Wer will in die Wissenschaft?

Ich zeige hier eine Rezension. Das macht einer am Anfang seiner wissenschaftlichen Laufbahn, oder ein ganzes Leben oder sehr selten. Für mich gilt das erste Verfahren, ich war ganz stolz auf das Erscheinen einer bösen Besprechung von Heideggers Rektoratsrede im „Argument“, damals mein Leibblatt. Wie wird jemand hauptberuflich Wissenschaftler*in?  So altmodisch fragt nur, wer den Betrieb kennt und hinter sich hat. Beratungsliteratur, ja, aber irgendwie kippt das Altmodische ins Brandaktuelle, wichtig für die, deren Sprache noch nicht den Ausweis bringen muss, dass man „drin“ angekommen ist. Voilà:

Michael Daxner

Rezension:

Astrid Kaiser: Reiseführer für die Unikarriere – Zwischen Schlangengrube und Wissenschaftsoase.

Opladen&Toronto 2015 (Barbara Budrich).UTB 4453. ISBN: 978-3-8252-4453-8

Nach ihrer Pensionierung schreibt eine Hochschullehrerin eine Anleitung für künftige Wissenschaftler*innen einen Ratgeber (11), und sie bezieht den Untertitel auch auf den großartigen Film „The Snake Pit“ (1948). Da dieser Film sich nachhaltig auch auf mein junges Leben ausgewirkt hatte (ich hatte mit 10 über ihn gelesen, und ihn mit 15 gesehen), kann ich die subjektive Herangehensweise von Astrid Kaiser teilweise nachvollziehen, deshalb diese Anmerkung. Der Reiseführer ist ein Ratgeber für den wissenschaftlichen Nachwuchs (einem heute auch offiziell verpönten Begriff), und er geht von der erziehenden und betreuenden Aufgabe langjähriger etablierter Hochschullehrer*innen aus. Er ist geschrieben für Menschen, die sich schon entschieden haben, die Reise anzutreten, und die bekommen Ratschläge: viele sind realistisch und erfahrungsgesättigt, manche sind nur gut gemeint, wie alle moralischen Hinweise im Abschlusskapitel 14 („Bloß nicht“). Solange das Buch subjektiv erfahrene Regeln des Hochschulsystems verarbeitet, ist es schon deshalb lesenswert, weil es nicht von der Warte des allwissenden Hochschulwissenschaftlers ausgeht, der mit der Beschreibung auch gleich eine Begründung für seine Urteile liefert. Andererseits zieht Kaiser die Grenzen zwischen den Systemen (Wissenschaftssystem, Hochschulsystem, moralisches System, wirtschaftliches System) nicht klar. Die Reise geht in der Tat nach dem Prinzip vor, dass man sich erst einmal taktisch richtig in der vorhandenen Arbeitslandschaft der Wissenschaft orientieren und verhalten sollte, mit der Reform sozusagen „oben drauf“). Dass das ethische Bedenken provoziert, weiss Astrid Kaiser und schreibt darüber im Epilog (199-200).

In den ersten Kapiteln wird eine Phänomenologie der Universität geliefert, die die Reisenden und ihr Ziel einander näher bringen sollen. Kaiser reizt die Schlangenrguben-Metapher voll aus, um sich um die Befunde der Hochschulforschung zu drücken, und verlegt sich auf eine institutionelle Ethnologie. Bevor die Hochschulforscher hier kritisch einhaken, eine Überraschung: ich habe fast alles, was den state of the art in dieser Hochschulforschung heute ausmacht, wiedergefunden; nur eben subjektiv und sehr persönlich kontextualisiert, Astrid Kaiser „betreut“ ihre Leser*innen sozusagen im Coaching, das sie selbst kennt und über Jahrzehnte durchgeführt hat. Sie generiert eine Befindlichkeit und in den künftigen Wissenschaftler*innen keinen theoretischen Metadiskurs zur Herstellung der unabhängigen Variable Hochschulsystem für die Karriere der Professorin X. Für mich nicht schwierig, die Anschlussfähigkeit dieses metaphernreichen Texts zu prüfen. Manches kenne ich (wir waren lange Zeit an derselben Universität), manche habe ich sogar selbst erforscht, beraten haben mich wenige. Aber ich kann mir eines vorstellen, und darum ist das Buch wichtig: die heutigen Einstiegsbedingungen für Wissenschaftler*innen sind erheblich schlechter als zu meiner Zeit. (Als ich 1974 H4 Professor wurde, bekam ich als „Ausstattung“ zwei Ratsstellen und zwei Studentische Hilfskräfte zugeteilt. Ich fühlte mich „geachtet“ und wollte meine Privilegien ex post “verdienen“). Davon klingt in den Kapiteln 2-5 einiges an. Die ethnologische Beschreibung der Stammeskultur einer Hochschule erinnert an die Zeiten, als die Hochschuldidaktik unter Ludwig Huber sich endlich von den selbstgewählten Mythen verabschieden wollte, und ein neues Vokabular für Fachkulturen erfinden und Habitusforschung zulassen konnte – arg von der reinen Wissenschaft kritisiert. Kaiser braucht darauf nicht einzugehen, sie sitzt in ihrer Praxis und coacht die Neuankömmlinge. Die Ratschläge ab Kapitel 6 sind meist mehr, oft weniger brauchbar. Sie taugen nicht zur Herstellung eines strategischen Karriereplans, sondern bestimmen eher die Taktik in einer volatilen Umgebung. Die Insidertipps sind eine Wunderkammer: alle 17 Ausstellungsstücke sind für sich recht brauchbar. Manche hätte man verknüpfen und ausführen können. Wer all das für sich zurechtschneidet, wird tatsächlich besser fahren. Die Tipps verbinden eine sehr spezifische Sicht des akademischen Habitus mit der Erfahrung von eingesetzter oder potenzieller Macht. Es geht oft um Hochschulinnenpolitik, und weil es nicht so explizit ist, kann der kritische, vorsichtige Diskurs vielleicht verinnerlicht werden.

Astrid Kaiser vertritt in einem erklärbaren Sinn die Bedachtsamkeit und den Wagemut, derer es heute bedarf um in der Schlangengrube des Hochschulalltags Karriere zu machen. Mir geht sie manchmal zu sanft um mit den sozialen Abgründen, die im Aufstiegskampf gerade der jungen Wissenschaftler*innen Verhalten auch den eigenen Motiven entfremden. Vieles hat ihr Leitstern Wolf Wagner schon 1992 geschrieben, was nur zeigt, wie langsam langsame Systeme wie die Hochschule sind. Manches kann man nicht oft genug immer wieder neu lesen. Astrid Kaiser lässt sich nicht auf den politischen Kampf um/gegen die heutigen Probleme ein, wie Bibliometrie Aberkennung der Leistung in sorgfältiger Lehre, oder die ganze Exzellenzhysterie. Aber das muss sie nicht, sie berät die nächste Generation – und hofft, dass die Halbwertszeiten der Erfahrung nicht noch kürzer werden.

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