beenden. Aufschlag: in Demokratien, wie den USA oder auch Israel, kann man lernen, wie autoritäre, illegitime und oft verfassungswidrige Akte, wenn sie gesetzt sind, im nachhinein gesetzlich oder juristisch sanktioniert werden und eine darauf folgende Legitimation durch Gerichte und Parlamente erfahren. Ich nehme bewusst zwei Länder, die ich sehr mag und die mir in vieler Hinsicht Vorbild sind oder wenigstens waren. In Israel wird ein Buch für die Leselisten von Schulen verboten, „Wir sehen uns am Meer“ von Dorit Rabinyan; dass es zu solchen Übergriffen kommt, wäre für jeden, der die Geschichte und Bedeutung des Landes kennt, undenkbar – ich werde jetzt schief angeschaut: eine Zensur, eine Kleinigkeit, und noch dazu hat das Verbot ja einen Skandal ausgelöst. Demokratie, Meinungsfreiheit!?…Die  Verbrechen des POTUS sind natürlich viel größer, gravierender, gefährlicher. Aber mir geht es jetzt nicht um globale Politik, sondern um das Problem, dass Demokratie schwach gegenüber ihren gleichgültigen Subjekten macht, wenn sie nicht eingebettet ist in den Eigentumsanspruch und die Mittäterschaft an der eigenen Gesellschaft. Und diese Ansprüche sind im Schwinden, manche reden ja schon der Postdemokratie.

Was wäre, wenn wir aus Auflehnung und zivilem Ungehorsam teilweise spiegelbildlich handelten, um uns zu schützen und zugleich der Demokratie in der Republik auf die Sprünge zu helfen? Was wäre, wenn das Schaffen von Demokratie nicht in jener Form geschähe, die wir als passable Grundlage weiterer gesellschaftlicher Dynamik uns vorstellen, wovon fast alle Parteiprogramme träumen und die an Feiertagen als verwirklicht herbeigelogen wird?

Als Einreiseverbot kann man alle Amerikaner fernhalten, die der NRA (National Rifle Association) oder dem Ku Klux Clan angehören. Das geht mit der Schutzbehauptung unserer Bevölkerung ganz einfach.

Das Fahrverbot für Dieselautos in Innenstädten kann man natürlich erlassen, wenn die verfassungsrechtliche Grundlage unserer Unversehrtheit höheren Stellenwert hat als die Wirtschaftskommunikation in Ballungsräumen.

Der Braunkohlestillstand kann binnen Jahresfrist verordnet werden, wenn man nur die sozialen Nebenerscheinungen finanziell abfedert (siehe meinen letzten Blog).

Waffenexporte kann man sofort stoppen und die Waffenproduktion auf die eigenen Sicherheitskräfte, oder im Rahmen der NATO und der EU Verteidigung beschränken.

Familiennachzug für Asylberechtigte und geduldete Flüchtlinge ist zahlenmäßig und vor allem im Aufwand ein geringeres Problem als die jetzige Regelung, die unmenschlicher ist als in vielen anderen Ländern. Und dazu aufwändiger und bürokratischer.

Dazu gehören auch Akte des zivilen Ungehorsams, die hier nicht im Detail beschrieben werden. Aber in diesem Widerstand kann und soll sich Gegengewalt ohne Gewalttätigkeit, aber unter Inkaufnahme von Widerstand seitens der Gewaltträger manifestieren. Versicherung dagegen gibt es keine, aber Schutz durch Solidarität.

HALT, schreit Ihr da auf. Der Katalog könnte unbegrenzt lange werden, und alles durch die Exekutive eingeleitet…? Wo bleibt denn da die Demokratie? Die Frage ist berechtigt. Die Ermächtigung der Handlungsträger zu Entscheidungen gegen Stimmung und Partikularinteressen geht in der repräsentativen Demokratie nur – ich würde gerne sagen „natürlich nur“, sags aber nicht, weil es nicht natürlich ist – wenn mit solchen Maßnahmen übergeordnete Ziele befördert werden, die ansonsten nicht, oder zu spät, oder verwässert erreicht würden (Klima, Hunger, Lebensrettung von Flüchtlingen, Menschenrechte in der Türkei etc. sind wichtiger als das Vertrauen einer Bevölkerung, die von all dem nichts oder zuwenig weiss – oder, und da ist die politische Widerstandandsansage: – nichts wissen will. Sie ist eben noch nicht im Prozess ihrer Konstituierung als Volk, von dem alles Rechts ausgeht. Kann alles Unrecht vom Volk ausgehen? „Du bist nichts, dein Volk ist alles“ – schrecklicher Satz der deutschen Vergangenheit, neu auflebend aus der Asche bei Höcke, Gauland und Strache).

Der Notstand ist exekutiv. Und da sind wir an der gefährlichen Stelle, die ich angekündigt habe:  auch die Maßnahmen, die Vernunft und Umwelt diktieren, müssten natürlich – diesmal stimmt das Wort an der Stelle – legitimiert werden. (Nur: wie verhindert man, dass sie abgelehnt werden? Kampflos räumen die Partikularinteressen und die Verzichtsrealität nicht ihre Felder).

Also müssen wir sehr viel politischer werden. Den öffentlichen Raum in unsere persönlichen Handlungen hinein ausdehnen, wenn das sich gesellschaftlich vermitteln lässt; und unsere privaten Grundrechte in diesem Raum ebenso vehement verteidigen. Was wir beides nicht tun. Das sind Kennzeichen eines defizienten Republikanismus. Die Konsequenzen daraus träfen sich wohl mit vielen der zuerst abgetanen Programmen von Parteien und der Zivilgesellschaft, aber sie sollten mehr mit uns zu tun haben und nicht nur ozeanisch mit der Gesellschaft und der Welt.

Rudi Dutschkes wunderbarer Versprecher anlässlich der Feuerbachthese gilt: „…es kömmt aber darauf an, sich zu verändern“. (10.5.1968, ein paar Wochen nach dem Attentat). Gretchen Dutschke und andere bezeichnen dies als „bemerkenswerten Fehler“. Ich denke, das Unbewusste hat hier das Wort ergriffen, dieser Satz kann zur Politik werden. So wie Brückner auch meinte, es sei „die Pflicht des Gelehrten auch als Bürger tätig zu sein“. Nichts anderes meint unser Verhalten im Notstand.

NACHWORT

ich freue mich trotzdem über meinen Blog und meine Leser*innen. Diesen Text hatte ich begonnen zu schreiben, bevor die Brückner-Veranstaltung am 30.12.2017 in Oldenburg mir einen zusätzlichen Aufschwung gegeben hat, festzuhalten, was mich in diesen trüben Tagen umtreibt. Bei der Vorbereitung bin ich auf einen Vortrag gestoßen, den ich im Mai 1982 gehalten hatte, und den ich in eine Zitatensammlung und einen Auszug aus den Gerichtstexten zu Peter Brückners disziplinarischer Verurteilung 1980 eingebettet hatte. Dabei musste ich mich natürlich an mich selbst erinnern, vor 35 Jahren, also genau ein halbes Leben zurück. Die Lektüre und die Diskussion mit Simon Brückner waren unversehens zu einer Selbstermutigung geworden. (Der Text ist längst vergriffen, war damals von der GEW aufgelegt worden, die Brückner auch in seinem Prozess unterstützt hatte: Bezirksverband Lüneburg, Arbeitsheft 10, 1982). Aber es ist auch die Erinnerung an das Gelungene, das die Gegenwart erträglicher macht.

 

 

Identität und Populismus

Für diesen Blog wünsche ich mir neben Kritik und Zustimmung konkrete Beispiele, die ich auflisten werde. Danke.

 

Dieser Blog passt gut in das Hauptmotiv des Finis terrae. Wenn Menschen die Lebensmöglichkeiten auf der Erde zerstören und wenn sie POLITIK betreiben, die dieses mit befördert, auch indem sie ZUSTIMMUNG zu menschenverachtenden und -zerstörenden Handlungen einwirbt, um sich zu legitimieren – wenn also wir unser Gattungsleben auf dem Planeten vor der Zeit beenden, dann kann mit unseren Gesellschaften und ihrem Verhältnis zu sich selbst und Natur nicht alles stimmen. Noch einmal: Es stimmt nicht, was Hölderlin noch apodiktisch rufen ließ: wo die Gefahr am größten ist, zeigt sich das Rettende auch. Nein, es zeigt sich nicht, wir wissen es, aber es ist KONTRAFAKTISCH, und wir bewegen uns in viele unvermittelte, deshalb falsche Richtungen, auch wenn wir vieles richtig machen.

Diese etwas grundsätzliche Einleitung wird gleich erdnäher. Es sollte die Besprechung einer Rezension werden. Wir schauen gebannt auf die USA, gebannt durch einen Tyrannen, dessen ungebremste Bösartigkeit wohl erst mit seinem Tod zu Ende geht. Aber wenn man den Körper auch vor der Stadt verbrennt, und wir dann alle „Nein“ rufen, auf seine viel frühere Frage, ob wir ihm dienen, (vgl. à Bert Brecht. Keuner) bleibt natürlich seine Entourage, bleiben seine kriminellen und/oder dummen Aktivisten und sein Wahlvolk bestehen. (Das gilt auch für andere Tyrannen, aber für keinen in unserer westlichen Kultur so stark wie für Trump, obwohl der sich dafür am wenigsten interessiert). In dem Kontext habe ich eine ganz neue Besprechung in meiner geliebten New York Review gelesen, die mich zu diesem Blog brachte: Jonathan Rauch: Speaking as a…: Rezension von Mark Lilla: The Once and Future Liberal: After Identity Politics (HarperCollins), in NYRB, 9.11.2017, 10ff.

Ich gebe jetzt nicht die Besprechung wieder, sondern setze an einem Ergebnis an: Erstens haben sich die liberalen (US Bedeutung von „Liberal“) Gesellschaftsdeutungen in den Universitäten festgesetzt und erklären die Welt, also auch die Gruppierungen der Gesellschaft von dort, anstatt aus der Mitte der Konflikte – bei uns hätte man gesagt: aus dem Konflikt von Arbeit und Kapital. Zweitens sind fast alle Liberalen Politiken identitär, indem sie vor allen einer bestimmten Minderheit, einer bestimmten diskriminierten Gruppe, einem bestimmten unterbelichteten Problem sich zu wenden, ohne den Bezug zur gesamten Gesellschaft herzustellen; die fragmentierten Identitäten – „Ich spreche als…“ – geben von vornherein Trennlinien an, über die Brücken oder Verbindungen zu bilden schwierig ist. Zwei Beispiele aus Rauchs Text:

Zu Recht haben wir die Bewegung „Black lives matter“ verfolgt, wenn weiße Polizisten vor allem schwarze Menschen verfolgten und töteten. Aber was machen die, die sich für die Rechte der Schwarzen einsetzen und zugleich die Polizei stützen möchten? Das andere Beispiel stammt von Bannon, dem bösen Berater von Trump: „The longer they (die Demokraten, MD) talk about identity politics, I got ‘em. I want them  to talk about racism every day. If the left is focused on race and identity, and we go with economic nationalism, we can crush the Democrats“. Factum est.

Da ist viel drin auch von dem, was Didier Eribon in der „Rückkehr nach Reims“ zum Ende vermerkt, dass es eine Rückkehr zu den gesellschaftlichen Auseinandersetzungen, zum Klassenkampf (mein Begriff) geben müsse, um die Identitäten zu schützen und die Differenzen zu bestätigen. Es ist aber noch etwas drin, das schwerer herauszupräparieren ist: die richtige Anteil- und Parteinahme für die Schwachen, Ausgegrenzten sollte auch darauf abzielen, die Gesellschaft zu zeichnen, in die diese Gruppen (re)integriert werden könnten. Oder soll die Differenz verewigt werden. Es war ein Erfolg der linken Liberalen, mit Identitäten Politik zu machen, aber dann blieb und bleibt offen, wofür diese Politik steht.

Hier setzt die zweite große Kritik Lillas und Rauchs an: Identitätspolitik hat sich zu weit von Machtpolitik entfernt, hat also kein praktisches Ende. Da hake ich ein, weil dies auch ein Problem in meiner grünen Partei in Deutschland ist. In unserer Form von Gesellschaft sind viele – nicht alle – Reformen – davon abhängig, dass sie von formalen Institutionen und dem Staat in Regeln gefasst und umgesetzt werden. Manches kann nach wie vor direkt demokratisch und von unten betrieben werden, aber das ist nicht so viel, wenn es in die Fläche wirken soll. Der Einfluss der Gesellschaft auf den Staat und seine Handlungsfähigkeit aber ist es, der mich umtreibt: wie regiert man Gleichheit und wechselseitige Anerkennung?

Populismus wird in den USA nicht nur den Rechten zugeschrieben, Ausnahmen im liberalen Lager, wie Bernie Sanders oder Elizabeth Warren, werden für eine linke Variante genannt. Da bedeutet aber, den Begriff von einer Hypothek zu entlasten – nicht zu befreien. Populismus als Instrument und Weg, nicht als Ziel ist, eine legitimierbare Variante, sie ist nicht per se legitim. Identitätspolitik, wie die beschriebene, kann gar nicht populär und populistisch sein, weil sie immer nur ein Objekt hat, an dem alle Politik gemessen wird. Insofern ist die Regenbogenfahne vielleicht doch irreführend…

Die Identitätspolitik engt die Vorstellung von gesellschaftlicher Freiheit ein, weil sich jede Identität ihren Schutzraum unangreifbarer Rationalität schafft, in dem Kritik nicht anders als „inkorrekt“ angreifen kann. Viele neuere Beispiele belegen das: Offene Geschlechteridentität versus Feminismus; Farbe versus sozialer Status; Migration versus Braindrain etc. Eigentlich ganz „normale“ gesellschaftliche Konfliktlinien, um derentwillen eben Politik betrieben werden muss. Die aber sollte Identitäten nicht willkürlich hierarchisch anordnen, weil das nur Ausdruck falsch angewendeter Macht wäre: Klasse wichtiger als „Herkunft“ (früher auf Rasse gereimt), Gender wichtiger als Klasse, Region wichtiger als Zentrale (Katalonien), Ethnos wichtiger als Demos, …

Zurück zur Kritik an den zentripetalen Kräften, die die Konflikte aus der Gesellschaft in die Universitäten gedrängt hatten, erst mit großem Erfolg, später mit einer umgekippten Situation. Ich habe den Verdacht, dass viele kritische Wissenschaften, sofern sie Nachfragekonjunktur in der Deutung haben, sich selbst identitär verfestigen. Das wird so lange nachsichtig behandelt, als der unkritische Gegner diese Konjunktur nicht hat. Siehe den Wechsel von der Kritischen Theorie zur Diskurstheorie von mehr als zwanzig Jahren, und das Ende der Diskurs-Hausse mit den Herrschaftsformen, die wir unscharf als neo-liberal bezeichnen.

Ich bin dort angelangt, wo ich in der politischen Diskussion, noch immer täglich arbeite: Identitätspolitik verhindert dass sich das Volk (Bevölkerung) als Volk (Souverän) konstituiert, um zu Recht die Macht von sich ausgehen zu lassen. Und als Populismus getarnter Alleinanspruch (also auch eine Art Identitätspolitik) verhindert, dass man diese Differenz deutlich sieht.

 

Verflucht oder gesegnet?

Baubeginn beim Neubau der Garnisonkirche in Potsdam

Viel ist hingesunken uns zur Trauer

Und das Schönste hat die kleinste Dauer.

(Heimito von Doderer)

Ich hatte mir vorgenommen, zu dem Unsinn, die Wallfahrtskirche des preußischen Militarismus und des Nazi-Beginnens und der DDR-Revanche wieder aufzubauen, nichts mehr zu erwähnen. Zu tief sind die Kontroversen in die Potsdamer Gesellschaft eingeschnitten, zu peinlich die Stadtbild-Argumente der Befürworter eines Gedenkturms und zu kontrovers die Fronten unter den Ablehnern. Aber dann wurde drei Tage vor dem Reformationstag mit einem Gottesdienst und einer aggressiven Konfrontation der Baubeginn des Turms gefeiert, und es hält mich nicht.

Ich kenne kein überzeugendes Argument FÜR den teilweisen Neubau, weil das Stadtbild ohnedies die Verbrechen von Nazidiktatur und DDR-Diktatur nicht abschütteln kann, weil die Stadt mit jedem Nachbau mehr zu musealisieren droht, zur Kulisse einer unaufrichtigen Fassade von Geschichtslosigkeit wird. Alte Kirchen sind reihenweise gemeuchelt worden, auch andere alte Gebäude. Neues ist auf historischen Gründen entstanden und mit historischen Stadtansichten kann man vielleicht Disneyland oder Rotenburg ob der Tauber erfreuen, aber nicht lebendige Städte. Und wenn wer glauben will, wie schön die Silhouette der Stadt einmal war, dann glaubt er das auch anhand eines Bildbandes oder mehrerer Postkarten. (Lies nach bei Italo Calvino: die Unsichtbaren Städte, München 1977, 36f. und in Bezug auf Potsdam: Birgit K. Seemann: Potsdam – Die schöne Unsichtbare, in Eisenhuth/Sabrow: Schattenorte, Göttingen 2017, 172-183) – es lohnt, sich mit diesem Blick auseinander zu setzen.

Dass einige Befürworter des Turmbaus es mit Versöhnung und gar Frieden ernst meinen, glaube ich ihnen (diese Einigen kenne ich zum Teil, und mit ihnen kann ich ernsthaft produktiv streiten). Aber die Protagonisten des Projekts sind Heuchler und bösartig dazu, oder sie sind naiv, oder sie verwechseln Ursachen und Wirkungen. Ich habe zwei Haupteinwände GEGEN den Neubau:

  1. Wer wagt es, wie Bischof Huber, der kindische Halloweenkritiker, den Opfern des Nationalsozialismus Versöhnung anzubieten? Die Opfer haben bestimmt nicht darum gebeten, den Tag von Potsdam 1933 für die Ewigkeit zu konservieren.
  2. Zu Recht kritisieren sozial engagierte Christen und andere sensible Menschen, dass die Kirche klagt, ihre Mitglieder liefen davon und sie hätte ohnedies für ihre Projekte kein Geld, aber dafür fließen Millionen, ebenso wie aus dem Leitkultur-Schuppen der Frau Grütters, wohl weil diese Kirche zum deutschen Kulturerbe gehört.

Ich kritisiere ausdrücklich nicht die Idee, ANSTELLE der alten Kirche ein Zentrum des Dialogs und der Streitkultur für den Frieden zu bauen. Aber den weithin sichtbaren Turm, einen Leuchtturm der Anziehung aller rechten, militaristischen und reaktionären Geschichtsinterpreten, als Gewinn für das Stadtbild zu feiern, ist ebenso pervers wie die Mutmaßung, aus diesem Isolani könne eine Stätte friedlicher Dynamik werden.

Zu 1.: da predigt ein Bischof den Willen zur Versöhnung mit Hilfe eines Monuments des Hasses und der Unmenschlichkeit (das war im Militarismus vor 1933 so angelegt, und später verfestigt – ob man das „wollte“, ist dem Narrativ der deutschen Geschichte egal: der TAG VON POTSDAM bleibt eingeschrieben in diese Geschichte, nicht Hubers Worte). Ich glaubs ihm sogar, dass er Versöhnung WILL, naiv genug ist er, dass er nicht sieht, dass ER  KEINE VERSÖHNUNG ANBIETEN DARF. Versöhnung ist nicht dasselbe wie um Verzeihung bitten. Das braucht er nicht, aber kollektiv könnte man das, indem man den Turm nicht baut. VERSÖHNUNG ist etwas anderes: die nachträgliche Abänderung von Geschichte jenseits von Schuld und Vergebung, um wieder frei handeln zu können. Und: welche Opfer wurden gefragt, welche Leistungen geben die Bauherren in den gemeinsamen Diskurs außer, dass sie ihren Willen erhalten und die Opfer ihre Bewunderung für den Turm äußern dürfen? Der Gott, der hier angebetet wurde, ist nach christlicher Lesart, also monotheistisch, auch der Gott Wilhelms, Hitlers und Hindenburgs. Darüber kann man mit Menschen gut sprechen, die dieser Annahme weitere zur Seite stellen, aber Steine sprechen nicht. Und wenn der Turm auch kein Gotteshaus mehr sein wird (man möchte sagen: Gottseidank!) dann wird er doch GarnisonsKIRCHE heißen…Als jüdischer Deutscher würde ich Versöhnung nicht annehmen, die mir von den Bauherrn angeboten wird. Und das ist nicht so dahin gesagt, dazu habe ich nicht Jahrzehnte mit dem Schicksal meiner Familie und vieler anderer Menschen mich auseinandergesetzt – übrigens in einem Deutschland, in dem man gut und mit Hoffnung auf noch Besseres leben kann. (Spottet dieses Satzes nicht, den so ähnlich auch Merkel gesagt hat, er ist genau so gemeint, wie er hier steht).

Die Pastorin der französischen Kirche, Frau Hilga Rugenstein, hat engagiert gegen den Neubau geschrieben, viel Zustimmung und ebenso viel Kritik erfahren. Eine aufrichtige und von mir geschätzte Befürworterin des Neubaus Saskia Hüneke, verwahrt sich gegen die gleichen Vorwürfe, wie ich sie oben erhebe (in 1.), aber in einem schwergewichtigen offenen Brief betont sie auch:“ Versöhnung kann man nur mit Wahrheit versuchen, das ist nun mal so. Tatsächlich hat die Sprengung Schmerz ausgelöst und es besteht das schlichte Bedürfnis, diese Lücke wieder zu füllen“. Sie bezieht sich auf die Sprengung der Kirche durch die DDR. Das war die Lücke? Über deren, der DDR,  Motive in einem recht fadenscheinigen Antifaschismus muss man sich im Klaren sein, aber der aus einer blöden und falschen Handlung entstehende Schmerz ist doch nicht der, den die SUBJEKTE der Versöhnung anstreben könnten, im besten Fall.

Versöhnung heißt, „ich versöhne mit der Realität als solcher, und gehöre nun dieser Realität als Handelnder zu. Das findet im Verstehen statt….(Hannah Arendt, Denktagebücher (1953), S. 331). Sehr viel früher, 1950, ganz entscheidende Überlegungen zur Versöhnung, auch als Anerkennung und Abfinden mit dem Gegebenen, S. 4ff. Mir ist das so wichtig, weil eine (in diesem Fall regressive) Betrachtung der Vergangenheit die Deutung verändern kann, aber niemals das Geschehene).

Genau dieser Schritt hat aber vor der Entscheidung nicht stattgefunden, Versöhnung wird nicht aus dem Verstehen angeboten, und wem? Ich unterstelle Menschen wie Saskia Hüneke nicht, was ich den Initiatoren und den meisten Befürwortern des Neubaus sehr wohl unterstelle: sie wollen sich mit sich selbst versöhnen, um nicht handeln zu müssen, vor allem denen gegenüber, die ihnen Versöhnung anbieten könnten. Die Schwäche meines Arguments ist, dass es sich nicht „beweisen“ lässt, außer vielleicht psychoanalytisch oder durch Selbstaussage. Die Stärke aber meiner Kritik liegt darin, dass nur damit zu erklären ist, warum die langen Diskussionen nicht zu einem umgekehrten Vorgehen geführt haben: erst Versöhnung und dann darüber reden, was an diesem Platz geschehen solle.

Das hat nichts mit den städtebaulichen Diskussionen zu tun, die sind mir an diesem Platz nachrangig.

Zu 2.: Die Pastorin Hilga Rugenstein und viele andere in Potsdam beklagen zu Recht, wie in den prekären Wohnvierteln, also nicht im Kulissenstadtbild, die Häuser, Schulen, Wohnungen, Spielplätze verfallen. Wie auch hier die weitere Spaltung der Gesellschaft voranschreitet. Dafür haben die Kirchen, die Kommunen, die Bundesbehörden kein Geld, oder zu wenig. Das Argument ist gefährlich, denn auch für mich hat Kultur in prekären Zeiten einen hohen Stellenwert und muss, darf etwas kosten. Ich spiele nicht soziale gegen kulturelle Gerechtigkeit aus (Schaut euch den Film „The Square“ an…). Aber geht es hier wirklich um Kultur?

Ein letztes. Ich werde ab jetzt zu dieser Kirche, die keine sein wird, nichts mehr schreiben. Die Welt fällt nicht gerade an der Breiten Straße in Potsdam in Stücke, und Handeln müssen wir anderswo. Aber es deprimiert, wie wenig weit wir mit der Versöhnung gekommen sind angesichts von Umständen, die es in unserem Land leichter hätten machen können als anderswo.

Die Burschen in Österreich

Im neugewählten österreichischen Parlament sitzen überproportional viele Mitglieder der Burschenschaften. Das sind Studentenverbindungen und sog. „Alte Herrn“, die dem DEUTSCHEN Flügel der ÖSTERREICHISCHEN Rechten angehören. 41% der FPÖ Fraktion von 51 Sitzen sind Burschenschaftler (in der Bevölkerung machen die Verbindungsmitglieder gerade einmal 0, 05%

Ausführlich dazu: mein Blog „Sanktionen gegen Österreich: AUCH““ und, sehr informativ und ausgewogen: DER STANDARD, Wien 25./26.10.2017). Übrigens: der 26.10. ist Nationalfeiertag in Österreich, gedenkt des Abzugs des letzten Besatzungssoldaten nach dem Zweiten Weltkrieg 1955.

 

Schlagende Verbindungen haben früher schon gemäßigte, auch „christliche“ Studentenverbindungen zur Abspaltung gedrängt. Die Alten Herrn der jetzt wieder mächtigen Korporierten sind offen Nazi-Anhänger, verharmlosen das Dritte Reich, reden von Österreichern deutschen Blutes und bestätigen meine These: Nazis sind nicht einfach Faschisten, sondern wollen den Staat durch eine Volksgemeinschaft gleicher, überlegener Gene überbauen. Sie kommen im Alltagsleben dem deutschen CDU/CSU Unsinn von der Leitkultur nahe, sind aber in der Außen-, Innen-, Migrationspolitikhart an der Wiederbetätigungsklausel der Verfassung, was die FPÖ nicht daran hindert, höchste Staatsämter mit diesen Leuten zu besetzen.

Und die Burschenschafter liefern ihnen den Nachwuchs, und die Alten Herrn liefern diesen Jungnazis Stellen, Pöstchen, Verbindungen, vor allem auch im öffentlichen Dienst und in der Wirtschaft.

VERHARMLOSEN GILT NICHT. Wohin das führt., hat man in der Zwischenkriegszeit, in Weimar, gesehen, und auch in Österreich, als die illegalen Frühnazis schon Gegner nicht nur aller Demokraten, sondern der Austrofaschisten waren, die ja den StändeSTAAT propagierten und volkstümelnd doch kein Volk sein wollten. Dass diese Leute gewählt wurden, legitimiert sie nicht, denn sie wollen ja kein demokratisches Volk konstituieren, sondern direkte Macht in die Samenbänke und Eierstöcke der deutschen Brut hinein ausüben.

Könnte man alles ertragen, wenn, ja wenn, die Demokratie gefestigt genug wäre, eine solche Minderheit zu marginalisieren, zu bekämpfen oder gar zu konvertieren. ABER: da ist der voraussichtlich bald gewählte neue Bundeskanzler KURZ, eins so genannter Christlicher Demokrat der so genannten Volkspartei: der führt nicht die Nazis an, er repräsentiert den populistischen, rückwärts agierenden Pöbel, aber er VERHANDELT MIT DEN NAZIS UM EINE MACHTTEILUNG.

Nun sind Sanktionen zweischneidig: wir Touristen, Doppelstaatsbürger*innen, Kulturaktive etc. können durchaus Opposition und Streitkultur auch von Außen, sogar von Deutschland in dieses Land tragen, das auch eine helle Seite hat, ich ahb schon drauf hingewiesen, dass die Jelinek und die Menasses ja leben, dass es auch denkende junge Menschen gibt, die keine Burschenschafter sind, dass Teile der Justiz und der Verwaltung nicht korrupt sind und dennoch funktionieren – aber die brauchen ebenso Rückenstärkung wie eine Europäische Politik, dieden Kurz und den Strache, die ÖVP und die FPÖ, dorthin stellen wo sie hin gehören: an den ungewollten Rand jenes Europa, das weiter sich entwickeln, und das heißt: weiter weg von diesen potenziellen Kriegs- und Kulturverbrechern.