Nazis? Nicht schon wieder…

 

  1. Ein Problem: Wissenschaft und Satire.

Satire darf alles. Ich bleibe bei Tucholskys Satz, und zwar ohne Abstriche. Über Geschmack streite ich, jederzeit, aber nicht über die Freiheit ihn zu verletzen. Denn die Beleidigung trifft nicht die Menschenwürde, sondern die Ehre. Und Ehre ist eine analytische Kategorie, die eine Variable bezeichnet, des einen Ehre ist des andern Schande, und oft steht Ehre für Macht oder ersetzt Ohnmacht. Satire verweist auf die Wirklichkeit, die oft anders nicht zu sehen ist als durch ihren Angriff.

Wissenschaft darf auch alles. Sie verweist ebenfalls auf die Wirklichkeit, ihre Ergebnisse sind aber nicht dem Augenschein, sondern der Analyse und Theorie geschuldet, also der Wahrheit. Wissenschaft muss beleidigen, wo sie das angreift, was – aus schlechten Gründen oder Unwissenheit oder Täuschung, – für wahr gehalten wird. Sie ist aus den gleichen Gründen angreifbar, darf nicht beleidigt reagieren, wenn sie angegriffen wird, muss sich wehren, wenn ihr Versuch der Wahrheit kompromittiert wird.

Wie nun, wenn wissenschaftliche Begriffsbildung schärfer zuschlägt als Satire? Wenn man, mit guten und argumentierbaren Gründen Tabus bricht, Menschen so charakterisiert, dass sie entweder reagieren müssen oder nach dem Staat und dem Strafrecht schreien?

Populäre Beschimpfungen stammen nicht aus der Wissenschaft: „du bist behindert“, „du Opfer“, und dergleichen mehr stammen aus unserer jüngeren Geschichte und werden verabscheut, aber kaum kritisiert, nicht geahndet…sondern als populistischer Jugendjargon oder rechtes Idiom abgetan. Anders ist es seit einigen Jahren, als „Antisemit“ zum nicht-hintergehbaren Schimpfwort wurde. Versuch dich wehren, wenn dir einer das A-Wort entgegenschleudert, öffentlich gar, und du aus der Verteidigungsposition kaum sagen kannst, was du gerade gesagt hast. Wenn Antisemiten dieses A-Wort gut einsetzen, immunisieren sie ganze Gruppen und die Politik gegen den Antisemitismus und zerstören die notwendige Gegenwehr.

Wie ist das nun mit einem Gegenwort, „du Nazi“, mehr noch als „du Faschist“? (Die zweite Person „Du“ ist noch und immer eine zusätzliche Herablassung, die bei „Sie“ in der Anrede beleidigender und schärfer ist, weil man das gegenüber für voll nimmt). Das kann man doch nur sagen, wenn man begründet, jemand rede/handle wie ein Nazi oder er/sie handle als Nazi.

Als Wissenschaftler muss ich auf diese Differenz achten, aber in beiden Fällen muss ich von Nazis sprechen, wenn ich die begründbare und belegbare Vermutung habe, dass die Person wie und als Nazi spricht und handelt. Kein Vertun. Die Beweislast liegt bei meinen Argumenten und ob sich der Angegriffene verteidigt, und wie, kann mir erstmal egal sein: ich muss meine Aussage begründen, und auch, warum und wozu ich sie mache, genauer: wenn ich sie an die Öffentlichkeit wende, dann impliziert das auch meine Auffassung vom politischen Raum, indem sich nicht nur die Meinungsfreiheit konstituiert, sondern auch die Wissenschaftsfreiheit und Kritik und die Adressaten des Denkens ausgehandelt werden.

  1. These

Wenn man von Nazis spricht, haben viele die Assoziation von stämmigen im Nacken ausrasierten Schlägertypen und einer unflätigen und pöbelhaften Ausdrucksweise; deren Rede schon versprach, was sie dann ja auch eingelöst hatten. Die Feinfühligeren, die Gebildeteren unter den Nazis waren nur in ihren Kreisen sichtbar und wirkten nicht minder nachhaltig. Aber ihr Bild ist unscharf geworden, war nie präzise: zu viel Gemeinsames gab es in der Wortwahl, als dass man im Nachhinein auf den Inhalt hätte geachtet. Die politische Bildung und viel Aufklärung haben diese Vorstellungen einer Nazi-„Oberfläche“ verfestigt, sodass oft gar nicht mehr darüber nachgedacht wird, was eigentlich genau diese Leute damals gesagt, was genau sie angekündigt und was sie verwirklicht hatten. Verfolgen wir die Strategien der Nationalsozialisten nach und binden wir sie in damalige Diskurse ein, die nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa stark entwickelt waren, dann können wir vergleichen und werden viele Ähnlichkeiten erkennen. Wenn sich einer ausdrückt wie ein Nazi, argumentiert wie ein Nazi, die gleiche Logik anwendet wie ein Nazi, was ist der dann, oder die?

Es wäre naiv, die Bezeichnung auf oberflächliche Erscheinungsformen, Kleidung etwa, Leitbegriffe o.ä., zu reduzieren. Heute kommen Nazis natürlich ganz anders daher als in den zwanziger Jahren. Analytisch kommt man nicht umhin, die FPÖ in Österreich, die ungarische Regierungspartei und ihre Konkurrentin Jobbik und auch die AfD in Teilen als nazistisch zu bezeichnen, wobei die Abgrenzung zum totalitären Staatsbegriff oft unscharf ist (Faschismus will den gewaltsamen Staat, die völkischen Nazis wollen gerade die Herrschaft jenseits des Staats). Und entsprechende Traditionslinien lassen sich bis in die Hetze mancher „christlich-sozialen“ Parteivorständler und anderer Lautsprecher der Volksparteien, dort allerdings in der Minderheit, verfolgen. Jedenfalls ist der Begriff „rechts-populistisch“ verharmlosend, ja, beschwichtigend und außerdem unscharf, denn Populismus hat ja auch seine elitenkritische Seite. Und die ist natürlich bedenkenswert, wenn sich die Eliten im Wegschauen, Verharmlosen oder aber auch Verteidigen von Positionen üben, die Teil der Probleme und nicht ihrer Lösung sind.

Samuel Salzborn aus Göttingen ist einer der Wenigen, die diese historische Linie beim Namen nennen und verfolgen (FR 8.4.2016,2-3). Aber natürlich gibt es viel artikulierten Widerstand gegen das Wiedergängertum völkischer Ressentiments. Nicht nur das Feuilleton, auch die Reportagen und Kommentare der freien Medien bei uns sind besser geworden im Widerstand, auch hier mit bedauerlichen Ausnahmen. Nur wagt man die Analogie nicht oft auszusprechen, es erscheint undenkbar, dass sich wiederholt, was sich damit verbindet. Der Stacheldraht zwischen EU Mitgliedsländern, der Orban-Seehofersche Geifer, die christlich-nationalistischen Ausfälle in Polen, das stumpfe Ustascha-Revival, all das hätte ich vor drei Jahren zwar für denkbar, aber kaum für vorstellbar gehalten. Brüssel schweigt dazu, wie zu vielem Wichtigen. De Maizière wäre zu wünschen, in der Zeitmaschine als Hugenotte an den Grenzen Preussens zurückgewiesen zu werden; die rassistische Hetzjagd der CSU auf einen nicht-weißen katholischen Pfarrer ist nicht vor Gericht, sondern am Biertisch gelandet. Wiederkehr aus Einzelbeispielen summiert? Methodisch ist das möglich, aber nicht einfach.

Mir geht es nicht um die immer wieder notwendige Auflistung und Aktualisierung der deutschen und europäische Nazi-Novellen. Es gibt genügend Widerstandskraft, dass wir nicht „noch gibt es sie“ sagen müssen. Wir haben das Kabarett und die „Lügenpresse“, die man wieder so richtig mögen kann; aber wir sind in der Sphäre der politischen Öffentlichkeit zu unentschlossen zu sagen was ist. Als passte zwischen die CSU und den Rand tatsächlich noch jemand. (Ob das „Rechts“ im alten Schema ist, muss neu gedeutet werden…).

Übrigens: in den USA darf man sich wieder weigern, Schwulen etwas zu verkaufen, aus christlicher Gesinnung. Nur im vorzivilisierten Mississippi, auch in Carolina wird das vorbereitet. Man sollte den Botschafter einbestellen. Soweit zur Freundschaft.

  1. Antithese

Mit diesen Ausführungen lasse ich mich genauso instrumentalisieren, wie es die AfD und die Rechten in der Politik gerne wollen. Ich lasse mich von Einzelfällen, die verabscheuungswürdig, aber eben nicht repräsentativ sind, in die Falle locken, in dem ich den Nazi Höcke für die AfD und die bayrische Priesterverfolgung für die CDU nehme und dann den Schluss von der Wiederkehr der Nazis vorschnell ziehe.

„In Wirklichkeit“ ist das alles nicht so fürchterlich. Habe ich nicht selbst vor einigen Jahren – in wissenschaftlichem Zusammenhang – geschrieben, 15% für eine rechte Partei (also tatsächlich rechts von der CSU) sei in Demokratien normal und noch mehr sei verkraftbar, weil und wenn es eben eine Demokratie sei? Was machen denn die Rechten wirklich? Sie kritisieren Missstände, die die Regierenden verniedlichen oder ignorieren, sie schauen dem Volk aufs Maul, was die Regierenden tunlichst nicht tun, sie regeln im Lokalen, wohin die Herrschenden nicht kommen? Und im Übrigen ist der Rest des anstehenden Parteiprogramms so inhaltsleer wie die Programme anderer Parteien. Wir sind überheblich, wenn wir der AfD nicht glauben, sie nähme die Ängste des Volks nicht ernst. Und dass sie lieber Deutsch als muslimisch sein wollen, ist das gute Recht einer ethnopluralistischen Gesellschaft (Vorsicht: der Begriff hat es nicht positiv in sich).

Machen wir also gute und verständliche Politik, dann erledigen sich die rechten Ausreißer von selber, so wie das die Linke auch getan hat und noch tut. Gehen wir auf die Menschen zu, hören uns ihre Sorgen und Ängste an. Das Volk will nicht nur seinen Besitz bewahren, es will klare Regeln und angemessene Strafen für Regelverletzer haben, und das Eigene soll nie schlechter dastehen als das Fremde. Ist denn das nicht, mit winzigen Variationen, das im Normalmodus unserer Gesellschaft fast jeder sagen könnte, jeder Sozialdemokrat, Grüner, Christsozialer, Liberaler? Naja, Unterschiede muss es geben dürfen, weil es sie gibt. Und was die Nazi-Analogie betrifft, so ist der Vergleich absurd: es geht ja nicht um die Judenvernichtung, auch nicht um die Vernichtung von Flüchtlingen oder Muslimen, sondern nur darum, dass sie nicht so zahlreich bei uns das zerstören, was wir so beispielhaft – aus der Geschichte haben wir gelernt – aufgebaut haben. „Wir“, das Volk.

  1. Keine Synthese, und Kompromiss wobei?

Meine Antithese greift auf, was ich jeden Tag höre, in der S bahn, auch im Gespräch mit ansonsten eher angenehmen Gesprächspartnern, was ich lese in den Analysen der Medien und der Wissenschaft. Aber die Antithese ist ja nicht, was gesagt wird, sondern was es bedeutet, dass es heute und so gesagt und getan wird.

Zwischenruf: was ich damit meine, ist auch vorbildlich in der dreiteiligen Fernsehserie „Kudamm 56“ im ZDF abgebildet worden. Das war die Generation, in die ich hineingeboren wurde, und deren Kinder eben heute das Volk repräsentieren, und deren Enkel auch schon da sind im Konflikt. Ich konnte 1968 schreiben, dass wir nur 23 Jahre vom Kriegsende entfernt sind und 35 Jahre von der Machtübernahme; ich konnte 1989 schreiben, dass es nach 1968 fast so weit ist, wie von dort zum Krieg, und heute ist es verständlich, dass viele EU-Bewohner nach 1989 viel mehr Abscheu vor dem Kommunismus haben als vor den Nazis, die Halbwertzeiten der Erinnerung sind nur in der Wissenschaft leicht aufzubrechen; oder ist heute überhaupt noch in ein Geschichts“bild“ einzubauen, wenn man nicht weiß, wonach man sucht? Und deshalb auf Erzählungen zurückgreift, die unwahr, aber attraktiv sind („christliches Abendland“, Volksgemeinschaft geht vor Staatsmacht, Abgrenzung schafft Identität).

Ich habe schon mehrfach darauf hingewiesen, dass die Nazis seit ihren Anfängen zwei Diskurse besonders gepflegt hatten: zum einen die Kritik an der Demokratie genau dort, wo deren „Schwachpunkte“ eigentlich die Stärke republikanischen Staats- und Gesellschaftsverständnisses sind: die differenzierte und egalitäre Meinungsbildung mit dem Ziel, dass sich eine Republik Regeln gibt, an die sich Mehrheiten und Minderheiten halten, weil und nicht obwohl sie demokratisch zustande gekommen sind. Zum andern aber die Kritik an tatsächlichen Missständen, die – isoliert und überhöht dargestellt – nur beseitigt werden können, wenn die Verfahren beseitigt werden, die angeblich zu ihrem Bestandteil gehören. Solche Punkte sind nicht willkürlich aufgegriffen, Wissenschaft, aber auch genaues Hinsehen, kann sie oft erkennen: die Begründungen für die ausländerfeindliche Maut, die  Obergrenzendebatte über Flüchtlinge, die ständige Drohung mit Gewalt und Strafen (Schießbefehl, Sozialleistungsverweigerung etc.), und immer wieder der Besitzstand an imaginären Gründen für die eigene Zufriedenheit bzw. Unzufriedenheit mit den Herrschenden im „System“. Der Begriff taucht auch wieder auf.

Die Müdigkeit an der Demokratie, die europaweit um sich greift, schlägt uns oft den Widerstand gegen den Blödsinn der Nazis aus der Hand. Von Weimar sagt man, es wäre eine Republik ohne Republikaner gewesen, bei uns ist jedenfalls der Duktus der Gleichgültigkeit gewachsen gegen beides – das liberale tua res agitur, kümmere dich um das, was dich angeht, und zwar öffentlich, wo es hingehört – und die demokratische und solidarische Einsicht, dass niemand aus der Gesellschaft ausgeschlossen werden kann.

Die Konfrontation mit der Nazi-Analogie ist wichtig. Sie mag manche befremden und andere reizen, und wieder andere beleidigen. Das nehmen wir in der Wissenschaft auf uns, wie die Satiriker sich mit Karl Kraus sagen müssen: Satiren, die der Zensor versteht, werden mit Recht verboten. (Fackel 309/10). Und wer weiß, vielleicht sehen manche den Nazi-Vergleich mit Erschrecken, wenn sie lernen, was die Nazis wirklich gesagt und getan haben.

 

 

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