Finis terrae V: Am Ende kein Tod (Weltrettung)

 

WELTRETTUNG

Zurück zum Ausgangspunkt meiner Überlegungen, der Gegenwartsanalyse, der Verzweiflung an der Situation und dem Widerstand gegen die Resignation. Viele Ereignisse werden aufgelöst in eine Anzahl ungeordneter Anlässe zu Gewalt, Wut, Ohnmacht oder Illusionen. Das ist nicht neu, und jede Weltunordnung hat immer auch Erlösungsphantasien, Endlösungen oder aber die Hoffnung auf das Rettende ausgelöst, das schon zum richtigen Zeitpunkt erscheinen werde.

Ich hatte meine Reise an die Grenzen der Erde, unserer Welt, angetreten unter der Prämisse, es müsse uns Menschen ja nicht für immer geben, und dann sei ja nicht ausgemacht, dass es noch allzu viele Generationen nach mir gibt. Persönlich ist es schmerzhaft, wenn ich einerseits meinen Enkelinnen ein schönes Leben, vielleicht mit eigenen Kindern, wünsche, aber mir wenig Gedanken über den Zustand der Welt in hundertfünfzig Jahren mache. Aber das muss aushalten, wer nicht auf Eingriffe irgendeiner äußeren Macht vertraut. Andererseits gibt es Erlösungshoffnungen für die ganze Welt, d.h. für die Menschheit, die menschliche Art, seit Anbeginn der Geschichte – Erlösung zum dauerhaften Bestand, zum Glück, zur wiedergewonnenen Unschuld, seltener zur Freiheit, und ganz generell „Erlösung von dem Übel“, nun, dem stimmt man leichtherzig zu, weil es einen nicht betrifft. Zu manchen Zeiten häufen sich diese Hoffnungen, aber je weniger die Furcht vor einem Weltuntergang mit anhebender Ewigkeit von Himmel und Hölle ausgeprägt ist, desto biologischer, paradox also „ganzheitlicher“ werden die Weltrettungspläne, und, weniger paradox, desto politischer werden sie, wenn es um diese abzählbar wenigen Generationen geht, die wir vorausdenken können. Das beste Beispiel dafür ist die Klimapolitik, man lese Schellnhuber. Der teilt mit mir die Brennpunkte Moral und Verzweiflung, letztlich schreibt er ein begründetes und nachvollziehbares Regierungsprogramm. Genau betrachtet, will er nicht die Welt retten, sondern eine zivilisatorische Umkehr fordern,  zur Fortsetzung von Möglichkeiten zu leben, gut zu leben. (Wenn schon Erlösung, dann von der Dummheit, der Gier und anderen unangenehmen Produkten der Evolution, das muss man gar nicht so deutlich beklagen. Es geht um das richtige Handeln aus Gründen – Habermas‘ Begriff der Freiheit).  Solche wie Schellnhuber gibt es einige, nicht allzu viele, die alle die Themen bearbeiten, die aus den Problemen der Welt sich zwangsläufig anbieten. An ihnen werden wir noch weiter arbeiten können.

Die andere Art der Weltrettung, implizit auch politisch, aber ganz und gar nicht handhabbar, liegt in einer Fülle von Ratschlägen, die angeblich direkt aus der menschlichen Natur bzw. gerade der Natur rund um uns Menschen abgeleitet werden. Eine ganzseitige Anzeige in einem der besten kritischen Journale der Welt, der NYRB (9. Juni 2016), titelt: „The Book that Saves the World“ und wirbt für Jeremy Griffiths „Freedom – The End of the Human Condition“. Die Analyse menschlichen Verhaltens bietet den Schlüssel zur Rettung der Welt, meint der Biologe Griffith. Lassen wir die Inhalte…die können wir kostenlos herunterladen, obwohl das Buch überall zu kaufen ist. Eine Woche später liegt der ZEIT eine 45-seitige Broschüre bei, Eigenverlag von Klaus-Dieter Rauser: „Ist es schon zu spät, oder ist der Homo sapiens noch zu retten?“ (16. Juni 2016). Ich gehe deshalb nicht auf die Inhalte ein, weil sie entweder trivial sind – unabhängig von der Ableitung aus wissenschaftlichen Quellen und Statistiken – oder aber den Zweck ganz und gar von der politikfähigen Aneignung und Verwendung der Mittel trennen. Derlei gibt es viele Texte, und oft wird gleich eine Gemeinde mit missionarischem Eifergebot gegründet. Über Griffith gibt es eine kritische und wissenschaftliche Auseinandersetzung, die von seinem Endzeitmodell Abstand nimmt und die Begründungen angreift. Bei Rauser lohnt ein Zitat, um das Problem zu sehen: „Die Menschheit steht somit alternativlos mit dem Rücken zur Wand (sic!). Aber die Vision eines sich selbst regulierenden Systems, das die Menschen so akzeptiert, wie sie nun mal (!) sind, und sie gewaltfrei steuert, macht Hoffnung für den Homo sapiens und seine Musik. Mit diesem System würde sich die Menschheit, aus sich selbst heraus, allein durch einen Wandel im Denken die Möglichkeit einer Rettung verschaffen. – Warum eigentlich nicht?“ (S. 7). Da ist alles drin, einschließlich einer Syntax der letzten Dinge. Mit der Frage „Warum eigentlich nicht?“ sind wir schon bei Radio Eriwan.

Aber man muss sich über die heutige zivilisationskritische und meist kulturpessimistische Welle nicht einfach amüsieren, die ewige Neuauflage der teils esoterischen, teils positivistischen Umkehrpolitik mithilfe eines Masterplans zeigt eher, wie langsam die nach wie vor stattfindende Evolution im Denken vor sich geht. Oder aber: bis zum Ende sind wir noch nicht am Ende. (Inclusive einer Arbeitsweise wie bei Max Frisch: der Mensch erscheint im Holozän). Es evolviert uns weiter, unbarmherzig bis zum Ende, und zeigt ebenso grausam, dass wir ja noch nicht beruhigt, erlöst Rückschau halten können. Insofern sind Weltretter sentimental und belügen nicht nur sich selbst.

Die Ratgeber zur Weltrettung haben durch die Medien und kurzen Halbwertzeiten zwischen den preiswert mitgeteilten endgültigen Heilsplänen heute etwas leichteres Spiel als noch Rudolf Steiner. Was ich an diesen Kuriositäten sehr ernst nehme ist, welche Fragen sie absurd beantworten, was sie aufregt, warum sie sich als Weltretter verstehen. Das ist im Übrigen der wichtigste Unterschied zur politischen Perspektive für die jetzige und bestenfalls die folgende Generation, über ein Thema vermittelt, das das hinter ihm stehende Problem zu benennen versucht. Aber bei den eher seichten eschatologischen Visionären stehen oft Detailwahrnehmungen aus dem Puzzle der Unordnung Pate für ihre Rettungsphantasien. Wie die zusammenhängen, ist mir wichtig zu wissen.

Jede absehbare Katastrophe, die nicht nach Teilhabe- und Deliberationsregeln angegangen oder der nicht „vorgebeugt“ wird, ruft nach dem Ausnahmezustand. Wer Regeln entwirft, wie dem Desaster zu entrinnen sei, suspendiert meist die selbstverständlichen Grundrechte, v.a. das Recht, Rechte zu haben angesichts der tödlichen Gefahr. Wer den richtigen Plan für ein antizipierendes Verhalten hat, braucht Macht, es durchzusetzen. Was mich besonders beunruhigt sind Katastrophen, die herbeigeführt werden, damit man diese Macht bekommt.

Die Anthropologie berichtet vom Zusammenhang von Gesellschaft und Macht, jede Ethnologie geht auf diesen Zusammenhang ein und alle Gesellschaftswissenschaft kann ihn nicht aussparen – seltsamerweise kommt aber bei vielen politikwissenschaftlichen Analysen noch nicht der Begriff systematisch vor. (Implizit wird dann oft Herrschaft thematisiert, aber dass es die Macht ist, die maßgeblich die Beziehungen zwischen Menschen und Gruppen in der Gesellschaft beeinflusst, dass Macht dieses große „Dazwischen“ ist, von dem Hannah Arendt auch oft denkt, kommt oft gar nicht vor. Ironisch sage ich den Kollegen der Politikwissenschaft dann, das käme davon, wenn Staaten als Akteure unhinterfragt ins Spiel kommen, und wie sich ein Staat die Macht denkt, das müsse man mir erklären).

Ungesättigt entfaltet sich der Katastrophenbedarf. Die Verstätigung der Krise, also perpetual crisis statt perpetual peace als Prinzip der Dynamik leitet weiter meine Kritik.

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Man könnte den Brexit für eine wirkliche Krise halten. Ist er aber nicht, sondern ein Symptom, wie die Flüchtlinge, ein Symptom für ein wirkliches Problem sind, das es schon lange gibt. Es ist nicht nur ein Mangel an politischer Ausdifferenzierung und Evolution – siehe oben – dass man schlecht liberal die Wirtschaft dem guten Leben, der Zivilisation gegenüberstellt, dass die Fragen: wie wollen wir leben? Und Wovon wollen wir leben? Eben auch getrennt sind, sondern dass man meint, die Vision würde dadurch eingeholt, dass mit der Weiterentwicklung der Europäischen Union auch der Begriff von Europa wachsen und sich entwickeln würde. So ganz ohne Anstrengung zeigt sich das Rettende nicht.

Wo also ansetzen, um nicht unversehens in die alten Bahnen einzuschwenken und dann doch dort herauszukommen, wo ich nie landen wollte. Im politischen Feuilleton, so wichtig es sein mag, auch nicht in der disziplinierten, disziplinären Fachliteratur, und schon gar im Großen und Ganzen. Ich kann für mich in Anspruch nehmen, dass ein sehr frühes Buch hieß: Entstaatlichung und Veröffentlichung – mit Jürgen Lüthje und Henning Schrimpf (1991), damals ging es um Hochschulreform, und es war nicht mein bestes, und auch nicht ausgereift. Aber der Gedanke von damals hat bis heute getragen. Mit dem Staat kann man nicht alles erklären, was politisch und kulturell, sozial und moralisch eine Gesellschaft antreibt: heute sage ich, antreibt von Konfliktregulierung zur nächsten. Aber ich kann wenigstens dabei beginnen, ohne philosophisch zu werden und ohne die Wissenschaft auszusperren, ohne ihr gleich zu verfallen, in der „Wissenschaftlichkeit“ der Doxa, der legitimen Meinung. Veröffentlichung, das ist gar nicht leicht zu beschreiben: der Raum der politischen Verhandlung der Antworten auf meine beiden Fragen, wie wir leben wollen und wovon. Die Antworten gelten überall, nicht überall identisch, also global, aber nicht im Rahmen der Globalisierung – die ist ein Produkt einer bestimmten, weder unabwendbaren noch konsistenten Politik; die hat die Antworten nicht leichter gemacht. Zu behaupten, davor – vor der Globalisierung – sei alles besser und leichter zu beantworten gewesen, ist ebenfalls hybrid. Aber ohne hier kein dort. Ohne die überschaubaren Grenzen des Erfahrbaren, aus dem sich Intuitionen bilden, Assoziationen (andere sagen Träume, gar Visionen, ich bevorzuge Utopien) und das Ausprobieren des Verhandelbaren zum besseren Leben. Das ist nicht Heimat, das sind nicht der eigene Garten oder die Familie, das Dorf und der Bezirk, den man grad noch vom Kirchturm überblickt. Das Hier ist immer auch schon die Welt, bis hin zum finis terrae, zur Halbinsel, die ins Unbekannte vorstößt. Aber dieses Unbekannte als Dort auszugrenzen, ist vielleicht ein Anfangsfehler. Es gibt eine Menge, die wir nicht wissen und kennen. Aber es spricht nichts dagegen, seine Grenze dadurch auszuloten, dass wir beginnen bei dem, das wir wissen. Das ist ein klares Plädoyer gegen die Meinungen und Ahnungen, gegen das Gefühl von etwas anderem zu anderer Zeit (Degenhardt: Irgendwann, da komm ich gaaanz groß raus…). denken muss etwas wissen, und wissen, wo es nicht weiter geht. Hier beginnt die Politik.

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  1. Juli. Hier wollte ich anders weiter schreiben, als es im nächsten Blog erfolgt. Gestern der Anschlag von Nizza. Gemessene abgewogene Kommentare von Experten, schnelle Nachrichten und manchmal das ungefilterte Leid von Angehörigen der Ermordeten. Es zeigt sich, was vorherzusehen war: Normalisierung, die Normalität erzeugt. Und ebenso zu erwarten: wütende Kritik an eben dieser Normalisierung. Ich schreibe die nächsten Blogs anders weiter als ich mir vorgenommen hatte. Und nicht unwichtig: was nehme ich mir vor und warum schreibe ich weiter?

Das noch hier, bevor ich die Leser*innen bitte, die letzten und die neuen Blogs weiter zu verfolgen. Es kann nicht sein, dass ich im öffentlichen Raum nicht sprechfähig bin, dass sich die implizite Zensur des Wissenschaftsbetriebs, dass sich implizite Korruption der regierungsamtlichen Lobbyunterwerfung, dass sich die Diskurstaktik der Nazis im Pluralismus der Blinden ausbreiten kann. (und natürlich: wer wenn nicht ich?).

Warum ich weiter schreibe: um einen anderen Weg zu finden als die Taubheit und Blindheit gegenüber dem, was wir wissen können und längst wissen müssten. Es ist sozusagen eine Stilrichtung, ein individuelles Genre der Eschatologie unsere derzeitigen Situation – ich schreibe an einem Totentanz. Von dessen bildlicher Darstellung machen sich viele ein falsches Bild, als tanzte der Tod allüberall, schon gar mit lebenslustigen Mädchen.

 

Nein, dieser Herr Tod ist eine besänftigende Erfindung, eine Konstruktion, für die vor allem gedacht, die ihm, dem Herrn, das Leben entgegenstellen. Aber Malraux hat Recht: es gibt keinen Tod, es gibt nur mich der stirbt. Es gibt nur uns, die sterben müssen, und das wäre nicht das Ärgste, würden wir nicht selbst gegenseitig so viel zu diesem Sterben beitragen. Nicht nur als Täter, Mörder, achtlose Verursacher vorzeitiegn Sterbens, sondern in ganz komplexe Netze eingebunden, in denen sich oft die Nebenwirkungen unserer Handlungen nicht absehen lassen – oder doch: aber gut verdrängen jedenfalls lassen sie sich. Also schreibe ich weiter.

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