Nächstes Jahr in Jerusalem

Ich sitze mit à Teddy Kollek im Garten des –> Ticho-Hauses in Jerusalem. Kollek war Bürgermeister von 1965 bis 1993, er lebte von 1911 bis 2007. Damals war er noch im Amt und wir sprachen über das Problem der Hauptstadt. Er war optimistisch, weil die Palästinenser Jerusalem als heilige Stadt des Islam ansahen, und heilige Orte – Mekka, Medina, –>Al Quds (Jerusalem) – nicht weltliche, politische Hauptstädte sein dürften. Und für Israel stand die Hauptstadtfrage am Ende, nicht am Anfang des Friedensprozesses. Wir waren uns aber einig, dass eine gewaltsame Teilung der Stadt auch kein erstrebenswertes Ziel sein konnte.

Um 1995 herum war ich mit der damaligen Ministerin für Wissenschaft aus Niedersachsen, zu Besuch in Israel. U.a. hatten wir im Ostteil der Stadt eine lange politische Unterredung mit –> Hanan Ashrawi, damals schon eine der wichtigen Unterhändlerinnen, und anderen PLO Granden. Es ging um vieles, aber nicht um die Hauptstadtfrage.

Würde man heute in Deutschland eine Umfrage machen: welches ist die Hauptstadt Israels? So sagten wahrscheinlich die meisten Deutschen Jerusalem. Fragte man nach der Hauptstadt der Palästinenser, wäre ich mir nicht so sicher, ob die gleiche Antwort eine Mehrheit fände, aber Ramallah oder Hebron würden auch nicht genannt; ja, was ist denn die Hauptstadt der Palästinenser? Was ist denn die Rolle und Funktion einer Hauptstadt? Symbolisch hoch aufgeladen, gewiss, ein Zeichen für nationale Identität (Paris), ein Regierungssitz und Zentrum der Politik (Wien vor 1918, mit mehreren „Hauptstädten“ wie Budapest oder Prag), eine künstliche Metropole (Astana) oder eben eine historische Konstruktion. Analysiert die Vatikanstaat-stadt und Rom.

Ob der Frieden durch Zweistaatenlösung, Föderation, Einstaatenlösung oder was ganz Neues erreicht wird, wahrscheinlich ist, dass der Frieden immer bedeuten wird: Jerusalem wird die Hauptstadt für zwei Staaten oder Nationen oder Völker. Am Ende.

Nun hat Frau Mogherini vor zwei Tagen in Brüssel genau das gesagt, richtig gesagt, und Benjamin Netanjahu musste es zur Kenntnis nehmen. Soweit, so gut.

*

So weit, so schlecht. Die USA waren NIE Vermittler im Nahen Osten, und sie können es jetzt auch gar nicht mehr formal sein, aber sie haben dies mit aller wünschenswerten Klarheit dokumentiert. Da Trump Menschen verachtet, ist ihm ihr Tod und Leiden auch gleichgültig, also ist das Blutbad, dass er mit seiner blödsinnigen Ankündigung anrichtet, eine Folge nicht der Realität, sondern dieser Ankündigung.

Aber dahinter steht nicht einfach ein bösartiger Psychopath. Eine unheimlich glasklare Logik wird deutlich. Die muss man sorgsam herausarbeiten. Am einfachsten ist es, die religiöse Rahmung zu dekonstruieren. In der jüdischen Überlieferung seit der Eroberung durch David spielt die Stadt eine wichtige Rolle, sie wird in der religiösen Geschichtsschreibung vielfach und immer weiter ausgeschmückt, wobei interessant ist, dass mit der Zerstörung des Tempels der heilige Charakter nichts aufgehört hat und u.a. die Stadt als Hauptstadt aller Völker der Erde prophezeit wird, nicht nur der jüdischen – die ja erst zurückkehren müssen. Es lohnt dazu, in das vorisraelische Jüdische Lexikon von 1927ff. zu schauen, wo völlig unaufgeregt die religiöse und die weltliche Geschichte, und auch die arabische Eroberung und Heiligung ab 637 dargestellt wird (Jüd. Lexikon (1927), Nachdruck Ffm 1982, Bd. 3, S.190ff.). Zur religiösen Zuordnung lohnt sich dann die Geschichte der Stadt im Midrasch (Auslegung) weiterzulesen (S. 209). Natürlich gibt es dazu viel neuere und historisch bessere Literatur. Aber mir geht es darum, dass eine religiöse Vereinnahmung eines Ortes immer und notwendig mit seiner säkularen Position kollidiert. Wenige Tage nach Trumps Ankündigung haben sich 50 islamische Staatsvertreter – nur solche, die es sich mit den USA nicht ganz verderben wollen – in Istanbul getroffen, um jetzt Jerusalem zur Hauptstadt der Palästinenser zu erklären. Die Retourkutsche verfängt nicht. Entscheidend ist, dass keine religiöse Begründung hinreichend und akzeptabel erklären könnte, warum die Stadt „Hauptstadt“ irgendeines Staates sein muss oder soll. Der Mythos benutzt eine unbegriffene religiöse Vergangenheit, um handfeste politische Ansprüche anzumelden. Ob Trump wusste, wo er war, als er einen Wunschzettel in die Mauerritzen der Klagemauer steckte, die schon seit hundert Jahren sensibelster Ort ist, weil sich darüber die Al Aksa Moschee erhebt? Schon 1928 kam es zu Konflikten mit orthodoxen Juden und der britischen Mandatsverwaltung über den Zugang und die dort praktizierte Geschlechtertrennung. Auch bei der Geschichte des Felsendoms kann man die Schichten und geschichteten politischen Auslegungen religiös notierter Politik genau studieren, wobei die ursprünglichen Mythen eher eine Nähe von Islam und Judentum, die späteren schroffe politische Gegensätze betonen. Alles egal: Hauptstadt lässt sich daraus nur politisch und lebensweltlich, als aus Traditionen und Ritualen, aber nicht aus Religion ableiten. Deshalb verzichte ich darauf, die gut zugänglichen Quellen dazu auch nur anzugeben: das ist spannend,  aber es geht an der Sache vorbei und wird zur Zeit von den Orthodoxen aller Richtungen instrumentalisiert. Der Glaube und auch die rivalisierenden Götter der Glaubensgemeinschaft haben mit der gesellschaftlichen Ordnungsmacht Religion in diesem Kontext wenig zu tun. Aber im Namen all dieser Gotteskonstruktionen wird man sehen, dass es zu Gewalt kommen wird, fast zwangsläufig muss.

THERE WILL BE BLOOD…THERE IS BLOOD.

Das war meine erste Assoziation nach der Ankündigung von Trump. Der Filmtitel von 2007 passt fatal, man ahnt, was sich ein paar Tage später ereignen wird.

Schieb die Entscheidung über Jerusalem auf, das war das Rationale aller Stabilisierung und Friedensbemühungen, zumal nach 1967 (–> Tom Segev: 1967, Berlin 2005). Ohne irgendeine religiöse Konnotation. Hauptstadtentscheidungen fallen, wenn das Land/die Länder einig ist/sind. Das war auch in Deutschland so, und die Dislokation vieler Hauptstädte von den Schwerpunktzentren ist ja auch nicht von ungefähr. In Hauptstädten wird regiert, nicht gebetet. Nun sagt nicht nur Trump, sondern sagen viele, inclusive Bibi Netanjahu,  dass er nur ausgesprochen hat, was ohnehin schon immer Tatsache ist. Der Fehler liegt im kleinen Wort “ist“.  Dass Jerusalem Hauptstadt werden soll, ist eine legitime, vielleicht nicht kluge, Option, und zwar für beide Seiten, mit unterschiedlichen Begründungen. Jerusalem ist nicht Hauptstadt Israels, und wäre es auch nicht, käme die US Botschaft zu unseren Lebzeiten da hin.

Ich denke, Trump will Gewalt provozieren, weil er – zu Recht – annimmt, dass zur Zeit niemand die USA attackieren oder angreifen kann, und weil er, der ja ein Psychopath und Sexist und Rassist, aber nicht dumm, genau wusste, was kommt: die Palästinenser, die Araber, die Muslime jaulen auf, die Hamas oder wer werfen Raketen auf Sderot und Ashkelon, in Berlin demonstrieren die Palästinenserfreunde mit den alten antisemitischen Tötungsparolen, und die Idioten verbrennen dort israelische Fahnen. Damit hat Trump seinen Kritikern viel Wind aus den Segeln genommen, ohne in einem einzigen Punkt wirklich Recht zu haben. Nun wird wieder getötet, anscheinend hat Netanjahu einen Punktsieg erzielt, den er braucht, weil er ja ein Gauner ist und sich dauernd im Visier der Justiz sieht: so lenkt man ab. Die noch weiter rechts stehenden Siedler, die Bennet, etc. verbünden sich nur zu gerne mit den US-Antisemiten, solange die in Amerika ihr evangelikales Unwesen treiben. In Israel nimmt man das offene Wort zur Hauptstadt halt mehr oder weniger feststellend auf, der Protest dagegen ist nicht ethnisch oder gar religiös, er ist politisch und zur Zeit nicht so stark. Das Land wird ja wirklich angegriffen. Und Erdögan, diese islamistische Diktatorennummer, schart – Muslime um sich, also Staatschefs, die sich über den Islam definieren. +

ANTISEMITEN IN DEUTSCHLAND

Natürlich gibt es sie, die antisemitischen Straftaten nehmen zu.  Auch die Straftaten von Immi-granten, Asylsuchenden, Geduldeten, auch die Straftaten von Islamisten. Sie nehmen nicht unverhältnismässig stark zu, sondern mit der grösseren Anzahl wächst ihre absolute Zahl, und wir können schon annehmen, dass sich der Antisemitismus der islamistischen Propaganda nicht schon dadurch auflöst, dass seine Subjekte jetzt schutzbedürftige Flüchtlinge sind.

Aber ich will es uns nicht leicht machen. In einem guten, sehr geschichtsbewussten Interview sagt Karl Lagerfeld „etwas Schreckliches“, wie er selbst meint: „Die Deutschen haben Millionen von Juden umgebracht, und da schämen wir uns noch heute für. Und jetzt lässt Angela Merkel eine Million ihrer Erzfeinde ins Land“. Auf den Einwand, dass nicht alle arabischen Flüchtlinge seien, sagt er: „Natürlich nicht. Aber ich habe auch wenige Araber getroffen, die sagen ‚ich liebe die Juden‘ “ (ZEIT Magazin, 7.12.2017, S. 22). Den kollektiven antisemitischen Ressentiments von „Arabern“ in Deutschland, kann ich zwei Dinge hinzufügen: es gibt sie, und was sich hinter den „Arabern“ verbirgt, sind weniger ethnische Zugehörigkeiten als vielmehr national-religiöse Prägungen. Und: national-religiöse Ressentiments israelisch-jüdischer Politiker*innen sind auch nicht besser, vielleicht anteilsmässig nicht so massiv, aber schlimm genug. Religion kapert die Politik. Im Übrigen ist das ein guter Grund, nicht einfach von Juden oder Arabern zu sprechen. Man kann ohnedies nicht ozeanisch ganze Völker „lieben“ oder „hassen“.

Ich habe lange über Antisemitismus geforscht und geschrieben. Nicht gerade populär, aber solide, heisst mein Buch dazu „Der Antisemitismus macht Juden“ (Hamburg 2007 (Merus)). Und da kritisiere ich durchgängig die sachliche Bezeichnung Juden, und plädiere für alle Verbindungen mit dem Adjektiv, Adverb oder der Kopula „jüdisch“. Denn Juden werden changierend benutzt, einmal ethnisch, ethno-kulturell oder „rassisch“, einmal aber religiös (Das erscheint abwegig, aber im Balkankrieg haben wir analoges erfahren: Serben, Kroaten, Muslime…äh, wieso Muslime? In der Verfassung und politischen Einteilung steht es aber so…). Also: Religion hat nicht das Recht, aus ihrer Denomination eine andere Gruppe von gläubig Bestimmten sozusagen „umzurassen“; das gilt für alle drei montheistischen Religionen und Sekten, und was mit den amerikanischen weissen Evangelikalen ist, sollten wir hier auch bedenken.

Was tun? Europa sollte, ganz im Sinn von Frau Mogherini, eine Doppelhauptstadt-Idee in die Friedensverhandlungen einbauen: und diese natürlich wie bisher ans Ende, nicht an den Anfang der Gespräche setzen. Unabhängig davon, welche Art von Endergebnis wir haben werden.

Die Linke bei uns, die bekanntlich einen stark antisemitisch-antizionistischen Flügel hat, auch schon lange vor 1967 gehabt hatte, diese Linke ist wohlberaten, für die Gewalt der Hamas und anderer sich auf Allah berufenden Gruppen so wenig Verständnis zu zeigen wie für die israelischen Ultras und Siedler. Und zwar ebenso öffentlich, wie sie das pro Palästina tut. Der nicht antisemitische Mehrheits“flügel“ dieser deutschen Linken sollte sich viel mehr als bisher damit befassen, wo denn die friedensfähigen und -willigen Mehrheiten der Israeli sich politisch verorten, und zwar quer zu religiösen Überzeugungen und Praktiken. Das geht über Kultur und Austausch, über offene Kritik und nicht über die Leisetreterei, wie sie die nicht-linken Israelophilen pflegen. Ich warne vor einer Vereinnahmung von Israel durch die Rechten, auch das hatten wir 1967 schon, als Dayan als quasi-deutscher Held gefeiert wurde….

Und was Jerusalem als Hauptstadt betrifft. Wenn die israelische Regierung mit der zunehmenden Okkupation und Integration der Westbank und von Gaza in den Staat weitermacht, dann haben die so gefangenen Palästinenser auch eine Hauptstadt, wenn auch ohne eigenen Staat: Jerusalem.

FAHRT NACH ISRAEL UND SCHAUT EUCH ALLES AN

Natürlich auch Jerusalem. Die heilige Stadt ist manchmal so penetrant heilig, dass viele Besucher ein Syndrom entwickeln, christlich wie jüdisch wie muslimisch: mit Erscheinungen, Ohnmachten und allem. Man kann aber auch auf Spurensuche gehen in den früheren Stadtvierteln und Quartieren, vor dem Weltkrieg, oder noch früher. Man kann auch im Garten von Ticho-House sitzen, nachdem man sich die Sammlungen angeschaut hat. Man kann sich zurecht über die bigotte Pseudoreligiosität von Mea Schearim aufregen („ei da bin ich aber froh, denn Gottseidank, ich bin nicht so“); man kann in die arabischen Dörfer auf der Rückseite von Ölberg und Universität gehen…und von dort ins Land fahren, man wird nicht immer von Steinwürfen getroffen, und man lernt, dass es vernünftig ist, das jüdische Leben in Tel Aviv von dem in B’nai Brak unterscheiden zu lernen. Man kann in Ramallah verstehen lernen, warum die Palästinenser bislang weder regieren konnten noch wirklich wollten, und man kann in Bethlehem der Ambiguität des Christentums auf den Zahn fühlen. Man kann im Technion von Haifa verstehen, warum die USA und Israel eine so fest umschlungene Rüstungsmarktbruderschaft pflegen, und am Markt Jehuda Machane in Jerusalem verstehen, wie gut zusammenarbeiten mit den Palästinensern auch sein kann. In der ersten Intifada war ich in Ostjerusalem und habe in streng verschlossenen und unzugänglichen Gebäuden durchaus israelisch-palästinensische Kommunikation vom besten erlebt, beim Essen übrigens: es sind ja nicht alles Gewalttäter….(das ist lange her, stimmt). Und so weiter…lest einfach Oz, Sobol, Goldmann, Kaniuk (v.a. „1948“), Rabinyan etc.

Nächstes Jahr in Jerusalem. Für Kosmopoliten die Hoffnung, dass es überall zugleich ist.

 

 

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