Für Geld zurück in die Zukunftslosigkeit

STERBEGELD UND ABLASSHANDEL.  Afghanische Flüchtlinge werden abgeschoben, dafür gibt es Entwicklungshilfe für das unsichere Afghanistan. So einfach ist das? Nicht ganz.

„Salahuddin Rabbani, Minister of Foreign Affairs, told the house, “European countries told us: you should either receive our aid [in the form of aid] to Afghan refugees in our countries, or for development projects in Afghanistan; you can choose between these two options. They asserted very clearly that they cannot help Afghanistan in both areas.”  AAN 6. Oktober 2016. Bitte den ganzen Artikel lesen: EU and Afghanistan Get Deal on Migrants: Disagreements, pressure and last minute politics by Jelena Bjelica (https://www.afghanistan-analysts.org/eu-and-afghanistan-get-deal-on-migrants-disagreements-pressure-and-last-minute-politics/)

These

14 Jahre hat Deutschland in Afghanistan an einem Krieg mitgewirkt; man hat eine begründbare und vielleicht aussichtsreiche Intervention durch die Fehler der Amerikaner, eigene Fehler und wohl auch die der afghanischen Regierung in ein Desaster münden lassen, unbeirrt, unbelehrbar.

Jetzt werden ca. 50.000 Afghanen von der Europäischen Gemeinschaft, das heißt in diesen Tagen und im konkreten Fall aus Deutschland abgeschoben, damit man sich leisten kann, dem maroden afghanischen System weiterhin Geld  nachzuwerfen, damit man sich seiner moralischen und politischen Haftung entledigen kann. Es geht nicht darum, die Betroffenen wirklich abzuschieben, da ist der Rechtsstaat vor, sondern darum, neue Flüchtlinge abzuhalten. Und das ist nirgendwo leichter als mit einem Land, das dringend auf Hilfe, und nicht nur Zusammenarbeit angewiesen ist.

Abdullah Abdullah, der „CEO“ der afghanischen Regierung behauptet, es hätte keinen Deal gegeben. Mogherini behauptet, es hätte keinen Deal gegeben, Abschiebung gegen Entwicklungshilfe. Steinmeier, den ich sonst überaus schätze, fällt in die gleiche Rhetorik. Der Choleriker Erös wird als Eideshelfer benutzt: Afghanistan ist sicher, kein Krieg, nur ein paar Anschläge (5.10. DLF). (Wie sicher, kann man am besten in ausländischen Medien nachlesen, gerade jetzt in der INYT: „Voices from Afghans caught up in a worsening war“, 10.10.2016, S.7.

Klartext: wenn 50.000 Afghan*innen, darunter viele unbegleitete Jugendliche, abgeschoben werden, wird das für viele das Ende des Lebens oder ihrer Lebenshoffnung oder ihrer Emanzipation aus einem unerträglichen Lebensumfeld, oft schon jahrelang im Iran oder Pakistan,  armselig, oft als Minderheit bedroht, bedeuteten.

Was mit diesen Heimkehrern geschieht, ist ungewiss. Familien, die viel Geld in die Flucht investiert hatten, werden enttäuscht oder feindselig sein; Familien, die froh sind, ihre Angehörigen wieder zu bekommen, werden jedenfalls nicht besser leben als zuvor; wer abgeschoben wird, wird in die Arbeitslosigkeit, im Falle vieler Hazara und anderer Minderheiten auch in die Stigmatisierung geführt. Und wer politisch denken kann, wird die Verantwortung der Deutschen für dieses unnötige Drama erkennen – vielleicht wird das auch eine Gefahr für die wenigen Deutschen in Afghanistan, die aus ihren Bunkern dürfen. (Dieser Aspekt wird auffällig standhaft geleugnet, ich möchte nicht Recht behalten).

Von wegen sicheres Herkunftsland: es gibt keinen Ort im Land, der vor Anschlägen geschützt ist. Die Deutschen beurteilen meist die Lage aus den Sehschlitzen ihrer Hotelbunker oder den Treppenaufgängen gesicherter Ministerien (beide sind auch nicht wirklich sicher). Natürlich wird nicht jeder, der sich vernünftig bewegt und die Umstände erkennt, immer und sofort ermordet oder entführt. Erös vergleicht das mit den Verkehrstoten in Deutschland. So denken Realpolitiker ohne Moral und Verstand. Aber für die Abgeschobenen besteht Lebensgefahr, mehr noch als für die, die im Land leben.

Antithese

Es ist richtig, so viele Afghan*innen wie möglich abzuschieben, wenn sie keinen Anspruch auf Asyl oder Duldung haben (und dass die nicht zu viele werden, dafür kann man, wie man täglich sieht, sorgen). In Afghanistan herrscht der Normalzustand aufgegebener intervenierter Staaten: die Intervention (Besatzung, Militäreinsatz) hat ihre Ziele weitgehend verfehlt, jetzt haben die Lokalen die Verantwortung. Und aus der Haftung haben wir (die Intervenierenden insgesamt) uns doch mit hunderten von Milliarden Dollars herausgekauft (selbst wenn man militärische Ausgaben und Selbstschutz abzieht, bleibt eine gewaltige Summe).

Wir verkennen nicht, dass die Lebensumstände in Afghanistan nach wie vor schlecht sind, dass die Regierungsführung trotz aufwändiger deutscher Projekte nach wie vor nichts taugt, aber wo auf der Welt ist das anders? Man kann Deutschland nun wirklich nicht vorwerfen, dass es bei den humanitären und technischen Hilfen geknausert hätte; dass die Regierungen in Kabul weder Beratung noch Geld bekommen hätten, um ihre Governance, ihre Regierungsführung zu verbessern. Das müsste doch auch den aus Deutschland mit einem Reisepakt versorgten und stabilisierten Schubhäftlingen zugute kommen, die ja vielleicht sogar der darbenden Wirtschaft Afghanistans einen Impuls geben können. Eine Analyse der sozialen und kulturellen Kapazitäten der ankommenden Afghan*innen wäre dringend notwendig. Damit könnte man genauer auf den ambivalenten Wunsch der Regierungsmehrheit in Kabul eingehen, sehr wohl Abgeschobene zurückzunehmen und in eine wirtschaftliche Dynamisierung zu integrieren (und zusätzliche Leistungen zu erhalten). Und Maizière, Erös und andere Fachkundige wissen, von den Geheimdiensten und der Botschaft instruiert, wo es sicherer ist als anderswo, wo es unsicher ist und wohin man ruhig abschieben kann. Ich weiss es doch selbst…und Anschläge gibt’s bei uns auch.

Wenn wir die Afghanen abschieben, können wir den wirklich Hilfsbedürftigen besser helfen, und es wird ja schon geredet, dass man auch nicht alle Syrer behalten muss. (A8ußer denen, die in Sachsen die Aufgaben der deutschen Polizei erfüllen, so nebenbei).

Politik

Der Konstruktivismus lässt politische Entscheidungen nach normativen Maßstäben aktiv werden, die nicht einfach an der Oberfläche der Welt erkennbar sind, sondern gewollt eine bestimmte Richtung einschlagen. Z.B. Abschreckungspolitik, z.B. humanitäre Interventionen, z.B. menschenrechtsbasierte Außenpolitik usw. Es wird konstruiert, was nicht einfach aus der Situation und den Machtverhältnissen gefolgert wird, die ohnedies anarchisch und nicht geordnet erscheinen. Soweit für den Beratungstisch. Afghanistan war und ist eine Katastrophe in der Umsetzung an sich sinnvoller und vertretbarer politischer Aktionen. Nicht die Intervention hat die Katastrophe bewirkt, sondern die Fehler und Versäumnisse, die in ihrer Umsetzung und Politik bis heute geschehen. Deshalb ist der Abschiebungsdeal so unfassbar schäbig, weil er diese eigenen Versäumnisse damit zu tilgen scheint. Aber nichts bleibt auf Dauer verborgen.

Viele Afghan*innen sind keine Flüchtlinge, sondern Migrant*innen aus Not und Zukunftslosigkeit, viele flüchten nicht vor dem, was ist, sondern vor dem, was kommt.

Synthese

Der Deal Geld für Abschiebung ist dann ein Skandal, wenn man moralische und auch praktische Maßstäbe an Politik anlegt. Bezogen auf eine Beruhigung der deutschen Hysterie ist der Deal gut, weil er die bedenkt, die bei jeder Meldung über afghanische Krakeeler, Rechtsbrecher und Unangepasste auch ihr Unverständnis für das deutsche Engagement bestätigt sehen (für dieses Engagement habe ich selber mehr als zehn Jahre eher regierungsfreundlich gedacht und geschrieben, auch gearbeitet…).

Ein Versäumnis der deutschen Regierung: die Diaspora wurde nie ernsthaft in die Flüchtlingspolitik einbezogen. In den Ministerien weiß man über sie zu wenig und nicht immer das Richtige; die Kommunikation zwischen Asylbewerber*innen, Flüchtlingen, Migrant*innen und der afghanischen Bevölkerung wurde nicht tragfähig ausgewertet; hier könnte multikulturelle, friedensfördernde Kooperation liegen, die auch Rückkehrende vom Stigma der Deportation und Abschiebung ins Unerträgliche befreit.

Die deutsche Regierung haftet für genau die Lebensumstände mit, die es eigentlich verbieten, auch nur eine Afghan*in abzuschieben.

Nachsatz: das gilt natürlich auch für das gerade entdeckte „Afrika“ (das ist kein Land, sondern ein Kontinent, bitte).

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