Zurück in die Spur
Weder habe ich Anlass noch Intention dieser Folge von Überlegungen zum Ende der Welt, wie wir sie kennen, vergessen. Des Jenseits beraubt und nicht bedürftig, treibt es die Immanenz immer weiter auf einen Zustand hin, in dem ich heute schon meine Enkelinnen beweine, weil sie so viel nicht mehr sehen werden, das ich noch kenne; weil sie so viel wissen werden, das wir noch hätten ändern können. Immerhin sind die Zeitläufte noch so langsam, dass ich mich unterbrechen lassen kann, durch den unmenschlichen Deportationsminister oder einen grünen Parteitag. Aber aus den Augen habe ich das nicht verloren, was vielleicht noch ein Überbrücken, einen Seitensprung erlaubt.
Ich gleite wieder in meine Spur, in die Spur von Verzichtethik und Weltbürgertum, altmodisch, und nicht gleich gereizt, wenn das einigen zu lahm erscheint. Da ich die wohlfeilen Opfer ihres Bedeutungsverlustes rund um mich besonders häufig erlebe und mich aus dem Pleijadenstrom nicht ausnehme, der ins Dunkle abzieht, erstmal hier beginnen.
Was mache ich hier eigentlich?
Ich gleite keineswegs in die raunende kulturpessimistische Selbstverabschiedung ab, einen Umweg müsst ihr mir aber gestatten. Die melancholische Eingangspassage hat ihren ganz und gar metallenen Hintergrund, der ja für vierzig und mehr Jahre die Aussenhaut meiner Reproduktion war.
Aber aus gutem Grund verwende ich die Metapher, dass ich mir, dass der Wissenschaftler dem homo politicus, über die Schulter schaut, gerade jetzt; seit dem Kosovo verfolgt mich das Bild, dass mir das alter ego dabei zuschaut, wie ich meinen Nachruf verfasse, je nachdem, aus welcher Position, bedeutungen zuschreiben und sie verglühen zu sehen. Finis personae bevor es an das Ende der Welt geht.
Mein Finis terrae ist natürlich auch nicht neu, Leggewie und andere haben finisterrae oder Finistère längst abgewandelt. Aber gegen das Finis Germaniae muss man auch ankämpfen, plötzlich war Sieferle + in aller Munde, damals galt er als ökologische Entdeckung, damals, vor 30 Jahren. (Den Skandal der unbedachten Exhumierung kann ich euch nachzuverfolgen nicht ersparen, er ist leicht aufzufinden und typisch; so, wie die Baberowski-Debatte oder die Bundeswehr-Nostalgie am Drecksrand der Truppe – nicht von der Leyen ist Schuld an diesen verrotteten Residuen)…
Aus der sinnbildlichen Welt zurück an den Schreibtisch: das Nachdenken schwankt zwischen der angemessenen „Melancholia“ und der kurz aufkommenden „Euphoria“. Nur nicht zu schnell stoisch werden.
Zurück zum Weltbürgertum und zur Verzichtethik. Ich rufe in Erinnerung, dass Endlichkeit ohne Bedauern auch normativ zu sehen ist, wenn man nicht will, dass so gehandelt wird, dass es weitergeht, erträglich und lebensfroh. Aber dass das bestenfalls eine Haltung ist, keine Politik.
Die Verteidigung des Nationalen ist das Placebo (so etwas macht Sloterdijk), einen Aufschub zu bekommen. Das Supranationale (Nicht: „inter-„!) ist ja noch gar nicht ausgeprägt. Der grossartige Versuch der Vereinten Nationen musste scheitern, als man beschloss, alle ohne Prüfung der Verlässlichkeit punkto Charta und Menschrechtspraxis aufzunehmen; er ist ja nur halb gescheitert, Dag Hammarskjöld und Kofi Annan habens gezeigt, und noch immer ist es eine Hoffnung, dass dieser institutionelle Messias zu Lebzeiten kommen möge. Stärker noch die Kraft in der EU. Nicht Europa beschwören, es gibt es nicht, aber es kommt, wenn man es macht.
Ein Missverständnis zeigen viele, die das Problem erkannt haben: Der Rettungsanker „Nation“ funktioniert nur (mehr), wenn „Nationalismus“ dem vorgeschaltet ist. Der Westfälische Frieden kann im Zeitalter der Globalisierung nicht funktionieren, und wenn territoriale Souveränität nicht funktioniert, können alle Verhaltensnormen im politischen Umgang der „Völker“ mit einander auch nicht funktionieren. Also schmieden die neuen Autokraten in Russland, Polen, Ungarn neue nationale Mythen (die als Ideologien erscheinen), während die Selbstherrscher in den Vorstandsetagen, Trump an der Sitze, darauf verzichten und den Betrieb als Quelle autokratischer Macht benutzen, um dann auf die schäbige Linie der Autokraten einzuschwenken. Das hat mit der Nation von 1776 oder 1789 wenig zu tun.
Aber wie sich der oft pathetischen, aber anthropologisch verständlichen Forderung des „Belonging to“, der Zugehörigkeit stellen, wenn man sich nicht in unsinnige Identitätsverstrickungen verliert? Die negativen Folgen der Globalisierung sind hinreichend diskutiert. Irgendwo stößt irgendwer immer an die Fragmentierung der Welt durch Ressourcen-Knappheit und ungerecht verteilte Eigentumstitel. Es gibt aber eine positive, Widerstand verheissende Folge der Globalisierung. Wenn der öffentliche Raum nicht unendlich, aber faktisch unbegrenzt wird, können wir überall handeln, wir brauchen uns nicht „einzumischen“, also externe Akteure werden. Hier die zunehmende Individualisierung, dort der erweiterte öffentliche Raum als Aktions- und Agitationsforum für die Verhandlungen der Freiheit (die haben wir ja nicht aus den Augen verloren).
Programm? Schon eine Präambel
Philosophisch müsste man von hier die Wege zur republikanischen Verfassung der globalen Politik und zur demokratischen Verfassung als Bedingung funktionaler Volkssouveränität aufzeigen.
Politisch, d.h. auch, auch!, pragmatisch heisst das, die republikanischen Elemente unserer politischen und sozialen und kulturellen Felder demokratisch zu bestellen. So können Handlungsprogramme und Strategien entwickelt, so kann Opposition geformt werden, so kann man regieren.
Man könnte etwas didaktisch sagen: die Heimat muss von der Nation und ihren nationalistischen Mythe entkoppelt werden.
Das reicht noch nicht zu einer hinreichenden, d.h. Praxis fördernden Einrichtung von mehr Weltbürgertum. Aber es wäre ein Schritt, die Argumente in bestimmte Politiken einzubringen, allen voran in Bildung, Wissenschaft, Verkehr und in das Problem, dass wir immer mobiler sein müssen (wieder), um als menschliche Grossgruppen überleben zu können. Erstmals auf der Flucht vor den Klimaveränderungen, die eben nicht historisch nur eine Wiederholung sind; dann auf der Flucht gesellschaftlich, politisch induzierter Armut; aber auch auf der Flucht vor dem Verlust an Zivilisation, der immer weniger Optionen für das gelungene Leben bietet (konkrete Frage an einen Verwaltungsrichter: ist hoffnungslose Abwesenheit der Antwort auf die Frage: wie will und kann ich in Zukunft leben? kein Asylgrund?). Die Menschen sind auf der Flucht, und die privilegierte Sesshaftigkeit ist die historisch-anthropologische Ausnahme, während das Bleiben-Müssen in den schrecklichsten Umständen ja die Regel für die Nicht-Privilegierten ist.
Solche Gesichtspunkte hätte ich gerne in den Detailprogrammen auf meinem Parteitag gehabt (z.B. in einer Diskussion zum politischen Curriculum oder in der Aussenpolitik, die eben der Wanderung durch viele Felder angemassten Territorialrechts sind…und auf einer Tagung von Wissenschaftlern, die sich damit beschäftigte, wie man den globalen Süden regiert…Man springt, manchmal ganz gut, aber nicht weit genug.
Die Melancholia ist die Mischung aus Bedeutungsverlust, d.h. auch Erinnerungsverlust, mit der schauerlich kurzen, uns Lebenden, politischen sozialen Tieren zur Verfügung stehenden Zeit; als Sorge vor einer Zukunft, die wir nicht mehr erleben werden und von der wir vielleicht nicht wollen können, dass unsere Enkel sie erleben, durchleben müssen.
Die Euphoria ist das Umschlagen dieses Zustands in das Quia absurdum, weil es die einzige alternativlose Formel ist, die ich gerne anerkenne.