Jede Kriegserklärung ist ein Sieg der Terroristen. Schon nach 9/11 war der War on Terror eine fatale, für tausende Menschen tödliche Falle. Kriegserklärungen – juristisch oder bloß rhetorisch – bezeichnen Augenhöhe: man bekämpft sich, aber man ist im gleichen Regelsystem „eingebettet“, z.B. anerkennt man die Haager und Genfer Konventionen. Krieg sagen bedeutet, wie die Erklärung von dauerhafter Krise, den Griff nach dem Ausnahmezustand. So sagt es ja auch der schwache französische Präsident. Wir sind nicht im Krieg, sondern Angriffsziel von Verbrechern, die politische, religiöse, ideologische oder schlicht wirtschaftliche Gründe haben, andere Menschen zu töten oder zu bedrohen. Auch wenn der Islamische Staat sich so nennt, ist es doch eher so, dass auch eine Mafiabande sich Familie nennt. Diese Unterschiede zu erkennen, zu deuten und daraus Konsequenzen ziehen, wäre ein Zeichen von aufgeklärter Bildung. Dem verweigert sich der vorgeblich antipopulistische Populismus der meisten Politiker, die immer nur eine Gegenwehr kennen: Überwachen und Strafen. Foucaults Untersuchung jetzt wieder zur Hand zu nehmen, ist ein praktikabler Rat.
„ ‚s ist Krieg!“ von Matthias Claudius „ich begehre nicht schuld daran zu sein“ ist ja doppeldeutig: man möchte nicht schuldig am Krieg werden, aber auch man spricht sich frei von der Schuld, die kausal, als Ursache, die Gewalt mit begründet hat oder befördert (so wie man nicht „schuld“ sein möchte, wenn die Flüchtlinge zu Tausenden im Mittelmeer ersaufen, nur weil man eine falsche Grenzsicherungspolitik betreibt).
Jede Anerkennung des Gegners als Feind und Subjekt kriegerischer Gewaltanwendung kennt nur Sieg oder Niederlage. In der Anerkennung liegt schon der Respekt vor dem besiegten Feind. Darum sagen viele Politiker, auch bei uns, der Krieg werde lange dauern, weil man ja weiß, dass es in dieser Auseinandersetzung keine Sieger, nur Verlierer geben kann. Eben weil es gar kein Krieg ist.
Wir wissen doch, was gemeint ist, wenn Kinder den Krieg der Knöpfe spielen oder wenn Star Wars sich von Serie zu Serie kämpft. Warum wollen wir es jetzt nicht wissen, wo es wirklich blutig, ernst, mit vielfachem Sterben sich ereignet und wir mühsam versuchen, eine zwar mitleidige, aber doch Beobachterperspektive einzunehmen, die uns erlaubt zu urteilen.
Schon der Krieg gegen die Drogen ist kein Krieg. Schon der Krieg gegen Armut und Ausbeutung ist keiner, den man mit den Kriegen zu Entkolonisierung oder gegen eine Diktatur vergleichen könnte. Die Kampfesmetapher wäre angemessener, und Widerstand ist selten Krieg.
Natürlich nützen die Hetzer jeden Anschlag aus. Sie lügen die Geschichte zurecht (man lese Compact), sie sagen „Islam“ und meinen rassistische und ethnische Vorurteile, sie verbergen die Schuld anderer Religionen, vor allem des Christentums, in der Verabsolutierung des Anderen, des Islam, und denken nicht an die Folgen.
Die Nazis erklären uns – ich idealisiere uns als die kosmopolitische, kritische, aufgeklärte Zivilisation – den Krieg, wir müssen die Erklärung aber nicht annehmen. Frau Petry im Bürgerbräukeller, Herr Höcke im Reichsrasseamt, und wie sie alle heißen bis hin zu den alten Brexit-Briten, die vor Bedeutungsverlust kaum atmen können: sie alle leben davon, dass wir dazu neigen wie ein Pawlow-Hund auf sie zu reagieren.
Das heißt nicht, dass wir Kriegserklärungen, die innerstaatlichen Feinderklärungen (ich habe den Begriff von Peter Brückner auf die heutige Zeit verschoben) annehmen müssen, und passiv warten, bis sich die Täter totlaufen. Das heißt auch, dass der Staat sein Gewaltmonopol glaubwürdig wahrnehmen muss, dass man diese Leute nicht rück-um-erzieht, sondern ihnen den Platz im öffentlichen, politischen Raum verweigert, weil es mit ihnen nichts zu verhandeln gibt. Sie sind wichtig, weil sie eine Gefahr für Leib und Leben und vor allem für unsere Freiheiten darstellen, aber man muss sie deshalb noch lange nicht ernst nehmen. Damit sage ich, dass sie uns bedrohen, ob wir sie ernst nehmen oder nicht, und sie werden nicht einen Schritt sanfter, wenn wir ihnen bei Bagatellen entgegenkommen. Das beweisen auch Leute wie Erdögan oder Orban. Sie sind Teil unserer Gesellschaft, aber sie sind nicht Teil jener Kommunikation, die uns erlaubt, uns mit der mühevollen, ächzenden, rückschlaggewohnten Demokratie zu reproduzieren.
Ich habe beim Krieg gegen Terror begonnen und lande bei unseren Nazis. Es gibt da Zusammenhänge, und zwar in unserem Verhalten, in unserer Einstellung und in unserer Kritik. Nicht dass wir Widerstand leisten, sondern wie wir das tun, ist wichtig. Und da kann uns schon der Widerstand gegen die korrupte, lässliche oder hinterhältige Form der Governance, der Regierungsführung helfen, legitim auf kriminelle und terroristische Akte zu reagieren, ohne das verlogene Balancieren von Freiheit oder Sicherheit mitzuspielen. Die Verbesserung unserer Demokratie und Regierung ist auch ein Beitrag im Abwehrkampf gegen Terrorismus.
Die Tage sind schlecht für gesinnungsethische Hierarchiebildung.
So klug und analytisch hilfreich vieles ist, das im Feuilleton, auf Podien, in politischen Schriften festgelegt ist – es ist wichtig! -, so ungenügend „erreicht es die Massen“. Die brauchen oft den Grundkurs in politischer Begriffsbildung. Man kann unschwierig Terror und Terrorismus unterscheiden. Staatsterror in anderen Ländern können wir von Außen nur ein wenig beeinflussen, aber nicht bekämpfen. Beim Terrorismus sind wir gefragt, auch wenn er normal zu unserem Alltag gehört.